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Das »schwäbische Dorf am Mittelmeer« - Peter Lange
Das neue Sarona - Helmut Glenk
Zum Tempelgründungstag - Karin Klingbeil
Der Taufbefehl - Jörg Klingbeil
Märtyrer! Märtyrer? - Thomas Seiterich
Von Lerchen und Eulen - Jörg Klingbeil
Sarona, die alte Landwirtschaftskolonie der Templer an der Mittelmeerküste, lebt weiter. Wir haben in den vergangenen Jahren in der »Warte« immer wieder über die großartigen Wiederherstellungsbemühungen der israelischen Denkmalschützer an den alten Siedlerhäusern berichtet. Die Restaurierungen sind nun mehr oder weniger abgeschlossen und können der Öffentlichkeit gezeigt werden. Die Bauzäune sind verschwunden, die Gartenanlagen verlocken den Besucher zum Rundgang und zur Ruhepause im Grünen.
Noch während ich diese Zeilen verfasse, erreicht mich eine E-Mail-Nachricht des Restaurators Shay Farkash, der mir mitteilt, dass am 14.-16. Mai beim »Tag der offenen Tür von Tel Aviv-Yafo« die Eröffnung der wiederhergestellten Kegelbahn im Sarona-Park mit einem ersten Kegelwettbewerb stattfinden werde (diese Kegelbahn war einstmals die abendliche Vergnügungsstätte des Gasthauses von Christian Kübler gewesen).
Um unsere Leser näher mit den denkmalgeschützten Häusern bekannt zu machen, veröffentlichen wir auf diesen Seiten eine Skizze ihrer Lage, entnommen der Vierteljahres-Zeitschrift der TSA, »Templer Reflections«, Nr. 765, März 2015. Vermerkt neben den Hausnummern sind die Namen der ehemaligen deutschen Bewohner. Außerdem weist die Skizze die Straßennamen sowohl der alten wie auch der jetzigen Zeit auf. Dazuhin geben wir nachstehend einen Bericht von Helmut Glenk wieder, unserem Freund unter den australischen Templern, dem wir die Bücher über die Geschichte Saronas sowie über die Auswanderung von Templerfamilien nach Ostafrika verdanken. Er steht schon seit Längerem in ständigem Kontakt mit den an der Restaurierung beteiligten Fachleuten und hat ihnen wertvolle Hilfestellung in geschichtlicher Hinsicht gegeben.
Das Ereignis des Denkmalschutzes für eine alte schwäbische Siedlung in Israel hat in der Presse-Landschaft der letzten Zeit auch in Deutschland hohe Wellen geschlagen. Noch nie ist so viel über die Geschichte der Templer im früheren Palästina veröffentlicht worden wie derzeit, nicht nur über die Print-Medien, sondern auch über Radio und Fernsehen. Die öffentliche Wahrnehmung unserer Geschichte ist rasant angestiegen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich als Archivar der TGD nicht von irgendeinem Briefpartner einen Zeitungsausschnitt über die Restaurierungen in Sarona oder einen sonstigen Hinweis darauf erhalte. Die Überschrift zu meinen Ausführungen habe ich deshalb einem dieser jüngst erschienenen Zeitungsberichte entnommen.
Eine von uns in der Welt als unbekannt oder als vergessen vermutete Geschichte ist mit »Sarona« wieder »ans Tageslicht« befördert worden. Nie waren wir mit unserer Templergeschichte in der Öffentlichkeit bekannter als jetzt. Dazu hat in nicht geringem Umfang auch das Landeskirchliche Archiv Stuttgart mit seiner jüngsten Ausstellung in der Leonhardskirche und den Führungen und Vorträgen des Historikers Dr. Jakob Eisler beigetragen. Es war einstmals das ständige Bemühen der Tempelführer gewesen, ihr Unternehmen der Reformgemeinden in Palästina in der Welt bekannter zu machen - jetzt, so viele Jahrzehnte danach, hat ihr Bemühen durch glückliche Umstände Früchte getragen: das Wissen um die Landesentwicklung der Templer-Pioniere im früheren Palästina ist dem Vergessen-Werden entrissen worden. Es ist den vielen am Restaurierungs-Projekt Beteiligten, den Historikern, Architekten, Restauratoren, Denkmalschützern und kommunalen Beauftragten zu danken, dass sie große Mühen und hohe Kosten aufgewendet haben, ihrem Land und der Welt mit dem »Sarona-Park« ein Stück kultureller Landesgeschichte näher zu bringen. Natürlich ist mit der Restaurierung der Häuser von Sarona keine Fortsetzung ehemaligen Gemeindelebens verbunden. Über das religiöse Streben der Templer ist trotz der vielen veröffentlichten Bilder des Projektes in den Presseberichten nur sehr wenig zu lesen. Vielleicht sollten wir dies bedauern, aber vielleicht ist unsere »religiöse Stimme« in der jüngeren Vergangenheit auch nicht laut genug gewesen, um gehört zu werden. Vielleicht haben wir mit unseren Bemühungen, freiheitliches Christentum zu verbreiten, nicht ausreichend darüber geredet und geschrieben. Für mich möchte ich eine Trennung von »weltlich« und »religiös« ablehnen. Im templerischen Sinn gehört beides zusammen, das haben unsere Vorangegangenen genügend oft bewiesen. Vielleicht ist für die Nachwachsenden das Kennenlernen und Erleben der »weltlichen« Seite einer früheren Tempelgemeinde gleichzeitig auch die Brücke zu einem dazu gehörigen religiösen Verstehen. Es liegt sicher an uns Älteren, in dieser Hinsicht Brückenbau zu betreiben.
Peter Lange, TGD-Archiv
02a | Neue Weinkelter | 42a | Friedrich Orth |
06 | Joh. Lämmle (Hasenpflug/Weiberle) | 42b | Limonadefabrik Orth |
07 | Lämmle | 53 | Altersheim (Jenner) |
08 | Karl Kübler | 54 | Johannes Frank |
09a | Neuer Gemeinde-Saal | 55 | Immanuel Steller |
18 | Alte Weinkelter | 57/58 | Ida Lange/Lydia Weller |
19 | Wilhelmine Lämmle | 59 | Louis Venus |
20a | Christian Pflugfelder | 60 | Carl Baldenhofer |
20b | Ölpresse Pflugfelder | 61 | Gottlieb Glenk |
21 | Café Günther | 68 | Johann Wennagel |
22a | Georg Weller | 69a | Gasthaus Christian Kübler |
23 | Karl Fröschle | 71b | Immanuel Knoll |
24 | Gottlob Graze | 73 | Scheune Knoll |
25 | Altes Gemeindehaus | 89 | Otto Venus |
38a | Willi Grözinger | 91 | Helene Köper (Günthner) |
39 | Samuel Weller | A | Albrecht Aberle |
40 | Karl Steller | H | Häring-Haus |
Nummerierung der Gebäude nach der Zeichnung von Horst Blaich in »From Desert Sands to Golden Oranges«.
Fast 40 Jahre nach den ersten Überlegungen für eine Wiederinstandsetzung des südlichen Teils von Hakirya ist jetzt für Sarona eine neue Zeit eingeläutet worden. Dies bedingte allerdings viele Jahre der Diskussion, der öffentlichen Einsprüche und Debatten darüber, was, wenn überhaupt, von der einstigen deutschen Tempelsiedlung erhalten werden und in welchem Umfang eine Wiederinstandsetzung auf dem Areal stattfinden sollte. Zeitraubende Planspiele und Genehmigungsverfahren sind am Ende dann von einer sorgfältigen Restaurierung der Gebäude, von einem Verschieben einzelner Häuser (wegen Erweiterung der Kaplanstraße, früher: Meerstraße) und von einem Erdaushub für den Einbau einer unterirdischen Parkgarage sowie von neuen Garten- und Freiluft-Anlagen des Sarona-Areals abgelöst worden.
Es ist überaus erfreulich, dass der Stadtteil wieder »SARONA« genannt wird, dem Namen, der ihm am 18. Oktober 1871 vom Gründer der Tempelsiedlung vor 144 Jahren gegeben worden war.
Die Beendigung der Restaurierungsarbeiten und der gärtnerischen Gestaltung der »Oase Sarona« mitten im Zentrum der betriebsamen Metropole Tel-Aviv hat inzwischen Tag wie Nacht Tausende von Besuchern angelockt. Die Mode-Boutiquen und zahlreichen Gastronomie-Betriebe - Bars, Cafés und Restaurants - erfreuen sich großer Beliebtheit. Die Freiluftanlagen, einige mit festem Untergrund, andere mit Rasen bewachsen und von hohen Bäumen beschattet, laden zu Entspannung und Picknick ein. Auf dem früheren Tennisplatz können eine Vielzahl sportlicher Aktivitäten ausgeübt werden. An jedem der Wohnhäuser ist eine Tafel in Englisch, Hebräisch und Arabisch angebracht, die über den früheren Besitzer und das Jahr der Erbauung Auskunft gibt.
Das Besucher-Zentrum (im früheren Haus von Carl Baldenhofer) hat seinen Betrieb aufgenommen und klärt über neun Perioden der Geschichte Saronas auf:
1-3 - die Zeitabschnitte 1871-1921, 1921-1939, 1933-1945 der Tempelgemeinde
4-5 - die britische Mandatszeit und den jüdischen Unabhängigkeitskampf 1941-1947
6 - die Entstehung des Staates Israel 1948
7-8 - die Perioden der Regierungs- und Militärzeit von Hakirya 1949-1955
9 - die Wiederinstandsetzung Saronas 2002-2013
Ein offizieller Führer für Besucher mit einer Darstellung der Templerzeit von 1871 bis 1945 wird im Besucher-Zentrum in Hebräisch und Englisch angeboten. Die Ölmühle von Pflugfelder ist nach ihrer Beschädigung durch Brand 2013 inzwischen wieder in Betrieb genommen worden.
Drei Wolkenkratzer-Türme stehen entlang des südlichen Randes von Sarona und enthalten in ihren oberen Stockwerken Hunderte von Wohnungen, während in den unteren Geschossen ein riesiges Einkaufszentrum, genannt »Sarona Market«, untergebracht ist. Das Wohnhaus von Friedrich Häring (Nr. 52) ist erhalten geblieben, ist aber nicht Teil der Denkmalschutzzone, sondern in den westlichen Turm integriert worden. In ihm befindet sich die Firma Gindi Bros., eines der bedeutenden Planungs- und Entwicklungsbüros des Sarona-Projektes.
Auch das Haus von Albrecht Aberle (Nr. 43) auf der Westseite der Zone steht mit seiner Erneuerung noch aus, es diente während der Restaurierungen als Projektbüro von Sarona, wie auch das Haus von Roland Neef (Nr. 44). Die zukünftige Verwendung beider Häuser ist noch unklar. Das Haus von Reinhard Lippmann (Nr. 47) befindet sich in dem Areal der Israeli Broadcasting Commission, das vom allgemeinen Besucher-Publikum nicht betreten werden kann.
Weiterhin ist über das Schicksal der Sarona-Häuser im nördlichen Teil der Siedlung nichts weiter bekannt. Diese Häuser unterstehen nach wie vor dem Verteidigungsministerium Israels.
Anlässlich der Fertigstellung des Neuen Saronas wurde das Buch »From Desert Sands to Golden Oranges« durch mehr als hundert Korrekturen aktualisiert. Es sind keine neuen Texte hinzugekommen, doch der Index wurde überarbeitet und ist jetzt umfassender. Das Buch ist erhältlich im eBook-Format über das Internet oder über den Verlag Trafford. Informationen (in englischer Sprache) über das Sarona-Projekt sind hier zu finden.
Veröffentlicht in »Templer Reflections« Nr. 765, März 2015, übersetzt von Peter Lange
Der Gründung der religiösen Organisation »Deutscher Tempel« (19./20. Juni 1861) und der Auswanderung der Gründerfamilien Hoffmann und Hardegg nach Haifa (1868) gingen Ereignisse voraus, besonders Auseinandersetzungen mit Gegnern der Auswanderungsidee von Hoffmann und Hardegg.
Hoffmann warf der christlichen Kirche vor, dass sie es nicht geschafft habe, die sozialen Probleme zu lösen - überhaupt warf er ihr vor, dass das nicht die Kirche sein konnte, wie sie das Neue Testament nahe legte. Sie war ihm viel zu eng mit dem Staat verwoben - ein Abweichen vom Bekenntnis kam dem Aufruhr gegen den Staat gleich. Deshalb und wegen der zunehmenden sozialen Verelendung waren schon Tausende schwäbischer Pietisten nach Amerika und Russland ausgewandert.
1848 in die Nationalversammlung in Frankfurt gewählt, wurde Hoffmann klar, dass es ihm hier nicht gelingen würde, so Einfluss zu nehmen, wie er es sich vorgestellt hatte, um die bestehenden Strukturen zu ändern. Sein Ziel war eine volksnahe Kirche anstelle der institutionellen, in der die Laien stärker eingesetzt werden sollten, und in der gegenseitige Hilfe aus verantwortlicher Liebe wichtiger sein sollte als korrekte Rechtgläubigkeit. Aus der Überzeugung heraus, dass nur durch die Tat etwas geändert werden konnte, verfolgte er die Idee der Sammlung des Volkes Gottes immer intensiver. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Verantwortlichen der Kirche gegen die Idee, die konkret auch die Auswanderung zum Ziel hatte, Widerstand leisteten. Zu seinen Gegnern wurde auch Sixt Karl Kapff (1805 -1879), mit dem er ursprünglich befreundet war.
In eine religiöse Familie geboren - der Vater war Pfarrer, der dem Pietismus zurückhaltend gegenüberstand -, wollte jener schon seit Kindertagen Pfarrer werden. So besuchte Sixt Karl Kapff das Seminar in Maulbronn, studierte Theologie am Tübinger Stift, wo er sich im Zuge seiner Freundschaft mit Wilhelm Hofacker der pietistischen Erweckungsbewegung anschloss. Als Repetent im Tübinger Stift begegnete er David Friedrich Strauß, in dessen Gegenwart es ihm allerdings wegen der unterschiedlichen theologischen Auffassung und dessen Redegewandtheit 'unheimlich' war. Später war Kapff der maßgebliche Wortführer gegen Strauß, dessen Bibelkritik er massiv ablehnte, Hegelianismus und Rationalität bekämpfte.
1833 wurde Kapff als Pfarrer in die Brüdergemeinde Korntal berufen, die Gemeinde blühte während seines zehnjährigen Wirkens auf. 1843 wurde Kapff erst Dekan in Münsingen, dann in Herrenberg, 1850 Prälat und Mitglied des Konsistoriums, also der Kirchenleitung. Dennoch nahm er weiter an Gemeinschaftsstunden teil und verband so Pietismus und Kirche, was zu einer gespaltenen Beurteilung seiner Person geführt hat. »Herrschaft des Pietismus in der württembergischen Kirche« kritisierten die einen, er habe die Einfügung der pietistischen Gemeinschaften in die Landeskirche gefördert und weiterer Separierung und Auswanderung entgegengewirkt, meinten die anderen. 1852 wurde er zum Prediger an die Stiftskirche in Stuttgart bestellt - hier konnte er persönliche Frömmigkeit und seelsorgerliche Tätigkeit miteinander verbinden; seine Gebet- und Predigtbücher waren im Pietismus und in der württembergischen Kirche sehr geschätzt und verbreitet.
Was seine Beziehung zu Hoffmann angeht, so war dessen Kirchenkritik zusammen mit dem vehementen Einsatz für die Sammlung des Volkes Gottes der Wendepunkt in ihrer freundschaftlichen Beziehung. Hoffmann hatte 1855 seine Zeit als Inspektor bei Spittler in der Basler Mission vorzeitig beendet, da sich seine Hoffnung, das Brüderhaus der Pilgermission in Jerusalem könne in sein Vorhaben einbezogen werden, zerschlagen hatte. Nun stand er ohne Anstellung und ohne Wohnung da. Eine Rückkehr zur Salonschule, die mittlerweile nur noch von Philipp Paulus betrieben wurde, war nicht möglich; auch aus der Brüdergemeinde Korntal erreichte ihn abschlägiger Bescheid. Zwar wollte man ihm das Wohnrecht in der von seinem Vater gegründeten Gemeinde nicht völlig absprechen, man wollte ihm dasselbe aber nur unter der Bedingung gewähren, dass er auf seine schriftstellerische und sonstige Tätigkeit für die Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem verzichte. Auch sein Bruder Wilhelm, Hofprediger in Berlin, bedauerte den Schritt seines Bruders und versuchte nach Kräften, diesen aus dem Separatismus in den Dienst der Kirche zurückzuholen.
Dann kam es zu verschiedenen folgenschweren Ereignissen für Hoffmanns Projekt. Zunächst wurde Hoffmann nicht zur Pfarrversammlung am 29. Mai 1855 eingeladen, für die Kapff bei einem weiteren erklärten Gegner, Pfarrer Völter, eine Widerlegung der Lehre Hoffmanns über die Sammlung des Volkes Gottes bestellte. Dieser arbeitete eine solche detailliert aus und trug sie bei der genannten Sitzung vor etwa 400 Pfarrern vor, indem er sich entschieden dagegen aussprach. Kapff veranlasste den Druck und die Verbreitung dieser Schrift (im »Christenboten«) und rief zu einer Abstimmung ohne vorherige Debatte auf.
In dieser Stimmung ging diese natürlich mit nur einer Gegenstimme für Hoffmanns Version aus. Hoffmann erfuhr erst am Abend danach von der Sitzung, auch beschrieb ihm Kapff in einem Brief vom 30. Mai detailliert den Fortgang derselben - und drückte Hoffmann sein Bedauern für diesen Ausgang aus. In seiner Antwort warf Hoffmann Kapff unrechtes Vorgehen vor - nicht nur, weil die Sache in seiner Abwesenheit verhandelt worden sei und er diese nicht habe verteidigen können, sondern weil unter ebensolchen Umständen eine Abstimmung ohne jede Debatte angestrengt worden sei. In seiner Antwort gab Kapff dies zu, sein Ton wirkte versöhnlich, entschuldigend und er bat Hoffmann, nicht über die Abstimmung in der »Warte« zu berichten.
Bei der folgenden Versammlung der Evangelischen Allianz in Paris (September 1855) durften Hoffmann und seine Freunde zwar ihre Sache vertreten, aber auch hier sprach sich Kapff heftig gegen das Projekt Hoffmanns aus. Nun hörte der freundschaftliche Verkehr zwischen Hoffmann und Kapff auf und Letzterer setzte sich an die Spitze der Gegner Hoffmanns unter Pfarrern und Pietisten. Sein Einfluss als Mitglied der Kirchenleitung dürfte nicht zu unterschätzen gewesen sein; die zuvor recht große positive Stimmung für Hoffmanns Pläne zu diesem Zeitpunkt wurde spürbar gedämpft, so dass die vorgesehene schnelle Auswanderung zurückgestellt und zunächst der Plan einer gemeinschaftlichen Ansiedlung auf dem Kirschenhardthof verfolgt wurde.
Auf dem Kirchentag in Stuttgart 1857 verschärfte sich der Ton. Hoffmann hielt einen Vortrag über Reform von Kirche und Schule und vertrat wiederum seine Auffassung in Bezug auf die Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem. Kapff antwortete darauf mit einem Angriff auf die »Süddeutsche Warte«; beide benutzen den »Schwäbischen Merkur«, um sich gegenseitig zu beschuldigen.
Auch 1866 wird in der »Geschichte des Tempels« von Friedrich Lange nochmals eine Auseinandersetzung zwischen Hoffmann und Kapff erwähnt - aber da ist der Ausschluss aus der Kirche und die Gründung des »Deutschen Tempels« am 19./20. Juni 1861 bereits vollzogen.
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt 28, 19-20)
Mit diesen Worten, mit denen das Matthäus-Evangelium endet, verabschiedet sich Jesus bei dem Wiedersehen in Galiläa von seinen Jüngern. Der sog. Tauf- oder Missionsbefehl hat die Kirchengeschichte bekanntlich nachhaltig beeinflusst. Dabei ist er durchaus widersprüchlich: Soll jemand zum Jünger werden, indem man ihn erst tauft und dann das lehrt, was Jesus selbst seinen Jüngern beigebracht hat?
Das folgenreiche Missverständnis hat in der Geschichte der Mission vielfach zu gewaltsamen Bekehrungen, ja sogar zu Zwangstaufen, beispielsweise an Juden im Mittelalter, geführt. Eine Zwangstaufe ist eine Taufe gegen den Willen des Täuflings. Schon diese banale Erkenntnis macht es schwer, eine Säuglingstaufe zu rechtfertigen, denn der Säugling kann noch keinen eigenen Willen äußern.
Die Templer haben sich insoweit konsequent nicht nur gegen die Kindertaufe, sondern generell gegen den Sakramentscharakter der Taufe ausgesprochen. Sie wissen sich darin in guter Gesellschaft mit Jesus selbst, denn von ihm wird an keiner Stelle des Neuen Testaments berichtet, dass er getauft habe. Und auch Paulus, der eine Generation früher als Matthäus seine Briefe schrieb und die Heidenmission begründete, erklärte, dass Christus ihn nicht gesandt habe zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen (1. Kor 1, 17).
Soweit in der Apostelgeschichte oder auch bei Paulus von Taufen die Rede ist, geschahen diese meist erst, nachdem die Täuflinge in der Lehre Jesu unterwiesen und - wie es vielfach heißt - zum Glauben gekommen waren. Die Taufe geschah dann als symbolische Bestätigung der inneren Umkehr. Insofern ist die Haltung der Tempelgesellschaft nur folgerichtig und entspricht eher der Auffassung der ersten Christengemeinden als der der heutigen Volkskirchen. Auch die trinitarische Taufformel, die nur bei Matthäus vorkommt und die bis heute in den Kirchen verwendet wird, dürfte kaum von Jesus selbst stammen, wurde die Trinitätslehre doch erst in den Konzilien des 4. Jahrhunderts für verbindlich erklärt. So bleibt als Kern des hier überlieferten Vermächtnisses Jesu vor allem seine Lehre: Er wollte die Botschaft vom anbrechenden Gottesreich unter die Menschen bringen und jeden Einzelnen mitnehmen in die persönliche Erfahrung des Angenommenseins durch Gott und der Bewahrung über den Tod hinaus.
Vom Heiligen Stephanus bis zu den Selbstmordattentätern der Gegenwart: Wie wird man im Christentum Märtyrer - und wie im Islam?
Dieser Tage - so berichten die Agenturen - habe in Nigeria eine Zehnjährige als Selbstmordattentäterin zahlreiche Christen und Muslime mit in den Tod gerissen. Ihr Auftraggeber, die islamistische Terrortruppe Boko Haram, preise sie nun als Märtyrerin. Auch die islamistischen Mörder bei Charlie Hebdo und dem jüdischen Supermarkt in Paris behaupteten vor ihrem Tod von sich, sie seien Märtyrer.
Wir wird man ein Märtyrer? Definieren der sunnitische Islam und das Christentum die Märtyrerschaft gleich?
Leicht haben es die Christen in dieser Frage. Denn ihre alten Kirchenväter wie zum Beispiel Ignatius von Antiochien haben im zweiten Jahrhundert ausgiebig diskutiert, ob ein Christ durch eine Provokationstat ein Märtyrer werden könne oder nicht. Den Kontext bilden die Verfolgungen im Römischen Reich, als Christen vor die Wahl gestellt waren, das vom Staat geforderte Kaiserkult-Opfer zu leisten oder es zu schmähen - und damit zu sterben oder zu überleben. Die Kirchenväter fanden eine Einigung, die in der ganzen Christenheit bis heute gilt: Märtyrer wird nicht, wer den Tod aktiv sucht, sondern nur, wer sein Leben verliert für den Glauben.
Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kritisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 2/2015, Seite 21.
Vor einigen Jahren erntete der damalige Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Günther Oettinger, Hohn und Spott mit seinem Vorschlag, der Schulunterricht solle morgens eine halbe oder eine Stunde später beginnen. Nur einige Schlafforscher und sog. Chronobiologen, die sich mit dem Wach-Schlaf-Rhythmus der Menschen beschäftigten, stimmten zu. Inzwischen bestehen kaum noch Zweifel daran, dass sich die Gesundheit, Lernfähigkeit und Leistung der allermeisten Schüler schlagartig verbessern würde, wenn man sie morgens länger schlafen ließe. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine große niederländische Studie, die vor kurzem veröffentlicht wurde. Dabei füllten 741 Schüler im Alter von elf bis achtzehn Jahren einen speziellen Fragebogen aus, aus denen sich ergab, ob die Schüler aufgrund ihrer angeborenen biologischen Rhythmik eher in Richtung Frühaufsteher (»Lerchen«) oder Spätzubettgeher (»Eulen«) tendieren, wie viel Schlaf sie benötigen und wie viel sie tatsächlich schlafen.
Für die meisten Schüler passte nicht einmal ein Schulbeginn um 8.15 Uhr zu ihrem biologisch vorgegebenen Schlafrhythmus. Im Durchschnitt schliefen die Schüler ohne äußeren Zwang von Mitternacht bis 9 Uhr, wobei die älteren Schüler noch länger schliefen. In der Realität werden die Schüler also an Schultagen zu einem erheblich nach vorne verlagerten Schlafrhythmus gezwungen, der nicht ihrer angeborenen inneren Uhr entspricht. Ein früheres Zubettgehen erwies sich nicht als Lösung; denn die Forscher stellten fest, dass die Schüler einfach nicht früher einschliefen.
Anstatt des eigentlich benötigten Schlafpensums durchschnittlicher Jugendlicher, das bei rund neun Stunden liegt, brachten es die Teilnehmer der Studie nur auf sieben Stunden und fünfzig Minuten - an fünf Tagen in der Woche. Dabei belegen unzählige Studien, wie wichtig ausreichender Schlaf ist und wie negativ Schlafmangel sich auf praktisch alle geistigen Parameter, vor allem Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit auswirken. Es gibt Hinweise, dass ein Leben im falschen Rhythmus das Risiko für das ADHS-Syndrom erhöht.
Die Chronobiologen werteten auch die Leistungen der Studienteilnehmer aus. Dabei wurden die Noten in Klassenarbeiten der »Eulen« mit denen der »Lerchen« verglichen. Die Spätzubettgeher schnitten umso schlechter ab, je früher am Morgen die Klausuren geschrieben wurden. Erst bei Arbeiten um die Mittagszeit wurde das Ergebnis nicht mehr durch den Chronotyp des Schülers beeinflusst. Besondere Probleme hatten jene Schüler, die nur sieben Stunden und weniger schliefen oder die besonders spät schlafen gehen. Eine andere, etwas ältere Studie hatte gezeigt: Je »eulenhafter« die Studenten, desto schlechter war ihr Abitur gewesen. Dabei waren die Frühaufsteher keineswegs intelligenter oder fleißiger als die Spätzubettgeher; sie hatten nur den Vorteil, dass sie in jenen Stunden des Tages eine Leistung erbringen mussten, in denen sie munter und besser konzentrationsfähig waren.
Warum junge Menschen ab Beginn der Pubertät bis ins frühe Erwachsenenalter abends nicht früher müde werden und morgens bis in die Puppen schlafen, ist noch ein Rätsel der Evolution. Aber die Forscher meinen, dass dieses biologische Programm besteht und unsere Gesellschaft darauf Rücksicht nehmen könnte. Man solle nicht nur über einen späteren Beginn des Schulunterrichts nachdenken, sondern auch Klausuren nur noch am frühen Nachmittag schreiben lassen, um eine Benachteiligung der »Eulen« zu verhindern.
Einzelne Schulen in aller Welt haben diese Ideen aufgegriffen und entsprechende Pilotversuche gestartet. Eine Schule auf Rhode Island (USA) verschob beispielsweise den Schulbeginn ab Klasse neun für drei Monate auf halb neun. Die Erfolge blieben nicht aus: Hatte vorher nur ein Sechstel der Schüler acht Stunden pro Nacht geschlafen, so war es nun über die Hälfte. Außerdem waren die Schüler aufmerksamer und gingen seltener zum Schularzt.
Die Ergebnisse überzeugten sogar den Verband der amerikanischen Kinderärzte, der im letzten Jahr forderte, für Schüler ab zehn Jahren dürfe der Unterricht nicht vor 8.30 Uhr beginnen.