Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 171/3 - März 2015

 

 

Was will Gott von uns? - Brigitte Hoffmann

Gastfreundschaft - Marcel Henker

What is God? - Wer oder was ist Gott? - Christine Ruff

Die Familie Tietz aus Südrussland - Birgit Arnold

Des Königs Untertanen - Peter Lange

Weniger ist mehr - Variationen des Verzichts - Jörg Klingbeil

Was will Gott von uns?

Das ist wohl die Frage aller Menschen, die überhaupt religiös denken oder fühlen. Und alle Religionen suchen darauf eine Antwort zu geben. Die archaischen hatten dafür Orakel und Rituale mit festen Auslegungsregeln. Die sogenannten Hoch- oder Schriftreligionen berufen sich dafür auf ihre Heiligen Schriften - Bibel, Koran, Baghadvadgita usw. Sie sind ein wertvoller Schatz, quasi die Quellen, auf die man sich berufen kann. Aber genau deshalb sind sie auch eine Gefahr. Ich glaube durchaus, dass in ihnen Funken göttlichen Geistes enthalten sind. Aber sie sind von Menschen geschrieben und werden von Menschen ausgelegt und sind damit auch zeitgebunden. Wir dürfen uns nicht nur auf sie berufen, wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen, sie in Beziehung setzen zu unserer Gegenwart, zu der »Mitte«, auf die es in unserem konkreten Leben ankommt.

Das möchte ich im Folgenden tun, an Hand von zwei kurzen Bibelstellen. Die erste stammt aus der Thora, die ja neben anderem auch »Bürgerliches Gesetzbuch« war, eine Trennung von Religion und Staat gab es nicht:

Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde (2. Mose 21, 23-25).

Wenn wir das heute lesen, so erschrecken wir über die Grausamkeit und assoziieren: typisch Altes Testament, Gerechtigkeit und Strafe ohne Rücksicht auf Verluste, und wir über­tragen das auf das Gottesbild. Stellt man das Gesetz aber in den historischen Zusammen­hang, so waren Absicht und Erfolg ganz andere: es sollte die bis dahin übliche Privatrache abschaffen, vor allem die Blutrache, durch die sich oft ganze Stämme gegenseitig ausrotteten. Und es sollte verhindern, dass vor Gericht die Reichen sich mit Geldstrafen freikaufen konnten. Die Körperstrafen trafen alle gleich. Für Judäa lässt sich der Erfolg nicht nachweisen, wohl aber für die Gesamtentwicklung der Menschheit: überall dort, wo sich Staaten bildeten, die ihr Gewaltmonopol durchsetzen konnten (nur der Staat darf strafen), ging der Prozentsatz derer, die durch Gewalt umkamen, auf einen Bruchteil zurück. Das Gesetz, das uns so verabscheuungswürdig vorkommt, war also, auch aus unserer Sicht, in der damaligen Situation ein Fortschritt in Richtung Zivilisation.

Und: auch in der Thora finden sich zahlreiche Hinweise auf Empathie, z.B. immer wieder die Mahnung, »Fremdlinge sollt ihr nicht bedrücken, denn auch ihr seid Fremdlinge in Ägypten gewesen.« Das ist in der damaligen Zeit ohne Parallele.

Im Neuen Testament wird diese Stelle einmal in der Bergpredigt zitiert, in den sogenannten Gegensatz-Reden, die eigentlich gar keine Gegensätze darstellen, sondern eine Steigerung: »Euch ist gesagt … ich aber sage euch.« Schuldig macht man sich nicht erst durch die Tat, sondern schon durch die innere Haltung, die zur Tat oder zum bösen Wort führt.

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber ­sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dann biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei (Matthäus 5, 38-41).

Auf den ersten Blick zeigt sich hier ein gewaltiger Gegensatz, plakativ gesagt: zwischen Vergeben und Vergelten. Aber: gleich zu Beginn dieser Gegensatz-Reden sagt derselbe Jesus »Ich bin nicht gekommen, das Gesetz … aufzulösen, sondern zu erfüllen« und »Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht der kleinste Buchstabe vom Gesetz vergehen« (Matthäus 5, 17-19). Wie passt das zusammen?

Es passt, wenn man sich klar macht, dass es um zwei verschiedene Bereiche menschlichen Verhaltens geht. Bei Mose und bei Jesu Aussage zum Gesetz geht es um Regeln, die für alle gelten und deren Einhaltung notfalls mit Gewalt erzwungen werden muss, vom Staat. Das wurde notwendig in dem Maß, in dem Gemeinschaften so groß wurden, dass die meisten ihrer Mitglieder sich untereinander nicht mehr persönlich kannten. Ich habe zu zeigen versucht, dass es auf lange Sicht wohltätig war, selbst für die, die einzelne Gesetze ablehnten.

Die Einzelanweisungen Jesu in unserem Text gehören zum anderen Bereich, in dem es darum geht, wie Menschen miteinander umgehen. Das war Jesus wichtig, darum geht es in fast allen Gleichnissen und Beispielerzählungen. Das Gesetz war ihm weniger wichtig, das zeigt sein Verhalten. Er hat nie etwas dagegen ­gesagt. Vielleicht war er als frommer Jude ebenso wie die meisten überzeugt, dass es direkt von Gott kam; vielleicht hatte er erkannt, dass es notwendig war. Trotzdem hat er sich in vielen Einzelfällen darüber hinweggesetzt: bei den Reinheitsgeboten, bei der Sabbatruhe, auch in einigen schwerer wiegenden Fällen - siehe die Erzählungen von dem Samaritaner (Hilfe für einen Unreinen) und von der Ehebrecherin.

Er wollte die Menschen ändern, nicht die Gesetze.

Dafür, wie man das konkret tun kann, bietet unser Text auf engstem Raum drei Beispiele und zwei Ermahnungen. Er beginnt mit der Ermahnung: »widerstrebt nicht dem Übel«. Das darauf folgende Beispiel zeigt, dass damit nicht gemeint ist »Lass es einfach geschehen«, sondern: »setze etwas anderes, etwas Gutes dagegen«, im Beispiel: das Darbieten der anderen Backe. Das bedeutet ein gewisses Risiko, der andere konnte ja einfach noch einmal zuschlagen. Aber es kann auch heißen, dass die völlig unerwartete Geste ihn so irritiert, dass er anfängt nachzudenken über das, was er getan hat, und beim nächsten Mal vielleicht nachdenkt, ehe er zuschlägt.

Beim zweiten Beispiel geht es um einen Streit vor Gericht um einen Rock, auf den beide Gegner Anspruch erheben. Wer dabei Recht hat oder wem das Gericht Recht geben würde, wird nicht gesagt. Für Jesus ist etwas anderes wichtig: wenn der Mann um einen Rock rechten will, dann gehört er wohl zu den ganz Armen, die kein Obdach haben und keinen zweiten Rock, der sie vor der Nachtkälte schützen könnte. Dann verzichte auf dein Rechthabenwollen, lass ihm den Rock und den Mantel noch dazu, denn er braucht sie dringender als du.

Das Beispiel von der zweiten Meile braucht eine kurze Erklärung: Römische Legionäre hatten bei ihren zum Teil weiten Märschen über Land im Schnitt Lasten von 50 kg zu tragen (Waffen, Zeltteile, Wasser und Verpflegung für einige Tage, Geschirr u.a.). Deshalb durften sie unterwegs von jedem beliebigen Nichtrömer verlangen, dass er eine Meile mitging und ganz oder teilweise ihr Gepäck trug. Nachdem mehrere Aufstände jüdischer Fanatiker blutig niedergeschlagen worden waren, war die Spannung zwischen Juden und Römern hoch, galt Widerstand gegen die Römer vielen Frommen als religiöse Pflicht. Jesu Forderung steht quer dazu; vielleicht aus einem gewissen Verständnis für die Legionäre, vielleicht weil er eine weitere Eskalation verhindern wollte. Denn auch hier gab es die Chance, dass der Römer, der das erlebte, die Juden in diesem Moment oder von da an nicht mehr nur als Feinde sah, sondern als Menschen.

Drei ganz verschiedene Situationen, drei ganz verschiedene Forderungen. Trotzdem gehören sie zusammen, und das, was sie gemeinsam haben, geht auch uns, in unserer ganz anderen Realität, direkt an.

Das ist vor allem die Bereitschaft, die Situation des anderen mitzusehen und ernstzunehmen, das Ziel, dadurch das Denken zu verändern, das eigene und das des anderen, und das im Vertrauen darauf, dass das möglich ist. Die Erfahrung zeigt, dass es möglich ist, aber fast nur im direkten Kontakt, durch Beispiel und Gespräch. Die Beispiele machen deutlich, dass das immer ein Risiko ist (manchmal das einer direkten Gefahr, immer das des Scheiterns), manchmal einfach die Fantasie für die richtige Geste. Und das bedeutet, dass der Wirkungskreis notwendig zunächst beschränkt ist. Er kann durch das Beispiel wachsen, aber nur sehr langsam und oft mit Rückschlägen. Das Bemühen darum braucht deshalb die immer neue Bereitschaft zu Ungewohntem und viel Geduld. Und wenn wir die Geduld aufbringen, nicht nur zwei Jahre, sondern zwei Jahrtausende zurückzuschauen, dann zeigt sich etwas Erstaunliches: viele der Regeln, Dogmen und Rituale, die die Kirchen aufgebaut haben, um nach ihrer Ansicht den Glauben zu bewahren, beginnen zu zerbröseln. Aber dass es heute Hunderte, wenn nicht Tausende von kleineren und größeren Organisationen gibt (nur ein Beispiel: Ärzte ohne Grenzen), die sich freiwillig, in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten, einsetzen, um Menschen in Not zu helfen, bei uns zu Hause und in vielen Regionen der Welt, dann geht das eindeutig auf Jesu Botschaft zurück. Manchmal erschien sie im hasserfüllten Streit unterzugehen. Aber sie brach immer wieder auf. Mir scheint, das ist ein beinahe vernünftiger Grund für das Vertrauen, dass das auch weiterhin geschehen kann, nicht zwangsläufig und nicht flächendeckend. Gleichzeitig entstehen immer neue Quellen für Hass. Aber es tut gut wahrzunehmen, dass auch die Zahl derjenigen wächst, die sich mit großem Einsatz bemühen, an vielen einzelnen Punkten der Welt Not und Leid zu lindern.

Brigitte Hoffmann, Saalansprache Januar 2015

Gastfreundschaft

Sicherlich hat jeder von uns schon einmal Gastfreundschaft erfahren. Und sicherlich war jeder von uns schon einmal Gastgeber, sei es nun, wenn Freunde zum Abendessen kommen oder gar Gäste aus Übersee. Ich selbst habe einige Male sehr positive Erfahrungen als Gast gemacht. Ich werde nie den Tag im Frühjahr 2010 vergessen, an dem ich im Rahmen eines Schulprogramms nach Kalifornien reiste. Nach einem langen Flug wurde ich am Flughafen von meiner Austauschpartnerin abgeholt. Nach weiteren 40 Minuten Autofahrt kamen wir am Haus ihrer Familie an. Wir nahmen nicht die Eingangstür, sondern liefen seitlich um das Haus herum und betraten über die Terrasse das Wohnzimmer. Typisch amerikanisch mit großem Ledersofa eingerichtet, wurde der Raum vom ebenso großen Fernseher ausgeleuchtet. Die Eltern saßen mit dem Rücken zu uns und sahen sich die Nachrichten an. Mir kam es im ersten Moment so vor, als ob sie uns nicht kommen gehört hatten, doch grade als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, ertönte vom uns abgewandten Sofa ein »Hallo Schatz«. Da ich nicht davon ausging, so angesprochen zu werden, sagte ich zunächst nichts. Noch während ich so dastand, überfordert mit der Situation, wurde der Begrüßung ein »Wie war dein Flug?« angefügt. Tatsächlich war ich gemeint gewesen. Nachdem ich vor lauter Verwirrung immer noch außerstande war etwas zu sagen, drehten sie sich beide langsam um und schenken mir ein herzliches Lächeln. Meine Austauschpartnerin löste die Situation gekonnt auf, indem sie einwarf, mir jetzt mein Zimmer zu zeigen, bevor wir uns wieder aufmachen würden. Wohin wusste ich noch nicht. Etwas später an dem Tag, nachdem sie mir mit dem Auto die Umgebung etwas gezeigt hatte, fuhren wir wieder heim. Die Eltern saßen wieder oder immer noch auf dem Sofa. Allerdings lief nun eine Krimiserie, welche auch in Deutschland ausge­strahlt wird. Sie fragten mich, ob ich mich nicht setzen und ein wenig mitschauen wolle, bevor ich ins Bett ginge. Ich setzte mich. Bis ich dann etwa eine Stunde später ins Bett ging, hatte ich nahezu nichts von dem mitbekommen, was im Fernseher lief. Wir waren über diese Sendung schnell in ein Gespräch gekommen. Am nächsten Morgen war ein reichliches Vesper für die Schule gerichtet. Man war sich nicht sicher gewesen, was ich daheim immer als Vesper dabei habe, weswegen man auf Nummer sicher gehen wollte und von allem etwas eingepackt hatte.

Vier Wochen war ich nicht nur Gast, sondern lebte bei ihnen wie ein Familienmitglied. Der einfache Empfang am ersten Tag, ohne Party, ohne irgendein besonderes Abendessen war repräsentativ für meine ganze Zeit in dieser Familie. Schlicht unkompliziert, vertraut und natürlich. Eine Gastfreundschaft, welche ich so bedingungslos noch nirgendwo sonst erfahren habe.

Doch warum wurde ich so herzlich aufgenommen? Warum wurde ich komplett in das Familiengeschehen eingebunden? Dies verblüfft mich umso mehr, wenn ich mir wieder bewusst mache, dass sie dafür keine Gegenleistung akzeptieren wollten. Wenn ich irgendwo hin musste, bestanden sie darauf, mich dorthin zu fahren. Wenn wir abends essen waren, so wurde ich immer eingeladen. Sogar als wir einen Tag in einem Freizeitpark verbrachten, durfte ich nicht einmal meine Eintrittskarte selbst kaufen.

Gescheitert auf der Suche nach der Antwort auf die Frage des »Warum?« bleibt mir nur übrig, ihnen zu unterstellen eine äußerst fürsorgliche Familie zu sein.

Definitionsgemäß ist Gastfreundschaft die Summe aus Unterbringung, Bewirtung und Unterhaltung, mit dem Ziel, irgendwann als Gast ähnliche Vorzüge genießen zu können. Hieraus folgt, dass gute Gastfreundschaft eine Vertrauensbasis zwischen Gast und Gastgeber voraussetzt, sich gegenseitig weder physisch noch wirtschaftlich zu schaden.

Doch woher kommt dieses Vertrauen? Ist es einfach nur der Glaube an den guten Willen des anderen?

Heutzutage ist dieses Vertrauen käuflich. Wir gehen in Hotels, bezahlen und erwarten im Gegenzug eine gute Behandlung. Es gilt die Regel, je höher das Investment, desto besser ist auch die Gastfreundschaft. In meinen Ohren klang dies zunächst unmoralisch. Doch muss ich einsehen, dass der Wert der Gastfreundschaft an sich nicht beziffert werden kann. Ich selbst arbeitete lang im Service eines Hotels gar nicht weit von hier. Dort lernte ich gleich an meinem ersten Arbeitstag, dass es ein Nein nicht gebe und man zu jeder Zeit auf die Wünsche des Gastes einzugehen habe. Dies bedeutet auch, die Vorlieben der Gäste abzuschätzen und je nach Nationalität entsprechende Empfehlungen zu machen. Besonders deutlich ­waren diese Unterschiede beim Frühstück. Während der Engländer jedes Klischee bediente und auf seinem Frühstückstee bestand, gaben sich die Franzosen am genügsamsten und aßen meist nicht mehr als zwei Croissants. Ganz im Gegenteil zu den asiatischen Hausgästen, welche jede mögliche und unmögliche Kombination von Speisen des Buffets austesteten. Sah man diese Eigenheiten voraus und bot daraufhin einen adäquaten Service an, war die Resonanz der Gäste durchweg positiv. An diesem Punkt kommt ein weiteres Interesse des Hotels ins Spiel. Auf kurze Sicht zahlt der Gast seinen Aufenthalt direkt, viel wichtiger jedoch für das Hotel und jeden anderen Gastgeber auch ist, den Gast zufrieden zu stellen. Denn nur zufriedene Gäste kommen wieder, empfehlen das Hotel weiter oder veröffentlichen eine positive Kritik. Und so sind es wiederum die vielen ‚kleinen Gastgeber‘, die Menschen in einem Hotel, welche bestimmen, wie gut die Gastfreundschaft ist, und nicht der Preis, den man bezahlt, wenn man an der Rezeption auscheckt. Egal ob man nun mehrere hundert Euro in einem 4 Sterne Hotel liegen lässt oder von einem Freund auf ein Bier eingeladen wird. Letztendlich kann die Gastfreundschaft nur so gut sein wie der Mensch, von dem sie ausgeht.

Ich sagte vorher, Gastfreundschaft ist die Summe aus Unterbringung, Bewirtung und Unterhaltung mit dem Ziel, irgendwann als Gast ähnliche Vorzüge genießen zu können. Die Bibel formuliert dies so: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Das heißt auch: Behandle deinen Nächsten so, wie du selbst behandelt werden willst.

Marcel Henker, Jugendsaal Dezember 2014

What is God? - Wer oder was ist Gott?

Schon immer hat sich der Mensch mit dem Thema Gott auseinandergesetzt. Warum ist dieses Thema bis heute von so großer Bedeutung? Wir hinterfragen die Vorstellung eines Gottes, weil wir versuchen, unseren Platz und unsere Bestimmung im Universum zu finden, weil wir auf der Suche nach Wissen und Wahrheit sind und weil wir den Sinn in unserer Existenz suchen. Für die meisten von uns ist das eine permanente Frage.

Für jeden von uns bedeutet Gott etwas anderes - das hängt von unserem Alter, unserer Bildung, unserem familiären Hintergrund ab, und davon, wo wir leben, von unserer morali­schen Auffassung, unserem Glauben und von Erfahrungen, die wir möglicherweise mit Gott gemacht haben.
Alle diese Faktoren beeinflussen unsere Ausdeutung von Gott, und das heißt, dass keine zwei Menschen Gott auf dieselbe Art und Weise sehen.

Für manche ist Gott eine bewusste, kreative Energie, die der Natur innewohnt; er umfasst alles, was wir sehen, und auch, was wir nicht sehen. Für andere strömt Gott Energie, Licht und Freude aus und ist die Quelle aller Liebe und vollendeten Bewusstseins. Hast du jemals darüber nachgedacht, was deinen Gott ausmacht?

Wenn du an einen Gott glaubst, wie mag der wohl aussehen? Wie viele von uns hatten ihre erste Vorstellung von Gott als einem alten Mann mit Bart, der auf einer Wolke im Himmel sitzt? Und dann haben sie sich vielleicht gefragt, ob das wirklich sein könne, dann nach und nach beim Älterwerden ihre Vorstellung geändert? Dein Gott ist vielleicht ein unsichtbarer Gott, der aber dennoch eine immer gegenwärtige Kraft darstellt. Vielleicht kannst du deinen Gott nicht sehen, aber du siehst Hinweise auf ihn. Vielleicht kannst du ihn auch fühlen.

Wie glücklich können wir sein, eine Wahl zu haben, welcher Gott für uns der richtige ist, an welchen Gott wir glauben können, und überhaupt, wie wir glauben können!

Denk an dein tägliches Leben - und daran, welche Rolle Gott darin spielt. Denk an all die kleinen und großen Dinge, das Alltägliche und das Besondere. Könntest du in diesem Zusam­menhang sehen oder fühlen, was Gott für dich ist? Wobei könntest du seine Gegenwart spüren?

Wie viele von uns spüren etwas Unerklärliches, eine Art Wunder, etwas Magisches, wenn sie einen Regenbogen am Himmel sehen? Wie viele von uns kennen dieses Gefühl von bedingungsloser Liebe bei der Umarmung eines lieben Freundes? Wie viele von uns sind bewegt durch die vielen Stimmen eines großen Chores? Sicherlich lässt sich vieles durch die Wissenschaft erklären oder verstandesmäßig erfassen, aber ganz bestimmt bleibt dennoch Raum für manches Geheimnis in unserem Leben, etwas, das wir nicht negieren können.

Für viele von uns ist Gott jenseits jeder Definition oder Beschreibung. Gott ist einfach ein Begriff oder eine Idee, ohne Gestalt oder Erscheinungsbild. Könnte dein Gott vielleicht eher ein Symbol für etwas sein, was wir alle in unserem Inneren haben, als dass er ein übergeordnetes Wesen wäre, das über uns wacht? Ich schätze folgende Aussage über Gott: »Da keiner von uns Gott zum Essen einladen muss, kann Gott tatsächlich all das für uns sein, was wir wollen, dass er es sei. Darin liegt die Schönheit des Glaubens.«

Mir hat immer auch eine Antwort von dem Pfarrer und Professor Christiaan Mostert gefallen, der an der Universität Melbourne Theologie gelehrt hat. Als er einmal gefragt wurde: »Was ist Gott für Sie?«, antwortete er: »Gott kann nicht begrifflich festgenagelt werden. Für mich ist Gott die Grundlage alles Möglichen, der Urgrund dessen, was ist und was gemeint ist, die Basis von moralischer Verpflichtung und von moralischem Wert, von Schönheit und Wahrheit. Bemerkenswerterweise tritt Gott in Beziehung zum Universum - weit davon entfernt, davon losgelöst oder unpersönlich zu sein -, liebt es und wirkt befreiend darin.«

Ich stimme mit der Vorstellung überein, dass Gott weder losgelöst noch unpersönlich ist. Ganz im Gegenteil, er ist am Werk. So sehr, dass wir sein Wirken überall um uns herum sehen und fühlen können. Er ist da, wenn wir den Blumenduft riechen, wenn wir neue Freunde gewinnen, wenn wir nachts in unseren Betten still und ruhig werden, wenn wir das Wunder eines neuen Zahns erleben, wenn wir unsere Kinder umarmen, auf einem Berggipfel, am Strand bei der Muschelsuche, wenn wir schön geträumt haben und erfrischt aufwachen - die Liste ließe sich fortsetzen.

Ebenso gefällt mir die Vorstellung, dass Gott der Urgrund all dessen ist, was möglich ist, allen Seins und Sinns, moralischer Verpflichtung, Wert, Schönheit und Wahrheit; aller wün­schenswerten und notwendigen Bedingungen für eine "erfolgreiche" Gesellschaft und Menschheit. Wer könnte sich eine Welt ohne Sinn, Wert oder Wahrheit vorstellen? Ich mag es, dass Gott all das überblickt, er das Positive wertschätzt, dass er gütig ist und für uns das Beste will. So ist mein Gott!

Ich mag, dass er das Beste von uns erwartet, uns bei der Suche nach dem tiefsten Sinn in allem hilft, indem wir das Oberflächliche ablehnen. Er verlangt von uns eine gesunde Moral und die Fähigkeit, etwas lieb zu haben und als wichtig zu erachten. Er fordert uns nachhaltig auf, nach Wahrheit und Schönheit in all ihren Erscheinungsformen zu suchen.

Ich frage mich, ob wir genau wissen müssen, wie Gott wirkt? Sollten wir nicht einfach glücklich sein zu empfinden, wie es sich anfühlt, wenn wir Gott um uns haben und wir solche Gefühle haben wie Ehrfurcht, Staunen, Respekt, Liebe, Dankbarkeit? Wenn wir Werte wie Güte, Weisheit, klare Zielsetzung, Gemeinschaft und Ehre weitergeben oder erfahren können? Wenn wir den aufrichtigen Wunsch haben, aus allem das Beste für jeden zu machen? Ist es nicht genug, das zu wissen?

Ich mag es, dass Gott nicht festgelegt ist. Gott hat grenzenlose Möglichkeiten und kann eine Hoffnung für unsere Zukunft darstellen. Wir können in seinem Sinn oder Geist weiterarbeiten, ohne dass er oder es festgelegt sein müsste. Entscheidend ist natürlich, dass wir mit ihm arbeiten. Wir müssen unseren Teil übernehmen.

Mein Gott ist keiner, der uns versorgt, sondern einer, der uns unterstützt. Wie die besten Lehrer predigt und doziert er nicht, sondern unterbreitet Vorschläge und leitet an, ermutigt uns, selbstständig zu denken und entsprechend zu handeln. Jeder, der sich dem Denken der Tempelgesellschaft anschließt, weiß dasselbe. Wir sind aufgefordert, unser Ziel zu verfolgen, nicht, es vorgesetzt zu bekommen. Im Gegensatz zur Pizza ist die Lieferung nach Hause hierbei keine Option!

Hier liegt der Urgrund für alles, was möglich ist. Wie wir auf unser Ziel hinarbeiten, ist ganz und gar uns überlassen - Möglichkeiten gibt es viele. Wir entscheiden darüber, wie wir uns um eine Gott-Gegenwart unter uns bemühen. Was wir als bedeutungsvoll, von Wert, als die Wahr­heit, als unsere Verpflichtung und als schön ansehen, das ist allein unsere Wahl und Verant­wortung.

Christine Ruff in Templer Talk November 2014, Übersetzung Karin Klingbeil

WOHER TEMPLERFAMILIEN STAMMEN

Die Familie Tietz aus Südrussland

Am 17. März 1848 starb in Josefstal im Gebiet Jekaterinoslaw Paul (Benjamin) Tietz, geboren am 3. August 1773 in Danzig in Westpreußen. Vermutlich war dies der Ur-Einwanderer, von dem es in der weit verzweigten Familie Tietz heißt, dass er - vermutlich 1789 - nur mit einem Ranzen und einer Geige ankam und seinen Lebensunterhalt mit dem Aufspielen bei Hoch­zeiten und Festlichkeiten verdiente. Er ließ sich im Dorf Igren nahe Josefstal (gegr. 1789) nieder.

Paul hatte sich für seine Auswanderung vermutlich preußischen Mennoniten angeschlossen und war mit ihnen - noch ledig - nach Russland gezogen. Erst 1804 wanderte Friedrich Tietz aus Danzig mit Frau und Kindern ebenfalls ein. Er ließ sich zunächst in der Molotschna nieder, 1810 kam auch er nach Josefstal.

Es ist anzunehmen, aber nicht gesichert, dass diese beiden Einwanderer Brüder waren. Zwischen beiden Familien gab es vielfältige Kontakte in Form von Eheschließungen und gegenseitigen Patenschaften, wie aus den Kirchenbüchern ersichtlich ist. Beide gründeten große Familien. Paul selber oder auch sein Sohn Paul - das ist wegen der Namensgleichheit nicht zu ermitteln - bekam im Jahre 1836 in Russland eine »Silbermedaille für verschiedene Dienste«.

Der 1797 geborene Sohn des Einwanderers, auch Paul Tietz mit Namen, hatte mit seiner ersten, früh verstorbenen Frau Anna Eisfeld fünf Kinder: Alexander, Katharina, Friedrich, Amalia und Paul Friedrich. Von diesen Enkeln des Einwanderers schlossen sich zwei der auch in Russland bekannt gewordenen Tempelbewegung an. Zusammen mit Templern menno­nitischer Herkunft machten sie sich 1868 mit ihren Familien auf den Weg in den Kaukasus und gründeten dort die Siedlung Tempelhof: ­Friedrich Tietz, geb. 1827, und Paul Friedrich Tietz, geb. 1831.

Friedrich Tietz geb. 1827 in Josefstal, gest. 1890 in Tempelhof, war verheiratet mit Christina Janssen. Sie nahmen acht ­Kinder mit nach Tempelhof. Die jüngste in Tempelhof geborene Tochter Emilie heiratete Alexander Lange aus Gnadenfeld. Die Nachkommen ihrer Familien leben bis heute in Russland.

In den Lebenserinnerungen von Friedrich Lange ist nachzulesen, dass Friedrich Tietz zu­sammen mit Abram Dyck und Johannes Dreher im Herbst 1866 auf eine Erkundungsreise in den Kaukasus reiste, um dort Land zur Neuansiedlung einer Tempelgemeinde zu suchen. Sie fanden ein unbesiedeltes Gut, das dem Fürsten Orbeljani in Tiflis gehörte und ihnen geeignet schien. »Im Frühjahr 1867 reiste eine Kommission von fünf Mitgliedern dorthin; sie bestand aus den Brüdern Fickel und Härter aus Bessarabien, Johann Schmidt, Johannes Lange und Abraham Dück von der Molotschna sowie Johannes Gutwin und Paul Tietz aus Igren bei Jekaterinoslaw. Sie konnten mit Orbeljani einen Pachtvertrag auf 30 Jahre abschließen.« Am 15. Mai 1868 zog der Treck aus Gnadenfeld auf die 1000 km lange Strecke; Witwer Paul Friedrich Tietz sen.,
 geb. 1831 in Südrussland,
 in 3. Ehe verh. in Jaffa,
 Palästina,
 mit Witwe Margare­the Bulach,
 geb. auf der Schwäb. Alb. Hinter dem Ehepaar (im weißen Kleid) Lydia Tietz,
 Enkelin von Paul Friedrich,
 neben ihr stehend Hulda Bulach,
 Tochter von Margarethe Bulachsie kamen noch im Juni an. Paul Tietz war einer der ersten, die vor dem kommenden Winter ihren Hausbau abge­schlossen hatten. Friedrich Lange schreibt dazu: »Paul Tietz, ein ruhiger, umsichtiger und zuver­lässiger Mann, außerdem der wohlhabendste der Ansiedler, baute sich nicht nur ein geräumiges Haus, das vor vielen anderen fertig wurde, sondern er baute gleichzeitig auch eine Wassermühle und stattete sie mit allen nötigen Einrichtungen aus.«

Noch in Josefstal hatte Paul Friedrich Tietz 1851 die Lehrerstochter Charlotte Schreitel geheiratet. Ihr Vater Johann Georg Schreitel wurde 1800 in Bern­hausen auf den Fildern geboren und war 1818 nach Russland gekommen. Ihre Mutter war eine Nach­fahrin von Einwanderern nach Saratow/Wolga. Sie hatten acht Kinder, von denen sieben mit auf die Reise gingen: Theodor - verheiratet mit Dorothea Frank, Katharina - verheiratet mit Alexander Tietz, Paul - verheiratet mit Sophie Klenk, Emilie - verheiratet mit Jakob Prinz, Leonhard - verheiratet mit Lydia Hausknecht, Wilhelm - verheiratet mit Maria Lange, Maria Louisa - verheiratet mit Leonhard Hausknecht. Der jüngste Sohn Jonathan - verheiratet mit Maria Vetter - wurde 1873 in Tempelhof geboren.

Auf die Reise in den Kaukasus nahm Paul Friedrich auch noch den 1858 geborenen jüngsten Sohn seiner früh verstorbenen Schwester Katharina mit, Friedrich Tietz, der in seiner Familie aufgewachsen war und sich später mit Anna Hausknecht (einer weiteren Tochter der Lehrerfamilie Hausknecht) verheiratete. Paul Friedrich Tietz jun.,
 geb. 1858 in Südruss­land,
 verh. mit Sophie Klenk,
 geb. in Kirschen­hardthof.Paul Friedrich war damals schon und blieb ein wohlhabender Mann, der seine beiden ältes­ten Söhne Paul und Theodor zur Ausbildung in die Tempelschule in Jaffa schickte, wo sie auch ihre späteren Ehefrauen kennen­lernten. Zeitweise war er auch Vorsteher von Tempelhof.

In ihren Erinnerungen schreibt Erna Tietz: »Als die Kinder erwachsen waren, zog die ganze Familie nach Tempelhof bei Pjatigorsk. Hier eröffnete Paul Friedrich mit seinen Söhnen Theodor, Leonhard, Wilhelm und Jonathan einen bald sehr gut gehenden Weizenhandel. Auf dem Mühlhof besaßen sie eine Wassermühle für Getreide und eine Ölmühle. Auch errichteten sie dort drei schöne Wohnhäuser.«

1894 starb Paul Friedrichs Frau Charlotte in Tempelhof. Er heiratete danach eine Witwe Pauline Zeh, geb. Hormann. Als diese nach nur drei Jahren starb, überließ er den Weizenhandel und die Mühle seinen Söhnen und wanderte im Mai 1900 nach Palästina aus. Dort hatte sich sein Sohn Paul Friedrich geb. 1857 mit seiner Familie nieder­gelassen. In Walhalla bei Jaffa baute er ein Haus und heiratete noch einmal, die Witwe Margarethe Bulach, geb. Rehm. Erna Tietz: »Der Urgroßvater starb am 12.4.1905 an einem Herzschlag. Er war ein erfolgreicher, aber mehr gefürchteter als geliebter strenger Mann gewesen. Seine Kinder durften ihn nur mit »Sie« und »Herr Papa« anreden. Die Enkel haben dies aber zu seinem Leidwesen nicht mehr getan.«

Paul Friedrichs Nachfahren lebten und leben heute noch teils in Russland, teils in Deutschland und in Australien, auch noch in anderen Teilen der Welt. Einige haben - sicher als Erbe ihres eingewanderten Urahnen - musikalische Karrieren gemacht. Sie sind verwandt­schaftlich eng verbunden mit der aus der Schweiz eingewanderten Familie Hausknecht, mit den Templerfamilien Lange, Dyck, Frank und Klenk sowie der Familie Prinz aus Waiblingen, und eine Nachkommin ist heute Literaturprofessorin in Oxford.

Birgit Arnold, Korntal

NEUE BÜCHER

Des Königs Untertanen

Der Auszug der Templer ins Heilige Land

Unter diesem Titel erschien letztes Jahr ein 115 Seiten umfassendes Buch über die Templer von Gerhard Bickel aus Schwaikheim. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Leute sich seit einiger Zeit dem Thema unserer Tempelgeschichte zuwenden. Darüber, wie der Verfasser zu seiner historischen Darstellung kam, kann man im Buch leider nichts lesen. Auch über den Verfasser selbst sind keine Angaben enthalten.

Gleich am Anfang wird der württem­ber­gische Pietismus beschrieben, der für viele Auswan­derer der religiöse Heimatgrund war. Als Beispiel dafür gibt Bickel die »Schwaikheimer Harmonie der Kinder Gottes« an, die sich 1812 in Schwaikheim bei Waiblingen gebildet hatte und in der Georg Friedrich Fuchs die treibende Kraft war, ein Mann, der »die Heilige Schrift in seinen ,Stunden‘ nach eigenem Gutdünken auslegte«. Er sei ein so begnadeter Prediger gewesen, dass Passanten damals an seinem Haus stehen geblieben seien und ihm durch die geöffneten Fenster zugehört hätten. Wegen seiner eigenwilligen Auslegung der Bibel sei er letzten Endes aber dann im Gefängnis auf dem Hohenasperg gelandet, wo in ihm aber dann der Gedanke einer Auswanderung gereift sei.

Es werden sodann die Gefahren beschrieben, die die Auswanderer in ihren »Ulmer Schach­teln« die Donau abwärts zu bestehen hatten, bis sie sich endlich am Donaudelta oder in der Gegend von Odessa (Großliebental) ansiedeln konnten.

Auch der Separatistenführer Johann Georg Rapp aus Iptingen, der im Remstal aktive Wer­bung für ein Verlassen der Heimat betrieb, wird noch erwähnt, ehe sich dann der Bogen zu den Jerusalemsfreunden und deren »Aufbrüchen« spannte. Erfreulich ist, dass in dem Buch wichtige Zeitereignisse mit deutlich hervortretenden Jahreszahlen bezeichnet werden. Viele Bilder, wie die von den Tempelgründern und ihren ersten Siedlungen und Gewerbetätigkeiten, veranschaulichen den historischen Exkurs.

Durch die Kapitel »Remsecker in Palästina«, »Joseph Bubecks Tagebuch« oder »Wir haben hier keine bleibende Stadt« erhält der Leser einen konkreten Eindruck vom Leben der Ausgewanderten in der für sie völlig fremden Welt im damals noch höchst unterentwickelten Nahen Osten. Die Quellenhinweise zu den Familien Unger und Wassermann-Deininger zeigen auf, woher der Verfasser sein Wissen über unsere Palästina-Siedlungen bezogen hat. Dass auch die nach Australien verschlagenen Templer beschrieben werden, ist anerkennenswert.

Insgesamt profitiert der Leser von konkreten geschichtlichen Daten und zahlreichen Karten­skizzen des Heiligen Landes. Als Bezugsadresse des Buches kann ich nur die Anschrift des Verfassers angeben: Gerhard Bickel, Hölderlinstr. 6, 71409 Schwaikheim. Ein Leih-Exemplar kann unter T-C47 auch vom Templer-Archiv bezogen werden.

Peter Lange

Weniger ist mehr - Variationen des Verzichts

In einem Kundenmagazin waren neulich Interviews mit sieben Personen, zumeist aus der Medienbranche, zu lesen, die Verzichten üben wollten und dabei Erfahrungen sammelten, die auch uns nachdenklich machen können. Gefragt wurde, auf was warum und wie lange verzichtet wurde, was die höchste Hürde war und was der vorübergehende Verzicht insgesamt brachte.

Die Schriftstellerin Karen Duve (»Anständig essen - ein Selbstversuch«) wollte ohne tierische Produkte (Lebensmittel, aber auch Lederwaren und Daunendecken) auskommen, um herauszubekommen, »ob Veganer nur Spinner oder die besseren Menschen sind«. Ihr auf zwei Monate angelegter Versuch dauerte schließlich vier Monate, weil sie schon zwei Monate brauchte, um alle tierischen Produkte aus dem Haushalt zu verbannen. Das Einkaufen musste sie neu lernen, wobei sie viele unbekannte Produkte entdeckte. Am schwierigsten war das Essengehen mit den Eltern und die vegane Ernährung der Haustiere, am meisten verlockend ein Stück Schokolade. Insgesamt gewann die Schriftstellerin durch ihren Selbstversuch viele neue Freunde und begriff, dass vieles, was selbstverständlich schien, nicht in Ordnung ist. Am Ende wurde sie zwar nicht Veganerin, aber ernährt sich seither immerhin vegetarisch.

Ein junger Jornalist aus Leipzig wollte drei Tage lang auf Plastik verzichten und hielt selbst diesen kurzen Zeitraum nur mit Kompromissen durch. Zum Beispiel konnte er nicht einmal morgens sein Bett verlassen, ohne auf den PVC-Boden zu treten. Er erkannte, dass wir überall von Kunststoff umgeben sind und ein Ausweichen praktisch unmöglich ist. Immerhin ist er nun problembewusster, geht nur noch mit Jutebeutel oder Rucksack einkaufen und vermeidet Plastiktüten.

Einen umfassenden Verzicht auf Konsum probierte eine andere Journalistin aus. Sie wollte ein Jahr nichts mehr einkaufen, was man in einem Einkaufszentrum kaufen kann (Ausnahmen: Lebens- und Hygienemittel). Im Laufe der Zeit radikalisierte sie sich regelrecht, tauschte, teilte, schnorrte, trampte, holte Lebensmittel aus dem Müll, baute selbst Gemüse an, jagte und schlachtete sogar. Am Ende lebte sie in einer Hütte im Wald. Die größte Hürde war für sie, ständig andere um etwas bitten zu müssen, Freunde, Verwandte, alternative Gruppen, weil sie zunächst so gut wie nichts allein konnte. Neue Kleidungsstücke musste sie sich verkneifen, als sie durch das Experiment rasch 20 kg abnahm. Ihre schönste Erfahrung? Als sie einmal probehalber durch ein Einkaufszentrum ging, dachte sie nicht mehr ans Einkaufen, sondern ans Selbermachen. Insgesamt fühlt sie sich jetzt befreit, kennt nun ihre wahren Bedürfnisse, setzt ihr Geld sinnvoll sein, hat ein Stück Ackerland und vor allem viele neue Freunde.

Ein junger Zeitungsredakteur wollte bis zu vier Wochen testen, ob er als Vertreter der jungen Generation auch ohne Smartphone und Facebook auskommen würde. Er teilte seinen Freunden rechtzeitig vorher mit, dass er für eine Weile nicht erreichbar sei. Die stattdessen gewünschten Briefe bekam er zwar nur sporadisch, dafür entwickelte er sich zum Experten in Sachen Telefonzellen. Hart war für ihn, dass viele seiner sog. Freunde auf Facebook ihn einfach vergaßen und dass er seine Lieblingsserie einmal verpasste. Schön wiederum war für ihn am Ende die Erkenntnis, dass er trotz 1754 E-Mails und 99 Facebook-Nachrichten eigentlich nichts verpasst hatte. Heute ist er wieder in den alten Trott zurückgefallen, surft stundenlang und meint, so sei seine Generation eben; für ihn sei das in Ordnung.

Eine Studentin nahm sich vor, auf einen Gegenstand pro Tag zu verzichten, um »Platz für Neues« zu schaffen. Der Versuch sollte ursprünglich elf Monate bis zu einem geplanten Umzug dauern; die Studentin glaubt aber inzwischen, dass er zur dauerhaften Lebenseinstellung werden kann. Den Anstoß gab ihr das Buch »Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags« von Karen Kingston. Bei der Umsetzung war sie flexibel, mal verkaufte sie an einem Tag fünf Sachen auf dem Flohmarkt oder verschenkte etwas, dann wieder gab sie ein paar Tage nichts weg. Am hartnäckigsten hielt sich ihre »Krempelschublade« mit den Erinnerungen vieler Jahre. Das Loslassen wurde ihr aber inzwischen zur Gewohnheit.

Eine Kommunikationstrainerin wollte sieben Tage lang ausgerechnet auf das Sprechen verzichten, einfach mal »Sendepause« haben und außerdem der ständigen Reizüberflutung durch die neuen Medien entgehen. Deshalb buchte sie mit einer Freundin zusammen ein Seminar auf dem Land, bei der man bewusst abschalten lernen sollte. Die Handys wurden ausgeschaltet, Fernsehen, Radio, Internet und Bücher gab es nicht. Am schwierigsten war die Konfrontation mit den eigenen Gedanken; anstrengend das Schweigen bei den Mahlzeiten, bei denen sie sich gerne ausgetauscht hätte. Ab dem zweiten Tag, so berichtet sie, sei aber zunehmend eine innere Stille über sie gekommen. Sie hörte auf, über alles zu grübeln, und fühlte, dass es gut so ist, wie es ist. Nun, zurück im Alltag, schweigt sie bewusst jeden Tag eine Stunde lang, manchmal ist sie ein ganzes Wochenende nicht erreichbar; sie wurde innerlich ruhig und muss nicht mehr sofort jeden Gedanken jemandem mitteilen.

Ein Fernsehmoderator schließlich wollte 100 Tage lang auf etwas eigentlich Banales verzichten: auf Unfreundlichkeit. Am Anfang hatte er vor allem Sorge, dass seine Freundlichkeit unecht wirken könnte; das legte sich aber im Alltag, weil er sich oft genug am Riemen reißen musste, vor allem im Straßenverkehr. Dabei machte er übrigens die Erfahrung, dass man bei offenem Fenster seltener motzt als bei geschlossenen Scheiben. Insgesamt gab es viele nette Begegnungen und freundliche Reaktionen. Er achtet jetzt stärker als früher auf seinen Ton. Vor kurzem stieg er etwas gedankenverloren in ein Taxi ein, nannte dem Fahrer sein Ziel - und schob nach gefühlten 20 Sekunden ein »bitte« nach.

Jörg Klingbeil

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