Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 171/2 - Februar 2015

 

 

… und wir in seinen Händen - Peter Lange

Kann man zwei Herren dienen? - Wolfgang Blaich

Das Zelt AbrahamsPedro Lourenzo

»Gesellschaft für eine Glaubensreform e.V.« - Karin Klingbeil

Der vermessene Mensch - Jörg Klingbeil

Zwischen Hölle und Himmel - Dr. Reinhard Erös

Das Märchen vom umweltfreundlichen Getränkekarton - Peter Lange

… und wir in seinen Händen

Zum 200. Todestag von Matthias Claudius

 

Matthias Claudius»Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst«

 

»Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann, ist die, dass man zu ihm Vertrauen hat«

 

Diese und ähnliche Aussprüche sind uns wohlbekannt, und doch können wir meist nicht sagen, woher sie stammen. Ich wusste es bei den beiden Zitaten auch nicht, bis ich bei der Vorbereitung meines »Warte«-Beitrags las, dass ­Matthias Claudius ihr Urheber ist. »Weißt du denn, wer Matthias Claudius war?« könnte ich daraufhin gefragt werden, und ich würde antworten: »Ja, ein Liederdichter«. Aber damit wäre mein Wissen auch schon zu Ende gewesen.

Natürlich hätte ich das Abendlied erwähnt, das meine Mutter in meiner Kindheit häufig mit mir anstimmte und das auch ich mit meinen Kindern und später mit meinen Enkeln gesungen habe, denn ich hätte gewusst, dass es von Matthias Claudius stammt. Der Dichter ist mit dem stimmungsvollen Lied «Der Mond ist aufgegangen« seit Langem in unseren Gesangbüchern vertreten, aber seine Dichtkunst ist damit noch nicht erschöpfend beschrieben. Claudius war ein gläubiger Mensch, hatte ein Theologie-Studium hinter sich gebracht und war bekannt durch sein Beharren auf der althergebrachten Glaubensweise. Seine tiefe Gläubigkeit wird fühlbar in Gedichtversen wie den folgenden:

 

Ich danke Gott und freue mich
wie’s Kind zur Weihnachtsgabe,
dass ich hier bin! und dass ich dich,
schön menschlich Antlitz, habe;
dass ich die Sonne, Berg und Meer
und Laub und Gras kann sehen
und abends unterm Sternenmeer
und lieben Monde gehen.

 

Es ist eine kindlich anmutende Wortwahl, die uns hier entgegentritt, doch eine, die erfüllt ist vom Glauben an Gottes Schöpfungswerk und -reichtum und vom tief empfundenen Glück des Menschseins. Die Gedanken des Dichters befassen sich in den weiteren Versen mit der rechten Lebensweise, die bescheiden und von Dank an Gott bestimmt sein soll:

 

Auch bet’ ich ihn von Herzen an,
dass ich auf dieser Erde
nicht bin ein großer reicher Mann
und auch wohl keiner werde.
Denn Ehr‘ und Reichtum treibt und bläht,
hat mancherlei Gefahren
und vielen hat’s das Herz verdreht,
die weiland wacker waren.

 

Dass Claudius in seinem Leben aus dem Reichtum der Bibel geschöpft hat, geht aus dem Schluss dieses Gedichts hervor:

 

Gott gebe mir nun jeden Tag,
so viel ich darf, zum Leben.
Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach,
wie sollt’ er’s mir nicht geben!

 

Matthias Claudius war der Sohn eines evangelischen Pastors und ist am 15. August 1740 im holsteinischen Reinfeld geboren. Für seine literarische Karriere war er durch Friedrich Gottlieb Klopstock geprägt, den er in Kopenhagen kennen gelernt hatte. In den von dessen Bruder herausgegebenen »Hamburgischen Adreß-Comtoir-Nachrichten« in Hamburg bekam er die Stelle eines Redakteurs, Wandsbeker Wappendie er von 1768 bis 1770 versah, allerdings nicht mit dichterischen Beiträgen, sondern mit dem Verfassen von Börsenberichten und von Meldungen über ankommende Schiffe.

Im Januar 1771 zog es ihn nach Wandsbek, einem heutigen Stadtteil von Hamburg, und er wurde dort Redakteur des viermal in der Woche erscheinenden »Wands­beker Boten« (die Insignien eines wandernden Boten - Hut, Stock und Tasche - zieren noch heute das Wandsbeker Wappen). Die Zeitung hatte vier Druckseiten, drei waren dem politischen Geschehen in Europa gewidmet und eine enthielt »gelehrte Sachen«. Diese Seite füllte er immer wieder durch selbstverfasste Sprüche und Gedichte. Als die Zeitung 1775 wegen mangelndem Verkaufserfolg ihr Erscheinen einstellte, publizierte Claudius seine literarischen Werke in unregelmäßiger Folge unter dem Titel »Asmus omnia sua secum portans« (»Sämtliche Werke des Wandsbecker Bothen«).

Ab 1783 überwogen darin religiöse Themen. Seine Verse sind überwiegend dem Bereich geistlicher Lieder zuzuordnen, Matthias Claudiusdas »Abendlied« stellte als literarische Gattung ein typisches Produkt der Reformationszeit dar. Typische Elemente dieser Gattung sind die Angst vor der hereinbrechenden Nacht, die Erinnerung an den zurückliegenden Tag sowie eine Form der Andacht.

Die Liedverse waren 1779 entstanden, zunächst mit der Melodie von Paul Gerhardts »Nun ruhen alle Wälder«. In der späteren Vertonung von Johann Abraham Peter Schulz erhielt das Abendlied seinen festen Platz im deutschen Liedrepertoire (im Evan­gelischen Gesangbuch EG-482, im Templer-Gesangbuch 6. Aufl. Nr. 223, im katholischen Gotteslob Nr. 93). Insgesamt gibt es mehr als 70 Vertonungen. Franz Schubert vertonte es 1816, weitere Vertonungen stammen von Michael Haydn, Carl Orff, Johann Friedrich Reichardt.

Die erste Strophe gleicht einem Bild, in dem helle und dunkle Töne vorkommen und von Mond und Sternen ein goldener Schein ausgeht:

 

Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

 

Vom Naturerleben schwenkt der Dichter in der dritten Strophe um auf die Welt und die menschliche Begrenztheit unseres Erkennens und Verstehens: Für mich ist die Strophe ein Spiegelbild unseres Verstehen-Wollens und doch Nicht-Verstehen-Könnens:

 

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.

 

Über der letzten Strophe liegt so etwas wie eine Todesahnung, wie ja auch der Tod oft mit einem langen Schlaf verglichen wird. Dann folgt unser sehnlicher Wunsch, der bei vielen Menschen aus tiefstem Herzen kommt, nämlich ruhig schlafen und entspannen zu können. Der Schluss lenkt unseren Blick von uns auf »die Brüder«, unsere Mitmenschen und deren Schicksale:

 

So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt weht der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen
und lass uns ruhig schlafen
und unsern kranken Nachbarn auch.

 

Beim Durchblättern meiner Lyrik-Bücher bin ich an zwei Gedichten von Matthias Claudius hängen geblieben, die man am besten mehrmals durchlesen sollte, um ihnen auf den nicht sofort sichtbaren Grund zu kommen. In ihnen finden wir die nimmer ruhende Suche des Dichters nach dem Sinn des Daseins:

 

Ich sehe oft um Mitternacht,
wenn ich mein Werk getan
und niemand mehr im Hause wacht,
die Stern‘ am Himmel an.
Sie funkeln alle weit und breit
und funkeln rein und schön;
ich seh‘ die große Herrlichkeit
und kann mich satt nicht sehn.
Ich werf‘ mich auf mein Lager hin
und liege lange wach,
und suche es in meinem Sinn,
und sehne mich danach.

 

Infolge der Kriegsereignisse um Ham­­burg (Franzosenzeit) floh Claudius 1813 nach Kiel und Lübeck. Seine letzten Lebensmonate verbrachte der inzwischen Schwerkranke im Hause seines Schwiegersohnes Friedrich Christoph Perthes, des Gründers des gleichnamigen Verlages, am Hamburger Jungfernstieg, wo er am 21. Januar 1815 vor jetzt genau 200 Jahren gestorben ist.

Geblieben sind uns bis heute eine ganze Anzahl dichterischer Werke in volksliedhafter, intensiv empfundener Verskunst. Eine Zusammenfassung seines Gottesglaubens sehe ich in dem Sechszeiler, der oft in Gottesdiensten zu hören ist und den ich selber gern bei Aussegnungs-Feiern verwende:

 

Der Mensch lebt und bestehet
nur eine kleine Zeit
und alle Welt vergehet
mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur einer ewig und an allen Enden
und wir in seinen Händen.

 

Peter Lange (unter Verwendung biografischer Einzelheiten aus Wikipedia)

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Kann man zwei Herren dienen?

Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den anderen lieben oder er wird zu dem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon. (Matthäus 6, 24)

Jesu Worte sind zugleich eine ernste Warnung und eine verständliche Wahrheit. Man kann nicht gleichzeitig und gleichwertig zwei Herren dienen. Interessenskonflikte machen das unmöglich. Wirklich einem Herren dienen verlangt Hingabe, verlangt mein ganzes Bestreben, ein ungeteiltes Herz, sonst ist mein Dienen nur halbherzig. Das bedeutet so viel, dass eine klare Entscheidung notwendig ist, eine Entscheidung, welche nicht auf Kompromissen beruht.

Was ist nun aber mit dem Mammon gemeint, der mir eine Entscheidung abverlangt? Das Wort hat seinen Ursprung im Aramäischen und bedeutet so viel wie Habe oder Besitz, und es ist das Geld gemeint und die Güter, auf die ein Mensch sich verlässt, all das Sichtbare, auf das ein Mensch mit Verlangen schaut, woran sein Herz hängt und worauf er im existenziellen Leben vertraut. Es steht also hinter dem Jesus-Wort die Frage, wie viele Gedanken, wie viel Zeit und Kraft widme ich diesen Dingen, wie viel Anteil haben sie in meinem Denken. Noch anders ausgedrückt: wie weit bin ich abhängig von äußerlichen, materiellen Dingen.

In einer Welt, die stark von finanziellen und kommerziellen Kräften bestimmt wird, stellt sich für mich immer wieder die Frage, in wie weit ich mich von diesen Strömungen einverleiben lasse, wie weit mein Denken und Handeln sich an ihnen orientieren.

Das Wort im Matthäus-Evangelium war ja zunächst an die Jünger gerichtet. Das erhebt die Frage, wie weit die Jünger, nach Jesus, unter der Versuchung des »Mammon« standen. Ihnen hatte Jesus unmissverständlich gesagt: »Es kann keiner von euch mein Jünger sein, der nicht bereit ist, allem zu entsagen.« Sie hatten alles verlassen und waren Jesus nachgefolgt ohne Rücksicht auf ihren Besitz, auf ihre berufliche Absicherung. Das verlangt Jesus nicht von allen Zeitgenossen, denn die Nachfolge der Jünger stand unter einer besonderen Beziehung zwischen ihnen und Jesus. Dennoch richtet sich Jesu Wort an alle Zuhörer. Er verdeutlicht ihnen, dass man nicht beiden gleichermaßen dienen kann, Gott und dem Mammon. Denn das hätte zur Folge, dass man das Leben aufspalten müsste in zwei Bereiche. Einen, wo sie Gottes Wort hören und den anderen, wo wir uns selbst das Wort geben und uns verlieren in den Dingen, die uns locken, Gewinn versprechen, Ansehen und Anerkennung, Ehre und Respekt. Jesus ging es offensichtlich darum, Gottes Wort zu achten, indem es gelebt wird.

Das Wort aus dem Matthäuskapitel ist sehr fordernd. Es enthält aber nicht den wörtlichen Sinn »verzichte auf alles«, sondern es ist eine ernst zu nehmende Aufforderung, mich selbst zu prüfen. Es geht darum, mich immer wieder zu fragen, woran ich mein Herz hänge, und ob das wirklich meinem inneren Wunsch, meinem Anliegen und meiner Lebensauffassung entspricht.

Wolfgang Blaich

Das Zelt Abrahams

Der Stammvater Abraham, aus Ur in Chaldäa, spielt eine zentrale Rolle für viele Milliarden Menschen auf der Welt. Er gilt gemeinhin als der Archetyp des Gläubigen für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Oftmals berufen sich Gläubige dieser Religionen auf Abraham, wenn es um Verhaltensweisen, Legitimation von Feiertagen, Ritualen und geistiger Einstellung gegenüber Gott oder den Mitmenschen geht.

In den Erzählungen der Thora und des Koran bringt Abrahams absoluter Gottesgehorsam ihn dazu, aus Ur wegzuziehen, in das von Gott verheißene Land, um dort das Volk Gottes zu begründen. In Kanaan angekommen, verhandelt er mit den ansässigen Stämmen um den Kauf von Land, in dem er sich mit seiner Sippe niederlassen möchte. Dies gelingt und seine Sippe wird in dem fremden Land sesshaft.

Abrahams Gottesgehorsam findet seinen Höhepunkt, als Gott ihn beauftragt, seinen eigenen Sohn zu opfern. Bekanntermaßen kommt es nicht dazu, da Gott ihn kurz vor der Opferung daran hindert - er hatte lediglich seinen Glauben prüfen wollen.

Abraham tut alles, was Gott ihm auferlegt, ohne es zu hinterfragen, denn der Glaube an die Richtigkeit von Gottes Weisungen ist stark in ihm. Indem Abraham Gottes Wille erfüllt, ist ihm die Sicherheit gewahr, dass er alles erhalten wird, um ein gutes und erfülltes Leben zu führen, und ein Teil dieses Willens Gottes beinhaltet als wesentlichen Punkt die Gastfreundschaft. Abraham selbst wird nicht ohne die Gastfreundschaft anderer auf seiner Reise von Ur nach Kanaan ausgekommen sein, denn in jener Zeit war das Reisen durch Wüsten und Steppen noch viel beschwerlicher als heute. So wird Abraham durch die Wanderung durch die Wüste am eigenen Leibe erfahren haben, wie lebenswichtig Gastfreundschaft sein kann.

Explizit wird Abrahams Gastfreundschaft in der Thora erwähnt, im Buch Genesis, als Gott ihn in Gestalt von drei Männern aufsuchte, um ihm zu berichten, dass ihm ein Sohn geboren würde.

»Abraham saß gerade in der Mittagshitze am Eingang seines Zeltes. Als er aufblickte, sah er wenige Schritte vor sich drei Männer stehen. "Sofort sprang er auf, lief ihnen entgegen und neigte sich zur Erde und sprach: Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber.

Man wird euch sogleich Wasser bringen. Ihr könnt euch die Füße waschen und es euch unter dem Baum bequem machen. Ich will inzwischen eine kleine Erfrischung holen, damit ihr euch stärken und dann euren Weg fortsetzen könnt. Wozu sonst seid ihr bei eurem Diener vorbeigekommen?"

"Es ist gut", sagten die Männer. "Tu, was du vorhast!" Abraham lief sogleich ins Zelt und sagte zu Sara: "Schnell, nimm drei Backschüsseln von deinem feinsten Mehl, mach einen Teig und backe Fladenbrot!" Dann lief er zum Vieh, suchte ein schönes, gesundes Kalb aus und befahl dem Knecht, es zuzubereiten.

Er holte süße und saure Milch, nahm das gekochte Fleisch und trug alles hinaus unter den Baum. Mit eigener Hand bediente er seine Gäste und stand dabei, während sie aßen.«

Abraham erfüllte damit eines der 613 jüdischen Ge- und Verbote - das Gebot der Gastfreundschaft. Ihm war es wichtig, seine Gäste vorzüglich und vor allem selbst zu bewirten! Er hatte zahlreiche Diener, aber dieses hohe Gebot der Gastfreundschaft, im Jüdischen Mizwa (Gebot) hachnasat orchim genannt, wollte er selbst erfüllen, und dabei behandelte er seinen Gast mit größtem Respekt und reichte ihm nur das Beste. Es war das Kennzeichen seiner Offenen-Tür-Richtlinie. Er lud jeden vorbeikommenden Reisenden oder Nomaden zu sich ein, bewirtete ihn kostenfrei und bot ihm ein Bett für die Nacht an, und das alles mitten in der Wüste. Im Talmud wird erzählt, dass seine Frau Sara und er ihr Zelt stets an den Wegkreuzungen der Wüste aufschlugen. Ihr Zelt war somit nach allen vier Seiten hin offen. Eine direktere Einladung für Vorbeikommende gibt es wohl nicht. Sie bewirteten die müden Wanderer und die Dankenden verwiesen sie an den Schöpfer der Welt. Ihr Zelt war voller Segen für alle, die eintraten.

Im frühen Christentum setzen sich die großen Auslegungslinien der Abraham-Gestalt im Neuen Testament weitgehend fort, es gibt aber auch Neuakzentuierungen. Der Titel »Freund Gottes« (Jak 2,23) begegnet auch im 1. Clemensbrief, wo vor allem der Gehorsam, der Glaube und die Gastfreundschaft Abrahams als vorbildhaft hingestellt werden (1Clem 10).

Aber auch der Koran spricht von Abrahams bedingungsloser Gastfreundschaft in verschiedenen Suren: (Sur 51:24ff) Ist die Geschichte von Abrahams geehrten Gästen nicht zu dir gekommen? Als sie bei ihm eintraten und sprachen: »Frieden!« sagte er: »Frieden, unbekannte Leute.« Und er ging unauffällig zu seinen Angehörigen und brachte ein gemäs­tetes Kalb. Und er setzte es ihnen vor. Er sagte: »Wollt ihr nicht essen?«

Zwei hervorstechende Charaktermerkmale Abrahams werden im Koran und in dessen Exegese erwähnt: seine Freigebig­keit und seine Gastfreundschaft. »Nie nahm er Frühstück, Mittag- oder Abendessen allein ein. Nie zögerte er, das, was er besaß, mit sei­nen Nachbarn, mit Gästen oder mit Fremden und Reisenden zu teilen. Ein­mal bat er so­gar einen Zoroastrier an seinen Tisch und teilte sein Essen mit ihm.«

Im Hinblick auf die vorangegangenen Beispiele für Abrahams Gastfreundschaft, die gerade vor Fremden nicht Halt macht, ist er ein leuchtendes Beispiel für unsere Zeit, wo Gastfreundschaft nicht immer selbstverständlich ist. Das Hervorheben gemeinsamer Ideale kann Gräben überwinden, Brücken der Verständigung bauen und für die Milderung von Konflikten sorgen, wie im aktuellen Streit der Kinder Abrahams um den Tempelberg.

Wir alle sind Mitglieder einer großen Familie. Da­her ist es an der Zeit, dass wir uns an unseren gemeinsamen Urvater Abraham erinnern, der ein Symbol der Freundschaft, Freigebigkeit, Gastfreundschaft und Brüderlichkeit war.

Wir lernen von Abraham, dass wir Gutes tun sollen. Abraham verkörpert ­diese Eigenschaft, symbolisiert durch sein Zelt, das - nach allen Seiten offen - jedem die wärmste Gastfreund­lichkeit anbot.

Pedro Lourenzo

Beitrag zum Jugendsaal im Dezember 2014 zum Thema Gastfreundschaft.

»Gesellschaft für eine Glaubensreform e.V.«

Zum ersten Mal wurden wir auf diese Ende 2012 neu gegründete Gesellschaft aufmerksam, als in der Zeitschrift »Publik-Forum« 2013 über deren erste Jahrestagung berichtet wurde. Zwei bekannte Namen ließen aufhorchen: Klaus-Peter Jörns, Professor der evangelischen Theologie, seit dem Ende der Lehrtätigkeit (1999) Schwerpunkt auf der theologischen Kritik der christlichen Überlieferung (»Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaub­würdigen Christentum«, 2004, »Glaubwürdig von Gott reden. Gründe für eine theologische Kritik der Bibel«, 2009, »Update für den Glauben. Denken und leben können, was man glaubt«, 2012), hatte mit Hubertus Halbfas, Professor der katholischen Theologie (»Glaubens­verlust«, 2011, kritisch kommentierte Bibelausgaben 2010 und 2013) und anderen die neue Gesellschaft gegründet, um alle zusammenzuführen, die an einer Glaubensreform interessiert sind, und um darauf hinzuwirken, dass sich das Christentum zu einer Religion weiter­entwickeln kann, die auch heutzutage glaubwürdig ist. So steht die Gesellschaft auch allen offen, die diese Ziele mitverfolgen wollen, unwesentlich, ob sie einer Kirche angehören oder nicht.

Dass diese Glaubensreform durchaus (in einer näheren oder ferneren Zukunft) auch eine Kirchenreform bedeutet, liegt auf der Hand. So wird in dem Flyer der Gesellschaft und auf ihrer Internetseite auch formuliert: »Wir wollen in Kirchen leben, …«. Dann folgen einige Forderungen (wie selbstkritischer Umgang mit ­Bibel, Bekenntnisschriften und Dogmen, Aufgabe des Sühnopfermahls, Ernstnehmen der Mystik als Glaubensweg, klare Absage an Menschen unterdrückenden Fundamentalismus und Biblizismus), die eben von den Kirchen umgesetzt werden müssten. Ziel ist, den verlorenen Lebensbezug des Glaubens wieder herzustellen, Leben und Verkündigung Jesu sollen wieder in das Zentrum des Glaubens und der gottesdienstlichen Ordnung gerückt werden und dem christlichen Glauben einen klaren Bezug zur sich wandelnden Lebens- und Glaubenswirklichkeit geben. Damit besinnt sich diese Gesellschaft auf Jesu Aussage, dass der Glaube den Menschen zu dienen habe und nicht die Menschen den Glaubenslehren. Ein Grundpfeiler christlicher Ethik sei die Ehrfurcht vor dem Leben, durch die allen Geschöpfen Gottes eine unverlierbare Würde und Gottesbeziehung zugesprochen werde. Ferner tritt die Gesellschaft dafür ein, dass das Gespräch der Theologie mit anderen Wissenschaften offen geführt wird, um das Verständnis des Lebens und des Glaubens zu erweitern. Kirchengemeinden sollen ermutigt werden, ökumenische Mahlfeiern zu veranstalten, die an diejenigen Jesu anknüpfen und von denen niemand ausgeschlossen sein soll. Auch tritt die Gesellschaft dafür ein, dass Frauen in christlichen Kirchen grundsätzlich Zugang zu allen Ämtern eröffnet und an möglichst vielen Orten ein »Haus der Religionen« den Dialog der Kulturen (nach dem Berner Modell) ermöglicht wird, um so für den religiösen, kulturellen und sozialen Frieden am Ort zu sorgen.

Der eingetragene Verein hat eine sehr ansprechende Internetseite, die recht aufwändig gestaltet ist und inzwischen sehr viel Material anbietet. So kann man unter den Themen-Reitern »Wir melden uns zu Wort«, »Evolution ist Schöpfung«, »Bibel und Kirche«, »Jesus«, »Ehrfurcht vor dem Leben«, »Mystik«, »Gottesdienst«, »Strukturelle Gewalt und Kirche«, »Unterricht«, »Feministische Genderforschung« und »Häuser der Religionen« zunächst eine Einführung von Klaus-Peter Jörns lesen und sich dann durch Untermenüs zu weiteren Beiträgen zum Thema klicken.

Auf der letzten Jahrestagung des Bundes für Freies Christentum, bei der auch Klaus-Peter Jörns als Referent anwesend war, gab es Gespräche, die sich um eine Zusammenarbeit drehten - denn beide Vereine haben ja durchaus ähnliche Ziele. Für uns ist interessant und ermutigend zu beobachten, wie immer mehr Initiativen entstehen, die ähnliche Glaubens­überzeugungen vertreten wie unsere kleine Gemeinschaft schon seit vielen Jahren.

Karin Klingbeil

Der vermessene Mensch

Zwischen Gerechtigkeit und Solidarität

Seit einigen Monaten bietet eine Kfz-Versicherung einen Rabatt von fünf Prozent an, wenn sich die Kunden durch eine im Fahrzeug montierte Telematikbox, die die Fahrweise (z.B. schnelles Beschleunigen, starkes Abbremsen, überhöhte Geschwindigkeit usw.), aber auch das Fahrgebiet oder Fahrten bei Nacht erfasst, kontinuierlich überwachen lassen. Die Versicherung bedient sich bei der Auswertung eines spanischen Mobilfunkanbieters, der aus den ausgelesenen Daten einen Scorewert für das Fahrzeug generiert, der - so der Anbieter - keine Rückschlüsse auf den einzelnen Fahrer bzw. Halter zulasse. Trotzdem: Wer mit Bleifuß durch die Gegend heizt, zahlt im Ergebnis mehr. Aber es sind nicht nur Autos, die zum Objekt der Neugier werden: Mittlerweile will Generali, eine der größten europäischen Krankenver­sicherungen, ihre Kunden mit einem ermäßigten Tarif locken, wenn diese per Smartphone-App ihren Lebensstil, d.h. Fitness und Ernährung, kontrollieren lassen; die Versicherten sollen sich mit Hilfe des Computerprogramms freiwillig selbst überwachen, z.B. Schritte zählen, Gewicht messen, Sport und Kalorienmenge dokumentieren. Für dieses Telemonitoring wird ein in Südafrika entwickeltes Programm namens »Vitality« genutzt. In den Vereinigten Staaten bietet United Healthcare seit drei Jahren etwas Ähnliches; hier gibt es einen Preisnachlass, wenn der ­Versicherte täglich eine bestimmte Anzahl von Schritten absolviert und dies auch nachweisen kann. Die Vorteile liegen scheinbar auf der Hand: Der Gesundheitszustand verbessert sich und man erhält Bonuspunkte oder spart sogar bei den Versicherungsprämien. Viele gesunde und fitte Versicherungsnehmer empfinden es vermutlich auch als gerecht, dass sie nicht für den übergewichtigen und zuckerkranken Nachbarn oder die Kettenraucherin aus ihrem Betrieb mitzahlen müssen. Die Versicherung sieht sich als Interessenvertreterin vieler gesundheits­bewusster Kunden, die eine »risikogerechte Einordnung ihrer Lebensweise für ihre Versicherung berücksichtigt wissen wollen«, und vermutet, dass jeder fünfte Deutsche zu dieser Zielgruppe gehört. Und es sind keineswegs nur private Versicherungen, die über neue Angebote nachdenken; auch gesetzliche Versicherungen experimentieren mit Tracking-Technik: So ruft die AOK Nordost ihre Kunden im »Mobil Vital«-Programm auf, allerlei Daten (Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum, Sport) in eine von der Schweizer Firma Dacadoo konzipierte App einzutragen. Die meisten Versicherungen belassen es derzeit aber noch bei »klassischen« Vergünstigungen wie verbilligten Fitness- oder Raucherentwöhnungskursen oder einem schlichten »Schadensfreiheitsrabatt«. Unabhängig von dem favorisierten Modell wird zudem die Freiwilligkeit der jeweiligen Angebote betont.

Die aktuelle Entwicklung wird wohl auch dadurch begünstigt, dass die neuen Geschäftsmodelle der Versicherungen eigentlich nur bereits bestehende Trends aufgreifen: Zum einen den weit verbreiteten »Verkauf« der eigenen Daten gegen »Vergünstigungen« unterschiedlicher Art, etwa bei der Verwendung von Kundenkarten wie Payback oder bei der scheinbar kostenlosen Nutzung sozialer Netzwerke, die die Daten ihrer Nutzer meistbietend an ihre Werbepartner verkaufen. Zum andern ist seit einigen Jahren ein wachsender Narzissmus, ein Hang zur Selbstbespiegelung und Selbstvermessung zu beobachten: Zum Beispiel sind mit dem Smartphone verbundene Fitness-Armbänder oder intelligente Armbanduhren (Smartwatches) zunehmend beliebt, mit denen man seinen Lebensstil messen und dokumentieren kann (sog. Lifelogging). Demnächst kommen intelligente Kleidungsstücke auf den Markt, die - mit Sensoren versehen - Vitaldaten ihrer Träger zur Dokumentation und Auswertung an Smartphones, andere Geräte oder gar die Server der Betreiber funken; so will etwa das US-Unternehmen Sensoria schlaue Socken anbieten, die - anders als die smarten Fitness-Armbänder - nicht nur die Trainingsdauer oder die zurückgelegte Entfernung, sondern auch erfassen, wie der Fuß auf dem Boden aufsetzt, damit Läufer ihren Laufstil verbessern können. Google hat vor kurzem eine intelligente Kontaktlinse vorgestellt, die über die Tränenflüssigkeit den Blutzuckerspiegel von Diabetikern messen soll; ähnliches sollen smarte Pflaster leisten. Analysten rechnen mit einer Vervielfachung des Absatzes von intelligenter Kleidung oder anderen »wearables« in den nächsten Jahren. Denn die aus den USA kommende sog. Quantified-Self-Bewegung der freiwilligen Selbstüberwachung nimmt auch bei uns zu. Die Befürworter argumentieren, sie würden durch die Erfassung und Dokumentation des Lebensstils bewusster leben.

Über rechtliche Bedenken hinaus, die sich ggf. durch eine Einwilligung der Betroffenen ausräumen lassen, berührt die geschilderte Entwicklung vor allem eine gesellschaftliche Problematik: Die verinnerlichte Kontrollkultur scheint Ausdruck eines mechanistischen Weltbildes zu sein, das nach Planbarkeit und Beherrschbarkeit strebt und sich angesichts einer zunehmenden Unübersichtlichkeit und Komplexität der Welt vor allem der eigenen Person zuwendet. Womöglich steckt dahinter vielfach der Wunsch, sich mit Hilfe digitaler Heinzelmännchen der Zufälligkeit und dem Chaos des eigenen Lebens zu entziehen. Manche Beobachter meinen, der Selbstvermessungswahn trage vielfach fast schon religiöse Züge. Sicher aber verstärkt die aktuelle Entwicklung vor allem eine Ökonomisierung unserer Lebensdaten. Wenn Unternehmen (wie etwa Versicherungen) ihre Kunden nur nach dem Risikoäquivalenzprinzip einteilen, kann dies zu Solidaritätsbrüchen und schließlich zu einer gnadenlosen Individualisierung führen. Zwar muss man m. E. unterscheiden, ob Vitaldaten nur für die eigene Auswertung gedacht sind oder ob sie anderen zur Verfügung gestellt oder gar zum Maßstab für ein individuelles Versicherungsprofil gemacht werden. Die Selbstvermessung »für den Hausgebrauch« gehört - auch wenn man das persönlich für sich ablehnen mag - schließlich zu der grundrechtlich geschützten informationellen Selbstbestimmung. Bedenklich wäre es aber, falls Geschäftsmodelle die Oberhand gewinnen sollten, bei denen nur die Offenbarung von Gesundheitsdaten belohnt und die Verweigerung, sich für die Versicherung »gläsern« zu machen, bestraft wird. Letzteres mag jene nicht schrecken, die heute fit und gesund sind; aber auch diese Personen werden das nicht immer und nicht auf Dauer sein. Wenn Menschen, egal ob als Arbeitnehmer, Kunden oder Versicherte, Leistungen (z.B. Vergünstigungen) nur dann erhalten, wenn sie sich norm- und marktkonform verhalten, also einem durchschnittlichen Risikotyp entsprechen, dann kommt dies einer schleichenden Abkehr vom Solidaritätsprinzip gleich. Solange es nur wenige Versicherungen (für Privatversicherte) sind, die auch nur geringe Vergünstigungen für die Selbstüberwachung ihrer Versicherten bieten, mag die Entwicklung beherrschbar bleiben; kritisch wird es aber dann, wenn diejenigen, die sich nicht selbst überwachen wollen, durchgängig benachteiligt werden und mehrheitlich höhere Prämien zu bezahlen haben. Das ist - wenn man die Entwicklung im Versandhandel, bei Bankgeschäften oder bei Bahnfahrten bedenkt - keine fernliegende Sorge; hier zahlen mittlerweile jene Kunden mehr, die ihre Geschäfte nicht online tätigen und dabei ihre Daten zur Verfügung stellen wollen. Zumindest bei der gesetzlichen Krankenversicherung sollte der Weg in die totale Individualisierung der Versicherten tabu sein und das bewährte Solidarprinzip erhalten bleiben, wonach die zu versichernden Krankheitsrisiken von der Gemeinschaft der Versicherten getragen werden und sich die Prämien nach dem Einkommen und nicht nach dem Risiko des Einzelnen richten.

Hinzu kommt die vom Bundesverfassungsgericht bereits im Volkszählungsurteil von 1983 bestätigte Erkenntnis, dass Menschen unbewusst ihr Verhalten ändern, wenn sie sich beobachtet oder überwacht fühlen. Deshalb hatte das Gericht seinerzeit auch hohe Anforderungen an jegliche staatliche Datensammelei gestellt; mit der umfassenden - und auch noch freiwilligen - Ablieferung teilweise sehr persönlicher Daten durch die Betroffenen selbst hatten die Richter damals aber nicht gerechnet. Deshalb kommen viele Beobachter wie z.B. die Autorin Julia Zeh, die in ihrem Roman »Corpus Delicti« hellsichtig die heutige Entwicklung beschrieben hat, zu dem Schluss, dass es heute große Konzerne sind, die an die Stelle des Staates getreten sind; totalitäre Strukturen würden sich nun »in das Gewand von Service­angeboten kleiden« (Julia Zeh). Das mag etwas überspitzt formuliert klingen, aber das Risiko, dass der Einzelne zum durchgängigen Objekt ökonomischer Interessen wird, dass er nur noch als Gegenstand weitgehend automatisierter Messungen begriffen wird, berührt durchaus grundrechtsrelevante Belange unserer gesellschaftlichen Ordnung. Oder wie es der Furt­wangener Soziologieprofessor Stefan Selke vor kurzem in einem Artikel (»Die Entscheidungs­maschinen kommen«, Internetmagazin »Technopolis« vom 27.11.2014) ausdrückte: »Wir leben in einer Hitparaden-Gesellschaft, ständig umgeben von Smilies, Listen, Evaluationen und Rankings, die uns angeblich helfen, den eigenen gesellschaftlichen Ort zu bestimmen. Letztlich ziehen wir aber nur eine Nummer im Wartesaal eines sich ankündigenden digitalen Totalitarismus, der neue soziale (Aus-)Sortierungen mit sich bringen wird.« In den USA, wo man solidarischen Modellen nach europäischem Muster grundsätzlich kritischer gegen­übersteht, hält man sich mit solchen Diskussionen gar nicht mehr auf: Dass sich Versicherungen nach dem Body-Mass-Index (BMI) richten, ist bereits normal; technisch überwachte und finanziell belohnte Gesundheitsprogramme finden zunehmend Verbreitung. Ein Hersteller verkauft bereits viele Tracker an Arbeitgeber und Versicherungen zusammen mit einer Software, mit der der Arbeitgeber auf Wunsch die Körperdaten einzelner Mitarbeiter auswerten kann.

Jörg Klingbeil

Zwischen Hölle und Himmel

Der grausamste Terroranschlag in der jüngeren Geschichte stürzt Pakistan in Schockstarre. Dieses Massaker wird das Land von Grund auf verändern.

Vor zehn Tagen erst konnte ich in West-Pakistan, zweihundert Kilometer von der Millionenstadt Peschawar entfernt, unsere erste christlich-muslimische Oberschule eröffnen. Über 800 Buben und Mädchen beider Religionen, die bislang an den von uns gebauten Dorfschulen nur bis zur vierten Klasse unterrichtet wurden, können an dieser für pakistanische Verhältnisse exzellent ausgestatteten Bildungseinrichtung nun bis zum Abitur gelangen. Bei der Eröffnungsfeier sangen und tanzten die Schulkinder, erbaten der katholische Pater Leonard, ein deutschsprachiger Südtiroler, der seit über 40 Jahren im Land lebt und arbeitet, und Mullah Mustafa, ein hochrangiger muslimischer Geistlicher, gemeinsam den Schutz und die Hilfe Gottes für Schule, Kinder und die Lehrer. Die Ältesten der umliegenden Dörfer, Eltern und Verwandte und die Kinder dankten mir und baten mich, den Dank an die vielen deutschen Spender weiterzugeben.

Eine Woche später kam dann die Hölle über dieses geschundene Land. Pakistanische Taliban griffen gestern in Peschawar, der westpakistanischen Provinzhauptstadt, eine Schule an und töteten über 100 Kinder und Mitarbeiter der Schule: der brutalste und grausamste Terroranschlag in der jüngeren Geschichte des Landes. Der Anschlag galt nicht einer normalen staatlichen Schule, an denen Kinder mehr schlecht als recht unterrichtet werden. Sie traf vielmehr eine hochkarätige Bildungseinrichtung der pakistanischen Armee im sogenannten Cantonment, einem von pakistanischen Sicherheitskräften besonders gesicherten Ortsteil von Peschawar.

An diesen, in der Regel von einem pensionierten General geführten Schulen mit exzellenten und gut bezahlten Lehrern werden Kinder aus Soldatenfamilien kostenlos und Kinder begüterter Eltern gegen ein Schulgeld von 5000 pakistanischen Rupies pro Monat - dem Monatseinkommen einer Durchschnitts­familie - auf hohem Niveau unterrichtet.

Genau diese Gruppe wollten die sechs Attentäter wohl treffen. In ihrer ersten Stellungnahme begründete die TTP - die pakistanische Talibanorganisation - das Massaker mit den seit Monaten andauernden Angriffen der pakistanischen Armee auf ihre Stellungen an der afghanischen Grenze. Dazu kommt sicher auch die Wut der Taliban über die jüngste Verleihung des Friedensnobelpreises an das pakistanische Mädchen Malala. Die blutjunge Paschtunin hatte im Internet die Taliban immer wieder wegen ihrer Bildungsfeindlichkeit angegriffen und war deswegen vor zwei Jahren bei einem Attentat beinahe getötet worden.

»Das Leben in Peschawar steht still, alle Geschäfte und öffentlichen Einrichtungen sind geschlossen. Die Millionenstadt am Fuß des Khaiberpasses ist in Trauer erstarrt. Die selbst ernannten "Gotteskrieger" haben heute nicht nur hundert Kinder ermordet, sie haben damit auch auf brutalste Weise den Islam geschändet«, sagte mir heute ein pakistanischer Freund am Telefon unter Tränen. Selbst streng religiöse Pakistaner, die bislang Verständnis für die Taliban gezeigt haben, wenden sich heute mit Grauen ab. Pakistan ist seit heute ein anderes Land.

Kommentar von Dr. Reinhard Erös in der "Mittelbayerischen Zeitung" vom 17.12.2014 . Auch als Reaktion auf den Terroranschlag will Erös nach eigenen Angaben in Peschawar noch 2015 den Grundstein für eine weitere Schule legen.

Sein Hilfsprojekt »Kinderhilfe Afghanistan« hat er auch schon im Gemeindehaus vorgestellt.

Das Märchen vom umweltfreundlichen Getränkekarton 

Die Älteren unter uns werden sich bestimmt noch an die Zeit nach dem Krieg erinnern, als wir das Butterbrotpapier des Pausenvespers in der Schule nach Gebrauch wieder sorgfältig zusammenfalteten und zu neuer Benutzung mit nach Hause nahmen. Aus der Not heraus lernten wir den Rohstoffwert unserer Haushaltsartikel so gut kennen, dass wir auch im Alter, wo es jetzt keine Not mehr gibt, nicht von diesen Gewohnheiten der Wiederverwendung lassen können. Noch heute sammle ich gebrauchte Kartons, alte Schrauben, Flaschenkorken, Abfallholz und Gummiringe, ohne dass dafür eine zwingende Notwendigkeit gegeben wäre. Unserer Nachkriegsgeneration geht es einfach »gegen den Strich«, solche Dinge in den Mülleimer zu werfen.

Ich denke, dass ein solches Wertstoffsammeln inzwischen auch von den jüngeren Zeitgenossen ins Visier genommen wird, vielleicht noch nicht so konsequent und überlegt wie von uns damals. Denn wir haben uns inzwischen unvermutet zu einer »Wegwerf-Gesellschaft« entwickelt, die von der Wirtschaft motiviert und gefördert wird. In unserer Betrachtung des »Plastiktüten-Problems« in der Januar-»Warte« 2014 ist dies deutlich herausgestellt worden: so entsprechen die in der EU pro Jahr in Deponien entsorgten Plastiktüten in ihrem materiellen Wert der Stromproduktion von 1½ Atomkraftwerken. Es dürfte inzwischen bekannt sein, dass es zig Jahre braucht, bis Kunststoffe in einer Deponie in ihre Grundelemente zerfallen.

Es klingt ermutigend, wenn jetzt die ­erste Supermarktkette auf die Abgabe von Einweg­plastiktüten verzichtet. Die »Deutsche Umwelthilfe«, die den Feldzug gegen die kostenlose Abgabe der Plastiktüten gestartet hatte, hofft auf andere Supermärkte, die diesem Beispiel folgen. Sie hat inzwischen weitere Umwelt-»Sündenfälle« aufgedeckt: die Getränkekartons, von denen der Verbraucher davon ausgeht, dass sie fast zu 100 Prozent aus wieder­verwertbarem Papier bestehen und in den Rohstoffkreislauf wiedereingehen. Als »Märchen vom umweltfreundlichen Getränkekarton« bezeichnet DUH-Geschäftsführer Resch die inzwischen weiterentwickelte Verpackung, denn sie enthalte inzwischen viel mehr Kunststoff als bei ihrer Einführung und werde nur noch zu 36 Prozent wiederverwertet (gegenüber 71 Prozent bei ihrer Einführung).

Der Umweltverband will diesen und ähnlichen »Sünden« mit überzeugenden Argumenten begegnen und die Verbraucher über vorhandene ökologische Unverträglichkeit aufklären. Dass er sich damit den Ärger und die Gegenwehr der Hersteller einhandelt, liegt auf der Hand. Es werden Prozesse gegen die DUH angestrengt. Erst kürzlich haben die Naturschützer eine solche Schadenersatz-Klage gegen ihr Vorgehen vor dem Oberlandesgericht in Köln gewonnen und werden sich nicht scheuen, auch weitere Prozesse zu führen.

Doch vielleicht bewirkt die Aufklärung über ökologisch widersinnige Marktmethoden am Ende, dass die Hersteller von sich aus auf umweltverträglichere Erzeugnisse umsteigen und so kostspielige und rufschädigende Gerichtsprozesse vermeiden.

Peter Lange

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