Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 170/1 - Januar 2014

 

 

Wahrheit in der Bibel - Karin Klingbeil

Dank - auch für interreligiösen Dialog - Pedro Lourenzo

Vom Richten - Wolfgang Blaich

Gewalt gegen Kinder - Ökumenische Initiative

Verliert das Religiöse an Bedeutung? - Jörg Klingbeil

Plastiktüten? Nein danke! - Peter Lange

Die Franks vom Albvorland - Teil I - Peter Lange

Wahrheit in der Bibel

Was ist schriftgemäß?

Immer wieder, wenn wir uns mit der Bibel befassen, können wir feststellen, dass Widersprüchliches, Gegensätzliches darin vorkommt. Dann stellt sich die Frage: was ist wahr, was soll gelten? Damit hängt nicht weniger als die Legitimation der Kirchen insgesamt zusammen, denn sie alle streben nach schriftgemäßer Lehre und Praxis - Grund genug für Auseinandersetzungen und Debatten um Auslegung und Interpretation.

Der emeritierte Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum, Jürgen Ebach, hat sich in einem Beitrag in Publik-Forum ( Ausgabe 19/2013, Seite 30) mit dieser Problematik auseinander­gesetzt. Ihn möchte ich hier wiedergeben, da er unsere Art, mit der Bibel umzugehen, unter­stützt und etliche konkrete Beispiele aufführt.

Angestoßen wurde der Beitrag durch die im Sommer veröffentlichte »Orientierungshilfe« des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die einen weiten Familienbegriff vertritt. Neben der bürgerlichen Ehe und Kleinfamilie sieht sie auch die Patchworkfamilie, die Einelternfamilie und die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft als vollgültig an. Damit zog sie die Kritik auf sich, sie sei nicht 'schriftgemäß', sondern entferne sich von Schrift und Bekenntnis und passe sich einem fragwürdigen Zeitgeist an.

Doch was ist in diesem Zusammenhang 'schriftgemäß'? Manche Bibeltreue führen biblische Verurteilungen männlicher homosexueller Praxis gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften an - jedoch komme in der Bibel an keiner Stelle eine auf Liebe gegründete gleichge­schlechtliche Lebensgemeinschaft vor, meint Ebach. In der römischen Kirche ist Frauen das Priesteramt untersagt - ist das schriftgemäß, nur weil von Jesus berichtet wird, er habe nur Männer berufen? Oder müsste man dann konsequenterweise nicht ebenso festlegen, dass es nur jüdische Männer sein dürften, die zudem Fischer oder Zolleinnehmer waren? Wieso ist gerade das Kriterium des Mann-Seins hier maßgeblich? Oder sind evangelische Pfarrerinnen und katholische Katechetinnen schriftgemäß, wo doch Paulus an zwei Stellen (Korinther 14, 34 und Timotheus 2, 12) ganz klar sagt, dass Frauen in der Gemeindeversammlung zu schweigen hätten und keinesfalls lehren dürften? Für Ebach ist es legitim, ja sogar 'schriftgemäß', diesen Sätzen zu widersprechen und mehr Gewicht auf die im 1. Buch Mose dargelegte Gottesebenbildlichkeit des - männlichen und weiblichen - Menschen zu legen.

Insgesamt hat die Bibel zu zentralen Fragen mehr als eine Antwort und manchen biblischen Aussagen könne man nur zustimmen, wenn man anderen widerspreche, führt Ebach weiter aus - möglicherweise gebe es da gar keine schriftgemäße Antwort? Oder die bis zum Widerspruch reichende Vielfalt in der Bibel selbst sei schriftgemäß? Was ist dann unter »sola scriptura« (allein die Schrift/Bibel) zu verstehen?

Ebach zählt weitere, konkrete Beispiele auf: die Frage, ob Gott die Finsternis erschaffen habe, wird bei Mose verneint, bei Jesaja (45, 7) wird sie ­bejaht. (An ­dieser Stelle mag man sich die Frage stellen, wie die biblischen Schöpfungsgeschichten sich mit den heutigen Erkenntnissen der Naturwissenschaft vereinbaren lassen. Wer die diesbezüglichen biblischen Aussagen als Wahrheit in unsere Zeit transportiert, wie es etliche Fundamentalisten tun, bezieht das naturkundliche Wissen der Entstehungszeit jener Schriften, nämlich des Alten Orients, auf unsere Zeit - trotz ihrer aktuellen, anderen Erkenntnisse.)

Nach 1. Mose 7, 8-9 kam je ein Tierpaar auf die Arche Noah, nach der Berichterstattung über die reinen Tiere in 1. Mose 7, 2, kamen von diesen je sieben Paare auf die Arche. Die Frage, ob Jesus getauft habe oder nicht, wird im Johannes-Evangelium innerhalb weniger Verse einmal bejaht, einmal verneint. Von der Jungfrauengeburt sprechen Matthäus und Lukas, die beiden anderen Evangelisten nicht. Doch diese Unstimmigkeiten sind von den Überlieferern durchaus gesehen und dennoch bewusst nicht abgeändert worden - ihnen war die Vielfalt der verschiedenen Stimmen wichtiger als ein Text ohne Widersprüche.

Die Tatsache, dass in der Bibel vieles zweimal vorkommt, ähnlich, aber nicht gleich, macht die Sache nicht leichter. So gibt es zwei Schöpfungsberichte, zweimal die Zehn Gebote, zweimal wird Israels Geschichte - aus unterschiedlicher Perspektive - erzählt, und das Neue Testament enthält nicht das Evangelium, sondern vier davon, die sich deutlich unterscheiden.

Bei der Geschichte von Davids Volkszählung, die einmal in 2. Samuel 24, 11 und später nochmals erzählt wird, könnte der Gegensatz der Aussage nicht größer sein: bei Samuel reizt Gott in seiner Wut gegen Israel David dazu, seine militärische Stärke durch das Erfassen der Krieger festzustellen; ein offen gezeigter Mangel an Gottvertrauen, das - von Gott! - hart bestraft wird. In der späteren Fassung dieser Erzählung mochten die Chronisten nicht den Text Samuels, der Gott selbst als Verursacher darstellt, übernehmen, und so heißt es in 1. Chronik 21, 1: »Und es stand Satan auf gegen Israel und er reizte David, Israel zu zählen.« So stehen beide Fassungen nebeneinander in der Bibel. Hätten wir nur die erste Fassung, wäre Gott auch der Urheber alles Bösen und alles Grauenvolle dieser Welt seinem Willen zuzuschreiben. Damit kämen wir in Konflikt mit unserem Glauben an Gottes Güte. Doch auch die andere Fassung birgt ein Problem: wenn das Böse in der Welt gegen Gottes Wille geschähe, wäre das schwer mit unserem Glauben an seine Macht zu vereinbaren. Indem beide Linien in der Bibel vertreten sind, bleibt die Beantwortung dieser Frage offen und die für uns unlösbare Spannung im Glauben an Gottes Macht und Gottes Güte erhalten.

Wichtiges und Entscheidendes, wie das Leitbild der Gerechtigkeit und die Gottes- und die Nächstenliebe, wird immer wieder, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament, in derselben Intention thematisiert und betont. Würden aber nur diese, von allen Widersprüchen bereinigt, weil sie sich möglicherweise nicht mit der Wahrheit vereinbaren ließen, in der Bibel stehen, wäre ihr ein sehr wesentlicher Aspekt genommen, nämlich ihre Wahrnehmung der unterschiedlichen Wege. Aus diesem Grund sei die Bibel als Kanon, der die sich aus verschiedenen Wegen ergebenden Gegensätze nicht harmonisiert, schriftgemäß, weil sie der Schrift selbst entspreche.

So stellt die Vielfalt des biblischen Kanons einen bleibenden Reichtum dar, der großenteils einmütig als verbindlich angesehen wird. Es stellt sich allerdings die Frage, was geschehen soll, wenn ein Beschluss darüber notwendig ist, was gelten soll. »Auch da bedarf es der Debatte, aber am Ende soll - nach ausführlicher Diskussion, in der alle Positionen ungehindert zu Wort kommen - die Mehrheit entscheiden. Über die Wahrheit kann man nicht mehrheitlich entscheiden, wohl aber über das, was - jedenfalls für eine Weile - gelten soll.«

Ebach beschließt seinen Beitrag mit dem Wunsch, auch in den Kirchen möge das Modell des rabbinischen Lehrhauses gelten: die Mehrheitsentscheidung soll die ihr widersprechenden singulären Auffassungen nicht ein für alle Mal zum Verschwinden bringen. Daher wird hier auch das gelehrt, was jetzt nicht gelten soll - denn dadurch bleibt gegenwärtig, was möglicherweise ein Körnchen Wahrheit enthält, das vielleicht einmal zur Geltung kommen wird. Das liest sich in der Mischna wie folgt: »Und warum hält man die Worte eines Einzelnen im Unterschied zur Mehrheit in Erinnerung, wo doch die Halacha (die verbindliche Regelung) allein nach den Worten der Mehrheit entschieden wird? Damit, wenn ein Gericht die Worte des Einzelnen als richtig sieht, es sich darauf stützen kann.« So kann eine spätere Entscheidung das, was einmal aus gutem Grund mit Mehrheit entschieden wurde, wieder ins Recht setzen. Und noch etwas kann dieses Bewahren des Überstimmten bewirken: es vermag dazu zu dienen, die eigenen Auffassungen zu korrigieren.

Deshalb versteht Ebach »sola scriptura« als das Hören auf eine Schrift in ihrer einzigartigen verbindlichen Vielfalt.

Karin Klingbeil

 

Auch in diesem Heft fahren wir damit fort, die Beiträge des Jugendsaals beim Dankfest zu veröffentlichen.

Dank - auch für interreligiösen Dialog

Als feststand, dass der Jugendsaal dieses Mal mit dem Dankfest zusammenfallen würde und dass das Thema Dankbarkeit sein sollte, überlegte ich, was ich zum Thema beitragen könnte, ohne dass es zu vielen Doppelungen innerhalb unserer aller Beiträge kommen würde. Wie z.B.: Dankbarkeit für die eigene Gesundheit, Wohlstand, einen Arbeitsplatz, eine Partnerin oder Partner, den man liebt, Dankbarkeit für die Freunde und Familie. Also überlegte ich, was mich ausmacht, mich individuell macht und wofür ich bei mir im Speziellen dankbar sein könnte. Sehr dankbar und mir jederzeit sehr bewusst dankbar bin ich für die Tatsache, dass ich in meinem letzten Urlaub mit dem Auto fast 6.000 Kilometer quer durch halb Europa gefahren bin und unversehrt geblieben bin. Und es waren einige Unfälle und eine Menge Pannen auf dem Weg zu sehen. Oder dass ich noch einmal die Möglichkeit hatte, einen Teil des Urlaubs mit meinen Eltern zu verbringen, die, auch nicht selbstverständlich, beide noch leben. Auch dafür bin ich sehr dankbar. Ich könnte auch sehr viel darüber schreiben, wie dankbar ich dafür bin, dass ich in Deutschland geboren bin und hier leben darf. Im Vergleich zu Portugal, dem Land meiner Eltern, leben wir vergleichsweise noch in einer Oase von Sozialstaat unter wirklich noch guten Bedingungen. Oder wie dankbar ich dafür bin, dass ich die Tempelgesellschaft gefunden habe. Wo ich doch dachte, dass der Glaube, zu dem ich gefunden habe, von niemand anders geteilt würde - dass ich der Einzige wäre. Über all das könnte ich heute hier recht lange berichten. Aber durch einen Tipp kam ich auf ein Thema, das in meinem Leben eine große Rolle spielt, etwas, das ich total übersehen hatte. Und zwar bin ich über alle Maßen dankbar für religiös gutwillige Menschen aus verschiedenen Religionen, die mir im interreligiösen Dialog helfend zur Seite stehen. Wie in vielen Dingen im Leben kommt man auch im interreligiösen Dialog alleine nicht sehr weit. In diesem Handlungsfeld wird es dadurch komplizierter, dass es dabei nicht nur um den Glauben an und für sich geht (was allein für sich schon eine sehr intime und persönliche Sache mittlerweile ist), man bewegt sich auch noch über konfessionelle Grenzen hinweg und muss daher noch behutsamer und diplomatischer vorgehen. Man will ja nicht den eigenen Glauben als den besten darstellen, sondern dafür werben, gemeinsam für den Frieden einzutreten. Gerade dann bin ich unglaublich dankbar dafür, dass es Menschen aus verschiedenen Religionen gibt, die offen sind für eine Zusammenarbeit, um unsere Welt lebenswerter zu machen, die ihren Glauben nicht über den anderer stellen, die nicht denken, dass allein ihr Glaube der richtige ist und der Umgang mit Andersgläubigen daher nicht gut für sie ist. Solche Menschen unterschiedlichen Glaubens; ein Muslim, eine Sufi, ein Hindu, eine Zeugin Jehovas, eine Buddhistin, eine Atheistin mit deutlichem Hang zur Naturreligion und ihr aller Wohlwollen den höheren Zielen des Dialoges gegenüber haben es ermöglicht, einen interreligiösen Verein zu gründen. Dieser Verein ist dafür da, den Dialog der Religionen zu vertiefen, um Brücken zwischen den Kulturen zu bauen, um zu helfen, Vorurteilen und Hass entgegenzuwirken und für ein friedliches Miteinander zu sorgen. Er soll als leuchtendes Beispiel dienen, dass Menschen unter­schiedlichen Glaubens friedlich Tür an Tür leben, gemeinsam eine Gesellschaft gestalten und für den Frieden eintreten können. Dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar.

Pedro Lourenzo

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Vom Richten

Aus der Feldrede des Lukas 6, 37 - 42

Ich finde diese Bibelstelle kann als ein gutes Motto zum Jahresanfang gesehen werden, legt sie doch nahe, den Ruf meines Nächsten zu schützen und nicht zu gefährden oder zu zerstören.

Ich kann immer wieder das gleiche bei mir beobachten - ich begegne einem Menschen und gewinne in Kürze einen Eindruck von ihm. Und schon bin ich in Gefahr, mir ein Bild von ihm zu machen, ein Bild, das nicht mehr neutral, objektiv bleibt, sondern mit einem Beurteilen behaftet ist. Wie schnell bildet sich ein Vor-Urteil.

Ein Vor-Urteil ist ein vorläufiges, aber noch korrigierbares, ja im Grunde sogar noch revidierbares Urteil. Aber wie leicht verfestigen sich bei uns solche schnell gewonnenen Eindrücke und die Schlussfolgerungen, die wir aus ihnen ziehen. Der andere ist dann für mich eben so, wie er scheint, z.B. sympathisch oder unsympathisch, liebenswürdig oder distanziert. Ich gebe dem anderen nur schwer eine reelle Chance aus diesem Bild, aus dieser »Schub­lade« herauszukommen.

Damit zwingen wir sehr schnell andere Menschen in ein einseitiges Bild, welches verall­gemeinernde Eigenschaften haben kann - die Jungen, die Alten, die Protestanten, die Katholiken ... - und damit keinem einzelnen der Zugehörigen einer so klassifizierten Gruppe gerecht werden kann.

Jesu Worte sind aber eine Aufforderung und Hilfe, gar nicht in die Gefahr von Urteilen und Richten zu kommen. Er kehrt die Situation um, wenn er sagt »Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden«. Das ist zuerst einmal eine Aufforderung, meine Gedanken und meine Wahrnehmung genau zu prüfen, bevor ich mich in meiner Beobachtung festlege. Aber es ist nach Jesu Worten noch viel mehr. Im Schwerpunkt der Aussage stehen Toleranz, Verstehen und Barmherzigkeit. So wie ich möchte, dass mit mir umgegangen wird, so werde ich angehalten, selbst zu denken und zu handeln. Das setzt eine positive Grundeinstellung voraus, die auf der Erkenntnis des »Bumerang-Effekts« beruht. Übe ich in einer Sache schlechte Gedanken aus, muss ich damit rechnen, selbst durch negative Gedanken getroffen zu werden. Übe ich hingegen positive Gedanken gegenüber einem Menschen aus, werde ich mit positiven Erwiderungen belohnt.

Die positive Grundeinstellung aber liegt im Grundvertrauen auf Gottes Barmherzigkeit. Gebt, so wird euch gegeben - da denke ich jetzt nicht an materielle Güter, sondern an Werte wie Verständigung, Vertrauen, Liebe, Hoffnung. Wer z.B. zuhört und Verständigung sucht, legt den Grundstein für gesunde Beziehungen. Wenn ich darauf vertraue, dass Gott mir die Kraft dazu gibt, das zu leben, dann habe ich auch das Vertrauen, dass er diese Fähigkeit dem anderen genau so schenkt. So wandelt sich der Grundsatz »Wie du mir, so ich dir« in »Wie Gott mir, so ich dir«.

Wolfgang Blaich

Gewalt gegen Kinder

Die vor Kurzem von den Medien berichtete Rettung von 40 Kindern aus häuslicher Gewalt in der Sekte der »12 Stämme« durch staatliche Kinderschutzstellen in Bayern fordert uns unmittelbar zum Nachdenken heraus. In ihrer Spalte »Verletzungen der Welt« lesen wir auf den Internetseiten der »Ökumenischen Initiative Reich Gottes - jetzt!« Gedanken zum Weltkindertag.

Seit 1989 gilt der 20. November als Inter­nationaler Tag der Kinderrechte oder Weltkindertag. Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention). Alle Staaten der Welt mit Ausnahme der USA und Somalias haben die Konvention ratifiziert. Damit hat die Kinderrechtskonvention die größte Akzeptanz aller UN-Konventionen.  Sie trat am 2. Septem­ber 1990 in Kraft. 193 Staaten erkennen sie mittlerweile an. Damit gilt sie für zwei Milliarden Kinder auf der Welt. - Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete die Kinderrechts­konvention am 5. April 1992 mit einer Vorbehaltserklärung, die sie inzwischen zurückge­nommen hat. - Artikel 19, Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention lautet: "Die Vertrags­staaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungs­maßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut."

Das Familienministerium meldete im Jahr 2000, dass in Deutschland 1,4 Millionen Kinder Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Experten gehen davon aus, dass sich diese Zahlen nicht zum Besseren verändert haben. Bei einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Jahr 2012 gaben rund 40 Prozent der Mütter und Väter an, ihre Kinder mit einem Klaps auf den Po zu strafen, zehn Prozent der Befragten verteilen Ohrfeigen. Immerhin vier Prozent der befragten Eltern gaben an, zu harten Körperstrafen wie etwa »Hintern versohlen« zu greifen. Die poli­zeiliche Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2011 insgesamt 3583 Fälle von Kindes­misshandlung. Doch gerade in diesem Bereich geht man davon aus, dass die Dunkelziffer erheblich höher ist. Der Tatort ist das Elternhaus - liegt hinter geschlossenen Türen, kleine Kinder sind zu klein, ältere Kinder schweigen nicht selten aus Scham. Bei ungefähr 17.000 Kindern machten die Jugendämter im Jahr 2012 eine akute Gefährdung aus. Dazu gehören beispielsweise Säuglinge, die nicht genug Nahrung bekommen, und schwer misshandelte Kinder. Bei 21.000 Minderjährigen sahen die Behörden eine latente Gefährdung.

Einer aktuellen Erhebung zufolge gehört Gewalt für knapp ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland zum Alltag. Am stärksten von körperlicher Gewalt betroffen sind demnach Heranwachsende aus armen Familien: 32 Prozent dieser Kinder gaben an, oft oder manchmal geschlagen worden zu sein. Sozial durchschnittlich und besser gestellte Kinder seien deutlich seltener von Gewalt betroffen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Bielefeld. Befragt wurden 900 Kinder zwischen sechs und sechzehn Jahren.

Nachbemerkung: Die »Ökumenische Initiative Reich Gottes - jetzt!« erinnert an die Botschaft Jesu von der Gegenwart des Reiches Gottes, von der Heiligkeit der Welt, in die wir eingebunden sind. Diese Weltverbundenheit befreit unmittelbar zu einem Lebensstil der Einfachheit, des Genug, des »So viel du brauchst«.

Ökumenische Initiative Reich Gottes - jetzt!

Verliert das Religiöse an Bedeutung?

Ergebnisse des »Religionsmonitors« 2013

Begeisterte Menschenmassen bei Papstbesuchen oder Kirchentagen lassen gelegentlich den Eindruck aufkommen, das religiöse Denken befinde sich wieder auf dem Vormarsch, die Suche nach dem Sinn des Lebens treibe die Menschen wieder in die Arme von Amtskirchen und Glaubensgemeinschaften. Dieser Eindruck wird von aktuellen Umfragen wie dem letztjährigen »Religionsmonitor« jedoch nicht bestätigt; dabei hatten Wissenschaftler im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung 14.000 Personen ab 16 Jahren in 13 Ländern zu ihrer persönlichen Religiosität, ihren Werthaltungen und dem Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft befragt.

Immerhin 54% der Befragten im Westen Deutschlands bejahte die allgemeine Frage, ob man daran glaube, dass »Gott, Gottheiten oder etwas Gottähnliches« existiert. Rückschlüsse auf bestimmte Glaubensinhalte lassen sich daraus wohl kaum ableiten, denn auf die differenzierte Frage nach der Selbsteinschätzung bezeichneten sich nur noch 21% der Westdeutschen als »religiös«. Ein ganz anderes Bild zeigt sich im Osten: Die allgemeine Frage wurde dort von 68% verneint (2008: 73%). 12% hielten sich selbst für »religiös«; 2008 waren es nur 6%, auch hier scheinen sich die Verhältnisse in Ost und West allmählich anzunähern. Die »Nicht-Religiösen« dominieren hier wie dort aber bei Weitem. Auch religiöse Praktiken wie Gottesdienstbesuche oder Beten sind auf dem Rückzug. Die Zentren »hoher Religiosität« liegen nach der Studie gegenwärtig außerhalb Europas: Als »religiös« schätzen sich 82% der Befragten in der Türkei, 74% in Brasilien, 70% in Indien und 6% in den USA ein. Bemerkenswerterweise war der Anteil derjenigen, die angaben, »gar nicht religiös« zu sein, in Israel am höchsten, obwohl die Religion in diesem Land eine Schlüsselrolle spielt. Hier scheint es eine paradoxe Diskrepanz zwischen dem offiziellen Stellenwert der Religion und deren Bedeutung im persönlichen Alltag zu geben.

Als Erklärung für die Verhältnisse in Deutschland wird von den Forschern die Sozialisation - vor allem im Osten - ins Feld geführt. Wenn religiöse Inhalte oder Kenntnisse in der Öffentlichkeit, in der Familie oder in Gruppen weniger vermittelt werden, würden sie auch an die nächste Generation nicht weitergegeben. Manche Werte wie etwa Nächstenliebe oder Achtung vor dem Leben hätten sich vom religiösen Hintergrund gelöst und würden als allgemeine humanistische Werte empfunden.

In den Medien hat die Studie vor allem durch die - durchaus widersprüchlichen - Ergebnisse zur Toleranz gegenüber anderen Religionen für Aufmerksamkeit gesorgt. So erklärten zwar 85 % der Befragten in Deutschland, dass man allen Religionen gegenüber offen sein solle. 67% sahen in jeder Religion einen wahren Kern; bei den befragten Christen waren dies 76% und bei den Muslimen sogar 86%. Hingegen waren nur 15% der Deutschen der Meinung, dass vor allem ihre eigene Religion recht habe und die anderen eher unrecht. Unter den Christen waren es sogar nur 12%, unter Muslimen mehr als dreimal so viel, nämlich 39%. Gleichzeitig gaben 23% aller Befragten an, sie würden für sich selbst auf Lehren verschiedener religiöser Traditionen zurückgreifen; unter den Muslimen betrug dieser Anteil sogar 42%. 60% der Befragten in Deutschland empfanden die wachsende religiöse Vielfalt als Bereicherung. Diese mutmaßliche Aufgeschlossenheit wird jedoch durch andere Befragungsergebnisse relativiert: So sahen 64% in der Religion eine »Ursache für Konflikte« und 51% stuften den Islam »eher als Bedrohung« ein, in Ostdeutschland waren es sogar 57%, obwohl dort der muslimische Bevölkerungsanteil verschwindend gering ist. Für die negative Einstellung scheinen die verbreiteten Klischees offenbar entscheidender zu sein als tatsächliche Begegnungen - eine Erfahrung, die auch die Migrationsforschung immer wieder macht.

Die Wissenschaftler konstatierten zwar einen Wertewandel über die Generationen hinweg: Während die ältere Generation eher von Tradition und dem Bedürfnis nach Sicherheit geprägt sei, hielten die Jüngeren Selbstentfaltung für wichtiger. Das scheint mir kein neuer Trend zu sein. Ermutigend ist, dass dennoch Werte wie Hilfsbereitschaft in allen Altersgruppen und über die Religionen hinweg hohen Zuspruch finden. Die Bindekraft des Religiösen scheint aber insbesondere im Christentum allmählich zu schwinden: Weltweit sagten nur 31% der Christen, dass Religion »sehr wichtig« sei in ihrem Leben, bei den Muslimen waren es dagegen 78%.

Jörg Klingbeil

Plastiktüten? Nein danke!

Bereitwillig und mit guten Wünschen versehen wurden den im Vorweihnachtsrummel durch die Ladenstraßen eilenden Menschen auch diesmal wieder an den Kundenkassen Plastiktüten für die verschiedenen Kaufgegenstände mitgegeben. Wie praktisch ist das doch, den Kunden die oft unhandlichen Waren in gut tragbarer Weise in die Hand zu geben! Dann hat der Käufer offensichtlich auch nichts dagegen, wenn er oder sie für den Händler auf diese Weise kostenlos bunte Werbeaufdrucke durch die Straßen trägt.

Nun haben da einige Leute mal nachgerechnet, wie hoch denn der Verbrauch an diesem Verpackungsmaterial inzwischen angewachsen ist: in Deutschland werden pro Kopf und Jahr (auch von Senioren und Kleinkindern) 65 Plastiktüten verbraucht. Bundesweit bedeutet das eine Nutzung von 5,3 Milliarden Plastiktüten im Jahr oder 10.000 Tüten pro Minute. Deutschland gehört neben Italien, Spanien und Großbritannien zu den absoluten Spitzen­reitern beim Plastiktütenverbrauch. Die kostenfreie Abgabe fördert den ­ungehemmten Konsum dieser Plastiktüten und verhindert einen sparsamen Umgang mit den Ressourcen, die es auf der Erde nicht in unbegrenzter Menge gibt.

Inzwischen sind auch zahlreiche Bilder durch die Medien gegangen, die zeigen, welche katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt diese doch so bequeme Verpackungsart hat: Achtlos weggeworfene und nicht durch Müllwagen abtransportierte Tüten fliegen, durch den Wind getrieben, Plastiktüten? Nein danke!in die Wälder, auf Äcker und Felder, in Hecken und Sträucher, in Seen oder Meeres­buchten. Sie beeinträchtigen nicht nur Ökosysteme und Lebewesen, sondern verursachen einen mas­siven Verlust an wichtigen Rohstoffen, die ander­weitig benötigt werden. So entsprechen die in der EU pro Jahr in Deponien entsorgten Plastiktüten der Stromproduktion von 1,5 Atomkraftwerken.

Muss das sein? Es gibt doch auch andere Trage­taschen, die denselben Zweck erfüllen. Und wollen die Zeitgenossen wirklich unentgeltlich Werbeträger für die Wirtschaft sein? Wer von uns würde denn auf seinem Auto eine Werbebotschaft durch die Straßen fahren wollen? Und wie könnte man der immer weiter ansteigenden Flut an Einkaufstüten Einhalt gebieten?

Da gibt es zunächst die Forderung nach einem Verbot. Doch ein solches Verbot wäre mit EU-Recht gegenwärtig nicht durchsetzbar. Unternehmen könnten auch durch freiwillige Selbst­verpflichtungen eine Reduktion des Verbrauchs an Plastiktüten voranbringen. Gibt es Anzei­chen dafür, dass Warenanbieter eine solche Selbstverpflichtung auf sich nehmen wollen? Das würden ihnen vermutlich die Verbraucher übelnehmen. Die Verbraucher könnten auch für ihre Einkäufe eine handliche Tasche mitbringen. Es stapeln sich doch ohnehin zuhause schon viele dieser entleerten Tüten.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) meint, dass zunächst einmal bei den Händlern eine Abgabe auf alle Plastiktüten durchsetzbar wäre. Prof. Dr. Harald Kächele, Bundesvorsitzender der DUH, fordert in einer Petition an die Deutsche Bundesregierung, dass eine Verordnung erlassen wird, nach der Plastiktüten nicht mehr kostenlos abgegeben, sondern mit einer Abgabe versehen werden. Ob das zu einer Reduktion des Tütenverbrauchs führen könnte? Angeblich ging in Irland nach der Einführung einer Abgabe von 22 Cent der Plastiktüten­verbrauch von jährlich 328 auf 16 Stück pro Kopf zurück.

Doch noch effektiver wäre sicherlich die Stärkung des Bewusstseins in der Bevölkerung, dass es unverantwortlich ist, weiter so »aus dem Vollen« (der Schätze der Erde) zu schöpfen. Eines Tages wird nämlich die Natur zurückschlagen und uns die Rechnung dafür präsentieren. Jeder von uns kann dazu beitragen, dass dies nicht geschieht.

Peter Lange, unter Verwendung von Informationen des Newsletters der DUH

WOHER TEMPLERFAMILIEN STAMMEN

Die Franks vom Albvorland - Teil I

Hansjörg Frank aus Linsenhofen

Die Entstehung der Tempelgesellschaft ist nicht nur einer Person zu verdanken gewesen. Auch nicht zweien oder dreien. Ihre Triebkraft in der Gründerzeit bekam sie durch eine Reihe von Persönlichkeiten, die an unterschiedlichen Orten im Land lebten und nach Sinn und Ziel ihres Lebens fragten. Abgesehen von dem akademisch gebildeten engeren Freundeskreis in Ludwigsburg waren es einfache Handwerker und Bauersleute, die »nach dem hohen Ziele« ihren Blick richteten. Einer von ihnen war der Bauer und Strumpfwirker JOHANN GEORG (»Hansjörg«) FRANK von Linsenhofen im Neuffener Tal.

»Das bescheidene Anwesen des Johann Georg Frank lag am Südende des Dörfchens Linsenhofen als letztes Haus an der Straße nach Neuffen« schreibt Dietrich Lange, der der Ehemann von Hansjörgs Enkelin HULDA FRANK wurde, in seinen Informationsblättern für seine Nachfahren. »Im Erdgeschoss lagen Kuhstall und Scheuer, im ersten Stock die engen Wohnräume. Hinten ans Haus grenzten die wenigen Wiesen und Felder. Ortswappen von LinsenhofenNach dem Aufkommen der mechanischen Webstühle wurde die kleine Landwirtschaft zur Hauptbeschäftigung und Nahrungsquelle. Hansjörg Frank hatte eine sehr strenge Jugendzeit. Nach den Befreiungskriegen herrschte große Teuerung und oft auch Hungersnot.

In den Jahren um 1850-60 schloss sich Hansjörg den Jerusalems­freun­den an.« Wie ich aus dem Ortswappen von Linsenhofen erkennen konnte, war neben der Ackerwirtschaft auch der Wein­bau dort ein wichtiger Erwerbszweig gewesen. Ich darf ergänzen, dass Frank die Aktivitäten der Reform-Bewegung mit viel Engagement verfolgte und an deren Beratungen teilnahm. Das führte dazu, dass Christoph Hoffmann, der religiöse Führer der Jerusalemsfreunde, ihn nach Gründung des »Deutschen Tempels« 1867 in dessen Leitungsausschuss berief. Nachdem er, wie viele andere Jerusalemsfreunde im Lande, aus eigenem Entschluss aus der Evangelischen Landeskirche ausgetreten war, wurde er zum Gemeinde-Ältesten für die Templer im Albvorland berufen. In Linsenhofen fanden unter seiner Leitung nun regelmäßig Gottesdienste statt. Die anfängliche Gehässigkeit und Feindschaft der Kirchlichen den Templern gegenüber bekam er zu spüren, als er in Hülben bei Urach die Beerdigung eines Templerkindes vornehmen sollte. Man verbot ihm, eine Leichenpredigt am Grab zu halten; ein Mann packte ihn und warf ihn über etliche der Grabkreuze.

Johann Georg (geboren 1820 in Hattenhofen bei Göppingen) war in seinem Leben drei Ehen eingegangen. Seine erste Frau starb schon 5 Jahre nach der Hochzeit, mit der zweiten konnte er nur 17 Jahre lang ein Eheleben führen. Aus der ersten Ehe gingen seine Söhne MATTHÄUS (später Betreiber des Gasthauses Frank in der Tempelkolonie Jaffa) und ANDREAS (Gastwirt in Ramleh) sowie die Tochter ANNA MARIA (später verheiratet mit ABRAHAM FAST aus Südrussland) hervor, aus der zweiten die Töchter DOROTHEA (verheiratete sich mit dem Warenhaus-Kaufmann THEODOR TIETZ in Pjatigorsk am Kaukasus), ELISABETH (verheiratete sich in Jerusalem mit dem in Kirschenhardthof geborenen Pflanzensammler und Naturalisten JOHANNES BACHER) und der Sohn JOHANNES (Gemeinde-Ältester und Lehrer am Tempelstift).

»Ich weiß nicht«, schreibt WERNER FRANK, ein Urenkel Hansjörgs, »wann mein Urgroßvater nach Palästina auswanderte. Jedenfalls folgte er dem Ruf der Tempelführer und nahm 5 seiner Kinder mit nach Jaffa.« Inzwischen konnte aufgrund von Kirchenbuch-Einträgen festgestellt werden, dass es Herbst 1869 war, als er mit den Kindern, aber ohne seine zweite Ehefrau Gasthaus Frank mit Jaffaner Templern ca. 1910 (die ihm offenbar nicht auf seinem religiösen Weg gefolgt war), den Neuanfang in Palästina gewagt hatte. Das sechste Kind, der ­älteste Sohn Matthäus, war in den Jahren davor schon außer Landes gereist, und zwar, zusammen mit anderen jungen Jerusalemsfreunden, nach Südrussland. Von dort ist er Anfang der 1870er Jahre nach Jaffa weitergezogen, wo er eine Schreiner- und Tischler-Werkstatt betrieben hat.

Wer aus der Familie es war, der den Anstoß gab für die Einrichtung eines Gasthauses im Frankschen Haus, ist bisher nicht ganz genau dokumentiert. Vermutlich ging die Initiative von dem Vater Hansjörg aus, er muss eine bedeutende Persönlichkeit gewesen sein, da ihm 1879 dann - ähnlich wie zuvor in Württemberg - das Ältestenamt der Templer in Jaffa angetragen wurde.

Für die alte Stadt Jaffa, fast ganz von Arabern bevölkert, war die Aufbauarbeit der Württemberger Templer eine wichtige Entwicklungsstufe gewesen. Die Einheimischen waren dankbare Abnehmer der von den Deutschen angebotenen Waren und Dienstleistungen. So ist in einem »Warte«-Bericht von 1883 zu lesen: »Der Verkehr in der Stadt bietet für verschiedene Handwerke der Templer einen Absatz, worauf die äußere Existenz gegründet werden kann. FRIEDELs Laden, E. ABERLEs Uhrengeschäft, BOCKENROTHs Schusterei, MÜLLERs Sattlerei liefern den Beweis dafür. FRANKs Schreiner-Werkstätte, KLENKs Schmiede, die Maurerarbeit IMBERGERs und WENNAGELs, die Zimmerarbeit ­BERNHARDs ­dienen zunächst den Bedürfnissen unserer Kolonie selbst, ebenso bis jetzt auch die Bäckerei von Paulus GOLLMER. Auch ließen sich manche andere Geschäfte gründen, so namentlich eine Gerberei, da die Häuser sehr wohlfeil, Gerbstoff enthaltende Rinden und Wasser leicht zu bekommen sind.« (Über die Aktivitäten der Deutschen in der Anfangszeit sowie über ihre Schule, ihr Hotel und ihr Krankenhaus hat Dr. Jakob Eisler in seinem Buch »Der deutsche Beitrag zum Aufstieg Jaffas 1850-1914« ausführlicher berichtet.)

Für ihre Wohnung und das 1874 darin eingerichtete Gasthaus hatten die Franks ein Holzhaus der kurz zuvor gescheiterten Adventisten-Siedlung »Ame­li­­kan« erworben, das über drei Generationen hinweg 65 Jahre lang im Familienbesitz bleiben sollte. Das Haus erhielt 1892 einen gemauerten Anbau und ein weiteres Stockwerk. Es war lange Zeit der gesellige Mittelpunkt der Kolonie. In späterer Zeit war es das Versammlungslokal des »Deutschen Vereins«, der sich um das kulturelle Leben der Deutschen kümmerte.

Lange Jahre war Hansjörgs ältester Sohn Matthäus (»Mattes«) der Betreiber des Gasthauses. Wie zu lesen ist, war er eine Ernst und Respekt einflößende Person, in deren Gegenwart Kinder still zu sein hatten. Wegen eines Magenleidens musste er strenge Diät üben, sich ohne Fleisch ernähren und nach den strengen Regeln Pastor Kneipps leben, was dazu führte, dass er solche Einschränkungen auch bei seinen Angehörigen als nützlich durchsetzen wollte. Wie sein Großneffe WALDE FAST erzählt, waren diese Bemühungen aber erfolglos. Nachdem Mattes' jüngster Bruder JOHANNES einmal eine solche Ermahnung über sich hatte ergehen lassen müssen, habe dieser danach in die Küche gerufen: »Stephanus, bitte zwei Paar Würstle für mi!« (STEPHANUS war der älteste Sohn von Matthäus und offenbar für Bestellungen zuständig). Maine Friendship House mit Teilnehmern einer TemplerreiseMatthäus war in der Gemeinde hoch angesehen und versah viele Jahre lang in Jaffa das Amt des Gemeinde-Vorstehers, ehe er mit seinem Sohn ANDREAS 1902 in die neu gegründete Kolonie Wilhelma übersiedelte. Dort war er am Landkauf und an der Eröffnung eines Gasthauses beteiligt.

Die historische Bedeutung der einstigen »Schankwirtschaft« der Franks ist überraschend dadurch gewährleistet geblieben, dass nach der Deportation der Templer nach Australien 1941 das Investoren-Ehepaar Reed und Jean Holmes das Gebäude erworben und ­aufwändig restauriert haben. Heute ist es das »Maine Friendship House« in der Auerbach-Straße 10 mit Museum und Gäste-Unterkünften. Die neuen Besitzer stammen aus dem US-Staat Maine, aus dem Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Adventistengruppe gekommen war. Sie haben herausgefunden, dass die »Amelikan«-Siedler damals von Jonesport in Maine abgereist waren und dass die Bewohner des Hauses in Jaffa »Wentworth« hießen. So dient das Gebäude nun der Erinnerung sowohl an die erste gescheiterte Gemeinde der Amerikaner, wie auch an die zweite, 80 Jahre währende Ansiedlung der Templer in Palästina. Eine große am Haus angebrachte Tafel gibt über diese geschichtlichen Begebenheiten gute Auskunft.

Die zahlreichen Nachfahren des Strumpf­wirkers und Tempelältesten aus Linsenhofen Johann Georg Frank sind überwiegend in Australien heimisch geworden. Sie dürfen sich freuen, dass die Geschichte ihrer Vorfahren jüngst von Doris Frank in einer mit vielen Familienbildern bereicherten Computer-Präsentation zusammengestellt und vor dem Vergessenwerden geschützt worden ist. Johannes Frank und Beate PaulusNeben den zahlreichen Abbildungen des Gasthauses hat sie darin auch den Stempelabdruck »Hotel Frank, Jaffa, Palästina« wiedergegeben.

Mit dem letzten Glied aus dem Geschwisterkreis von Matthäus Frank bin ich selbst noch zusammengetroffen: es war JOHANNES FRANK, die imposante Erscheinung meines Schullehrers mit langem weißen Bart in meiner ersten Klasse in der neuen Gemeindeschule von Sarona. Er war damals schon 80 Jahre alt, was davon zeugt, dass er seinen Beruf sehr ernst nahm und er auch im Alter als Lehrer für die Gemeinde unentbehrlich war. Seine Ausbildung hatte er einstmals noch von Christoph Hoffmann erfahren. Fast zwei Generationen von Schülern sind dann durch seine erziehende Hand gegangen. »Und beinahe ebenso lang hat er als Ältester in den Gemeinden Jaffa und Sarona gewirkt«, heißt es im »Warte«-Nachruf zu seinem Tod 1947 in Wilhelma, »seine sonntäglichen Vorträge zeichneten sich durch klare Knappheit aus, von überflüssigen Worten war er kein Freund. Nebenher, und besonders während der Schulferien, befasste er sich mit Landvermessung, wobei er sich durch unbestechliche Genauigkeit hervortat. Sein Hauptwerk war die Vermessung und Aufteilung des Wilhelma-Landes in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Wenige haben wie er ihr Leben so ausschließlich in den Dienst am Tempelwerk gestellt.«

Peter Lange, TGD-Archiv

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