Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 169/9 - September 2013

 

 

Ihr seid der Tempel Gottes - Karin Klingbeil

Der Mensch als Sünder - Anne Schreiber

Der leutselige und gottfröhliche Menschenfreund - Erika Krügler

Leserecho - Ermutigung zu einem Neubeginn - Sr. M. Margarethe Mehren

Der Bahnhof, aus dem keine Züge mehr abfahren - Peter Lange

Ihr seid der Tempel Gottes

Zur Gründung der Tempelgesellschaft

Wer ist nun Apollos? Wer ist Paulus? Diener sind sie, durch die ihr gläubig geworden seid, und das, wie es der Herr einem jeden gegeben hat: Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der pflanzt noch der begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. Der aber pflanzt und der begießt, sind einer wie der andere. Jeder aber wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird"s klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch. Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben, denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid ihr. (1. Korinther 3, 5-17)

Aus dem Brief des Paulus an die von ihm gegründete Gemeinde in Korinth geht hervor, dass es Streitigkeiten dort gibt, die die Gemeinde zwischen seinen Anhängern und denen des Apollos zu spalten drohen. Bemerkenswert ist, dass Paulus kein bisschen polarisiert, weder auf die Ursachen des Streits eingeht, noch, als Gründer der Gemeinde, Verhaltens­maßregeln erteilt. In den Bildern, die er gebraucht, macht er klar, dass jeder nach seinen Fähigkeiten am Werk der christlichen Gemeinde mitarbeiten soll und man sich daher nicht auf den einen oder anderen berufen kann. Er vergisst auch nicht darauf hinzuweisen, dass die ganze Arbeit nur dann fruchtbar sein kann, wenn Gott sein Gedeihen dazu gibt.

Zwar nimmt Paulus durchaus Bezug auf das Endgericht und den damit zusammen­hängenden Lohngedanken: es ist keine Frage, dass Unterschiede bestehen, die einer Bewertung unterliegen. In seinem Bild wird sich im Feuer erweisen - hieraus entstand später der Gedanke des Fegefeuers -, welcher Bau Bestand hat und welches Werk vergehen wird. Aber das Tröstliche dabei ist, dass nur das Werk vergeht, »er selbst aber wird gerettet werden«. Diese Überzeugung verhilft Paulus dazu, gelassen zu sein. Gelassen im Hinblick darauf, wie sein und Apollos" Einsatz einmal bewertet werden wird - aber deshalb ist innerhalb der Gemeinde kein Streit notwendig, sondern eher schädlich. Wichtig ist, dass die Gemeinde diesen einen Bau, den Tempel, darstellt, jenen Raum bildet, in dem der göttliche Geist Platz nimmt gemäß dem Ausspruch Jesu: »Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.« (Matth. 18, 20)

Dieses Bild vom geistigen Tempel haben die Gründer unserer Gemeinschaft vor Augen gehabt, als sie sich einen Namen geben mussten. Zunächst hatte es sich um einen Zusammenschluss von gleichgesinnten Pietisten gehandelt, die über das Organ der »Süddeutschen Warte« religiös-politisch agierten. Als dann 1848 Christoph Hoffmann die Wahl zum Abgeordneten in der Frankfurter Paulskirche gewann, musste er feststellen, dass hier andere Themen als seine religiösen Anliegen vorrangig waren. Damit war ihm die Grundlage seines bisherigen Handelns entzogen, musste er sich neu orientieren. Er war überzeugt davon, »dass die Lösung aller Rätsel, die Heilung der geistigen Zerrüttung und der aus ihr entsprungenen sozialen Missstände nur im Christentum zu suchen sei« (Occident und Orient, S. 8), allerdings bedeutete für ihn aufgrund der desolaten damaligen Lage, der sogenannten sozialen Frage, dass die etablierten, das Christentum vertretenden Kirchen nicht in der Lage seien, an diesen Missständen etwas zu ändern - obwohl er es - zumindest auch - als deren Aufgabe sah. Sie seien zu einer staatlichen Institution geworden und verweltlicht. Außerdem hätten sie das Ziel der Lehre Jesu, nämlich "das Recht und die Gerechtigkeit Gottes", das im Alten wie im Neuen Testament dem Menschen zur Aufgabe gestellt werde, aus den Augen verloren. Diese Gerechtigkeit Gottes, wie sie bei Micha als »das, was gut ist und der Herr von dir fordert« (Micha 6, 8) beschrieben steht, ist weit mehr als das in staatliche Gesetze gefasste Recht. Sie bedeutet das von der Liebe bestimmte Zusammenleben der Menschen, das Eintreten für Unterdrückte und Ausgegrenzte und sozial Schwache. Auch dem Pietismus warf Hoffmann Unklarheit vor. Also ergab sich für ihn die Notwendigkeit, sich selbständig für ein definiertes Ziel entscheiden zu müssen. Er suchte in den Urquellen und in der Geschichte des Christentums nach den Ursachen und dem ursprünglichen Sinn und Wesen des Christentums. Danach kam er zu dem Schluss, dass die Lösung aller Probleme im »Bau des Tempels, d.h. in der Bildung einer unabhängig von den bestehenden Kirchen auf rein christlicher Grundlage organisierten Gesellschaft, ähnlich der ersten Christengemeinde, also auf der Sammlung des Volkes Gottes beruhe.«

Dabei sollte die Weissagung, d.h. die Schriften der Propheten, der Leitfaden sein. Das führte dazu, dass sich der Blick nach Jerusalem richtete: hier wurde die Wiederkunft Christi erwartet und hier erschien die Bildung einer Gemeinschaft im urchristlichen Sinn, ohne den "zerstörerischen Einfluss der westlichen Zivilisation", am ehesten möglich. So wurde die »Süddeutsche Warte« 1853 zum »Organ für die Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem«. Diese neue Ausrichtung erweckte bei den bestehenden Kirchen Argwohn, und weil Hoffmann aus seiner Einstellung zu den Kirchen keinen Hehl machte, lehnten diese die neue Bewegung ab. So war die Trennung nur eine Frage der Zeit. ­Schließlich war der ­Ausschluss Hoffmanns aus der Kirche und in der Folge der Austritt der Anhänger Hoffmanns jener Punkt, an dem diese sich als selbständige religiöse Gesellschaft zusammenschloss und konstituierte. Als Name wählte sie »Deutscher Tempel«.

In den Statuten, die sich die neue Bewegung gab, heißt es in Paragraph 1: »Der Zweck, zu welchem sich die Tempelgesellschaft verbunden hat, und von welchem sie ihren Namen trägt, ist der Bau des geistlichen Tempels, den der Apostel beschreibt mit den Worten: Bauet euch als lebendige Steine, zum göttlichen Hause und zum heiligen Priestertum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind, durch Jesum Christum. 1. Petr. 2, 5«

Aus der Erkenntnis heraus, dass die meisten Spaltungen unter den Christen von der unterschiedlichen Interpretation christlicher Glaubenssätze oder Auffassungen herrühren, wurde bewusst auf ein ausformuliertes Bekenntnis verzichtet. Hoffmanns Kritik an den bestehenden Kirchen war auch, dass alle Dogmen, Sakramente und Bekenntnisse - die zudem jeder Grundlage in der Bibel entbehrten, sondern viel später in den Konzilien festgelegt worden waren - eben nicht dazu geführt hätten, die Gesellschaft zu verändern oder die soziale Frage zu lösen. »Gleichwohl,« schreibt Christoph Hoffmann in Occident und Orient (S. 15), »kann der Tempel so wenig als irgend eine religiöse Gesellschaft des geistigen Bandes entbehren, das in einem gemeinsamen Glauben besteht. Auch der Tempel hat also seinen Glauben, an dem jeder, der Mitglied sein will, Theil nehmen muss. Dieser Glaube besteht aber in nichts anderem als in dem Ziel, das erreicht werden soll, und das schon in dem Namen des Tempels ausgesprochen ist. Die geistige und leibliche Vervollkommnung des Menschen ist das Ziel und die Aufgabe jeder Religion, sie ist auch das Ziel und die Aufgabe des Tempels. Der Glaube an einen vollkommeneren Zustand des menschlichen Geschlechts, als der jetztige ist, und die Bereitwilligkeit, an den gemeinsamen Schritten, die zur Herbeiführung dieses besseren Zustandes unternommen werden, nach Kräften mitzuwirken - das ist der Glaube des Tempels.«

Im direkten Bezug auf die Bibel ist das Vertrauen in den Gott, den Jesus verkündet hat, für Hoffmann die absolute Grundlage - und verbunden mit der Lehre Jesu bereits die Antwort auf alle Fragen und Probleme. Weil die urchristlichen Gemeinden - zunächst die in Jerusalem, dann die von Paulus gegründeten - danach ausgerichtet waren, war die Bildung von Gemeinden für Hoffmann die einzig sinnvolle Art und Weise, Christentum zu leben. Hier war der Ort, wo Glaubensvermittlung und -entwicklung stattfindet - und für Hoffmann ist klar, dass das ein Lernprozess ist: »dass das Leben des Geistes gerade im Zusammenstoß der Geister sich entwickeln und zur Vollkommenheit heranreifen soll.« Für Hoffmann war in der christlichen Gemeinde das von Jesus gestiftete Königreich Gottes auf Erden wirklich erschienen und in ihnen sah er den Heilsplan Gottes verwirklicht.

Aber der Satz aus der Bergpredigt »Trachtet am ersten nach dem Reich ­Gottes und nach seiner Gerechtigkeit«, den Hoffmann seiner Bewegung als Motto gab, bedeutete nicht gläubiges Warten auf das Kommen des Reiches, sondern die Forderung, zur Gerechtigkeit Gottes beizutragen und mit aller Kraft am Werden des Reiches mitzuarbeiten. Nicht nur das Hören von Gottes Wort war wichtig, auch das Tun. »Tat ist mehr als Wort, Beispiel mehr als Lehre« - dieser Ausspruch Hoffmanns war für ihn von grundlegender Bedeutung, denn auch Jesus war durch das Land gezogen, hatte gepredigt, aber vor allem auch geheilt - und sich selbst auch nach dem, was er predigte, verhalten. So sollte auch die Gemeinde der Ort sein, wo sich das Christentum der Tat verwirklichen lassen konnte, wo die Gleichgesinnten beispielhaft für andere miteinander leben und durch dieses Beispiel, nicht nur durch Predigt und Mission, andere überzeugen konnten. Ein Nebenaspekt, der durch diese Auffassung zum Tragen kam, war, dass die Verwirklichung einer Idee immer auch ihre Tragfähigkeit erweist.

So weit einige Auszüge aus den Vorstellungen Christoph Hoffmanns bezüglich Gemeinde. Wir begehen heute zum 152. Mal die Gründung des Tempels, einmal mehr Anlass, darüber nachzudenken, was von den Idealen der Gründer noch heute für uns gilt und wo wir heute anders denken.

Dazu sei bemerkt, dass Christoph Hoffman selber in seinen späteren Schriften zu differenzierteren Sichtweisen gelangt, als in frühem Schrifttum. So schreibt er in Occident und Orient (1875), dass der Tempel an jedem Ort der Erde ausgeführt werden könne und nicht an ­Jerusalem gebunden sei. Auch die drei ersten Sendschreiben Hoffmanns zu den christlichen Sakramenten und Dogmen (1877/78) stellten eine Klarstellung der religiösen Position dar, die auch unter den Mitgliedern der Tempelgesellschaft für Aufregung sorgte. Wenn Hoffmann auch bis an sein Lebensende bibelgläubig blieb - besonders, was die Weissagungen und das Neue Testament anging -, so ist doch spürbar, dass er zunehmend rational zwischen Wesentlichem und Unwesentlicherem unterschied und schließlich Glaubensgehorsam nur noch für das forderte, was er für wesentlich erachtete: die Kernbot­schaft vom Reich Gottes.

Die Erfahrung dürfte Hoffmann gezeigt haben, dass, selbst wenn sich eine Gemeinschaft Gleichgesinnter zu einem Leben in tätiger Nächstenliebe zusammengetan hat, die das erklärte Ziel verfolgt, den Willen Gottes, wie er aus der Bibel erkennbar wird, zu tun, dass trotz alledem Meinungsverschiedenheiten und auch Streitereien auftreten, die nicht auszugleichen sind.

Die erste Auseinandersetzung, die innerhalb der Tempelgesellschaft - vornehmlich unter den beiden Gründern Hoffmann und Hardegg - auftrat, war die um die "Geistesgaben", de facto Geistheilungen. Man hatte geglaubt, dass Gott die wahre christliche Gemeinde durch Ausgießung des Heiligen Geistes mit wunderbaren Kräften ausstatten werde, wenn Gott ernstlich darum gebeten werde. Die verliehenen "geistlichen Gaben" würden dann für die Gemeinde ein Zeichen der Erwählung sein und bestätigen, dass sie auf dem rechten Weg sei. Obwohl viel darum gebetet und darüber geredet worden war, ließ die Tempelgesellschaft diesen Glauben im Gegensatz zur anhaltenden Überzeugung Hardeggs fallen. Auch in Fragen der Bildung - für Hoffmann als Teil der Vervollkommnung des Menschen unabdingbar - gingen die Auffassungen der beiden Gründer sehr auseinander. Weitere Streitigkeiten gab es zwischen Hoffmann und Hardegg bezüglich der Gemeindefinanzierung, die letztlich zum Austritt Hardeggs aus der Gemeinschaft führte.

In den Statuten war noch verankert, dass die Weissagung der Propheten bzw. deren Erfüllung Endzweck Jesu gewesen und folglich auch die Aufgabe seiner Nachfolger sei. Geblieben ist die sehr viel bescheidenere Auffassung, dass es die Bestimmung des Menschen sei, am Reich Gottes mitzuwirken, es aber allenfalls möglich ist, auf kleinem Gebiet und in zeitlicher Begrenztheit ein klein wenig Reich Gottes zu verwirklichen.

Hoffmann - und seine Anhänger - hatten noch eine tiefe Bibelgläubigkeit, verbunden mit der Überzeugung, dass die Heilige Schrift direkte göttliche Offenbarung sei. Die Bibelkritik steckte gerade in ihren Anfängen. Wir heute betrachten die Bibeltexte mit diesem Abstand, wissend, dass Glaubenserfahrungen sehr individuell sind. Auch Hoffmanns Auffassung, dass eine wahre christliche Gemeinde nur auf der Basis einer von allen Irrtümern gereinigten Erkenntnis des Willens Gottes möglich sei, können wir nicht mehr folgen - solche Erkenntnis kann es unter Menschen nicht geben.

Damit zusammenhängend hielt Hoff­mann an der Auffassung fest, dass Ge­schichte Gottes Heilsplan sei, und versuchte, biblische Aussagen mit geschichtlichen Ereignissen zu deuten - daher war Hoffmann sicher, dass die Sammlung des Volkes Gottes Beginn des Gottesreichs auf Erden und damit Gottes Willen entspräche. Wir dagegen können uns nicht mehr mit der Vorstellung eines genau festgelegten und erkennbaren göttlichen Heilsplans identifizieren, auch nicht mit der Anschauung, die frühen Gemeinden seien Reich Gottes auf Erden gewesen und nicht mit einem wie auch immer gearteten Absolutheitsanspruch, der sich daraus ergäbe. Wir stellen uns unter Reich Gottes nicht mehr einen Zustand der Vollkommenheit vor, sondern als etwas, das sich - nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ - entwickelt. Das ist nach unserer heutigen Auffassung auch nicht mehr nur in christlichen Gemeinden möglich - da, wo Menschen einander in Liebe begegnen, sei es im Kleinen oder aber auch durch größere Projekte zum Wohl der Menschen, ist Reich Gottes. Der Unterschied, der eine christliche Gemeinde ausmachen mag, ist ihr erklärtes Streben nach Vervollkommnung.

In seinen Sendschreiben zur Gemeinde ist für Hoffmann das Hauptkriterium, dass Geist Jesu darin regiere, ebenso, wie auch die Gemeindeleitung vom Geist Christi erfüllt sein solle. Für die konkrete Umsetzung dürfte es schwierig sein, dafür Kriterien zu entwickeln - denn auch das des Erfolges ist kein objektives Kriterium.

Es gibt noch weitere, zeitgebundene Auffassungen, denen wir in der heutigen Zeit so nicht mehr folgen können, wie Hoffmann sie damals für seine ­Gemeinde forderte. Aber der Kern ist geblieben: der Tempelglaube, die Vision der geistigen Vervollkommnung und die Aufgabe zur Mitarbeit am Reich Gottes.

Besonders in unserer individualistisch geprägten Zeit braucht der Mensch Gemeinschaft; in der Gemeinde können wir Geborgenheit finden, Hilfe geben und erhalten, Auseinander­setzung üben und uns über unsere religiösen Standpunkte klar werden. Hier haben wir die Möglichkeit, Religion gemeinsam zu erleben - das ist zwar nicht mehr, wie bei Hoffmann, der einzige Weg zum Reich Gottes, aber eine wichtige Möglichkeit, Christentum zu leben.

Karin Klingbeil, aus der Ansprache zum Tempelgründungstag am 16. Juni 2013

Der Mensch als Sünder

Wir freuen uns über einen weiteren Beitrag eines jungen Mitglieds, das sich mit der Frage auseinandersetzt, was unter dem "Menschen als Sünder" zu verstehen sei.

Ich betrachte im Folgenden die Sünde unter drei Gesichtspunkten. Dabei habe ich natürlich keine fertigen Antworten, sondern werfe (vor allem in meinem zweiten Punkt) Fragen auf.

1. Wie erkenne ich das Gute?

Der Humorist Wilhelm Busch lässt in seiner Bildergeschichte »Die fromme Helene« die Helene sagen: »Das Gute - dieser Satz steht fest - ist stets das Böse, das man lässt.« Mit anderen Worten: Das Gute wird hier negativ definiert, also als das Böse, »das man unterlässt«. Also das Böse oder die Sünde ist der Feind des Guten. Busch meint offensichtlich, es sei oft schwer, das Gute zu erkennen, jedenfalls doch leichter, das Böse (als Sünde) zu empfinden. Und so sind wir: Wir wissen nicht, was gut, das Beste, das Richtige, ist.So werden wir fast »unschuldig«, unwissend zum Sünder. Wir wissen oft nicht, was richtig ist. Aber - glücklicherweise - müssen wir meist nicht mehr tun als das Böse nur zu lassen.

2. Ist die Rechtfertigung durch den »Opfertod Jesu« ein Ausweg aus Schuld und Sünde?

Schon im Konfirmandenunterricht habe ich gelernt, dass die Menschen zwar Sünder seien, aber - obgleich Sünder - aus Gnade gerettet: Gott nimmt uns an, wir sind ohne alle Verdienste, weil Gott »das Gute« ist. So sind wir Sünder und doch keine Sünder, weil wir »gerechtfertigt sind aus Gnade« (Luther). Aber das ist mir unverständlich, umso mehr, wenn dann noch dazu kommt »durch den Opfertod Jesu«: Er hat auf sich genommen alle unsere Schuld.

Das meinte auch Luther. Aber diese Aussage (Jesaja 53,4-5): »Doch wahrlich, unsere Krankheit trug er, und unsere Schmerzen lud er auf sich; wir aber hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und geplagt; aber er wurde durchbohrt um unserer Übertretung willen, zerschlagen wegen unserer Missetat; die Strafe, uns zum Frieden, lag auf ihm, und durch seine Wunden sind wir geheilt« ist mir nicht klar, auch wenn wir sie in der Kirche immer und immer wieder sagen und singen:

Paul Gerhardt, »O Haupt voll Blut und Wunden«, Strophe 4:

Nun, was du, Herr, erduldet,

Ist alles meine Last;

Ich hab’ es selbst verschuldet,
Was du getragen hast.
Schau her, hier steh’ ich Armer,
Der Zorn verdiente hat;

Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad’! .

Auch in unserem Religionsbuch (Kursbuch Religion Oberstufe - Grundlegende Texte und Bilder) auf S. 171 steht: »Nach christlicher Überzeugung sind im Kreuzestod Jesu alle Sünden der Menschheit, von der Ursünde Adams und Evas bis zu den Sünden, die in Zukunft erst noch geschehen werden, vergeben. Das Zentrum des christlichen Glaubens besagt: durch den Tod Jesu am Kreuz sind die Menschen gerecht gesprochen/gerechtfertigt (2. Kor 5,17-21). Jesus überbrückt die durch die Sünde vollzogene Trennung des Menschen von Gott, indem er den Tod, den alle Menschen auf Grund ihrer Sünden sterben müssten, stellvertretend für sie stirbt«.

Es fällt mir schwer zu glauben, dass unsere Sünden, egal wie klein oder groß, durch Gottes (grausame?) Opferung seines Sohnes gerechtfertigt und vergeben sind. Weil zum einen für mich die Vorstellung, dass der liebe Gott seinen Sohn in den Tod schickt, etwas Paradoxes, für mich Unglaubliches ist. Ist das nicht eine furchtbare Vorstellung, dass Gott uns nur gnädig ist, wenn er »dafür« seinen »einzigen Sohn« am Kreuze ­elendiglich verenden lässt? Zum anderen fällt es mir schwer zu glauben, dass Jesu Tod unsere Sünden überhaupt rechtfertigen kann. (Was ist mit dem Holocaust, dem Völkermord usw.??) Durch den Opfertod »gerechtfertigt«?

Ist also die Rechtfertigung durch den »Opfertod Jesu« ein Ausweg? Ich weiß es nicht. Ich glaube eher an die ewige Gnade des liebenden Gottes als an den grausamen Opfertod, der diese Gnade erst möglich machen soll.

3. Was bedeutet für mich (Erb-)Sünde?

Wegen seiner Sünde hat der Mensch das Gericht Gottes, d.h. die Strafe Gottes, den Tod, verdient?

Der Mensch richtet sich gegen Gottes Willen. Nächstenliebe ist in unserem evangelischen Glauben die Hauptrichtlinie. Doch widersetzen wir uns dieser Tag für Tag durch Egoismus, Vorurteile, Gleichgültigkeit, Unterdrückung usw... Ich könnte sicher unzählige Beispiele nennen: Also, wir haben »den Tod verdient«? Haben wir das?

Was ist »Sünde«?

Die christlich überlieferte »Erbsünde« (Genesis 1;3) wird so beschrieben:

»Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben (wenn ihr von der verbotenen Frucht esst).

Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.

Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.

Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren.«

Der Mensch hat damit seine »erste« Sünde begangen, die Ursünde, die Erbsünde. Er hat gegen Gottes Willen gehandelt und hat vom Baum der Erkenntnis gegessen. Ich verstehe Sünde als Schuld. Wer eine Sünde begeht, wird schuldig. Das klingt zunächst nur negativ. Aber ist der Mensch nicht, in diesem Moment der »Erbsünde«, überhaupt erst Mensch geworden? Den Ursprung der Sünde sehe ich also nicht nur im negativen, wie in unserem Religionsbuch, S. 170 »Sünde: Erbsünde - Tatsünde«, durch Egoismus, Vorurteile, Gleichgültigkeit, Unterdrückung usw. geprägt, sondern im urteilsfreien Sinne, als etwas Grundlegendes des Menschseins.

Damit hat der Mensch erst erkannt, was Gut und Böse ist. Durch diese Unterscheidung werden wir erst wahrhaft Mensch. Nicht wie ein Tier lassen wir uns von Instinkten leiten, sondern haben die Freiheit zu entscheiden, was wir tun oder lassen. Ein Tier kann nicht sündigen oder schuldig werden. Der Mensch erkennt, dass er »klug« ist. Er erkennt, dass er kein Sklave seiner Instinkte ist. Erst damit werden Ethik und Moral überhaupt nötig und vor allem wertvoll. Wegen dieser »Entscheidungsfreiheit«, werden wir immer schuldig. Der Mensch steht immer vor Entscheidungen, also einem Dilemma. Tut er eine Sache, vernachlässigt er eine andere. Also hart gesagt:

- Entscheide ich mich dazu, mit dir zu reden, rede ich mit einem anderen nicht = schuldig.

- Helfe ich dir, helfe ich einem anderen nicht = schuldig.

Der Mensch wird also immer schuldig. Das ist für mich die »Erbsünde«, für die ich »Adam und Eva« sogar »dankbar« bin, und dem Gott, der sie vor dieses Dilemma stellte, denn erst jetzt bin ich frei, mich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden.

Die Sünde im Sinne der (noch naiven) Schöpfungsgeschichte ist der Widerspruch, die Abkehr von und die Auflehnung gegen Gott. Aber ich meine, das ist kurz geschlossen: Die Auflehnung gegen Gott macht uns erst zu einem Subjekt unseres Lebens, und Gott zu einem, zwar sicher nicht gleichberechtigten, aber echten Gegenüber, d.h. Gott und Mensch stehen sich als zwei Subjekte gegenüber. Hart gesagt: Was wäre Er (Gott) denn, ohne meine freie Entscheidung (meine Möglichkeit zur Sünde)? Er wäre der Herrscher, also Subjekt, ich der Sklave, also Objekt, allenfalls einem treuen Hund vergleichbar.

Alle Menschen sind also Erb-Sünder, weil sie die Erkenntnis geerbt haben, z.B. Gut und Böse unterscheiden zu können. Wir haben ein Gewissen. Das braucht die Katze nicht, sie hat nur Angst vor Strafe. Sie kann nicht sündigen (also entscheiden).

Diese Entscheidungsfreiheit kann von den Menschen missbraucht werden. Die katholische Kirche unterscheidet zwischen »lässlichen« (kleinen) Sünden und den »Sünden wider den Heiligen Geist«. Diese Abstufung finde ich gut und hilfreich, denn die »kleinen Verfehlungen« (kleinen Sünden) müssen, wollen und können wir uns gegenseitig gerne und immer wieder vergeben. Aber wer vergibt uns die Sünden »wider den Heiligen Geist«? Das sind für mich die Sünden gegen das Leben, gegen die Liebe, gegen die Freundschaft, gegen den Frieden, gegen den Unterlegenen (Völkermord, Rassismus, Holocaust, Apartheid, ethnic cleansing, Faschismus, Zerstörung des Lebensraums...). Das sind die schweren Sünden gegen den wirklich »heiligen Geist« menschlich »humanen« Lebens. Daran kann man auch erkennen, wie radikal eigentlich unsere Freiheit ist.

Ob wir uns gegenseitig diese schweren Sünden vergeben können, ist für mich persönlich kaum vorstellbar. Ob Gott uns diese schweren Sünden vergeben kann, darüber wage ich nicht zu urteilen.

Also zusammenfassend meine ich, alle Menschen sind Sünder - Gott sei dank -, denn deshalb sind sie frei zu entscheiden und sind keine willenlosen Sklaven ihrer Instinkte.

Anne Schreiber, Blaubeuren

Der leutselige und gottfröhliche Menschenfreund

Zum 300. Geburtstag von Johann Friedrich Flattich

Vor Kurzem wurde ich von der Leiterin des Frauenkreises Adelberg, Frau Bühler, gebeten, etwas über den Pfarrer Flattich zu erzählen. In der Ahnenliste meines Mannes Otto Krügler taucht um 1700 der Name Flattich aus Nussdorf auf, und so war es für mich doppelt interessant, etwas Näheres über den als »einer der originellsten und liebenswürdigsten Pietisten« und langjährigen Münchinger Gemeindepfarrer Flattich zu erfahren. Unser Degerlocher Archiv war mir dabei behilflich. Die Bücher »Kirchengeschichte Württembergs in Porträts« und »Das schwäbische Paradies« von Hans Dieter Frauer waren für mich besonders hilfreich, und ich will daraus einiges berichten.

Johann Friedrich Flattich wurde am 3. Oktober 1713 in Beihingen (heute Ortsteil von Freiberg) als Sohn des Schulmeisters und Amtmanns Johann Wilhelm Flattich geboren, dieser stammte aus der Pfarrer- und Beamtenfamilie aus Nussdorf bei Vaihingen an der Enz. Der Vater starb schon früh, doch die Mutter ermöglichte ihrem Sohn trotz finanzieller Schwierigkeiten, der Familientradition entsprechend, das Studium der Theologie. Nach der Lateinschule in Ludwigsburg, Klosterschule in Denkendorf, wo Johann Albrecht Bengel einer seiner Lehrer war, theologischem Studium und den mathematischen Wissenschaften, die er neben der Theologie in Tübingen betrieb, bekam Flattich seine erste Vikarstelle bei seinem Onkel, dem Pfarrer Johann Friedrich Kapff in Hoheneck. Während seiner Vikarszeit ging Flattich gleichzeitig in eine Drechslerlehre in Ludwigsburg, er wollte nicht nur geistig tätig sein. Es folgten Anstellungen als Garnisonsprediger auf dem Hohenasperg und als Gemein­depfarrer in Metterzimmern. Hier in seiner ersten Pfarrstelle sorgte er sich besonders um das Problem des »Hausens«, der Sparsamkeit. Viele seiner Gemeindemitglieder lebten in der Armut, verursacht durch eine Reihe von schlechten Ernten im 18. Jahrhundert, aus denen es nur eine Möglichkeit des Überlebens der Bevölkerung gab, indem die Ernten gerechter verteilt wurden. Um zu dieser gerechten Verteilung zu gelangen, mussten genaue Statistiken angelegt werden. Hierzu waren Flattichs mathematische Kenntnisse nützlich. Er ließ die Haushaltsvorstände ihre Einnahmen und Ausgaben aufschreiben, um so zu berechnen, was sie verbrauchen konnten. Dafür erhielt der Pfarrer den Kleinen Zehnten vom Ertrag der Ernte bestimmter Gemeindegrundstücke.

In der Erziehung wandte Pfarrer Flattich schon damals Grundsätze an, die heute noch - oder wieder - Gültigkeit haben. Bis zu 20 Schüler erhielten in seinem Haushalt Privatunterricht, sogar seine Töchter durften bei ihm mit den Kostgängern Latein und Griechisch lernen. Eine Seltenheit. Eine seiner Töchter heiratete Philipp Matthäus Hahn, deren Tochter wurde die Ehefrau von Karl Friedrich Paulus - hier beginnt dann die Verbindung zu Korntal und der Tempelgesellschaft.

In die Münchinger Zeit von Pfarrer Flattich fiel die weitere Entwicklung des Pietismus, es wurde erlaubt, private Erbauungsstunden abzuhalten. Die pietistische Bewegung in Münchingen schien, laut Flattich, am Anfang eine »chiliastische Tendenz« gehabt zu haben, denn Bengel hatte für das Jahr 1836 die Wiederkunft Christi berechnet, und so glaubten die Leute, vorher nicht mehr sparen zu müssen, aber es steht geschrieben, dass Flattich die Leute wieder »zurechtgebracht« habe. Hans-Dieter Frauer schreibt: »Pfarrer Flattich hat mit seinem fröhlich gelebten Gottvertrauen und als anerkannter Erzieher weit über seine Gemeinde hinaus gewirkt.«

Der Pietismus in Württemberg hat das Land und die Leute nachhaltig geprägt. Hans-Dieter Frauer beschreibt, wie die Menschen ihren Glauben lebten und ihre Gaben in das Gemeinwohl einbrachten: Menschen, die als Beter, Liederdichter, Prediger, Wohltäter, Erzieher, Publizisten, Forscher, Dichter, Denker und Tüftler aus Glaubensgründen Weltspitzenleistungen der Mechanik schufen, den Kindergottesdienst erfanden, Schulen, Banken und Diakoniezentren gründeten und nicht zuletzt den biblisch inspirierten Tierschutzbund ins Leben riefen.

Über Pfarrer Flattich, den »leutseligen und gottfröhlichen« Menschenfreund, sind einige Geschichten bekannt, so weigerte er sich, mit der Kutsche zum Herzog zu fahren, weil in der Bibel stehe »Gehet hin in alle Welt« und nicht »Fahret hin in alle Welt«. Eines Tages sei er ohne Schuhe nach Hause gekommen; einer sei im Schlamm stecken geblieben und den anderen habe er dort gelassen, weil der Finder mit »einem« Schuh nichts anfangen könne. Auf einer Wanderung nach Stuttgart traf er eine Frau, die über den drohenden Verlust ihres Hauses klagte; er gab ihr die 30 Gulden, die er zum Kauf eines neuen Anzugs bei sich hatte, und freute sich, als er später von der Rettung der Heimstatt der Frau hörte. Zu einem Empfang am Hof kam er als Einziger ohne gepuderte Haare und begründete das dem Herzog gegenüber so: er brauche das Mehl für die Spätzle, zur Ernährung. Auf die Frage seines Herzogs, was er an dessen Geburtstag gepredigt habe, antwortete Flattich: dass Fürsten fürstliche Gedanken haben sollten.

Es gibt über Pfarrer Flattich, den be­­gabten Pädagogen und originellen Erzieher, den einfühlsamen Seelsorger und Prediger und den schlagfertigen Redner, der als der »schwäbische Salomon« in Erinnerung ist, viel zu sagen. An Hand der Bücher, die ich beim Frauenkreis dabei hatte, konnte ich noch einige spezielle Fragen gut beantworten, und es wurde ein sehr unterhaltsamer Nachmittag, von dem wir alle etwas zum Nachdenken mitnahmen.

Mit Philipp Matthäus Hahn werde ich mich in nächster Zeit auch noch beschäftigen. Es gibt über ihn sehr viel Interessantes zu berichten.

Erika Krügler, Adelberg (aus einem Frauenkreis-Vortrag)

 

Pfarrer Flattich war durch seine Tochter Beate, verheiratete Hahn, der Urgroßvater des Tempelvorstehers Christoph Paulus und der Ehefrau von Christoph Hoffmann, Pauline geb. Paulus.

LESERECHO

Ermutigung zu einem Neubeginn

zu: »Provozierende Feindesliebe« von Eva Baumann-Lerch in der »Warte« Mai 2013 im Zusammenhang mit dem Bei­trag »Von der Feindesliebe« von Brigitte Hoffmann in der »Warte« März 2009

Ich habe den Artikel über die Feindesliebe gelesen und bin sehr berührt davon. Das Beispiel von Uwe Holmer, des evangelischen Pfarrers, hat mich sehr ermutigt, die Hoffnung nicht zu verlieren. Die Worte Jesu von der Feindesliebe sind mir ganz neu aufgegangen. Manches habe ich wieder aus meiner Zeit in Südafrika in Erinnerung bekommen, wo auch so viel Gewalt war, in der schlimmsten Zeit der Apartheid, und wir mehr als einmal am Rand eines Bürgerkrieges standen und man noch keine Lösung sah. Und immer gab es dann auch Menschen, die den Weg aus dem Chaos fanden und andere ermutigten zu einem Neubeginn. Mandela war dabei beispielhaft.

Das ist in dem Beitrag von Brigitte Hoffmann ausgezeichnet beschrieben und so befreiend und ermutigend. Dieser Artikel drückt genau mein Anliegen aus. Gerade auch in der Friedensarbeit. Und auf Seite 39/40 diese Worte von Amos Oz. Und im selben Heft die Leserstimmen zum Thema »Was Jesus für mich bedeutet«. Es ist so befreiend und ermutigend, diese Gedanken ausgedrückt zu finden. Ich stimme ganz damit überein und wünschte mir oft, dass diese Gedanken in der Kirche öfters zu hören wären.

Also: eure Zeitschrift ist einfach ausgezeichnet! Tut einem richtig gut!

Sr. M. Margarethe Mehren, Sießen

 

Anmerkung der Schriftleitung:

Aus dieser Leser­stimme ist zu entnehmen, dass auch noch auf frühere Ausgaben der »Warte« Bezug genommen werden kann, das umso mehr, als seit einiger Zeit solche zurückliegenden Hefte auf unserer Inter­netseite  www.tempelgesellschaft.de nachgelesen werden können.

Der Bahnhof, aus dem keine Züge mehr abfahren

Der neue Lebensstil von Jerusalem

»Der letzte Zug fuhr vor 15 Jahren hier ab« - so beginnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. Mai 2013 einen Bericht über die Wiederherstellung des alten Abfertigungsgebäudes der Bahnstrecke aus dem hoch gelegenen Jerusalem hinab zur Hafenstadt Jaffa. Bahnhof Jerusalem»Dann machte der Autoverkehr auf der inzwischen erbauten mehrspurigen Schnellstraße der Schienenbahn Konkurrenz, und das steinerne Bahnhofsgebäude an der Betlehem-Straße verfiel, die Gleise verrosteten.«

Inzwischen ist der Bahnverkehr auf der touristisch attraktiven alten Strecke mit Dieseltriebwagen wieder aktiviert worden, allerdings nun vom Jerusa­lemer Vorort Malcha aus. Für das alte Bahnhofsgebäude weiter oben hatte man eine neue Verwendung gefunden. Ein Pächter funktionierte das denkmalgeschützte Gebäude in ein Restaurant um, und zwar in eines, das auch am jüdischen Schabbat geöffnet hat. Ein ganz neuer Lebensstil hält Einzug in der mehrheitlich von religiösen Juden bewohnten Stadt. Der Unternehmer ist der Ansicht, dass »alle etwas von ihrem freien Tag haben sollten, nicht nur die Frommen«. Sein Vertrag lässt ihm offensichtlich freie Hand. Es bleibt abzuwarten, ob er sich durchsetzen kann. Der New Life Style in Tel-Aviv lässt ihn hoffen.

Berichtenswert ist uns diese Jerusa­le­mer Neuerung, weil das alte Bahnhofs­gebäude, wie der Leser aus dem historischen Foto und der von Gustav Bauernfeind für die »Warte« Bahnhof Jerusalemangefertigte Zeichnung ersieht, direkt neben der Deutschen Kolonie Rephaim liegt. Die Templer, die früher mit der Bahn nach Jaffa oder Haifa kom­men wollten, hatten es also nicht weit bis zur Abgangsstation. Manche jungen Leute stiegen deswegen lediglich über eine Mauer oder durch einen Zaun, und schon standen sie auf dem Bahnsteig.

Die ursprünglich mit Schmal­spur gebaute Bahn­strecke war nach langen Verhandlungen mit der osmanischen Regierung 1892 eröffnet worden. Einer der größten Befürworter und Förderer des Projekts war der in Jerusalem lebende deutsch-schweizerische Bankier Johannes Frutiger. Da das nötige Kapital nicht aufzutreiben war, wurde die Konzession an eine französische Finanzgruppe verkauft (bei Wikipedia kann man unter dem Stich­wort » Bahnstrecke Jaffa-Jerusalem« Einzelheiten über Bau, Spurweite und Bahnstationen erfahren). Wann das alte eckige Gebäude sein jetziges verschönertes Aussehen mit dem Spitzgiebel bekommen hat, konnte ich bis jetzt noch nicht herausfinden.

Peter Lange

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