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Die Würde der Ohnmächtigen - Gotthold Hasenhüttl
Gedichtbetrachtung - Hanna Thaler
Gedanken des designierten Tempelvorstehers - Mark Herrmann
Update für den Glauben - Andreas Rössler
Verhaltensänderung im Leben - Mark Herrmann
Brückenschlag zwischen Schwarzwald und Australien - Peter Lange
Weihnachten: Die Geburt Jesu von Nazareth ist ein einziger Aufruf zur Mitmenschlichkeit. Durch sie erhält jedes einzelne Leben seinen Sinn.
Folgende eindrucksvolle Worte wurden neun Jahre vor Christi Geburt in Priene (Kleinasien) in Stein gehauen: »Nun ist die Zeit vorbei, wo man es bereuen musste, geboren zu sein«, denn »der Geburtstag des Gottes hat für die Welt die zu ihm gehörende Frohbotschaft heraufgeführt … von seiner Geburt muss eine neue Zeitrechnung beginnen.« Mit dieser Feststellung wird der römische Kaiser Augustus vergöttlicht. Er ist »Gott von Gott«. Ein mächtiger Herrscher wird zu einem Gott hochstilisiert. In ihm finden Menschen die Begründung ihres Daseins. Ihr Leben hat Sinn. Die Angst jedoch wird den Menschen dadurch nicht genommen. Der Kaiser als Gott bleibt bedrohlich. Er ist ein »gerechter Richter, der das Gute belohnt und das Böse bestraft«. Viele Religionen sehen in Gott einen solchen Richter.
Es gibt aber auch eine andere Spielart menschlicher Fantasie: Ein Gott erscheint in Menschengestalt. Er nimmt zum Schein einen Körper an, um Menschen verschiedene Mitteilungen zu machen, die Glück oder Unglück bedeuten...
Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kritisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 24/2012, Seite 36.
Mit dieser Gedichtbetrachtung von Hanna Thaler setzen wir die Veröffentlichung der Dankfestbeiträge der Jugendlichen fort.
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke, 21. November 1902, Paris
Das Gedicht beginnt mit einer direkten Anrede an Gott, den Schöpfergott, der über die gesamte Natur, die Winde, das Wetter, die Früchte herrscht und auch den ewigen Wechsel der Jahreszeiten bewirkt. Es ist allerdings bemerkenswert, dass die lyrische Stimme offenbar auf Augenhöhe mit Gott spricht und ihn sogar daran erinnert, was zu tun sei. Die letzte Strophe, die sich metrisch abhebt, behandelt ganz die Stellung des einzelnen Menschen in der Schöpfung. Diese Strophe drückt aus, was ein zutiefst menschlicher Wunsch ist: eine Zuflucht zu haben, einen Platz im göttlichen Ganzen. In dem Gedicht liest sich der Übergang der Jahreszeiten auch als Metapher vom Übergang von Jugend zum Alter. So gelesen geht es in der letzten Strophe um die Angst, den Herbst des Lebens nicht in Einsamkeit verbringen zu müssen.
Ich bin dankbar, ein Zuhause zu haben und nicht allein zu sein. Diese Dankbarkeit verbindet sich auch mit dem Gedanken daran, dass dies nicht selbstverständlich ist und dass besondere Lebensumstände, der Verlust geliebter Menschen, Krankheit, innere und äußere Konflikte, in eben noch gefühlter Fülle auch in meinem Leben Einsamkeit entstehen lassen können.
Insgeheim verbinde ich mit der letzten Strophe aber auch eine stille Vorfreude auf die bevorstehende kalte Jahreszeit, in der Zeit sein wird zum »lesen, lange Briefe schreiben« und »wandern, wenn die Blätter treiben«.
Nach unserem - Mariannes und meinem - kürzlichen Besuch in Deutschland wollen wir allen TGD-Mitgliedern und Freunden für ihre herzliche Gastfreundschaft innigen Dank sagen. Wir durften uns richtig zu Hause fühlen, wenn auch das reichliche Essensangebot von uns etwas zurückgewiesen werden musste.
Wie ich bei der Mitgliederversammlung in Degerloch am 5. Oktober mitteilte, hat die Gebietsleitung der TGD den Vorschlag, mich als Tempelvorsteher zu ernennen, einstimmig angenommen. Und, wieder in Australien angekommen, hat der Regional Council der TSA ein Gleiches getan. Nach den satzungsmäßigen Bestimmungen beider Gebiete wird dieser Vorschlag beiden Mitgliederversammlungen im nächsten Jahr zur Abstimmung vorgelegt werden.
Da sich an meiner Vollzeitbeschäftigung als Gebietsleiter der TSA vorläufig nichts ändern wird, sehe ich die kommenden Monate als Übergangszeit. Ich werde einige meiner jetzigen Aufgaben delegieren müssen und weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit der TGD anstreben, insbesondere mit dem neugewählten Gebietsleiter Jörg Klingbeil. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem scheidenden Gebietsleiter Wolfgang Blaich meinen Dank aussprechen für seine Hilfsbereitschaft und den Zuspruch, den er mir zuteil werden ließ.
Wie viele wissen, arbeite ich schon seit vielen Jahren für die TSA. Im Jahre 1990 begann ich als Geschäftsführer, wodurch ich mit allen Bereichen unseres Gemeindelebens und seiner Verwaltung vertraut wurde. Ich glaube sagen zu dürfen, dass ich dadurch ein tiefgreifendes Verständnis für die TSA, ihre Struktur, ihre Mitglieder, ihre Verwaltung und ihre Beziehungen zu einer Reihe anderer Organisationen gewonnen habe.
Im Jahre 2007 folgte ich Rolf Beilharz als Gebietsleiter, was neue Anforderungen in der Gemeindeleitung an mich stellte. Ich glaube, dass die TSA durch ihr Engagement bei dem Knox Inter-faith Network (die örtliche Vereinigung für den interreligiösen Dialog), dem jährlichen Bayswater Community Festival (Veranstaltung der lokalen Gemeinde), dem TTHA Altenheim und Initiativen wie C.H.A.M.P.I.O.N. eine wachsende öffentliche Wahrnehmung erzielt.
Mein Berufsleben begann als Mathematiklehrer in staatlichen Oberschulen, wo ich auf dem Lande in Victoria meine erste Stelle antrat, was mich, dem geborenen Stadtknaben, mit einer steilen Lernkurve konfrontierte, auf die ich aber gerne zurückblicke. Nanne und ich heirateten in den achtziger Jahren, und unsere drei Kinder - Alastair, Nicholas und Monika - machten die Familie komplett. Meine letzte Lehrerstelle war in McKinnon nicht weit von Bentleigh, in derselben Schule, in der meine eigenen Kinder später ihre Gymnasial-Ausbildung absolvierten. Meine Vorliebe für die Schönheit in Zahlen, Ordnung und Methode ist geblieben.
Ich sehe die beiden Gebiete der Tempelgesellschaft - Deutschland und Australien - als zwei Bücherstützen auf einem soliden Kaminsims. Viel gemeinsames Kulturerbe und Wissen ist umfasst von diesen Stützen: Ziele, Ideale und Glaubensauffassungen, die wir teilen. Und doch haben wir die Freiheit, so damit umzugehen, wie es den verschiedenen Einflüssen des jeweils anderen Endes der Welt entspricht. Wir sind wie Spiegelbilder und doch verschieden. Die Buchstützen können sich im Laufe der Entwicklung verschieben und vielleicht mehr Raum für neues Gedankengut zwischen sich schaffen, doch das gemeinsame Fundament wird weiter bestehen. Als angehender Tempelvorsteher sehe ich meine Aufgabe im Streben nach Zusammenhalt und gegenseitigem Verständnis unserer beiden Gebiete.
Dem ist am Besten gedient durch regelmäßigen Ideenaustausch und persönlichen Kontakt. Besuche im anderen Gebiet - sei es durch junge Leute, Amtsträger oder Älteste - erweitern das Wissen und schaffen dauerhafte Beziehungen.
Wenn man, wie viele von uns, sein ganzes Leben in der Tempelgesellschaft zugebracht hat, schätzt man vielleicht nicht immer voll und ganz, was wir an ihr haben! Ich räume ein, dass ein freiheitlicher religiöser Glaube nicht jedermanns Sache ist, doch bin ich durch das Progressive Christian Network of Victoria vielen frustrierten und enttäuschten Christen begegnet, die es einfach in den von ihren Konfessionen aufgezwungenen Schranken nicht mehr aushalten. Wir haben eine Glaubensgrundlage, die auf dem Doppelgebot der Liebe und der Kernbotschaft Jesu vom Reich Gottes auf Erden beruht. Damit werden im täglichen Leben praktische Wege aufgezeigt, um auf unser Ziel hinzuarbeiten. Wie das jeder deutet und umsetzt, ist seine individuelle Angelegenheit, doch legen wir alle großen Wert auf unseren Sinn für Gemeinde.
Peter Lange machte sich die Mühe, meine Vorfahren zu dokumentieren - von Herrmann über Krügler, Dreher, Bulach, Weiss, Wolf bis zu Weller und Scheerle -, und kam zu dem Schluss, dass alle vier Urgroßelternpaare Mitglieder der Tempelgesellschaft waren. Das ist schon ein ganz besonderes Erbe, und ich schätze mich glücklich und bin sehr stolz darauf, dass dieses durch meine Adern fließt und in meinem Herzen ruht.
Das Amt des Tempelvorstehers haben bisher alle Amtsinhaber nach ihren eigenen Fähigkeiten und Vorstellungen ausgefüllt. In diesem Bewusstsein und ermutigt durch das in mich gesetzte Vertrauen werde auch ich bestrebt sein, mein Bestes zu tun.
Vor sechs Jahren, nach meiner Wahl zum Gebietsleiter der TSA, zitierte ich Folgendes:
»Ein Netzwerk ist nicht hierarchisch. Vielmehr verbindet es Gleichgesinnte. Was es zusammenhält, sind nicht Zwang, Pflicht, materielle Vorteile oder sozialer Kontakt, sondern eher gemeinsame Werte und die Auffassung, dass manche Aufgaben, die einzeln nie zu lösen wären, gemeinsam bewältigt werden können. Ein wichtiger Zweck des Netzwerks ist: seinen Mitgliedern zu zeigen, dass sie nicht allein sind.« (Meadows, Meadows & Randers (1992): Beyond the Limits)
Wie treffend für unsere Tempelgesellschaft!
Klaus-Peter Jörns, Denken und leben können, was man glaubt, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012 (ISBN 9783579081458), 272 Seiten und 8 Farbseiten, 17,99 Euro.
Der emeritierte Berliner Theologieprofessor, als theologisch liberaler Kirchenreformer bekannt geworden durch sein Buch »Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum« (Gütersloh 2004), müht sich um eine ständige Erneuerung des Glaubens, von heutigem Bewusstsein und neuen Erfahrungen her, ähnlich wie Computerprogramme ein immer neues »Update« brauchen, eine Überarbeitung im Sinn der Verbesserung. Dabei will Jörns frühere Glaubensformen bearbeiten und in heute Glaubwürdiges integrieren, statt sie zu vergessen oder zu verdrängen. Die Evolution ist dabei eine Grundkategorie. Gott selbst verwirklicht sich in der Evolution. Deshalb kann »die schöpferische Selbstentfaltung Gottes als Geist mit der von der Physik beschriebenen evolutionären Entwicklung des Kosmos in vielem zusammengedacht werden« (S. 115).
Jörns lehnt das herkömmliche christliche »bis in die Vergötzung hineingehende Schriftprinzip« ab (S. 73). Er wehrt sich gegen »die alte Prämisse, die Bibel halte alles bereit, was heutige Lebensprobleme lösen könnte« (S. 78). »Die unmündig machende Schriftbindung« sei »der eigentliche Krebsschaden, an dem die Kirchen leiden« (S. 75). Allerdings findet er in der Bibel »Wahrnehmungen Gottes« - aber nicht nur in der Bibel, sondern auch in den anderen Religionen: »Die strikte kategoriale Trennung zwischen den Göttern der 'Religionen' und dem Gott 'der Bibel', die wir bei fast allen Theologen im 20. Jahrhundert noch finden, ist von dem Ansatz meines theologischen Denkens her nicht mehr möglich« (S. 234). Freilich bedarf es bei dieser "interkulturellen" Theologie (S.73) eines Maßstabes. Für Jörns ist Jesus die Norm, wie er in den biblischen Zeugnissen begegnet, genauer: »Jesu Botschaft von einer un-bedingten, an keinerlei Heilsgeschehen gebundenen, also wirklich bedingungslosen Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen« (S. 65). Der weitere, mit Jesus unlösbar verknüpfte Maßstab ist »die Lebensdienlichkeit der Überlieferungen«(S. 72). »Lebensdienlich« steht gegen »lebensfeindlich« (S. 58).
Bei der auf Gott und das von Gott ausgehende Leben konzentrierten Theologie von Jörns ist zu fragen, wie »Gott« verstanden wird. »Eine andere Wirklichkeit als die eine gibt es nicht« (S. 233), und darin ist Gott als deren Tiefe präsent. Gott ist »die eine Lebensenergie« (S. 102), »der kreative Geist« (S. 112). Gott ist »die in allen Lebensgestalten wirksame Lebens- und Beziehungsenergie Geist« (S. 100). Jörns zitiert positiv seinen Freund Willigis Jäger: »Gott ist das Innerste der Evolution. Er/Es vollzieht sich als das, was wir Universum nennen. ER/Es ist das Leben schlechthin und nicht etwas außerhalb« (S. 99). Zusammenfassend: »Gott ist als Geist im Ganzen der Lebensentfaltung die treibende Kraft, er verkörpert sich in den Lebensgestalten und lebt nicht in einer Sonderwirklichkeit« (S. 116). Somit ist »die fortdauernde Schöpfung die Selbstentfaltung Gottes in den uns begegnenden Lebensgestalten einschließlich unserer eigenen« (S. 124).
Das mag manchen zu spekulativ klingen. Im Unterschied zu Theologen, die Gott ausschließlich auf »das Prinzip Liebe« konzentrieren oder reduzieren, wird hier aber die gesamte Wirklichkeit und nicht nur das menschliche Wertebewusstsein in das Gottesverständnis einbezogen. Von der »Lebensenergie« Gott her hängt für Jörns, wie wir das aus dem Buddhismus kennen, »alles mit allem zusammen«, und so insbesondere auch der Mensch mit den Tieren. Im Verhältnis und im Verhalten zu den Tieren fordert er mit allem Nachdruck einen »radikalen Perspektivenwechsel« (S. 137): »Meine Grundannahme ist, dass Gott und alle Lebewesen als Lebensenergie denselben Lebensgeist haben« (S. 131).
Das ganze Buch hindurch arbeitet sich Jörns auch an der Frage der Bedeutung des Kreuzestodes Jesu ab. Dabei geht es ihm um das herkömmliche Verständnis des Todes Jesu als »Sühnopfer«, das Jesus mit seinem unschuldigen Tod stellvertretend darbringe, damit die Rechtsordnung Gottes wiederhergestellt werde und so erst Gott den Menschen ihre Schuld vergebe (vgl. etwa S. 110 f. 114. 189-198). Jörns zeigt für das Entstehen der Opfervorstellungen ein gewisses Verständnis. Schon in der Steinzeit seien Schuldgefühle aufgekommen, weil man Tiere, mit denen der Mensch doch verwandt ist, töten müsse, um nicht selbst getötet zu werden oder um genug Nahrung zu bekommen. So sei es zu Opferritualen gekommen, bei denen man das geschlachtete Tier mit anderen geteilt habe. Mit dem Verständnis des Todes Jesu als Sühnopfer werde aber Gott mit Gewalt in Zusammenhang gebracht, der sein Recht durch Tötung durchsetzen müsse, obwohl doch Jesus im Namen Gottes Gewaltverzicht gefordert und praktiziert habe. Die Alternative ist die bedingungslose Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, wie sie Jesus verkündigt hat. Gott liebt die Menschen um ihrer selbst willen und nicht um des Kreuzestodes Jesu willen. »Die Erlösungslehre erweist die Liebe Gottes als unglaubwürdig, nämlich als ganz und gar abhängig von der blutigen Sühne. Doch zu dieser Erlösungslehre gehört ja auch nicht Liebe, sondern die Gnade Gottes. Die Liebe käme aus freien Stücken, aus sich selbst, liebte die Menschen um ihrer selbst willen [...]. Davon kann in der Erlösungslehre keine Rede sein. Denn die Gnade hält an der Strafe für die Sünde fest und überträgt ihre Exekution nur auf einen, der als Stellvertreter leiden muss« (S. 195).
Bei aller Zustimmung zur Kritik an der Sühnopfertheorie, die ja auch im Neuen Testament nur ein Deutungsmuster des Todes Jesu neben anderen ist, scheint es mir doch überzogen zu sein, wenn Jörns die »Liebe« und die »Gnade« Gottes einander entgegenstellt, nämlich Gottes freie Liebe einerseits und eine an das »Sühnopfer« gebundene Gnade andererseits. Mit »Gnade« meint das Neue Testament nichts anderes als eben Güte, Barmherzigkeit und Liebe, mit dem Akzent darauf, dass es sich um ein unverdientes Geschenk handelt. Der Tod Jesu ist nicht der »Rechtsgrund« von Gottes Gnade, wohl aber ist Jesu ganzes »Dasein für andere«, in seinem Leben bis hin zu seinem Märtyrertod, der tiefste Ausdruck der göttlichen Gnade und Liebe.
Das Buch von Jörns ist in der Vielfalt seiner Themen und in seiner Leidenschaft für einen »aufgeklärten Glauben« (S. 57), in seinem Anliegen, im interreligiösen Kontext »Glauben und kritisches Denken zusammen[zu]bringen« (S. 80), ungemein anregend und hilfreich.
Pfarrer Dr. Andreas Rössler, Bund für Freies Christentum
Im Neuen Testament (Joh. 5,1-18) wird erzählt, wie Jesus zu einem der jüdischen Feste nach Jerusalem kam und dort am Sabbat einen Körperbehinderten am Teich Betesda heilte. Der Behinderte war schon 38 Jahre lang Invalide. Auf Jesu Frage »Willst du gesund werden?« erklärte ihm der Mann, er könne in seinem Zustand und ohne fremde Hilfe nicht ans Wasser kommen. Daraufhin sagte Jesus: »Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!« Im selben Moment war der Kranke geheilt.
Jesu Frage »Willst du gesund werden?« verwundert uns. Würde nicht jeder, der so lange körperbehindert ist, sich eine Besserung wünschen? Das würde aber bedeuten, sich neu an ein normales Leben zu gewöhnen, sich wieder an die Ordnung der menschlichen Gesellschaft halten zu müssen. Bis jetzt war er wegen seines Leidens davon ausgenommen, einer persönlichen Verantwortung enthoben gewesen. Es kann sein, dass Unzulänglichkeiten einen Menschen dazu bewegen, eine vorgefasste ablehnende Antwort zu geben. Das klingt hart, aber gibt es nicht Kranke, die manchmal zögern, wieder gesund zu werden? Damit, dass das eine Problem beseitigt ist, gibt es dafür eine Anzahl neuer Anforderungen an sie, denen sie gerecht werden sollen und die vielleicht noch schwerer wiegen. So gleicht die Frage von Jesus einem Test, ob der Mensch zu einer Änderung seines Zustandes fähig ist und sie auch wirklich wünscht.
Faszinierend, dass das Wunder der Heilung an einem Sabbat erfolgt (an dem das Gesetz verbietet, dass ein Mann sein Bett trägt und eine Heilung an ihm vorgenommen wird). In meiner Auseinandersetzung mit der Vorstellung einer Göttlichkeit bei Jesus muss auch ich über diese Wundergeschichte urteilen, aber wahrscheinlich anders als der Evangelist es getan hat. Man sagt, dass ein Leopard nie seine Flecken ändert. Sind auch wir Menschen, als Individuen, vorprogrammiert oder prädestiniert zu einer Verhaltensweise, die wir lebenslang mit uns tragen? Oder können wir sie ändern? Bekanntlich werden an Neujahr viele Entschlüsse gefasst, die nachher nicht ausgeführt werden oder scheitern müssen. Auch wenn ich selbst geraucht habe, sehe ich durchaus, dass es schwierig ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Ich habe seit meiner Kindheit die Angewohnheit, Fingernägel zu beißen. Trotzdem hat eine Templerreise durch Israel mich eines Tages davon befreit.
Als Gewohnheitsmenschen vollziehen wir Änderungen selten mit Freude und Eifer. Ein Alkoholiker sagt sich vielleicht: »Wenn ich trinke, muss ich nicht über mein Leben nachdenken. Solange meine Vergangenheit mich im Griff hat, brauche ich nicht über die Zukunft nachzudenken.« Vielleicht hinkt der Vergleich: Ich wundere mich, wieso der Beitritt zur Tempelgesellschaft so ein waghalsiges Unternehmen sein soll! Wir ermutigen unsere Mitglieder, eine persönliche Beziehung zu Gott und dem Göttlichen aufzubauen und zu erfahren. Offenbar ist die Freiheit im religiösen Glauben nicht jedermanns Sache.
Mark Herrmann, TSA, übersetzt von Peter Lange
Unter diesem Titel erschien vor Kurzem im »Schwarzwälder Boten« ein Bericht des Heimatkundlers Hans Schabert über den Besuch von Mark und Marianne Herrmann am 12./13. Oktober in Zwerenberg im Nordschwarzwald. Dabei stand der dortige »Schultzenhansenhof« der Familie Wolf im Mittelpunkt des Geschehens.
Der Besuch des TSA-Gebietsleiters war durch eine Initiative und Einladung Martin Seegers zustande gekommen, der vor zwei Jahren ein Jubiläumsbuch über das 500-jährige Bestehen Zwerenbergs gestaltet und darin auch eine Schilderung und ein Verzeichnis der von dort nach Palästina ausgewanderten Familien und Einzelpersonen aufgenommen hatte.
Bei der Erkundung der Namen der aus Zwerenberg Ausgewanderten stieß Martin Seeger unter anderem auf eine Maria Anna Wolf, die in jungen Jahren nach Palästina ausgewandert war und in Sarona den Landwirt Heinrich Weiß geheiratet hatte. Es existierte in Zwerenberg noch eine Postkarte, die »an Onkel Johannes Wolf, Zwerenberg« adressiert war und ein Foto von einem Kleinkind im Kinderwagen enthielt. Es stellte sich heraus, dass dieses Kleinkind die Enkeltochter der Maria Anna Wolf war und Gertrud Weiß hieß. Diese Gertrud Weiß heiratete nach der Deportation und Internierung der Templer in Australien Bruno Herrmann und wurde die Mutter von Mark Herrmann.
Mark ist somit auch einer der Nachfahren der Wolfs aus dem Zwerenberger Schultzenhansenhof, ohne dass er sich dessen bisher bewusst gewesen war. Als er mit seiner Frau (in Begleitung von Martin Seeger und mir) an dem geschilderten Wochenende in das große alte Bauernhaus eintrat, traf er dort seinen gerade mal 5 Jahre jüngeren Vetter 3. Grades Peter Wolf (sie haben gemeinsame Ururgroßeltern), den jetzigen Besitzer des Hofes, der ebenso wenig wie Mark von dieser Verwandtschaft gewusst hatte.
Es war ein warmherziger Empfang auf dem Schultzenhansenhof zu Kaffee und Gebäck mit einem gegenseitigen Kennenlernen-Wollen der »neuen Verwandtschaft« durch die zahlreichen Familienangehörigen, bei dem es immer wieder neue Rufe der Überraschung darüber gab, dass man sich trotz weit auseinander liegender Wohn- und Heimatorte so ausgezeichnet im gewohnten Schwäbisch miteinander unterhalten konnte.
Es ist hier noch nachzutragen, dass es nicht nur das Foto des Kindes im Kinderwagen war, die zur Aufdeckung dieser Verwandtschaft geführt hatte, sondern auch die Ergebnisse meiner Arbeit im Templer-Archiv. Dort hatte ich ein altes Buch mit handschriftlichen Einträgen gefunden, signiert mit »Correspondenzbuch No. 1 des deutschen Tempeljünglingsbundes 1887-1888«. Der Tempeljünglingsbund war in mehrere »Localvereine« gegliedert, die die Verbindung zueinander durch ein Umlauf-Buch aufrecht erhielten, indem ein Ortsverein zu verschiedensten Themen schriftlich Stellung nehmen und von seinen Zusammenkünften berichten sollte, um dieses Buch dann an den nächsten Ortsverein weiterzuschicken, sodass jedes Mitglied im Lauf der Zeit über das Geschehen in den anderen Ortsvereinen Kenntnis erhielt (wie gut haben wir es doch heute durch die Möglichkeiten der E-Mail-Verständigung!).
In diesem Umlaufbuch war nun ein Johannes Wolf als zuständig für die Mitglieder in Zwerenberg und Umgebung genannt. Andere Ortsvereine gab es in Ebingen, Stuttgart, Ludwigsburg, Freudenstadt und Niederhaslach. Er war zuständig für die Orte Neuweiler, Zwerenberg, Agenbach und Oberkollwangen. Im Buch werden 16 Mitglieder aus diesen Orten genannt («Sie versammeln sich jeden 2. und 4. Sonntag im Monat in Neuweiler nachmittags 1½ bis 3 Uhr. Zur Förderung gründlicherer Kenntnis des Buches von H. Hoffmann ,Occident und Orient' wird dasselbe gegenwärtig in Form von Fragen und Antworten durchgenommen; daneben ist es jedem zur Aufgabe gemacht, nach Kräften und Zeit durch Vortrag von Aufsätzen und Gedichten zur Förderung und Belebung des Vereins beizutragen«).
Der genannte Johannes Wolf ist 1861 in Zwerenberg geboren, war also in der Zeit des Umlaufbuches schon im Erwachsenen-Alter von 26 Jahren gewesen. Sein Vater hieß ebenfalls Johannes (im Zwerenberger Jubiläumsbuch sind nacheinander sieben Eigentümer des Schultzenhansenhofes aufgeführt, die alle den gleichen Namen Johannes Wolf trugen (erst der Vater des jetzigen Hofbesitzers Peter Wolf, Paul Wolf, weicht von dieser Tradition ab). Vater Johannes Wolf (geb.1831) war neben seinem Beruf als Landwirt auch 24 Jahre lang Schultheiß von Zwerenberg gewesen. Er war Sprecher und Betreuer der im Umkreis von Zwerenberg wohnenden Jerusalemsfreunde.
Seinen Spuren nachzugehen, machte ich mir jetzt zur Aufgabe und fand dann in dem Nachruf in der »Warte« zu seinem Tod am 12. Dezember 1901 eine ausführliche Charakterisierung seiner Persönlichkeit und eine Würdigung seines Einsatzes für die Tempelidee. In der Traueranzeige schrieb sein Sohn Johannes (der zu dieser Zeit schon selbst Schultheiß in Zwerenberg geworden war) über den Vater: »Der Glaube an das Werk des Tempels hielt ihn aufrecht in vielen Stürmen seines Lebens und war auch auf seinem Krankenbett noch Bedürfnis, es seinen Kindern zu empfehlen.«
Eines seiner zehn Kinder (vier davon früh verstorben) war die eingangs genannte Maria Anna, die seine Empfehlung offensichtlich sehr ernst genommen hatte und nach Palästina übersiedelt war. Genaueres über ihre Trennung von zuhause und den Verlauf ihrer Reise in den fernen Orient ist mir bisher nicht bekannt geworden. Vielleicht findet sich in der Zukunft noch ein Mosaiksteinchen zu ihrem Lebensbild, besonders auch zu ihrem Bekanntwerden mit der Familie Weiß.
Einer der Träger des Namens Johannes Wolf wurde laut Angaben von Hans Schabert als Förderer der modernen Wasserversorgung bekannt. In einem damaligen Bericht heißt es, dass er von Innenminister von Pischek in Zwerenberg die Verdienstmedaille des Friedrichsordens verliehen bekommen habe, »die der alte Herr mit innigstem Dank annahm und vor Freuden in Tränen ausbrach«. Etliche der Johannes Wolfs wirkten auch als Richter (Gemeinderäte).
Die zwei Tage in Zwerenberg waren für Mark und Marianne Herrmann die letzten ihres Besuchsaufenthaltes in Deutschland. Mark berichtete vor einem zahlreichen Publikum im Gasthof zum Ochsen auch über sein Leben in Australien und über die im fernen Kontinent weiter betriebene Gemeindearbeit der Templer. Ich denke, dass man dieses Einander-Kennen-Lernen und Austauschen geschichtlicher Informationen durchaus als einen »Brückenschlag zwischen Schwarzwald und Australien« bezeichnen kann. Es ist zu wünschen, dass diese Brücke in der Zukunft von Vielen begangen wird.
Peter Lange, Archivleiter