Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 168/10 - Oktober 2012

 

 

Auserwählung

Göttlicher Segen oder menschliche Illusion?

Vor kurzem wurde im Deutschlandfunk berichtet über eine breit angelegte Studie von Bielefelder Soziologen - einige Tausend Befragungen - zum Thema »Vorurteile und Religion«. Gefragt (bzw. durch indirekte Fragen ermittelt) wurde nach Vorurteilen gegenüber Fremden - Menschen anderen Glaubens, anderer Sprache und Kultur, anderer Hautfarbe. Sortiert wurde nach »Gläubigen«, wohl Kirchenmitgliedern christlicher Konfessionen, einerseits und Konfessionslosen andererseits, das sind dann wohl alle von Atheisten bis zu »freien« Christen.

Das Ergebnis: der Prozentsatz derer, die erhebliche Vorurteile gegenüber Fremden hatten, lag bei den Gläubigen deutlich höher als bei den Konfessionslosen: 54 % gegenüber 44 %. Ich war schockiert. Das Christentum definiert sich - zumindest in den meisten öffentlichen Verlautbarungen - als Religion der Liebe, der Liebe Gottes zu den Menschen und der Menschen untereinander. Und ausgerechnet diese Gläubigen hegen mehr Vorurteile gegenüber Fremden als die »Nichtgläubigen«.

Nun kann man einwenden, dass die oben genannte, rein formale Einteilung irreführend sei. Man muss auch sehen, dass es um Vorurteile ging, nicht um Fremdenhass oder gar Gewalt gegen Fremde. Aber das eine kann leicht zum anderen führen. Der Befund bleibt erschreckend.

Erschreckend, aber bei näherer Betrachtung gar nicht so erstaunlich. Alle drei monotheistischen Religionen erhoben (und erheben z.T. bis heute) den Anspruch, den allein richtigen Glauben zu vertreten (beim Judentum liegen die Dinge etwas komplizierter). Und daraus folgt fast automatisch die Vorstellung von der eigenen Auserwählung: wir haben, von Gott, die richtige Erkenntnis empfangen, und wir sind deshalb dazu berufen, sie weiterzugeben. Das gilt auch dann, wenn es nicht laut gesagt wird und der Zusammenhang gar nicht mehr bewusst ist. Was dann immer noch bleibt, ist das Vorurteil: wir sind besser als die anderen, denn diese anderen sind ja ungläubig. Ein solches Vorurteil kann weiter bestehen, auch wenn der Glaube, aus dem es stammt, nur noch bedingt lebendig ist. Ich denke, genau das spiegelt sich in der oben zitierten Umfrage.

Das ist traurig, weil hier »christlicher« Glaube indirekt etwas bewirkt hat, was im diametralen Gegensatz steht zu dem, was Jesus selbst gelebt und gelehrt hat: die Zuwendung eben zu denen, die nach Auffassung seiner Umgebung nicht zu den Auserwählten gehörten: Samaritaner und Heiden, Zöllner und Sünder. Ich denke, ich brauche die vielen Beispiele nicht aufzuzählen.

Es ist traurig, dass trotzdem solche Vorurteile ganz schnell wieder entstehen, sich verstärken und über Jahrhunderte erhalten konnten. Es ist traurig, aber es braucht, unter günstigen Umständen, nicht schlimm zu sein. Das im normalen Leben unausgesprochene Vorurteil der Kirchgänger in der Umfrage hat wahrscheinlich nicht viel Unheil gestiftet.

Schlimm ist ein anderer Aspekt: unter ungünstigen Umständen ist ein solches Vorurteil der ideale Nährboden für einen Fanatismus, der mordet und zum Mord hetzt, um nach den eigenen Vorstellungen die Welt besser zu machen - auch dann noch, wenn der Glaube, aus dem es stammt, sich gewandelt oder verflüchtigt hat. Von einem Israeli (J. Kwasniuk) stammt ein Satz, der das für mein Gefühl treffend auf den Punkt bringt: »Die meisten Israelis glauben nicht an Gott; aber sie glauben, dass Gott ihnen das Heilige Land versprochen hat«. Die verheerenden Folgen sind bekannt.

Ich schließe einen Ausschnitt aus einer älteren Predigt an, weil ich denke, dass es vielleicht ein wenig verständlicher macht, wie aus einer tiefen Frömmigkeit ein Auser­wählungsglaube entstehen kann; und weil er vielleicht für Außenstehende und auch für jüngere Templer die Anfänge unserer Gemeinschaft etwas begreiflicher machen kann.

Ich möchte hinzufügen, dass ich heute noch eindeutiger als damals den Glauben an eine göttliche Auserwählung für eine sehr menschliche Täuschung halte - auch wenn er eindeutig auf das Alte Testament zurückgeht. Es ist eine Anmaßung, zu glauben, wir könnten Gottes Wirken mit unseren menschlichen Kategorien erfassen. Wir können es spüren oder zu spüren glauben, aber das wird immer subjektiv sein. Die Geschichte ist voll von Beispielen, wo die Versuche, es zu deuten, sich im Nachhinein als - oft schrecklicher - Irrtum erwiesen haben. Wir können Gott nicht begreifen, wir können nur ihm vertrauen.

»Ein auserwähltes Geschlecht«?

Die Templer beziehen sich bei der Erläuterung ihres Namens und Wesens auf die Textstelle des 1. Petrus-Briefes 2, 5, in der von den »lebendigen Steinen zum Bau des geistlichen Hauses« die Rede ist. Und auch die darauf folgenden Verse haben in der Geschichte unserer Gemeinschaft eine nicht geringe Rolle gespielt:

»Ihr seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu einem wunderbaren Licht; die ihr einst nicht Volk wart, nun aber Gottes Volk seid.«

Hier finden wir das Thema der Gründerzeit: ein Volk Gottes muss gesammelt werden, eine Gemeinschaft der Gleichgesinnten, die vereint sind im Streben, den Tempel, das Reich Gottes, aufzubauen.

Ein großartiges Bild ist das. In dieser Vorstellung lebte die Urgemeinde. Können wir Heutigen uns darin wiederfinden? Ich denke, dass es auch anderen so geht wie mir: wenn ich Ausdrücke wie »königliche Priesterschaft«, »auserwähltes Geschlecht«, »heiliges Volk« auf uns beziehen soll, fühle ich mich unwohl. Warum? Diese Worte enthalten einen Anspruch, dem wir uns heute nicht mehr zu stellen wagen. Auch wenn sie sich der eigenen Unzulänglichkeit - sie sagten: Sündhaftigkeit - sehr deutlich bewusst waren: die Christen der Urgemeinde waren so ganz erfüllt von ihrem neuen Glauben, der für sie ein neues Leben bedeutete, dass sie sich sehr wohl als Priester fühlten, als diejenigen, die die neue Heilsbotschaft als erste erkannt und angenommen hatten und die nun berufen waren, den anderen das Heil zu vermitteln. Und diese Berufung war nicht ihr Verdienst, sondern göttliche Gnade. Sie fühlten sich von Gott erwählt.

Ähnliches gilt auch für die frühen Templer. »Sammlung des Volkes Gottes« war Hoffmanns Losung. Die Templer fühlten sich als Volk Gottes berufen, den Anfang zu machen mit der Errichtung des Reiches Gottes, und dafür waren sie bereit, alles andere aufs Spiel zu setzen.

Wie steht es unter diesen Aspekten mit unserer »Priesterschaft«? Auf den ersten Blick: negativ. Von uns würde wohl keiner Beruf, Besitz, Familie aufgeben um des Glaubens willen. Selbst wenn wir bereit wären, Opfer zu bringen, würden wir das eher für andere Ziele tun, für menschliche Hilfe, für die Umwelt, für den Frieden, nicht für den Glauben.

Ist das unsere Bankrotterklärung? Vielleicht nicht so eindeutig, wie es zunächst aussieht. Das Wort von der Priesterschaft hat noch einen anderen Aspekt, der im Text des Petrus-Briefes unüberhörbar deutlich wird:

»Für die Ungläubigen aber ist der Stein, der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses; sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind; ihr aber seid das auserwählte Geschlecht...«

Darin steckt, untrennbar verwoben in die Glaubenszuversicht, der Anspruch: wir sind auserwählt und die anderen sind verworfen - sogar mit dem Unterton der Prädestination (»wozu sie auch bestimmt sind«).

Wort und Idee des »auserwählten Volks« haben die frühen Christen aus ihrer jüdischen Tradition mitgebracht. Sie haben den Begriff vom Volk Israel auf sich selbst, die Anhänger des neuen Glaubens, übertragen, und sie haben ihn damit auch verändert: auserwählt ist nicht mehr ein ethnisches Volk, sondern ein Kreis von Glaubensgenossen. Damit ist zwar die Grenze zu den Nicht-Auserwählten durchlässig geworden, aber es bleibt die grundsätzliche Unterscheidung.

Für die frühen Christen wie für die frühen Templer war diese Unterscheidung eine bare Selbstverständlichkeit: die einen wie die anderen hatten sich ja von ihren alten Bindungen losgesagt, weil sie ein neues Leben leben wollten, ein Leben aus dem Glauben, das Freiheit und Erfüllung, aber auch Auftrag bedeutete. »Auserwählt« hieß für sie: ihnen war die Gnade zuteil geworden, die neue Wahrheit zu empfangen, und damit der Auftrag, ganz ihrer Verwirklichung zu leben: sie waren dem Aufruf Jesu gefolgt, am Reich Gottes, dem »Tempel« zu bauen, und das unterschied sie von allen anderen.

Aber diese Art von Auserwähltsein lässt sich nicht vererben, nicht biologisch und auch nicht in Gemeinden Gleichgesinnter. Das haben wir erfahren und viele andere Gruppen vor uns. Die Unbedingtheit, mit der die erste Templergeneration ihr Leben für ihren Glauben einsetzte, war schon in der zweiten Generation relativiert, ganz bestimmt in der dritten.

Warum ist das so? Nehmen wir das Beispiel der Tempelgemeinden - ich glaube, dass sich dieses Beispiel auch verallgemeinern lässt - : es zeigte sich, dass das große, überwältigende Ziel, das sie erfüllte und beflügelte, die Aufrichtung eines Reiches Gottes auf Erden, zumindest eines Beginns dazu, sich nicht verwirklichte, zumindest nicht so schnell, so konkret und so unmittelbar, wie sie das geglaubt hatten. Und auch das, was wirklich erreicht wurde, ein Zusammenleben, das - wenn auch zum Teil durch äußere Umstände mitbedingt - in gegenseitiger Anteilnahme und Hilfe christlicher war als im Allgemeinen üblich, ein freies, weniger an Dogmengläubigkeit gebundenes Christentum als es damals in den Kirchen möglich war - das alles war für die Nachgeborenen Alltag, nicht etwas, was von ihnen den gleichen kompromisslosen Einsatz gefordert hätte wie von den Vätern. Damit aber lebten sie ein Leben, das sich von dem der Mehrheit nicht wesentlich unterschied: in einem vorgegebenen Rahmen, innerhalb dessen sich der Einzelne - vielleicht etwas mehr als in anderen Gemeinden - bemühte, seinen Glauben zu verwirklichen. Und das gilt für uns heute ebenso.

Das ist nichts Schlechtes. Aber es ist etwas sehr viel Bescheideneres als das »Leben aus dem Geist« der Gründergeneration. Und damit entfällt der grundsätzliche Unterschied zu den anderen, der Anspruch des Auserwähltseins. Man kann ihn aufrechterhalten mit der Überzeugung, als einzige im Besitz der Wahrheit, des Weges zum Heil zu sein. Das hat das Christentum über Jahrhunderte hinweg getan, die Tempelgesellschaft über ein oder zwei Generationen. Wir heutigen Templer tun es nicht mehr. Wir sehen uns nicht als Priesterschaft und als auserwähltes Geschlecht. Ich glaube, dass das nicht nur negative Entwicklung ist. Denn der Glaube an die eigene Priesterschaft hat eine gefährliche Kehrseite: er ist immer mit Verabsolutierung der eigenen Wahrheit und damit Herabsetzung jeder anderen verbunden. Ein solcher Glaube kann ungeahnte Kräfte freisetzen, aber es können Kräfte zum Guten wie zum Bösen sein. Aus einem solchen Glauben können Fanatismus und Intoleranz wachsen oder zumindest Selbstgerechtigkeit.

Jesus selbst sagt: »Alle Dingen sind möglich dem, der da glaubt«, und das kann nur heißen: dem, der unbedingt glaubt, ohne Wenn und Aber. Aber er meint nicht den Glauben an eine Heilslehre. Er meint das unbedingte Vertrauen zu Gott und auch zu dem, was der Gläubige mit Gottes Hilfe bewirken kann. Und er hat das Gleichnis von den ungleichen Söhnen erzählt: teilhaben am Reich Gottes wird nicht der, der ja sagt, sondern der, der den Willen des Vaters tut.

Das ist für mein Gefühl die direkte Absage an jede Auserwählung durch Rechtgläubigkeit. Im Übrigen war das auch ein Grundthema Jesu in seiner Auseinandersetzung mit den Juden, die auf ihren Status als auserwähltes Volk pochten. Ich glaube nicht, dass er nur ein auserwähltes Volk durch ein anderes ersetzen wollte. Er wollte zeigen, dass das, was ihm wesentlich war, leben im Vertrauen zu Gott und in der Verantwortung vor ihm, an kein Volk, an keine Gruppe und auch nicht an ein Glaubensbekenntnis gebunden ist. Er hat es gefunden bei dem römischen Hauptmann und bei dem verachteten Samariter. Für uns heißt das, dass wir es finden und anerkennen müssen, nicht nur bei Christen, auch bei Juden, Moslems, Hindus, in allen Religionen.

Brigitte Hoffmann

aus einer Ansprache in der Tempelgemeinde Stuttgart am 24. Januar 1988

Scherenschnitte

Kleine Kunstwerke von Friedel Reichert geb. Ruff

Vor kurzem habe ich über die arabische Spitzenhandarbeit Frieda Großmanns geb. Ruff berichtet. Sie war nicht die Einzige in dieser Familie, die künstlerisch begabt gewesen ist und geschickte Finger besaß: ihre Nichte, Friedel (Elfriede) Reichert geb. Ruff, hat wunderschöne Scherenschnitte hinterlassen, die Karin Ruff erst nach Friedels Tod 2010 entdeckt hat.

Karin hat die Originale nicht nur im Altersheim in Melbourne zur Freude der Bewohner ausgestellt, sie hat sie zusätzlich in Postkartengröße drucken lassen, damit man sie sich zum Betrachten in einem Ständer auf den Tisch stellen kann. Diese kleinen Kunstwerke hat sie an mich geschickt. Ich möchte die Freude darüber natürlich auch mit anderen teilen. Scherenschnitte Vielleicht könnte man sie in einer kleinen Ausstellung in Degerloch im Gemeindehaus zeigen? Sie sind se­henswert.

Friedel Ruff, Dieter Ruffs ältere Schwester, wurde 1916 als Tochter von Alfred und Anna Ruff geb. Kraiss geboren. Ihre Kindheit verlebte sie in Tiberias, da der Vater seiner verwitweten Schwes­ter Frieda Großmann bei der Führung ihres Hotels zur Seite stand.

Als Friedel 6 Jahre alt war, gaben die Eltern das kleine Mädchen in die Obhut der Familie Johannes und Maria Wagner nach Nazareth, deren private Schule sie besuchte. 1930 zog die Familie Ruff nach Haifa, um Dieter, nun ebenfalls schulreif, nicht auch noch die Trennung von der Familie zuzumuten. Friedel durfte 1935 zur weiteren Ausbildung nach Deutschland. Ihre erste Station war die Hausarbeitsschule in Honef, doch ihre Liebe gehörte der Gymnastik und der freien Bewegung. Sie schaffte nach einer viermonatigen Probezeit die Aufnahme in die neu gegründete Medau-Schule in Berlin, die sie mit Erfolg abschloss. An einem Massagekurs an der Berliner Charité nahm sie ebenfalls teil. 1938 kehrte Friedel nach Haifa zurück und wurde dort mit der Kindergymnastik an der Templer-Schule betraut. Dieses Amt hatte sie dann nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 auch in Betlehem inne, Scherenschnitte wohin die Familie Ruff in die Internierung gebracht worden war. Aufnahme hatten sie im Haus Krockenberger gefunden.

Die Ruffs gehörten auch zu den Familien, die durch die Engländer 1941 nach Australien deportiert wurden, in die jahrelange Internierung im Lager Tatura. Im Camp C wurde Friedel als Gymnastik- und Sportlehrerin für die Mädchen gebraucht, denen sie auch noch Volkstänze beibrachte.

Am 23. November 1947 heiratete Friedel Gustav Reichert, den sie im Lager kennengelernt hatte. Die beiden teilten nicht nur die Liebe zu den Söhnen Bernhard und Werner, sondern auch die Fahrten und Erkundungen in den australischen Busch. Beide waren sehr unternehmend. Nach dem Tod ihres Mannes unternahm Friedel selbst noch viele Reisen. Danach wohnte sie noch eine längere Zeit im Altersheim, übernahm auch dort Gymnastikstunden und war bis ins hohe Alter sehr aktiv. Friedel hat Karin Ruff viel über ihre Kindheit in Tiberias erzählt, vor allem auch über die geliebte Tante Frieda Großmann.

Brigitte Kneher

Für 13 Euro (Selbstkostenpreis) können die Karten bei Karin Ruff (AUS) bestellt werden - gern auch über die Verwaltung. Es handelt sich um 16 Karten mit 31 Scherenschnitten.

Kooperation statt Konfrontation

Das Willy-Brandt-Center in Jerusalem als Brückenbauer zwischen Israel und Palästina

Der sog. Friedensprozess im Nahen Osten ist ins Stocken geraten. Von einer Annäherung zwischen der (rechtskonservativen) israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde ist offenbar keine Rede mehr. Unter den jungen Leuten aus Israel und Palästina, die sich in der Regel nur an den vielen Checkpoints begegnen, macht sich vielfach Frustration breit. Umso erfreulicher, dass eine Initiative aus Deutschland dennoch versucht, die Friedensarbeit an der Basis und den Dialog der Jugend zwischen beiden Seiten zu beleben. Direkt auf der »grünen Linie«, südöstlich der Altstadt, liegt das 1996 gegründete »Willy-Brandt-Center« (WBC), über dessen Arbeit Christoph Dinkelaker, ein Blogger, Journalist und Mitarbeiter des Zentrums, bei einer Veranstaltung des Forums Deutschland-Israel-Palästina vor kurzem in Stuttgart berichtete. Wie der Name vermuten lässt, steht die Einrichtung der SPD nahe; dementsprechend besteht ein Teil der Arbeit darin, mit jungen Vertretern der politisch nahe stehenden Parteien - in Israel der Arbeiterpartei, in Palästina der Fatah - gemeinsame Veranstaltungen zu organisieren. Das WBC bildet hierbei einen »geschützten Raum«, damit politisch interessierte junge Menschen sich kennen lernen und Vertrauen aufbauen können. Dies scheint nötig, denn Dinkelaker berichtete von einem zunehmenden Isolationismus auf beiden Seiten, der das Interesse am Schicksal der anderen schwinden lässt. Unter den desillusionierten palästinensischen Jugendlichen würden Dialogprojekte häufig als »Feigenblatt« für die restriktive israelische Politik empfunden. Aber auch auf israelischer Seite bestehe vielfach kein Interesse an Kontakten mit Palästinensern (Anmerkung meinerseits: und in der Regel auch keine Gelegenheit), zumal die Arbeiterpartei politisch derzeit wenig zu sagen habe. Dennoch wolle das Zentrum Begegnungen »auf Augenhöhe« ermöglichen, nehme dabei eine vermittelnde Position ein und schreibe sich eine »doppelte Solidarität« - sowohl hinsichtlich des Existenzrechts Israels in sicheren Grenzen als auch hinsichtlich eines lebensfähigen palästinensischen Staates - auf die Fahnen. Neben der parteipolitischen Zusammenarbeit (Projektname »Brücken für Frieden«) widmet sich das Zentrum der politischen Bildung, in diesem Jahr zum Beispiel bei einem Workshop über die Bedeutung des Holocaust für die israelische Identität. Auch Kunst- und Kulturprojekte werden durchgeführt, zuletzt eine von israelischen und palästinensischen Jugendlichen in mehrtägigen Workshops gemeinsam erarbeite »Hip-Hop-Opera« zu Flucht, Vertreibung und Asyl (»Borderline Remix 2012«), die Ende August auch in Deutschland aufgeführt wurde. Das Zentrum widmet sich auch der schwierigen Rolle von Staat und Religion im »heiligen Land«; zuletzt bemühte man sich in Kooperation mit dem Internationalen Begegnungszentrum Betlehem um eine stärkere Vernetzung von jungen Christen in Israel und Palästina. Zu erwähnen ist schließlich, dass die Friedensarbeit des WBC finanziell vom Bundesenwicklungshilfeministerium als Projekt des sog. Zivilen-Friedens-Dienstes (ZFD) gefördert wird; Praktikums- und Freiwilligen­dienstplätze werden ebenfalls angeboten.

Im Anschluss an den mit rund 60 Zuhörern gut besuchten Vortrag ergab sich eine lebhafte Diskussion, die streckenweise den israelisch-palästinensischen Konflikt widerspiegelte, nachdem einige Anwesende, die sich als Vertreter der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zu erkennen gaben, erklärten, der Konflikt werde vom WBC überbetont und das WBC solle seine Friedensarbeit lieber in Afghanistan leisten. Diese Sichtweise rief bei anderen, offenkundig pro-palästinensisch eingestellten Zuhörern lebhaften Protest hervor. Wer sich über die Arbeit des WBC informieren möchte, dem sei der Besuch seiner Homepage empfohlen. Wissenswertes über den rührigen Veranstalter erfährt man auf dessen Seite - dort kann man auch einen lesenswerten Newsletter bestellen. Das Forum will übrigens noch im Herbst ein Seminar über ein zentrales Problemfeld, den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland, veranstalten, bei dem die historischen und völker­rechtlichen Hintergründe vertieft behandelt werden sollen, die bei den üblichen Vortrags­veranstaltungen meistens zu kurz kommen.

Jörg Klingbeil

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Vom Unkraut unter dem Weizen

Matthäus 13, 24-30

Unter den Gleichnissen für das Himmelreich erscheint bei Matthäus das von Markus übernommene Gleichnis vom Sämann und dem vierfachen Acker; das von der selbstwachsenden Saat vermag er nicht zu übernehmen, stattdessen setzt er das vom Unkraut unter dem Weizen ein, das er aus Sonderüberlieferung kennt: Der Herr sät guten Samen auf seinen Acker, nachts kommt der Feind und sät Unkraut dazwischen. Als die Knechte das nach einiger Zeit bemerken, wollen sie das Unkraut ausreißen, aber der Herr bremst ihren Eifer und weist sie an, alles zusammen wachsen zu lassen bis zur Zeit der Ernte - das sei dann der Zeitpunkt, das eine vom anderen zu trennen, das Unkraut zum Verbrennen zu bündeln und den Weizen in die Scheune zu sammeln.

Matthäus geht es bei diesem Gleichnis ganz offensichtlich um das Gericht am Ende der Welt - einige Verse später wird es auch so gedeutet. Ob diese Deutung tatsächlich auf Jesus zurückgeht, ist nicht gesichert - aber dass Matthäus die Schilderung vom Gericht am Ende der Zeit, wohl wegen Schwierigkeiten in seiner Gemeinde, immer wieder hinzusetzt oder stark ausmalt, ist für sein Evangelium typisch.

Ganz sicher jesuanisch ist aber der Kern des Gleichnisses: der gelassene Umgang mit Weizen und Unkraut. Hätte der Herr dem Drängen der Knechte nachgegeben, wären zusammen mit dem Unkraut auch etliche kleine Weizenpflänzchen mit herausgerissen, die Ernte also beträchtlich geschmälert worden. Außerdem kann man erst später, wenn das Unkraut groß geworden ist, sicher sein, was wirklich Weizen und was Unkraut ist. Aber, um im Bild zu bleiben, der Herr ist sich der erwarteten Ernte gewiss und muss nicht mit blindem Aktionismus reagieren.

Auch dieses Gleichnis ist dem täglichen Leben der Zuhörer Jesu entnommen. Zuvor ging es um das Gleichnis vom Sämann - es ist völlig normal, dass nicht aller Samen auf fruchtbaren Boden fällt, dass nicht jeder Same aufgeht und Frucht bringt. Ebenso normal ist, dass sich Unkraut zwischen Nutzpflanzen ansiedelt - die Frage, woher es kommt, wird im Gleichnis mit dem Hinweis auf den Teufel beantwortet; das macht deutlich, dass es um die Unterscheidung von Gut und Böse geht. Auch das mag ein späterer Einschub sein - denn Jesu Haltung ist eindeutig: bei ihm liegt die Betonung nicht auf dem Endgericht, in dem ausgesondert und entsorgt wird, sondern darauf, wachsen und leben zu lassen, gerade ohne durch gewalttätigen Eingriff gegen vermeintlich Negatives auch Positives zu zerstören. Gut und Böse liegt oft nah beieinander und lässt sich oft nur schwer voneinander trennen. Das Vertrauen darauf, dass die Ernte erfolgreich sein wird, ist für ihn keine Frage - und jene nach den Kriterien des Endgerichts muss er sich nicht stellen; die kann er getrost Gott überlassen.

Karin Klingbeil

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