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Eine Begegnung mit Außenstehenden, die mit uns in Verbindung treten, zeigt uns immer wieder, dass sie in den meisten Fällen mit dem Namen unserer Gemeinde nichts anzufangen wissen und wir aufgefordert werden, näher auf seine Bedeutung einzugehen. Manchem Templer mag das lästig erscheinen, doch es erzieht uns im Grunde dazu, uns selbst klar darüber zu werden, was mit dem Namen ausgesagt werden soll, den unsere Vorfahren ihrer Gemeinschaft bei deren Gründung vor jetzt 149 Jahren gegeben haben. Was verstanden sie unter der Bezeichnung »Deutscher Tempel«, wie der Name damals offiziell lautete?
Dazu müssen wir wissen, dass solche Begriffe wie »Tempel« den Menschen damals viel geläufiger waren als uns Heutigen. Sie waren in ihrer Bibel durch tägliches Lesen viel mehr zuhause als wir und entnahmen ihr die Richtschnur für ihr Leben. Ich möchte in wenigen Sätzen den Hauptinitiator unserer Glaubensgemeinschaft, Christoph Hoffmann, zitieren, was er in seiner Schrift »Wegweiser zum dauerhaften Glück« 1877 dazu geschrieben hat:
Christus wollte keine Kirche gründen, die durch vorgeschriebene Glaubensbekenntnisse und gottesdienstliche Handlungen den Menschen die Anwartschaft auf ein seliges Leben nach dem Tod verschafft, sondern die Gemeinde, die er gegründet hat, beruht auf dem Glauben an das Reich Gottes auf Erden, welches er selbst in seiner Person verwirklicht hat und welches in einem Volk, und letztendlich in der Menschheit, zu verwirklichen die Aufgabe seiner echten Nachfolger ist.
Diese Gemeinde bezeichnen die Apostel als den Leib Christi und als den Tempel Gottes, der aus lebendigen Steinen, nämlich aus Menschen besteht, die vom Geiste Christi, also von seiner Gesinnung und seiner Erkenntnis, durchdrungen sind und die folglich nicht mehr ihren eigenen Willen, sondern den Willen Christi und des Vaters, d.h. Gottes, tun.
Es ist ein hoher Anspruch, den Hoffmann hier ausspricht, und in all den zurückliegenden 149 Jahren werden sich Mitglieder des Tempels gefragt haben, ob sie diesem Anspruch wohl gerecht werden können. Wir wissen um die Schwachheit der menschlichen Natur, aber auch um ihre Stärke, wenn ein unerschütterlicher Glaube ihr zugrunde liegt. Dass wir immer wieder scheitern, heißt nicht, dass es sinnlos wäre, dieses Gottesreich in der Tempelgesellschaft zu verfolgen. Das hat auch Christoph Hoffmann bedacht, als er schrieb:
Unsere Gesellschaft behauptet keineswegs, schon der Tempel zu sein, der nach dem Willen Christi die Menschheit ihrer Vollendung entgegen führen soll, sondern sie will mit ihrem Namen nur das Ziel ausdrücken, nach dem sie strebt. Da bei einem geistigen Werk das Streben schon der wirkliche, sichtbare Anfang der Sache selbst ist, so nennt sich die Gesellschaft auch kurz mit dem Namen "der Tempel".
Es ist bei uns und auch bei unseren Freunden in Australien ab und zu die Frage gestellt worden, ob wir unserer Gemeinschaft nicht einen anderen Namen geben sollten. Auf diese Frage möchte ich antworten, dass dieser Name seinen Sinn hat und beibehalten werden sollte, denn er drückt im Grunde das Ziel unseres Strebens und Handelns aus. Wir müssten öfter einmal in unsere Bibel schauen und in den Apostelbriefen des Neuen Testaments lesen, wo das Bild des geistigen Tempels näher ausgeführt wird.
In der Zeit der Tempelgründung wurden Zusammenschlüsse von Menschen vielfach »Gesellschaften« genannt, und so wurde aus dem Namen »Tempel« oder »Deutscher Tempel« wenig später dann »Tempelgesellschaft«. Durch die satzungsmäßige Verankerung ist diese Bezeichnung bis heute geblieben. In der Sache sind wir jedoch im heutigen Sprachgebrauch eine »Gemeinde«, und in der Unterscheidung zu anderen christlichen Gemeinden eine »Tempelgemeinde«, auf die das Bild mit den lebendigen Steinen aus Menschen dann zutreffen wird, wenn wir seiner Aussagekraft vertrauen und in diesem Namen tatsächlich unser Ziel sehen.
Der Apostel Paulus hat in seinen Briefen an die neuen christlichen Gemeinden eindringlich geschrieben: »Wisst ihr nicht, dass ihr als Gemeinde der Tempel Gottes seid und dass der Geist Gottes in euch wohnt? Der Tempel Gottes ist heilig, und dieser Tempel seid ihr« (1 Kor 3,16-17).
Lasst uns den Ruf des Apostels nicht aus dem Gedächtnis verlieren und immer wieder versuchen, seiner hohen Bedeutung gerecht zu werden. Wenn Paulus diesen Tempel als heilig bezeichnet, bedeutet das, dass diese Vereinigung von Menschen einen Bezug zur Transzendenz sucht, zu der Kraft, die unser Leben hält und trägt. Dieser Tempel ist heilig, weil er unserem Heil dient.
Das symbolische Bild des Tempels als Vergleich für eine Gemeinde ist heutzutage nicht mehr so präsent, wie es einstens einmal war. Deshalb erscheint es mir wichtig, dass wir es immer wieder neu deuten und bewerten. Welche Erkenntnis spricht aus diesem Bild?
Es spricht daraus die Erkenntnis, dass wir Menschen nicht als Einzelgänger, sondern als gesellige Wesen erschaffen sind, und dass wir deshalb in unserem Leben ein Verhältnis zueinander finden müssen, das jedem sein Daseinsrecht und seine Lebensmöglichkeit gibt. Das Bild zeigt es doch klar und deutlich: die Bausteine des Tempels fügen sich an- und ineinander. Jeder Stein trägt andere benachbarte mit und wird auch selbst wieder von anderen getragen. In unserer Zeit von zunehmendem Individualismus und steigender Vereinzelung kann dies nicht deutlich genug gesehen werden. Wir sind in so vielen Lebenssituationen aufeinander angewiesen und voneinander abhängig. Niemand kann sich auf Dauer auf eine Insel im großen Meer zurückziehen. Das menschliche Zusammenleben hat Kulturen hervorgebracht, auch wenn dies oft nicht ohne Spannungen, Hader und Streit zu bewerkstelligen ging.
Wie stark die früheren Generationen von Templern dies erkannt haben, geht aus unserer Geschichte hervor. Was sie bei der Gründung einer Gemeinde immer als Erstes in Angriff nahmen, war der Bau eines Gemeindehauses. Es war dies der sichtbare Ausdruck ihrer Mitarbeit am Bau des geistigen Tempels, denn in einem solchen Gemeindehaus sollten die Menschen zueinander finden und ihr Leben in die Verantwortung vor Gott stellen.
Das alte Gemeindehaus der Templer in Haifa, das allererste Gebäude, das sie nach ihrer Ankunft im Heiligen Land errichteten, wurde 1869 mit eigenen finanziellen Mitteln erstellt. Viele Jahre lang war Geld für solche gemeinschaftlichen Einrichtungen gesammelt worden. Wer schon einmal in den alten »Warte«-Zeitschriften geblättert hat, weiß, wie lang die Listen von Spendern sind, die dort, als Eingangsbestätigung sozusagen, veröffentlicht wurden. Es befanden sich immer zahlreiche Kleinbeträge darunter, was zeigt, dass die Bereitschaft, etwas für den Bau des Tempels zu geben, sehr groß war.
Das Bild des Tempels schließt in den Apostelbriefen den »Eckstein« ein, und dieser Eckstein ist Jesus von Nazareth, derjenige Mensch, dessen Gottvertrauen und Nächstenliebe jedem in der Gemeinde Stütze und Halt fürs Leben gibt, dessen Vorbild und Vorleben ein stetiger Anruf an uns sein soll. Dieser Eckstein ist ein wichtiger Bauträger, der die Stabilität des Tempels bewirkt. »Jesus Christus ist der Eckstein,« sagt Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Ephesus, »auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.«
Viele Bibelworte über den Hauseingängen der Templer in Haifa legen bis heute noch Zeugnis ab von der unerschütterlichen Gewissheit, dass es ein ihnen von Gott gewiesener Weg war, in einer ihnen noch fremden und unwirtlichen Welt eine Gemeinschaft zu bilden, die ihr Leben lebenswerter machen und andere zu ähnlichem Tun ermutigen würde. Dass wir nach so langer Zeit in dankbarer Erinnerung auf ihr Streben zurückblicken, dass unsere Gruppenreisen durch Israel immer mehr Menschen in ihren Bann ziehen und dass viele Bewohner Israels sich in den Dienst der Erhaltung der noch vorhandenen Reste unserer Pioniersiedlungen stellen, ist für mich ein Zeichen dafür, dass die Einsatzwilligkeit und Opferbereitschaft der Damaligen nicht vergebens war. Ihr Werk ist zwar untergegangen, aber der Geist ihres Handelns lebt weiter.
Peter Lange (aus der Ansprache zum Tempelgründungstag am 20. Juni des Jahres)
Die Gedanken von Jörg Klingbeil im Juni-Heft der »Warte« über die Einbeziehung Gottes in Amtseid und Verfassung in unserer multikulturellen Zeit haben daran erinnert, dass vor Jahren ein früherer prägender Theologe des Bundes für Freies Christentum (Hansjörg Jungheinrich) sich in seinem Buch »Weltweite Offenbarung« zu der Frage einer gemeinsamen Gottesauffassung der Religionen geäußert hatte. Gleichnishaft fasste Jungheinrich Gott als die eine Sonne auf, die nach ihrem Untergang unseren Augen zwar verborgen sei, aber durch ihren Widerschein von ihrer Existenz Kunde gebe und in unterschiedlichster Weise die Religionen der Erde be- und erleuchten würde. Aus dem genannten Buch (veröffentlicht 1985) sei nachstehend ein kurzer und prägnanter Ausschnitt wiedergegeben.
Peter Lange
Das Thema eines »gemeinsamen Nenners«, den die verschiedenen Religionen ihr eigen nennen könnten, eines »einheitlichen Grundglaubens«, der sie alle verbände, ist heute das große Problem, das sich früheren Generationen noch gar nicht in dieser Weise stellen konnte. Das Nebeneinander, oft genug das Gegeneinander der großen Religionen der Erde, deren wir ansichtig werden (einschließlich ihrer jeweiligen inneren konfessionellen Verschiedenheiten und Streitigkeiten), bereitet dem denkenden Geiste inzwischen Not. Sind die Unterschiede und Gegensätze so groß und tief, dass die schroffen Abgrenzungen und Verneinungen aufrechterhalten werden müssten und dürften? Das ist allen Ernstes zu bezweifeln. Gerade im Lichte moderner Tiefenpsychologie werden »universalreligiöse Elemente« sichtbar, »die möglicherweise gar eine gemeinsame archetypische Grundstruktur besitzen« (Paul Schwarzenau, in »Freies Christentum«). Wird aber dies erkannt, dann »lernen die Partner in einem ernsthaften Religionsgespräch nicht nur einander schätzen, sondern erfahren zugleich, dass sie auch von ihrer religiösen Herkunft her mehr verbindet als trennt« (Peter Gerlitz, in »Freies Christentum«).
Orthodoxe Theologen und auch »Laien« sind hier freilich schnell bei der Hand mit Vorwürfen wie »Synkretismus« (Religionsmischerei), »Eklektizismus« (schöngeistiges Auswählen von Worten und Gedanken, wie sie einem just »in den Kram passen«), Relativismus« (Auflösung aller religiösen Gewissheit in zweiflerische Unverbindlichkeit). Doch: hat nicht in der gesamten bisherigen Religions- und insbesondere christlichen Glaubensgeschichte das genau entgegengesetzte Extrem sich als viel verheerender erwiesen, ja als wahrhaft beschämendes und schändliches Ärgernis – nämlich dies, dass man nicht nur Zäune, sondern auch dicke Mauern aufgerichtet, sich in Bollwerken der »Rechtgläubigkeit« verschanzt und voreinander abgeriegelt hat? Immer wieder muss Protest erhoben werden gegen jeden selbstgenügsamen »Systemgeist«, gegen alle Versuche, das Unendlich-Ewige gleichsam einzufangen in einem (wenn auch noch so imposanten) theologischen »Lehrgebäude«. Voll und ganz stimmen wir deshalb Heinz Zahrnt zu, wenn er in einer pfingstlichen Meditation 1983 sagte:
»Keine Theologie reicht jemals an den Gegenstand ihres Forschens und Erkennens heran. Alles, was wir darüber aussagen, hat immer nur Annäherungswert. Dass Gott ist und wer er ist, lässt sich immer nur im Bild ausdrücken. Und Gottes Sein, die Lebendigkeit und Fülle seiner Offenbarung, erzeugt eine Vielfalt von menschlichen Bildern. Wie eine Mutter für ihr Kind nicht nur einen Namen hat, wie Liebende sich mit immer neuen Namen nennen, wie sich in der Fantasie der Dichter die Bilder häufen, geradeso ergeht es den Glaubenden, wenn sie von Gott erzählen. Überwältigt von ihren Erfahrungen, häufen sich ihnen die Namen und Bilder.
Aber gerade die Vielfalt der Gottesbilder bewahrt den Glauben davor, Gott nur an ein einziges Bild zu heften und sich auf diese Weise nun doch wieder ein festes Bild von Gott zu machen. Wir haben die Wahrheit Gottes immer nur in mehreren Bildern - und in keinem Bilde geht sie ganz auf... Ein Merkmal wahrer Theologie besteht gerade darin, dass sie nicht »aufgeht«, dass sie Brüche, Wunden und Narben zeigt, ja, Widersprüche und Inkonsequenzen enthält. Wo wir einer solchen Theologie begegnen, dort können wir mit der Möglichkeit rechnen, dass sie etwas von Gott erfasst hat, richtiger, dass Gott sie erfasst hat; denn es könnte ja sein, dass die Größe des Gegenstandes es ist, die sie so zerbrochen und unvollendet gelassen hat. Gott ist größer als unser Herz, er ist darum auch größer als unsere Theologien. Selbst ihrer aller Summe ergibt noch nicht Gott.«
Wenn es so um das steht, was uns hier bewegt, dann braucht uns wahrlich der Vorwurf angeblichen Verfallenseins an den »Synkretismus« oder irgendwelche anderen »ketzerischen« »Ismen« nicht zu schrecken. Natürlich soll nicht bestritten werden, dass es auch Verwässerung, Verflachung und Verfälschung religiöser Inhalte gegeben hat und gibt; jedoch gläubig-erwartungsvolles Offensein für Neues und Unbekanntes sollte nicht von vornherein beargwöhnt oder gar verteufelt werden. Auch im sonstigen Leben gibt es ja nicht nur faule, sondern auch gute und sogar höchst produktive Kompromisse! Es kann uns immer noch lieber sein, mit der Schelte des »Synkretismus« bedacht zu werden, als uns weiterhin in ein gedankliches oder glaubensmäßiges Ghetto einsperren zu lassen. Auch ein unvollendeter und offener Dom kann Stätte der Andacht und Anbetung sein.
Der Islam verändert sich. Die Luft der Freiheit, die unsere pluralistische Gesellschaft durchweht, macht vieles möglich. Besser als bislang vermutet integrieren sich die Muslime in Deutschland.
Dies ergibt eine von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble angestoßene repräsentative Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit 6.000 Befragungen von über 16-jährigen Muslimen.
Klarer Trend: Der Islam ist dabei, sich einzubürgern. 45 Prozent der muslimischen Migranten, insgesamt an die zwei Millionen Bürger, besitzen schon den deutschen Pass. Erfreulich: Die gern mit Alleinvertretungsanspruch auftretenden Dachverbände sprechen nur für knapp ein Viertel der Muslime. Diese Vereinigungen bilden als häufig bremsende, nationale Traditionshüter eher das Problem, als dass sie eine vorwärts weisende Lösung wären für die Probleme der Muslime in Deutschland.
Erfreulich ferner: Konflikte um Mädchen im Schwimmunterricht oder auf Klassenfahrten sind seltener als angenommen; nur sieben bis zehn Prozent der jungen Musliminnen werden von ihren Eltern gezwungen, solche Angebote der Schulen auszuschlagen. Auch der Streit um das Kopftuch scheint sich zu erledigen: Nur ein Viertel der ersten und lediglich ein Sechstel der zweiten Generation der Musliminnen tragen ein Kopftuch. Rund siebzig Prozent aller Frauen tragen es nie.
Muslime erbringen also große Integrationsleistungen. Gut so... Noch größere, wie etwa die auf mittlere Frist nötige Bildung eines »Islams in Deutschland« mit nationaler Repräsentanz und Großmoschee im Zentrum von Berlin, liegen noch vor ihnen. Doch ebenso ist der Staat gefragt: Er muss die Muslime mit den Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft gleichstellen; jedoch so, dass die Gemeinschaftsverfassung des Islams, die sich von der Mitgliederverfassung der Kirchen und der jüdischen Gemeinden unterscheidet, anerkannt wird. Dafür gilt es, kreativ neue Rechtsformen zu finden.
Verändert sich angesichts dieser Entwicklung der Islam selbst? Muslime, die nach Deutschland einwandern, machen zwei neue Glaubenserfahrungen. Dies kann Fromme und Konservative verstören. Aufgeschlossene werden dadurch ermutigt. In der Türkei, Pakistan oder in der arabischen Welt sind diese Glaubenserfahrungen nicht zu machen –höchstens beim Hadsch, der Wallfahrt nach Mekka.
Die erste Erfahrung: Der Islam in Deutschland ist eine Weltreligion - verwirrend vielgestaltig. Bei aller nationalen Verschiedenheit und Vielfalt der Traditionen: Bosnier, Marokkaner, Türken und Nigerianer - sie alle gehören zusammen als Anhänger des Islams. So jedenfalls sieht sie die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Dieses Eingeordnetwerden wirkt auf die Muslime zurück und verändert sie. Von den Muslimen aus gedacht: Die Erfahrung von internationaler Vielfalt in Gemeinsamkeit kann man in den einseitig vom Islam dominierten Ländern nicht machen, sondern einzig dort, wo Muslime neben »fremden« Muslimen und vielen Andersgläubigen leben und ihren Ort bestimmen müssen.
Die zweite neue Glaubenserfahrung: Muslime sind in der Minderheit - anders als in ihren Herkunftsstaaten. Die große Mehrheit der deutschen Gesellschaft und in ihr die Kirchen kochen zwar auch bloß mit Wasser - doch was die Caritas-Arbeit anbetrifft, sozialstaatliche Hilfen für Benachteiligte oder fördernde Bildungsangebote zur Chancengleichheit, steht dieses Land weitaus besser da als die islamischen Herkunftsländer. Diese Erfahrung nötigt zu dem, was bei den Katholiken seit dem muslim-freundlichen Papst Johannes XXIII., der von 1934 bis 1944 als Priester in der Türkei wirkte, Aggiornamento heißt: eigene Positionen kritisch prüfen, gemeinsam nachdenken und dann den balzo dinanzi wagen, den Sprung nach vorn.
Fazit: Ein erfolgversprechender Weg ist begonnen. Es kommt darauf an, dass Muslime und Mehrheitsgesellschaft ihn weitergehen. Von diesem Dialog darf niemand ausgeschlossen werden.
Die hier wiedergegebenen Ergebnisse einer Studie (Publik Forum Nr. 13/09, S.10) sind, für sich genommen, keine religiöse Aussage, sondern eine soziale Zustandsbeschreibung. Wir bringen sie trotzdem, weil sie dazu beitragen können, Ängste und Vorurteile abzubauen, und weil sie uns bewusst machen können, wie viel, was wir als selbstverständlich voraussetzen, für die Muslime schwierige Anpassung ist.
In der Juni-Ausgabe der »Warte« setzt sich Jörg Klingbeil kenntnisreich und grundsätzlich auseinander mit dem Problem eines Gottesbezugs in der Präambel unserer ansonsten nicht religiösen Verfassung und mit der Frage, ob ein solcher Bezug sich ausdrücken darf in einer Eidesformel, die sich auf einen gemeinsamen (?) Gott von Judentum, Christentum und Islam bezieht (Allah - der Gott des Grundgesetzes?).
Eine ausdrückliche Stellungnahme zu der gestellten Frage hat Jörg vermieden - es kam ihm auf die Frage an und auf die dahinter stehenden Probleme. Ich möchte dazu Stellung nehmen. Es ist meine persönliche Stellungnahme - aber die Frage betrifft auch die Tempelgesellschaft als Ganzes.
Meine erste spontane Reaktion auf die Zeitungsmeldungen über den Eid der Ministerin und ihre Erklärung dazu war Freude: Freude über das, was sie gesagt hat, und Freude darüber, dass eine Muslimin das öffentlich gesagt hat. Es widerlegt das gängige Bild des Islam als einer strengen Gesetzesreligion, die die Nichtgläubigen verurteilt. Diesen Islam gibt es, aber es gibt eben auch den ganz anderen, offenen. Die verschiedenen christlichen Reaktionen zeigten, dass das Gleiche auch für das Christentum gilt.
»Der eine und einzige Gott ist der Gott aller drei monotheistischen Religionen.« Für mich ist das selbstverständlich (heute - vor 20 Jahren habe ich das noch anders gesehen). Einmal aus historischen Gründen. Alle drei monotheistischen Religionen basieren auf der jüdischen Bibel, unserem Alten Testament. Bei Judentum und Christentum ist das offensichtlich. Das Alte Testament gehört ja auch zu unserer Bibel, unserem wichtigsten Glaubensdokument. Und der Islam anerkennt alle vorexilischen Propheten und Jesus als einen der wichtigsten noch dazu - sollte er gleichzeitig deren Gottesvorstellung ablehnen?
Wichtiger ist etwas anderes. Alle drei Religionen (mit Ausnahme ihrer jeweiligen wortgläubigen Minderheiten) betonen, dass Gott unendlich viel größer ist als wir ihn denken können. Wir können ihn nicht begreifen. Darum ist es müßig, sich darum zu streiten, wie Gott ist. Dieser allumfassende Gott kann nur einer und für alle derselbe sein.
Dagegen wurde geltend gemacht, die Gottesbilder seien doch ganz verschieden. Das stimmt. Aber wenn man genau hinsieht, so wird klar, dass diese verschiedenen, sich widersprechenden Gottesbilder sich vor allem innerhalb der jeweiligen Religion finden. Im Alten Testament steht der strafende, rächende Gott neben dem barmherzigen, verzeihenden. Im Neuen Testament steht zwar eindeutig das Gottesbild Jesu, das des liebenden Vaters, im Vordergrund. Aber erstens beziehen oder bezogen sich viele Christen bei Bedarf auf das Alte Testament, und zweitens: selbst in den Gleichnisssen Jesu, den wohl authentischsten Zeugnissen, straft oft »der Herr« diejenigen, die selbst nicht Liebe üben. Ähnlich werden im Koran den Ungläubigen und denen, die nicht bereuen, schwerste Strafen angedroht, aber den Gläubigen und den reuigen Sündern wird Vergebung verheißen. Die Akzente liegen jeweils anders, aber auch diese Akzente werden in jeder der Religionen von verschiedenen Gruppen verschieden gesetzt, haben sich in jeder im Laufe der Zeit verschoben.
Anders ist nicht der Gott, anders sind die Bilder, die wir uns von ihm machen. Wenn wir uns bewusst machen, dass auch unsere eigenen (christlichen) Bilder immer auch subjektiv bestimmt und wandelbar sind, kann uns das toleranter machen gegenüber denen der anderen.
Wir trauern um Professor Dr. Paul Sauer, Träger des Bundesverdienstkreuzes am Band, der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg, der Otto-Hirsch-Medaille, der Ehrenplakette der Stadt Stuttgart und Träger des Schillerpreises der Stadt Marbach, Ehrenbürger der Gemeinden Affalterbach und Tamm, Ehrenmitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der am 17. Juli kurz vor seinem 79. Geburtstag in Tamm gestorben ist.
Die Vielzahl der Ehrungen, mit denen Paul Sauer im Laufe seines Lebens ausgezeichnet worden ist, spiegeln sein überragendes Können in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit wider. Durch seine historischen Arbeiten und die daraus entstandenen mehr als 40 Bücher zur Zeitgeschichte im deutschen Südwesten des 18. bis 20. Jahrhunderts erlangte der hervorragende Kenner der Landesgeschichte und Historiker von Rang weit über die Grenzen unseres Heimatlandes hinaus große Anerkennung. Für ihn galt, Geschichte als verpflichtendes Erbe und als Mahnung in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit einzubringen und zu erhalten.
Hervorheben möchte ich seine fünfbändige Dokumentation »über die Verfolgung der jüdischen Bürger in Baden-Württemberg durch das Nationalsozialistische Regime 1933-1945«, die wohl zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählt und als wesentlicher Beitrag zur deutschen Vergangenheitsbewältigung gilt. 1962 beschlossen die Landesregierung unter Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger und der Landtag gemeinsam eine Dokumentationsstelle zu schaffen und diese dem Staatsarchiv Stuttgart anzugliedern. Der junge, erst 31 Jahre alte, Staatsarchivrat Dr. Paul Sauer wurde mit der Leitung der Forschungsstelle betraut. Schon 1966 konnte er umfangreiche Ergebnisse vorlegen, in einer Zeit, in der man noch immer nicht bereit war, über die düstere Vergangenheit zu sprechen. Paul Sauers Nachforschungen zum Holocaust förderten unverfälschtes Quellenmaterial hervor, das für die Auseinandersetzung über den Ungeist und das System des Nationalsozialismus von fundamentaler Bedeutung war.
Wie wichtig für Professor Sauer gerade diese Forschungsarbeit gewesen ist, lässt sich den Worten entnehmen, die er bei der Überreichung der Otto-Hirsch-Medaille im November 2000 äußerte: »Wir dürfen unsere Hände nicht in den Schoß legen, sondern müssen unsere ganze Kraft darauf verwenden, dass unsere Kinder und Enkel in einem freien Land leben können, ohne Hass und Unmenschlichkeit. Niemand darf mehr abseits stehen.«
Für sein Buch »Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus« war dem Autor 1977 der Schillerpreis der Stadt Marbach zuerkannt worden. Es ist müßig, für die große Leserschaft, die nach Paul Sauers Büchern greift, die ganze Palette der Themen aufzuschlagen, die sich u.a. mit den württembergischen Herrschern, den Königen und den Herzögen, mit der Stadtgeschichte unserer Landeshauptstadt und einzelnen Ortsgeschichten und dann auch mit verschiedenen Persönlichkeiten wie dem NS-Gauleiter Wilhelm Murr, Ministerpräsident Reinhold Maier und Stuttgarts erstem Nachkriegsbürgermeister Arnulf Klett befassen, um nur einige zu nennen. Paul Sauer verstand es, in seinen vielen Publikationen Geschichte lebendig werden zu lassen. Er hat die Protagonisten historisch sorgfältig erfasst und mit großem Einfühlungsvermögen dargestellt. Paul Sauers Fleiß war legendär, sein Wissen immens und sein Urteil unbestechlich.
Wer war dieser mit dem Ehrentitel »Professor« ausgezeichnete Dr. Paul Sauer?
Wir kannten ihn als zurückhaltenden, immer liebenswürdigen und hilfsbereiten Mann. Von großer Bescheidenheit geprägt, machte er von seiner Person kein großes Aufhebens. Im Gegenteil, er nahm einem die Scheu, ihn zu befragen, was ich vielfach getan habe. Immer nahm er sich Zeit, und die Antwortbriefe in der charakteristischen kleinen Handschrift sind für mich zu Kostbarkeiten geworden.
Paul Sauer wurde am 22. Juli 1931 in Wolfsölden, Gemeinde Affalterbach, als Sohn einer einfachen Landwirtsfamilie geboren, die ihm, nachdem sein Lehrer vorstellig geworden war, den Besuch des Gymnasiums ermöglichte. Nach dem Abitur in Ludwigsburg studierte er in Tübingen Geschichte, Deutsch, Englisch und Philosophie. Mit einer Arbeit über »Das Württembergische Heer in der Zeit des Deutschen und des Norddeutschen Bundes« promovierte er 1956 in Freiburg. Paul Sauer legte zwar die Staatsprüfung für das höhere Lehramt ab, zog es aber vor, statt in die Schule in den Archivdienst zu gehen. Seit 1962 war er im Hauptstaatsarchiv Stuttgart tätig, zu dessen stellvertretendem Direktor er 1979 ernannt wurde.
1986 übernahm Prof. Dr. Paul Sauer das Stadtarchiv Stuttgart. Seinen Wünschen nach weiteren Mitarbeitern und seinen Vorstellungen nach einem größeren Haus konnte die Stadt Stuttgart aus finanziellen Gründen damals nicht entsprechen. So blieb es bei beengten Räumlichkeiten in der Silberburgstraße, in angemieteten Nachbargebäuden und an weiteren Stellen im Stadtgebiet. Gerne hätte der Archivdirektor Sauer einen Archivneubau, wie er jetzt in Bad Cannstatt im Entstehen ist, selbst noch konzipiert. Trotzdem hat Professor Sauer dem Stuttgarter Archiv in ganz besonderer Weise seinen Stempel aufgedrückt und neben der Arbeit noch Zeit zu eigenen Forschungsaufgaben aufgebracht, die auch in den oben genannten Werken ihren Niederschlag gefunden haben.
Für uns Templer war es ein Glücksfall, dass sich Professor Sauer mit der Geschichte der Tempelgesellschaft befasst hat. Zwei Umständen ist dies zu verdanken: zum einen, dass es Ludwig Beilharz sen. gelungen ist, den bekannten Heimatforscher und Landeshistoriker zu bewegen, die »Beilharz-Chronik« zu verfassen, die 1975 erschienen ist. - Und zweitens, dass Paul Sauer im Nachbarort des Kirschenhardthof geboren wurde, er also mit den Geschichten um die Templer und die Jerusalemsfreunde von Kindheit an vertraut gewesen ist.
In einem Antwortschreiben anlässlich seines 65. Geburtstags formulierte er: »Wie Sie wissen, haben mich die Templer schon immer in ihren Bann gezogen, ihr Weg und ihr Schicksal ... lebhaft interessiert. Ich bin deshalb dankbar, dass ich vor allem durch das ungewöhnliche Engagement von Herrn Ludwig Beilharz (1903-1994) für die Geschichtsschreibung seiner Gemeinschaft die Chance erhielt, die Geschichte der Tempelgesellschaft zu erforschen. Wenige Arbeiten haben mich so sehr wie das Buch "Uns rief das Heilige Land" befriedigt. Dass mein Buch im Kreis der Templer in Deutschland und Australien eine ausgesprochen positive Resonanz fand, obwohl ich auch manches, vor allem in den Ohren der älteren Generation, nicht sonderlich angenehm Klingendes sagen musste, hat mich dann doch noch ganz besonders gefreut.«
Die Templerchronik »Uns rief das Heilige Land« erschien 1985 und wird von uns ganz einfach "der Sauer" genannt, in den man zuerst schaut, wenn historische Fragen an das Archiv gestellt werden.
Die Zusammenfassung dieses Buches, die Paul Sauer als Vortrag nutzte, durften wir mit seiner großzügigen Erlaubnis publizieren und als Informationsschrift verteilen: »Vom Land um den Asperg im Namen Gottes nach Palästina und Australien.«
»Mit der Tempelgesellschaft fühle ich mich nach wie vor eng verbunden. Die "Warte" gehört zu den Zeitschriften, die ich regelmäßig lese.«
Uns wird der Professor jetzt fehlen. Wir trauern mit seiner Frau Gerlinde Sauer, ihren Kindern und dem Enkelkind.