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Das ist der Titel eines Artikels in der Zeitschrift Publik Forum (Nr. 17, Sept. 09, S. 38), der sich mit dem Phänomen befasst, dass sich heute immer mehr Menschen ihre eigene Religiosität aus den Lehren und Angeboten verschiedener Religionen zusammenbrauen; ich selbst kenne einige Beispiele.
Am Anfang steht die Beschreibung einer konkreten Situation, man denkt: als Beispiel - aber dann wird nicht klar, was dieses Beispiel mit dem Thema zu tun hat; ich komme darauf später zurück.
Zunächst der Hauptteil des Artikels, mit einigen Auslassungen und Kürzungen:
Der amerikanische Soziologe Thomas Luckmann hat schon in den 1960er-Jahren die Tendenz beschrieben, dass Menschen sich aus verschiedenen Religionen herauspicken, was ihnen nach eigener Überzeugung zusagt. Er nennt das Patchwork-Religiosität.
Wer sich heute die eigene Frömmigkeit aus Elementen verschiedener Religionen, Lehren und therapeutischer Richtungen zusammenstellt, steht nicht als Exot da. Von der Kraft eines Rosenquarz-Steines in der Trinkwasser-Karaffe überzeugt zu sein, sich als Christ zu verstehen, Zen zu praktizieren und gleichzeitig an Reinkarnation zu glauben - das geht für immer mehr Menschen zusammen.
Aus buddhistischen, hinduistischen und schamanischen Bausteinen etwa hat die Schweizerin Susanna Maeder Iten ihre persönliche Religiosität zusammengefügt. In aller Frühe vollzieht sie ein Ritual, das seinen Ursprung in der Mongolei hat: Vom Balkon wirft sie aus einem kleinen Schälchen Milch in den Himmel, "um den Tag zu begrüßen und zu segnen." Dann geht sie spazieren zusammen mit ihrem Hund. "Im Gehen verbinde ich mich mit der Natur." Die 39-jährige Sängerin, Chorleiterin und Stimmtrainerin aus Bubikon sagt von sich selbst: »Ich habe mein eigenes Glaubenssammelsurium.« Mit ihren rituellen Chören singt sie indianische Liedrufe, indische Mantras und Taizé-Gesänge. »Es geht mir um die Essenz, die hinter allen Religionen steht. Die Musik ist für mich eine wichtige Quelle, mich damit zu verbinden.« Aufgewachsen ist sie in der katholischen Kirche, die sie jedoch im Alter von zwanzig Jahren entschieden verlassen hat; das war zur Zeit des Ultrakonservativen Bischofs Haas in Chur. Noch immer versteht sie sich als "Frau mit klar christlichen Wurzeln". Auch deshalb haben sie und ihr Mann, der als praktizierender Buddhist Mitglied der reformierten Landeskirche geblieben ist, ihre Töchter reformiert taufen lassen. »Damit sie unsere christliche Kultur kennen lernen«, begründet Susanna Maeder. Abends betet sie mit beiden das Vaterunser, "in nur leicht abgewandelter Form".
Während Bischöfe und Weltanschauungsbeauftragte das Phänomen Patchwork-Religiosität skeptisch beäugen, beurteilt Eugen Drewermann diesen Trend positiv: »Was wir derzeit erleben, ist geistesgeschichtlich unvermeidbar. Die Welt wächst zusammen. Insofern ist nur richtig, dass eine Menschheit, die zusammenwächst, die verschiedenen Ströme auch zusammenführt«, sagt der Theologe und Psychotherapeut.
Neben dem Zusammenrücken der Kulturen und Religionen sieht er auch in der Unzufriedenheit vieler Menschen mit dem von der Amtskirche repräsentierten Glauben einen Grund fürs "religiöse Selbermachen". »Religion muss die Seele der Menschen berühren, die verwaltete christliche Religionsform im Abendland integriert nicht den Einzelnen, sie spricht nicht das Gefühl des Einzelnen an, sie hat eine Theologie, die verkopft ist, sie hat eine Dogmatik, die fundamentalistisch objektivistisch ist, sie verwaltet ihre Sakramente, dass es jedem - selbst gutwilligen Jugendlichen - zur Langeweile gerät.« ...
Die evangelische Theologin und Leiterin eines Dominikanischen Studienzentrums (!) Manuela Kalsky hat Frauen aus verschiedenen Religionen zu diesem Thema befragt.
Dabei beobachtete sie, dass einige die unterschiedlichen Elemente ihrer Religiosität - etwa buddhistisch-christlich oder jüdisch-sufistisch - nicht fein säuberlich nebeneinander praktizieren, sondern miteinander verweben und vermischen. Die Theologin nennt das eine "funktionale Vermengung". »Es wird geprüft und das, was dem eigenen Leben Richtung und Wert vermittelt, wird in das alltägliche Leben integriert«, sagt Kalsky.
Führt eine solche individuell zusammengebastelte Religiosität aber auch in die Tiefe? Bleibt nicht, wer sich nur Sahnehäubchen heraussucht, an der Oberfläche, ohne jemals den vollen Geschmack der Weisheit und Kraft einer religiösen Tradition zu verkosten? Und weicht er nicht der Auseinandersetzung mit schwierigen Anteilen aus, sondern sucht eher Bestätigung der eigenen Person und der individuellen Ansichten, nie aber Konfrontation mit dem ganz Anderen?
Der katholische Theologe Johann Baptist Metz formulierte einmal: »Die kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung.« Religion sieht er nicht als Bestätigung bestehender Verhältnisse, sondern als Quelle des kritischen Bewusstseins: sich niemals abzufinden mit dem, was ist. Hat Patchwork-Religiosität das Zeug zu dieser Kritik?
Soweit der theoretische Teil des Texts. Ich komme zurück auf das anfängliche, scheinbar unpassende Beispiel. Es ist den Autoren (Peter Otten, Barbara Tambour) offenbar so wichtig, dass sie es, in zwei Teilen, an den Anfang und das Ende ihres Texts gesetzt haben. Ich gebe es gekürzt wieder, an einigen Stellen in meinen eigenen Worten.
Firmvorbereitung in einer Kölner Pfarrei. Nicht gerade die vornehmste Gegend, ein ehemaliges Arbeiterviertel mit vielen sozialen Problemen: zerbrochene Familien, hohe Arbeitslosigkeit, vielfache Verschuldung, hoher Ausländeranteil. Da kommt der liebe Gott in der Rangfolge der Dinge, die erledigt werden müssen, erst ziemlich weit hinten. Zur Firmung gehört hier auch eine "Mitwohn-Woche": Alle Firmanden leben eine Woche lang in den Räumen der Pfarrei in einer Art Wohngemeinschaft zusammen, ausdrücklich während der Schulzeit, denn es soll keine Ferienatmosphäre herrschen, sondern Alltag: »Gott hat was mit deinem Leben zu tun!« heißt die Botschaft.
Alltag und Gott - Leben und Glauben sind für die meisten keine ineinander verwobenen Stränge mehr, sondern zwei unterschiedliche Fäden. Und jeder bestimmt selbst, ob und wie diese Fäden miteinander verwoben werden. Ein vorgegebenes Teppichmuster, das die eigene Rolle in Familie, Beruf und Kirche von Geburt an vorgibt und zuweist, gibt es nicht mehr. "Individualisierungsschub" nennen Soziologen dies. Es bedeutet: Jede und jeder bestimmt das Muster des eigenen Lebensteppichs selbst.
Am ersten Tag der "Mitwohn-Woche" verabschieden sich 35 Jugendliche am frühen Morgen in die Schule, ins Praktikum, ein paar auch zur Arbeit. Bis auf Marcel und Sebastian. Die bleiben zurück: »Wir haben nichts, wo wir hingehen können«, sagen sie. Schulzeit abgebrochen. Ausbildungsplatz nicht bekommen. Wo steckt Gott in diesem Leben?
»Wir können die Jugendlichen nicht über einen abstrakten Gott belehren«, sagt Pfarrer Dirk Bingener. »Die Jugendlichen müssen einen Gott erfahren, der sich mit ihnen solidarisiert und dort vorkommt, wo ihre Hauptangst steckt: keinen Platz im Leben zu haben«, sagt Pfarrer Bingener.
Seinen Platz im Leben zu finden ist heute einfach und schwierig zugleich. Einfacher als früher, weil junge Leute heute auswählen und entscheiden können, wie sie leben wollen. Schwieriger, weil diese Entscheidungen ständig getroffen werden und dann auch noch zur harten Realität von Schulabschlüssen und Arbeitsmarkt passen müssen. Vorgelebte Lebenskonzepte - beispielsweise durch Familie oder Freunde -, in die sie mehr oder weniger selbstverständlich einsteigen können, finden Jugendliche immer seltener.
Das ist der erste Teil. Es wird wenig gesagt darüber, was außer dem Alltag in dieser Woche geschieht. Anscheinend wenig oder kein biblischer oder kirchlicher Unterricht. Wörtlich: "Religiöses Basiswissen fehlt vielen. Biblische Geschichten sind oft unbekannt. Macht nichts." Sicher an den Abenden intensive Gespräche, einzeln oder in der Gruppe.
Es ist die gleiche Sehnsucht, die sie verbindet, nach einem Leben, das gelingt, und Bildern und Vorbildern, die zeigen, wie das gehen könnte. Freundschaft, Verlässlichkeit, Respekt, Geborgenheit sind wiederkehrende Themen. Und der Wunsch nach Gott, der das letztlich garantiert. »Die Sehnsucht danach ist bei allen da. Sie äußert sich allerdings unterschiedlich. Unsere Verantwortung als Christen ist es, diese Sehnsucht zur Sprache zu bringen und zu einer Art Lebensteppich zu verdichten, dass Jugendliche Erfahrungen machen können, die unbedingt tragen«, sagt Pfarrer Bingener.
Der zweite Teil bildet den Schluss des Artikels.
Zurück nach Köln in die Wohngemeinschaft der Firmlinge. Es ist Abend. Die Firmlinge haben sich in der Kirche versammelt und im gesamten Raum verteilt. Kerzen schimmern im Dunkeln. Leise Musik. Sie beten. Sebastian, der am Anfang der Woche nicht wusste, wohin, traut sich noch einen letzten Versuch zu, einen Abschluss zu machen, und besucht wieder die Schule. Marcel hat mithilfe der Katecheten einen Ausbildungsplatz als Handelsfachpacker bekommen. ... Marcel und Sebastian haben in einer für sie schwierigen Lebenssituation erfahren, dass sie nicht allein gelassen werden. Ein kleiner, aber bedeutsamer Flicken in ihrem Patchwork-Leben.
Ich denke, dieser Schluss macht deutlich, was das Beispiel mit dem Thema zu tun hat - auch wenn Eltern, die ihre Kinder zur Firmung schicken, wohl keine Vertreter von Patchwork-Religion sind. Es macht die Frage eindringlich, die auch hinter dem ganzen Artikel steht: Was bedeutet uns Religion? Was soll sie bewirken? Dass der Einzelne nicht nur einen Platz, sondern einen inneren Halt im Leben findet? Vor allem Veränderung (Johann Baptist Metz)? Ist Tradition dabei hinderlich oder förderlich (das Schweizer Ehepaar)? Ist Patchwork-Religion etwas Gutes oder nicht? Die Autoren geben keine Antwort. Ihre Beispiele deuten an, nicht eine, sondern verschiedene, sich widersprechende. Ich denke, es lohnt sich, darüber nachzudenken und es wäre schön, wenn einige unserer Leser uns ihre Meinung dazu mitteilen würden.
Kommunen wollen die Versorgung mit Strom, Gas, Wasser und Gas wieder selbst in die Hand nehmen. Nach den verheerenden Erfahrungen mit Privatisierungen von Stadtwerken und städtischen Dienstleistungen für Verbraucher und die öffentliche Hand geht der Trend jetzt wieder in die entgegengesetzte Richtung. Und die Kommunen könnten mit ihrer Strategie Erfolg haben. Der Konzern e.on will seine hundertprozentige Tochter Thüga für 2,9 Milliarden Euro an die kommunalen Verbände Kom9 und Integra verkaufen. Doch damit nicht genug: Engagierte Bürger sammeln Kapital, um sich selbst an der Thüga zu beteiligen.
Als Aktiengesellschaft ist Thüga derzeit an rund neunzig Stadtwerken in ganz Deutschland beteiligt, die unter anderem 3,5 Millionen Strom- und 2,9 Millionen Erdgaskunden versorgen. Integra und Kom9, Bündnisse aus rund sechzig kommunalen Versorgern, wollen die Thüga kaufen. Zu ihnen gehören gewichtige Städte wie Frankfurt am Main, Freiburg oder Würzburg. Die notwendigen Kredite sollen von Commerzbank, Sparkassen sowie Landesbanken kommen.
Engagierte Bürger, vor allem aus dem Raum Freiburg, finden die Bereitschaft der Kommunen, die Daseinsvorsorge wieder in die öffentliche Hand zu nehmen, zwar positiv. Das allein garantiert in ihren Augen aber noch keine wirklich nachhaltige und ökologische Energieversorgung. »Manche von den Stadtwerken sind relativ weit von den Bürgern entfernt«, kritisiert Burghard Flieger von der Genossenschaft Energie in Bürgerhand e.G. Deshalb will die Initiative, dass sich engagierte Bürger mit Anteilen an Thüga beteiligen, um Einfluss zu nehmen. Die rund 1.700 Mitstreiter der Genossenschaft werden dazu Ende August bereits Einlagen und Zusagen in Höhe von zwanzig Millionen Euro gesammelt haben. Die Mindesteinlage liegt bei 500 Euro. Ziel ist eine Thüga, die den Bürgern gehört, ein ökologisch und sozial verträglicher Energiekonzern in Bürgerhand.
Die Frage ist allerdings, wie die Bürger bei den Riesensummen, die im Spiel sind, echtes Gewicht erlangen können. »Wir wollen verstärkt mit den Kommunen kooperieren, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben«, erläutert Burghard Flieger.
Dazu gehöre vor allem die Stadt Freiburg mit ihrem Versorger Badenova, der bereits Interesse an einer Zusammenarbeit geäußert habe. Darüber hinaus will die Genossenschaft »die Akzeptanz von Bürgern in den Kommunen gewinnen, die an Thüga beteiligt sein werden«, so Flieger.
Claudia Mende in Publik Forum Nr. 16, 2009, S. 23
Der zitierte Beitrag stand im August im Publik Forum. Die Aktion wurde weitergeführt, da sich so viele daran beteiligt hatten: bis 31. Oktober war der Zusagenstand von mehr als 4.000 Einzahlern bei 21.309.660,01 Euro.
Seit Oktober ist » Energie in Bürgerhand« (EiB) als Genossenschaft eingetragen und wurde in der Kategorie »Organisationen« zum Utopia Award nominiert.
Wohl einem damaligen Brauch entsprechend erwarten bei anbrechender Dunkelheit zehn Jungfrauen mit Öllampen den Bräutigam, um ihn eine kurze Strecke zum Haus der Braut, zum Hochzeitsfest zu begleiten. Der Bräutigam verspätet sich um mehrere Stunden, die Mädchen schlafen ein, die Lampen brennen aus. Nur fünf von ihnen, die "klugen", haben Öl zum Nachfüllen mitgebracht, die anderen, die "törichten", nicht. Als sie erwachen, bitten diese die Klugen, ihnen von ihrem Öl abzugeben, ohne Erfolg. Also gehen sie, frisches Öl zu holen, aber als sie zurückkommen, hat das Fest begonnen. Die Türe ist geschlossen, und als sie anklopfen, kommt zwar der Bräutigam, aber nur, um sie abzuweisen: »Ich kenne euch nicht.« Und Matthäus fasst "die Moral von der Geschicht" zusammen: »Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.«
Das Gleichnis steht, zusammen mit zwei anderen, zwischen einer Rede Jesu über die "große Bedrängnis" zu Beginn des Weltuntergangs und einer über das Weltgericht. Das macht die Bedeutung dieses Schlusssatzes klar.
An beides glauben wir nicht mehr. Aber das "Tag und Stunde" lässt sich problemlos auch auf den eigenen Tod beziehen und das "Wachet!" ist sowieso symbolisch gemeint: lebt euer Leben in Verantwortung vor Gott, so, als ob ihr schon morgen darüber Rechenschaft geben müsstet. Und das ist eine Mahnung, die auch uns heute noch angeht.
Trotzdem befriedigt dieses Gleichnis mich nicht; denn ich sehe in allen Details einen Widerspruch zur Lehre Jesu. Die Schuld der Törichten besteht darin, dass sie nicht für einen unwahrscheinlichen Fall vorgesorgt haben. Aber Jesus hat gelehrt, dass man sich nicht unnötige Sorgen machen, sondern auf die Hilfe Gottes vertrauen solle.
Die Törichten bitten ihre Gefährtinnen um Hilfe. Aber diese Klugen, die Guten, die nachher problemlos eingelassen werden, verweigern sie - im krassen Gegensatz zu Jesu Grundforderung, die Not des Nächsten so ernst zu nehmen wie die eigene.
Und als die Törichten mit ihrem neuen Öl zurückkommen, wird das gnadenlose "Ich kenne dich nicht" Jesus, dem Bräutigam, in den Mund gelegt - Jesus, der uns gelehrt hat, dass Gott auch und gerade die Sünder annimmt, wenn sie nur umkehren wollen. Und die törichten Jungfrauen hatten sich ja alle Mühe gegeben, ihren Fehler wieder gutzumachen.
Deshalb erscheint es mir unwahrscheinlich, dass das Gleichnis in dieser Form von Jesus stammt. Vielleicht lag ein ursprüngliches Jesus-Gleichnis zugrunde, und Matthäus hat es umgeformt zu dem, was er seiner Gemeinde sagen wollte. Das wird deutlich, wenn man die historische Situation bedenkt: Die frühen Christengemeinden lebten auch 40 Jahre nach Jesu Tod noch in der Naherwartung: er würde wiederkehren und sein Reich aufrichten. Das Hochzeitsfest ist das Bild dafür: die Vereinigung mit seiner Gemeinde. Dann stehen die Jungfrauen nicht für gute und böse Einzelne, sondern für Gläubige, die Gemeinde einerseits, und für Nichtgläubige andrerseits, konkret: für die Juden. Sie waren ursprünglich als "Brautjungfern" mit ausersehen, aber sie haben den Bräutigam nicht erkannt, nicht anerkannt, sich nicht auf sein Kommen vorbereitet. Und deshalb bleiben sie jetzt zwangsläufig ausgeschlossen.
So ist das Gleichnis schlüssig. Zugleich wird so aber noch deutlicher, dass es uns nicht betrifft, weder in seiner Kernaussage und noch in seinen Details. In einer anderen Hinsicht betrifft es uns aber sehr wohl: es zeigt, wie schnell und quasi unbemerkt aus einer Botschaft der Liebe und des Vertrauens eine Lehre der Ausgrenzung werden kann: wir sind die Auserwählten, die Geladenen, weil wir den wahren Glauben haben, und ihr, die ihr ihn nicht habt, seid die Ausgestoßenen. Dieses Ausgrenzen war nicht die Sache Jesu, der mit Heiden umging und Zöllner (wir würden sagen: Kollaborateure) in die Nachfolge berief. Gerade diese Offenheit war ein wesentlicher Teil des Neuen an seiner Botschaft. Aber schon seine frühesten Anhänger, alle Autoren des Neuen Testaments, sind ihm in diesem Punkt nicht oder nur sehr bedingt gefolgt. Deshalb müssen wir all diese Texte kritisch lesen, prüfen, was darin vom Geiste Jesu ist und was nicht.
Schon seit 2002 arbeitet eine Arbeitsgruppe des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins (dbv) an Entwürfen für eine Kirchensteuerreform und hat diese in dem Buch »Abschied von der Kirchensteuer« auch schon der Öffentlichkeit vorgestellt. Bekanntlich besteht seit Längerem bei vielen Zeitgenossen ein Unbehagen darüber, dass hierzulande der Staat ein Erfüllungsgehilfe der Großkirchen ist, indem er über seine Finanzämter eine vom Einkommen des Bürgers abhängige Kirchensteuer einzieht. Dies verträgt sich im Grunde nicht mit der Neutralität des Staates, die er hinsichtlich der religiösen Ausrichtung seiner Bürger einnehmen sollte. Der behördliche Einzug der Kirchensteuer benachteiligt auch diejenigen Kirchen und Religionsgemeinschaften, die nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangt haben, wie das beispielsweise bei der Tempelgesellschaft in Deutschland der Fall ist. Sie müssen sich aus eigener Kraft finanzieren.
Über Sinn und Zweckmäßigkeit der staatlich eingetriebenen Kirchensteuer ist deshalb in der Vergangenheit schon viel diskutiert worden. Vor allem die Großkirchen haben sich dabei vehement gegen eine Abschaffung dieses Systems gewandt. Mit Recht weisen sie darauf hin, dass sie Träger vieler Einrichtungen des Gemeinwohls der Bürger und Bürgerinnen sind (wie Kindergärten, Tagesstätten, Senioren- und Behindertenheime, Akademien, Nachbarschaftshilfen), die sonst von staatlicher Seite eingerichtet werden müssten und für deren Betrieb feste einplanbare Einkünfte unerlässlich sind. Sie befürchten, dass ein Wegfall der staatlich eingezogenen Kirchensteuer diese Einkünfte gefährden würde. Andererseits wird geltend gemacht, dass ein System freiwilliger Kirchenabgaben der Bürger eine zu große Abhängigkeit von zahlungskräftigen Mitgliedern oder von deren besonderen Wünschen und Vorstellungen mit sich bringen würde.
Trotz des durch die wirtschaftliche Rezession und die zunehmenden Kirchenaustritte bedingten Rückgangs der Kirchensteuer-Einnahmen hat das Thema "Kirchensteuerreform" in letzter Zeit sonderbarerweise nicht mehr im Vordergrund öffentlicher Diskussion gestanden. Dafür gab es aber Ärgernis bei etlichen Bürgern, die an der automatischen Verknüpfung der Taufe mit dem Eintritt in die Institution Kirche Anstoß nahmen und eine Kirchensteuerzahlung kategorisch ablehnten. Sie vertraten die Ansicht, dass man nicht "automatisch", sondern nur durch eigene Willensbekundung, Kirchenmitglied werden könne (wie es z.B. bei uns der Fall ist).
Diesen Einwänden will die Arbeitsgruppe des dbv mit einem Reform-Modell begegnen, dem mehrere Voraussetzungen zugrunde liegen - nämlich dass, erstens, zwischen Taufe und Zugehörigkeit zu einer Kirche als Körperschaft unterschieden wird; dass, zweitens, die neue Form der Kirchenfinanzierung eine gesunde und stabile Basis für die soziale Arbeit und personelle Ausstattung der Kirchen darstellt; und dass, drittens, jede Änderung einen langen Prozess der Umstellung und des Mentalitätswandels bedeutet.
Die Einkünfte aller Kirchen und Gemeinschaften sollten nach Meinung der Arbeitsgruppe auf "drei Säulen" ruhen: 1. auf freiwilligen Spenden, 2. auf verpflichtenden Mitgliedsbeiträgen, und 3. auf Gutscheinen aus einem staatlichen Bürgerhaushalt. Nach diesem Modell würde die Bundesregierung in jedem Haushaltsplan einen "Bürgerhaushalt" einplanen. Zuständige Stellen würden jährlich im Auftrag des Bundes auf den Namen der Bürger ausgestellte und nur an gemeinnützige Institutionen übertragbare "Bürgergutscheine" ausgeben. Die wahlberechtigten Bürger und Bürgerinnen hätten die freie Wahl, diese Gutscheine an die von ihnen favorisierten religiösen Institutionen weiterzugeben, die diese dann beim Finanzamt zu Lasten des Bürgerhaushalts einlösen könnten.
Die Vorteile dieser Finanzierungsart wären eine Stärkung der Solidarität und des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl sowie ein persönlicher Kontakt zwischen Zuwendern und Empfängern. Unverändert bestehen bleiben sollten auch nach diesem Plan Einnahmen aus kirchlichem Kapital- oder Grundvermögen sowie Hilfsleistungen und Subventionen aus Steuermitteln von Bund, Ländern und Gemeinden an Empfänger außerhalb des staatlichen Bereichs.
Wenn wir den Fall unserer TGD einmal betrachten, die als kleinere Religionsgemeinschaft schon immer auf Eigenfinanzierung angewiesen war, so ruhten unsere Einnahmen bisher vor allem auf den Säulen 1 und 2 sowie auf Erträgen des über viele Generationen hinweg angesammelten Vermögens. Die Übertragung von Bürgergutscheinen auf die TGD hätte vermutlich nicht nur einen geringen Erfolg, denn es gibt nach unseren Unterlagen zahlreiche "Templerfreunde", die sicher bereit wären, uns mit Gutscheinen für besondere Projekte und Vorhaben zu unterstützen, aber nach unserer Erfahrung aus den unterschiedlichsten Beweggründen nicht eingeschriebene Mitglieder werden wollen.
Die Annahme, dass bei Wegfall der staatlichen Kirchensteuer eine zu geringe Spendenbereitschaft für religiöse und kirchliche Aufgaben vorhanden wäre, können wir nicht teilen. Jedenfalls ist die TGD auch bei geringem Mitgliederbestand über jetzt 60 Jahre hinweg finanziell ganz ordentlich "über die Runden gekommen". Wir können sogar feststellen, dass auch eine etwas rückläufige Mitgliederzahl die Spenden- und Beitragseinnahmen nicht gemindert hat.
Es kommt im Allgemeinen nur darauf an, wie gut und eindringlich solche Aufgaben dem Bürger vor Augen geführt werden. Viele Hilfsorganisationen, die regelmäßig über ihre Projekte berichten und Rechenschaft darüber ablegen, können über mangelnde Spendenbereitschaft nicht klagen. Aber jede Berichterstattung macht Arbeit und bereitet Aufwand. Doch sollte die Bereitschaft dazu jedem Kirchenvorstand oder Gemeindeleiter ein selbstverständliches Anliegen sein.