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Gekürzte Fassung des Vortrags, den Prof. Dr. Werner Zager im Rahmen des Regionaltreffens des Bundes für Freies Christentum am 27. März 2010 im Gemeindehaus gehalten hat.
Die Evangelien des Neuen Testaments vermitteln uns einen deutlichen Eindruck von der starken Bewegung, die Jesus vor allem in der Zeit seiner galiläischen Wirksamkeit im jüdischen Volk auslöste. Aber dieses ihn umdrängende und hinter ihm herziehende Volk ist noch nicht seine Jüngerschaft. Hinterherziehen bedeutet noch nicht Nachfolge.
Ein enges Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern gibt es auch sonst im Judentum. Ein gefeierter Rabbi hat Schüler um sich, die von ihm in das Verständnis der Thora eingeführt werden, ihn begleiten und zur Dienstleistung gegenüber dem Lehrer verpflichtet sind. So wie die Begriffe »Rabbi«, »Lehrer«, »Meister« entstammen auch die neutestamentlichen Begriffe »Jünger« (das heißt Schüler) und »Nachfolgen« dem jüdischen Sprachschatz. Nicht zufällig hören wir gelegentlich auch von den »Jüngern« der Pharisäer (Mt 22,16).
Was unterscheidet nun Jesu Jünger von den Rabbinerschülern? Nirgends wird berichtet, dass Jesus die Jünger nach Art jüdischer Lehrer in einen besonderen Gesetzesunterricht nimmt und sie zu Vertretern einer innerjüdischen Schulrichtung macht.
Vor allem ist ihre Jüngerschaft nicht ein Durchgangsstadium, das mit ihrem eigenen selbständigen Lehrersein endet.
Dagegen trifft als Unterscheidungsmerkmal wohl nur bedingt zu, dass Jesu Jünger nicht durch freien Entschluss seine Jünger werden, sondern durch Jesu »Berufung«.
Zwar berief Jesus nach den typisierten Berufungsgeschichten in Mk 1,16-20 parr. junge Männer unmittelbar aus ihrem bürgerlichen Leben in die Nachfolge. An der genannten Markus-Stelle werden die beiden Brüderpaare Simon und Andreas sowie Jakobus und Johannes erwähnt, die vor ihrer Berufung als Fischer arbeiteten. Das liest sich aber in Joh 1,35-51 etwas anders: Jünger von Johannes dem Täufer, also solche Personen, die schon die bürgerliche Existenz aufgegeben hatten, fanden selbst zu Jesus und sorgten für weitere Nachfolger. Beides mag es im Einzelfall, der nicht mehr erfassbar ist, gegeben haben. Schon die Johannesjünger sind nicht mehr »Schüler« im schulmäßigen Sinn, sondern die Anhänger der von Johannes entfachten Bewegung. Wie Jesus selbst aus ihr hervorgegangen ist, sind auch Jünger aus der Gefolgschaft des Täufers zu ihm übergegangen (Joh 1,35 ff.; vgl. auch Apg 19,1 ff.). Aber auch dieses kam wohl vor: Persönliche Wünsche, in die Nachfolge einzutreten, wurden zurückgewiesen (Mt 8,18-22 par.), oder die Nachfolge kam wegen zu hoher Anforderungen nicht zustande (Mk 10,17 ff. parr.: Die Frage eines Reichen nach dem ewigen Leben).
Der Jüngerkreis ist keineswegs auf die Zwölf beschränkt. Diese Einengung des Begriffs »Jünger« geschieht erst im Verlauf der Überlieferung. Ursprünglich ist er viel weiter gefasst. Gleichwohl sind damit nicht alle aus dem Volk gemeint, die Jesu Wort hören, von ihm ergriffen und geheilt worden sind oder wie die Menge sonst hinter ihm herziehen. Jüngerschaft bedeutet Entscheidung, Jesu Entscheidung über bestimmte Menschen, aber dann nicht minder auch ihre Entscheidung für ihn. Sie besteht höchst konkret in der Entschlossenheit, alles hinter sich zu lassen und - zunächst in einem ganz wörtlichen Sinn - mit Jesus zu ziehen, von Ort zu Ort.
Was solche »Nachfolge« erfordert, will zuvor genau bedacht sein. Das muss sich der Mann sagen lassen, der in Jesu Nachfolge treten will und zur Antwort bekommt: »Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, aber der Menschensohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege« (Mt 8,20). Nicht anders warnt vor einer unbedachten Bereitschaft zur Nachfolge das Doppelgleichnis:
»Wer von euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob er genug habe zur Ausführung? Damit nicht etwa, wenn er den Grund gelegt hat und es nicht zu vollenden vermag, alle Zuschauer anfangen über ihn zu spotten: dieser Mensch fing an zu bauen und vermochte es nicht zu vollenden!
Oder welcher König, der ausziehen will, um mit einem anderen König Krieg zu führen, wird sich nicht zuerst hinsetzen und Rat halten, ob er imstande sei, mit zehntausend gegen den anzutreten, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Wenn aber nicht, so schickt er, während jener noch fern ist, eine Gesandtschaft und bittet um Frieden. So nun kann keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er hat, mein Jünger sein« (Lk 14,28-33).
»Wenn jemand zu mir kommt und nicht seinen Vater und seine Mutter und seine Frau und seine Kinder und seine Brüder und seine Schwestern, ja auch sein Leben hasst, der kann nicht mein Jünger sein. [griech. misein = »hassen« ist hier nicht emotional zu verstehen, sondern im Sinne einer entschiedenen Nachordnung, also: »geringschätzen«.] Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, kann nicht mein Jünger sein« (Lk 14,26 f.).
Alle diese Worte sind von äußerster Schärfe, sie fordern das Letzte. Einer, der ihm nachfolgen will, aber erst seinen Vater begraben möchte, bekommt die Antwort: »Folge mir nach und lass die Toten ihre Toten begraben!« Einem anderen, der erst von den Seinen Abschied nehmen möchte, gilt das Wort: »Wer die Hand an den Pflug legt und rückwärts schaut, der taugt nicht für die Gottesherrschaft!« (Lk 9,59-62).
Jesus richtete diese Forderung nicht an alle. Andere ließ er in ihrem Lebenskreis zurück, ohne sie aus Heimat, Beruf und Familie zu lösen. Sie werden darum nicht als die Unentschlossenen und Halben getadelt und von der Gottesherrschaft ausgeschlossen. Nirgends wird die Jüngerschaft in diesem Sinne exklusiv gegen sie abgegrenzt. Gerade solchen Tendenzen scheint das Wort zu wehren: »Wer nicht wider uns ist, ist für uns« (Mk 9,40). [Die negative Fassung in Lk 11,23 par. Mt 12,30 - »Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut« - fordert die unbedingte Entschlossenheit für die Sache Jesu.]
Den Auftrag der Jünger spricht deutlich das Wort aus, mit dem Jesus sie aus ihrem Fischerhandwerk herausruft: »Ich will euch zu Menschenfischern machen!« (Mk 1,17; vgl. Lk 5,10), ein Wort, das wie so oft in seiner Drastik überrascht. Denn »Menschen fangen« ist in der profanen Sprache - im Jüdischen wie im Griechischen - ein derbes, zuweilen abfällig gebrauchtes Wort, wie auch wir sagen können: einen Menschen einfangen, ihn angeln. Man wird auch in Jesu Wort das Derbe, Überraschende heraushören müssen. Menschen für das Gottesreich zu fangen, d.h. das endzeitliche Gottesvolk zu sammeln, darin besteht die Aufgabe der Jünger. Die Nähe, ja den Anbruch der Gottesherrschaft zu verkünden und ihre heilenden, schon gegenwärtigen Kräfte durch Heilungen und Exorzismen zu erweisen, das ist der Dienst, der von ihnen auch die Bereitschaft zu Armut und Leiden fordert (Mt 10,6 ff.). Den Frieden, das Heil in die Städte, Dörfer und Häuser zu bringen, ist darum der erste Auftrag der Jünger: »Wenn ihr aber in das Haus eintretet, so grüßt es! Und wenn das Haus würdig ist, soll euer Friede über dasselbe kommen. Ist es aber nicht würdig, so soll euer Friede zu euch zurückkehren« (Mt 10,12 f.). So sind die Jünger nicht nur die Empfänger der in Jesu Wort und Tat schon gegenwärtig-mächtigen Heilskräfte der sich durchsetzenden Gottesherrschaft, sondern sie werden höchst aktiv in den Dienst ihrer Verkündigung und der Ausrichtung ihres Sieges mit hinein genommen.
Nach Darstellung der Evangelien hat Jesus einen engeren Kreis von 12 Jüngern um sich geschart, »dass sie mit ihm seien und er sie aussende zu predigen und Vollmacht hätten, Dämonen auszutreiben« (Mk 3,14 f.). Dieser Kreis hat noch in der frühen Kirche weit über Jerusalem hinaus in hohem Ansehen gestanden. Schon Paulus nannte ihn Jahrzehnte vor Abfassung der Evangelien unter den ersten Zeugen der Auferstehung Jesu (1 Kor 15,5). Die Überlieferung hat die Zwölf allmählich mit Jesu Jüngern gleichgesetzt und aus ihnen die zwölf Apostel gemacht - ein Prozess, der das gängige Bild sowohl der vorösterlichen Geschichte Jesu wie auch der Anfänge der nachösterlichen Gemeinde stark beeinflusst hat. Doch ist diese Anschauung doppelt unrichtig: Weder lässt sich die Schar der Anhänger Jesu auf einen Zwölferkreis eingrenzen, noch trifft die Bezeichnung »Apostel« auf ihre Gesamtzahl zu. Beweis dafür ist schon der Sprachgebrauch der synoptischen, also der drei ersten Evangelien selbst. An zahllosen Stellen ist in ihnen von den Jüngern ohne zahlenmäßige Beschränkung die Rede, viel seltener dagegen von den Zwölf, und ganz vereinzelt werden die letzteren ausdrücklich Apostel genannt. Die allmähliche Verschmelzung der drei von Hause aus unterschiedlichen Größen: Jünger, Zwölf und Apostel spiegelt wohl die Überlagerung der älteren Berichte durch nachösterliche Gemeindetraditionen.
Welche Bedeutung hat aber die Zwölfzahl? Sie symbolisiert die zwölf Stämme Israels (vgl. Mt 19,28 par. Lk 22,30) und bezeichnet damit die Zwölf als Repräsentanten des neuen Gottesvolkes der Endzeit. Mit der Einsetzung der Zwölf hat Jesus vermutlich seinen Ruf an die verlorenen Schafe vom Haus Israel (Mt 10,6; 15,24) im Ausblick auf das kommende Gottesreich versinnbildlicht.
Von der Individualität der einzelnen Jünger hören wir in den Evangelien aufs Ganze gesehen sehr wenig. Außer den bereits genannten Brüderpaaren begegnen an mehreren Stellen Listen ihrer Namen (Mk 3,16 ff.; Mt 10,2 ff.; Lk 6,14 ff.; Apg 1,13), die im Einzelnen voneinander abweichen. Viele der in den synoptischen Evangelien Genannten bleiben ganz im Dunkel.
Überblickt man die in den Evangelien Genannten, so zeigt sich, dass sie alle nicht den führenden Schichten entstammen. Es sind Fischer und Zöllner, vielleicht auch einige Handwerker und Bauern Galiläas. Ihr Bild bleibt in den ersten beiden Evangelien ohne idealisierenden Glanz. Nur Lukas mildert und beseitigt, wo er kann, die anstößigen Züge.
Klar ist, dass in keiner Jüngerliste ein Frauenname begegnet. Allerdings zählt Lukas nach einer Nennung der Zwölf in Lk 8,1-3 alsbald Frauen zu den Menschen, die Jesus folgten, enthält ihnen allerdings in Übereinstimmung mit den anderen Evangelien die Bezeichnung Jüngerinnen vor.
In Lk 8,1-3 lesen wir: »In der folgenden Zeit wanderte er [sc. Jesus] von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, predigte und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn, außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria, genannt die von Magdala, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuza, eines Beamten des Herodes [Antipas], Susanna und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen.«
Lukas stützt sich hier nicht auf einen tradierten Text, sondern greift überlieferte Namen auf und schafft damit eine redaktionelle Einleitung zum Folgenden. Die Zwölf begleiten Jesus im Sinne des Lukas als erwählte Jünger und künftige Zeugen. Sie sollen an Jesu Verkündigung und seinem heilenden und exorzistischen Handeln teilhaben (Aussendung der Zwölf: Lk 9,1-6). Die Frauen hingegen begleiten Jesus aus Dankbarkeit für die durch Jesus erfahrene Heilung.
Der Begriff »Jüngerin« kommt im Neuen Testament nur einmal vor: bei der Auferweckung der Tabitha in Joppe durch Petrus nach Apg 9,36, von welcher es heißt, dass sie »reich an guten Werken und Almosen« war, »die sie gab«.
Das von Lukas in 8,1-3 redaktionell verarbeitete Sondergut bekommt der Sache nach durch Mk 15,40 f. parr. eine Stütze, wenn hier die Frauen unter dem Kreuz als Personen eingeführt werden, die Jesus, »als er in Galiläa war, folgten und dienten«. Die Passionsereignisse sind dann auch ein alter Haftpunkt für einige Frauennamen. Nicht die Jünger, sondern Frauen wie Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, und die Maria des Joses sowie Salome (Mk 15,40f.) blieben allein stumme, jedoch teilnahmsvoll anwesende Zeuginnen des Todes Jesu. Sie waren offenbar aus Galiläa mit Jesus und den Jüngern zum Passahfest nach Jerusalem gezogen. Allerdings scheint dieses Mitwandern durch die besondere Teilnahme am Passah bedingt gewesen zu sein, denn im Übrigen haften Frauennamen und Frauengestalten durchweg an ortsgebundenen Wundern (Mk 1,29-31 parr.: Heilung der Schwiegermutter des Petrus; 5,21-43 parr.: Heilung der blutflüssigen Frau und Auferweckung der Tochter des Jairus u.a.) und anderen analogen Begebenheiten (Mk 14,3-9: Jesu Salbung in Bethanien; Lk 10,38-42: Jesus bei Maria und Martha). Diese allgemeine Typik wird dafür sprechen, dass Jesus zwar auch Frauen heilte, sie als Anhängerinnen anerkannte, in ihre Häuser aufgenommen wurde und ihren »Dienst« bei den Mahlzeiten in Anspruch nahm (vgl. Mk 1,31: die geheilte Schwiegermutter des Petrus »diente ihnen«), aber sie nicht zusammen mit den Jüngern auf seine Wanderungen mitnahm und wohl auch die Mahlzeiten zumindest weitgehend als Männergesellschaften feierte. Dies bezeugen die typischen Mahlszenen aus Lk 14,16-24 par. (Gleichnis vom großen Abendmahl); Mk 2,15-17 (Gastmahl beim Zöllner Levi) - auch das Abschiedsmahl in Mk 14,12 ff. parr.; Joh 13.
Umgekehrt kennt die alte Jesusüberlieferung nicht selten Doppelbeispiele, bei denen Männer und Frauen gleichrangig genannt sind: die Witwe von Sarepta und der Syrer Naeman in Lk 4,25-27; Säen und Ernten als Männerarbeit und Spinnen als Frauenarbeit in Lk 12,22-31; der Hirte, der das verlorene Schaf sucht, und die Frau, die den verlorenen Groschen im Haus sucht, in Lk 15,1-10.
Dies scheint doch wohl ein ebenso sicheres wie auffälliges Indiz dafür zu sein, dass Jesus die sichtbare Seite von Sitte und Brauchtum in diesem Falle nur bedingt und begrenzt aufbrach, die innere Einstellung zur Frau jedoch neu fasste.
Im Zentrum der Verkündigung Jesu und seiner Nachfolger stand das Kommen des Reiches Gottes. Ist damit das Reich Gottes auch für den christlichen Glauben von entscheidender Bedeutung, dann sind wir danach gefragt, wie solcher Glaube konkret gelebt wird. Darüber möchte ich mit Ihnen noch abschließend nachdenken, indem wir uns von Gedanken Albert Schweitzers inspirieren lassen.
Gehen wir dabei aus von dem folgenden Schweitzer-Wort: »Das, worauf es ankommt ist, dass der Geist Jesu von uns Besitz ergreift und unser Sinnen und Denken aus dieser Welt heraushebt, dass es in uns Reich Gottes werde.« (A. Schweitzer, Brief an Erica Walch, Heilbronn, 1955; entnommen aus: Dorothea Zager/Werner Zager, Albert Schweitzer - Impulse für ein wahrhaftiges Christentum, Neukirchen-Vluyn 1997, S. 52-55.)
Nicht einem blinden Aktionismus wird hier das Wort geredet; vielmehr geht es darum, dass in unserem Herzen und Verstand Jesu Geist einkehrt und uns von innen her wandelt, aus selbstbezogenen Menschen solche macht, die offen sind für ihre Mitmenschen, sich von deren Sorgen und Nöten umtreiben lassen und sich mit ihnen gemeinsam um Lösungen bemühen. Es ist die erfahrene Liebe Gottes, die uns zur Hingabe an andere befähigt, uns als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Reich Gottes in den Dienst stellt.
Werner Zager, Worms, Präsident des Bundes für Freies Christentum
Viel ist bekannt über den Begründer des Internationalen Roten Kreuzes und der Genfer Konvention Henry Dunant. Viel auch über seine Initiativen zur Entstehung des Christlichen Vereins Junger Männer und der Schweizerischen Evangelischen Allianz. Wenig aber über Dunants Projekt einer international ausgerichteten Besiedlung Palästinas, bei dessen Planung er in enger Verbindung mit den damaligen Tempelführern gestanden hatte. Zum 30. Oktober, seinem 100. Todestag, möchte die »Warte«-Redaktion an diesen vielseitig interessierten und tätigen Mann erinnern.
Am 8. Mai 1828 ist er als Jean-Henri Dunant in Genf geboren. In einer christlich geprägten Umgebung wollte er sich schon als junger Mann sozial engagieren und trat mit 18 Jahren der Genfer Gesellschaft für Almosenspenden bei. Im darauf folgenden Jahr rief er mit Freunden die so genannte »Donnerstags-Vereinigung« ins Leben, einen losen Bund junger Menschen, die sich zu Bibelstudien trafen und gemeinsam hungernde und kranke Menschen unterstützten. Seine freien Abende und Sonntage verbrachte er größtenteils mit Gefangenenbesuchen und der Hilfe für arme Menschen. Mit 21 begann er in Genf eine Banklehre und betätigte sich in den darauf folgenden Jahren mit verschiedenen kommerziellen Projekten, vor allem in Algerien, an denen er sich auch finanziell beteiligte.
Bei einer Geschäftsreise nach Italien, bei der er wegen seiner algerischen Projekte bei Napoléon III. um dessen Unterstützung einkommen wollte, wurde er am Abend des 24. Juni 1859 mit den Schrecken des österreichisch-französischen Krieges konfrontiert, als er auf dem Schlachtfeld von Solferino in der Lombardei Abertausende verwundeter, sterbender und toter Soldaten liegen sah, ohne dass ihnen jemand Hilfe leistete.
Zutiefst erschüttert organisierte er spontan mit Freiwilligen aus der örtlichen Bevölkerung eine notdürftige Versorgung der Verwundeten und Kranken und richtete ein Behelfshospital ein. Doch es fehlte an fast allem: an Helfern, an Fachwissen und an medizinischem Gerät und Material. Was er hier miterleben musste, ließ ihn nicht ruhen, und er begann Pläne auszuarbeiten, wie den verwundeten Soldaten in künftigen Konflikten besser geholfen werden könnte. Er erließ Aufrufe und schrieb das Buch »Eine Erinnerung an Solferino«, was ihm viel Zustimmung seiner Landsleute einbrachte.
1863 tagte ein Kongress in Genf, auf dem 16 Staaten vertreten waren. Im Jahr darauf wurde das Genfer Abkommen »zur Verbesserung des Loses der Verwundeten auf dem Feld« unterzeichnet. Das rote Kreuz im weißen Feld wurde zum internationalen Schutzzeichen für Sanitätsdienste erklärt. Dunant erlebte den Höhepunkt seines Lebens.
Man sollte annehmen, dass er während der Jahre 1862 bis 1866, als er durch seine intensive Tätigkeit für das Zustandekommen des Roten Kreuzes und als Schriftführer des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in höchstem Maße ausgelastet war, seine wenige Zeit, die ihm für anderes zur Verfügung stand, seinen Geschäftsgründungen widmen würde. Dem war aber nicht so. Er hätte unbedingt dem inzwischen beginnenden Niedergang dieser Unternehmungen gegensteuern müssen. Doch stattdessen beschäftigte er sich seit Beginn des Jahres 1866 mit Plänen der Kolonialisierung Palästinas durch die Staaten Europas.
Diese Pläne brachten ihn in Verbindung mit Christoph Hoffmann, Georg David Hardegg und Christoph Paulus auf dem Kirschenhardthof. Diese beschäftigten sich zu jener Zeit immer noch mit der Frage, wie eine Erneuerung christlichen sozialen Lebens von Jerusalem aus bewerkstelligt werden könnte. Ihre Erkundungsreise durch Palästina im Jahr 1858 war ja negativ verlaufen, und sie zögerten deshalb, eine Auswanderung - zumal mit ihren bescheidenen Mitteln - unter den festgestellten Bedingungen in Angriff zu nehmen.
War der nun zustande gekommene Kontakt zu Dunant etwa das Signal für sie, dass der Zug der Jerusalemsfreunde ins Heilige Land jetzt doch gelingen konnte? Vielleicht, aber wir wissen es nicht. Wir können nur einiges aus der noch vorhandenen Korrespondenz zwischen G.D. Hardegg und Dunant an Vermutungen anstellen. Es ist jedenfalls auffallend, dass 1868 für die Templer trotz eines langen Zögerns dann doch zum Jahr des Aufbruchs geworden war. Die plötzlich aufkommende hoffnungsvolle Stimmung auf dem Kirschenhardthof ist meiner Ansicht nach dem Einfluss des Dunant'schen Siedlungsplanes zuzuschreiben. Es kam sogar zu einem Vertrag zwischen dem Tempelausschuss in Württemberg und dem Comité International de la Palestine, der von Seiten Henry Dunants eine Vermittlerrolle in Sachen Landerwerb beim türkischen Sultan sowie eine Zahlung von 5.000 frs. von Seiten der Templer vorsah.
Doch zu gleicher Zeit brachen unglücklicherweise die Wirtschaftsunternehmen Dunants wie ein Kartenhaus zusammen. Er konnte seine Gläubiger nicht mehr befriedigen und musste Konkurs anmelden. In Genf wurden ihm heftige Vorwürfe gemacht. Sein wirtschaftlicher Absturz machte ihn in seiner Heimatstadt zu einem Verfemten. Im September 1867 wurde er aus dem Komitee des Roten Kreuzes ausgeschlossen. Er verließ daraufhin Genf und siedelte nach Paris über, wo er in ärmlichen Verhältnissen lebte.
Seinen vertraglichen Verpflichtungen den Templern gegenüber konnte er nicht mehr nachkommen. Diese sahen ein, dass sie von ihm keine Hilfe für ihr Siedlungswerk erhalten würden. Trotzdem zeigten sie sich ihm gegenüber sehr dankbar, und besonders Adolf Gräter - zwischen 1861 und 1869 Gemeindepfleger, Kassenwart und kaufmännischer Berater und späterer Gebietsleiter der Tempelgesellschaft in Württemberg - zeigte großes Mitgefühl mit dem Schicksal des Gescheiterten und gründete zusammen mit anderen Gönnern 1896 ein »Komitee zur Ehrenrettung Henry Dunants und zur Stiftung einer "Ehrengabe" an ihn«. Auch von anderer Seite wurde Dunant so manche Ehrung zuteil. So wurde ihm 1901 der Friedensnobelpreis verliehen.
Am 30. Oktober 1910 ist er dann in der Abgeschiedenheit von der Welt in seinem Alterswohnsitz Heiden oberhalb des Bodensees gestorben und in Zürich beigesetzt worden.
Die Templer hatte Dunant nicht vergessen gehabt. Es ist ein Brief von ihm aus Paris erhalten geblieben, in dem er schrieb, dass ihm »wackere Württemberger der Tempelgesellschaft« zu Hilfe gekommen seien, ohne die er vor Hunger wohl gestorben wäre. Er bekräftigt darin auch nochmals seinen Glauben an die Zukunft Palästinas, sein Projekt umfasse alle drei Religionen, für die das »Heilige Land« wichtig sei. Der Brief schließt mit den Worten: »Ich habe sehr gelitten, in jeglicher Weise, aber in der Prüfung habe ich in diesem besonderen Punkt mein ganzes Vertrauen bewahrt, dass ich würde in den Händen Gottes ein Werkzeug sein können, aufbehalten von ihm für die Rückkehr Israels nach Palästina, in der Begleitung von Kolonien wahrer Christen.«
Ich denke, dass in diesem Sinne auch die nach Palästina ausgewanderten Templer sich als »Werkzeug in den Händen Gottes« gefühlt haben werden.
1. Petrus 4, 10 Und dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.
Wenn wir diese Worte lesen, erkennen wir darin sofort eine zutiefst christliche Auffassung. Einander zu dienen, in dem Maße und in der Weise, zu der wir fähig sind, empfinden wir als einen zentralen Auftrag an uns, als ganz "normale" Aufgabe, die wir täglich umsetzen sollten.
Im 1. Petrusbrief steht dieser Vers allerdings in einem besonderen Zusammenhang. Vorher stehen die Verse: Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn die Liebe »deckt auch der Sünden Menge«. Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Und dienet einander... Geschrieben ist der Brief in einer Zeit, in der die Christen verfolgt wurden und außerdem das Ende der Zeit konkret erwartet wurde.
Für die kleinen Christengemeinden war es überlebenswichtig, zusammenzustehen, einander zu helfen und darauf zielen die zitierten Aufforderungen ab: das gemeinsame Gebet war ein starkes, verbindendes Element für die Gemeinschaft; wenn sich die Christen in Liebe begegneten, so war dies eine Art "Versicherung" gegen Streit und Unfrieden untereinander - denn wie das Zitat aus dem Alten Testament (Sprüche 10, 12) erklärt, verzeihen sich Menschen, die einander lieben. Die Aufforderung, ohne Murren untereinander gastfreundlich zu sein, gebot die Situation der Verfolgung; einander zu dienen ist in vielfältiger Weise möglich: so vielfältig, wie Talente und Fähigkeiten unter den Menschen verteilt sind. Und wenn wir die Fähigkeiten, die wir mitbekommen haben, als von Gott gegeben ansehen, dann erwächst daraus auch die Verpflichtung, diese Gaben bei jeder Möglichkeit einzusetzen und zu gebrauchen. Ich habe kürzlich folgende Unterhaltung zwischen kranken Kindern gelesen: »Warum muss immer ich die Boccia-Kugeln holen?« »Weil du der einzige von uns bist, der gehen kann.« Diesem Kind, das eine Herzkrankheit hatte, fiel das Gehen leichter als den anderen mitspielenden Kindern, die gehbehindert waren - und diese Antwort genügte dem Frager, ohne weiteren Kommentar die Boccia-Kugeln einsammeln zu gehen.
So krass wie im beschriebenen Fall gestaltet sich unser Zusammenleben mit unseren Mitmenschen zum Glück nur selten und verfolgt werden wir wegen unserer Religionszugehörigkeit auch nicht mehr. Die Aufforderung und die Verpflichtung zum Handeln nach unseren Fähigkeiten aber bleibt - für die frühen Christen war nicht einmal das geglaubte bevorstehende Ende der Zeit ein Grund, dieses Zusammenleben aufzugeben. Auch Luther hätte selbst mit dem Wissen, dass anderntags die Welt untergehen würde, noch ein Apfelbäumchen gepflanzt.
Gekürzte Fassung einer Ansprache von Reverend (Pfarrer) Dr. John Bodycomb vor Vertretern des Progressive Christian Network (lose Vereinigung »fortschrittlicher Christen«) in Victoria (PCNV), Australien, am 23. Mai 2010
Der Text wurde uns von der TSA zugesandt, die sich seit einiger Zeit am PCNV beteiligt; hier wiedergegeben sind teils frei übersetzte Zitate und teils Zusammenfassung des Wesentlichen.
Was meinen wir, wenn wir von Gebet sprechen? Laut einer Umfrage sagen 60% der Australier, dass sie wenigstens manchmal beten. Aber für manche ist das wohl nur das »Oh Gott« als Ausdruck des Erschreckens oder Bedauerns , ein Stoßgebet in einer Notlage oder ein »Gottseidank«, wenn etwas gerade noch gut gegangen ist.
Für mich bedeutet Gebet viel mehr als das. Ich nenne es »eine bewusste Konzentration auf meine Verbindung mit dem Ewigen«. Es ist wie beim Atmen: »tiefes Atmen« ist etwas anderes als normales Atmen. Im Hebräischen (AT) wird ebenso wie im Griechischen (NT) für Gott (neben anderen) ein Wort verwendet, das "Wind" oder "Geist" oder "Atem" bedeutet: hebr. »ruach«, griech. »pneuma«. Man könnte sagen, Gott umgibt uns und ist in uns wie die Atmosphäre, die wir atmen. Meist tun wir das automatisch, ohne uns dessen bewusst zu sein. Aber manchmal, wenn am frühen Morgen die Luft nach Erde und Grün riecht, bleiben wir stehen und füllen bewusst unsere Lungen bis zum Bersten mit dieser Reinheit und Frische. Gebet ist für mich wie ein tiefes Einatmen des Geistes Gottes.
Wie jemand betet, hängt eng zusammen damit, was für ein Bild er sich von Gott macht.
Anschließend nennt Bodycomb die Gottes- (und Gebets-) vorstellungen, die er für falsch und überholt hält:
Dementsprechend lehnt er auch Gebetsheilungen ab, im doppelten Sinn: er hält sie nicht für real und er lehnt einen Gott ab, der so willkürlich die einen heilt und die anderen nicht.
Für mich ist Gott der allumfassende Geist, der die Welt dachte, ehe sie existierte, der sie wollte und durch seinen Willen mit dem Urknall sie real werden ließ und ihr Gesetze mitgab, nach denen sie sich entwickelte. Deshalb spreche ich von Gott als der »Seele« des Universums.
Was bedeutet dann das Gebet? Es ist nicht eine Aufforderung an Gott, wunderbare, magische Dinge zu tun. Für mich bedeutet es vor allem: zuzuhören; zu lauschen auf das, was ich »die leisen, heiligen Eingebungen« nenne.
Bodycomb verdeutlicht das am Beispiel der Quäker. Ihre Gottesdienste beruhen auf der Stille, einer »Stille der Erwartung«. Sie wird nur unterbrochen, wenn jemand etwas zu sagen hat, was für die anderen diese Zeit der Stille bereichert, auf der Basis einer heiligen Eingebung. In manchen Gottesdiensten sagt keiner etwas; die Stimmung sei trotzdem heiter und gelöst.
Für ihn sind die Quäker damit eine Art Modell, auch darin, dass sie nur einen ganz geringen Wert auf das Dogma legen und einen ganz großen auf die Spiritualität.
Damit wird das Gebet etwas ganz Persönliches, Individuelles. Bodycomb beruft sich auch darin auf Jesus: »Wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein ... und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird es dir im Verborgenen entgelten« (im Text heißt es nur: wird's dir vergelten).
Vielleicht seid ihr erstaunt und denkt anders über das Gebet. Das bedeutet nicht, dass ich recht habe und ihr unrecht - oder umgekehrt. Es gibt viele Arten zu beten, und viele Religionen lehren es. Meditatives Gebet - und darum geht es hier - wird in allen großen Religionen gelehrt. Weil es nur einen Gott gibt, der weder christlich ist noch jüdisch, weder buddhistisch noch hinduistisch, ist niemand ausgeschlossen von den heiligen Eingebungen.
Offenbar hält Bodycomb Vorträge und Seminare zu seiner Sicht des Gebets. Er schließt mit einem Ausschnitt aus einem Brief, den er Jahre später von einem ehemaligen Teilnehmer, einem Schuldirektor, erhielt:
»Sie haben uns in die »Zeit der Stille« eingeführt. Für eine halbe Stunde sollten wir uns einen stillen Ort suchen und horchen. Ich habe die Praxis beibehalten und mein Kollegium ermutigt, es auszuprobieren. Ich bin mir heute nicht gewisser als damals, dass es einen Gott gibt, aber ich glaube, dass, wenn es ihn gibt, er in solchen Stunden zu uns spricht. Einige der reichsten Momente meines Lebens, die mir Licht, Vertrauen und Zufriedenheit brachten, kamen mir in meinen Stunden der Stille. Diese Praxis war eine großartige Erfahrung.«
Die Erinnerungen des Russland-Templers Hartmut Rempel (1909-1986) an seinen Geburts- und Heimatort in der nordkaukasischen »Suchaja Padina«-Steppe sind von ihm schon 1981 verfasst worden, jedoch in einer schwer lesbaren Schrift. Mehrere nahe Verwandte von ihm haben sich vor Kurzem nun daran gemacht, einen Computersatz herzustellen und das Ganze in die Form eines gebundenen Buches im A4-Format zu bringen. So ist ein 214 Seiten starker Band entstanden, der viele alltägliche Begebenheiten des Lebens in Olgino beschreibt und zahlreiche anschauliche Bilder enthält.
Für Leser, die mit dem Russland-Deutschtum verbunden sind, ist das Buch eine sicher willkommene Darstellung der Lebensumstände und Schicksale der deutsch gebliebenen Siedler, für uns Templer eine besonders genaue Schilderung des einstmals blühenden deutschen Templer-Dorfes Olgino am Kaukasus. Das Buch berichtet jedoch auch über Heimatlosigkeit, über die leidvolle Vertreibung der Deutschen aus ihren Siedlungsgebieten und die Einweisung in Zwangsarbeiter-Kolonnen.
Über die sprachlichen Fehler und Mängel hinwegzusehen, hatte Hartmut Rempel - der 1979 in die Bundesrepublik übersiedelt war - schon in seinem ersten Manuskript gebeten gehabt. Es war sein Urgroßvater Rempel, der aus Westpreußen eingewandert war, der Autor also schon in der vierten Generation als Deutschstämmiger in Russland anwesend. In seiner Zeit war es immer schwieriger geworden, die deutsche Sprache, die man von den Eltern und Großeltern erlernt hatte, weiter zu pflegen. Es sollte auf Anweisung der Regierung von den Deutschen nur russisch gesprochen werden.
»Erinnerungen von Hartmut Rempel«, 2010, aufbereitet von Albert Rempel, Oleg Löwen, Rita Martinewski und Irina Görz. Preis (einschl. Versand): 10,40 Euro
Als Nachkomme einer Sippe mennonitischer Bauern, die aus Glaubensgründen von Westpreußen in die fruchtbare Steppe am Schwarzen Meer und später an den nördlichen Rand des Kaukasus ausgewandert war, berichtet der Agronom Walter Lange über die blühende landwirtschaftliche Produktion, die von den deutschen Einwanderern im Laufe von Generationen aufgebaut worden war. Die deutschen Bauern waren von jeher als fleißige und geschäftstüchtige Menschen bekannt und fühlten sich nach kurzer Zeit mit dem neu erworbenen Land eng verbunden. Nach anfänglich schwerer Arbeit und geschicktem Handeln wurden sie nach und nach wohlhabender. Und der russische Staat profitierte davon, sowohl für die eigene Bevölkerung wie auch für den Export von Nahrungsmitteln.
Doch mit der Revolutionszeit änderte sich mit einem Mal alles. »Warum mussten die Menschen in Russland mehrere Male schlimme Hungersnöte durchmachen?« fragt der Autor und gab seinem Buch dementsprechend diesen Titel.
Schuld daran waren die revolutionären Umwälzungen von 1917, der Bürgerkrieg, die Zwangskollektivierung und die Enteignung der Bauern. Aus einem Exportland entwickelte sich Russland bald zu einem Importeur von Getreide und anderen Landwirtschaftsprodukten. Ein Land mit so großen Ressourcen konnte sich nicht mehr selbst ernähren.
Walter Lange führt diesen Wandel auf die Abschaffung des Bauernstandes zurück. Die neuen Kollektive konnten nicht das zustande bringen, was die vielen Kleinbauern bis dahin im Familienbetrieb geleistet hatten. Als Fachmann der Landwirtschaft und Kenner des Landes, in dem er selbst aufwuchs, beschreibt er in vielen authentischen Berichten und aus seiner eigenen langjährigen Erfahrung die Problematik der Vergangenheit und Gegenwart Russlands.
»Warum mussten wir in der Sowjetunion hungern? - Über die Landwirtschaft und Landwirtschaftspolitik in der Sowjetunion und im heutigen Russland«, Lichtzeichen Verlag, Lage, 2010, mit mehreren Zeichnungen und einer Zeittafel der geschichtlichen Ereignisse. Preis (einschl. Versand): 14 Euro
Zur nochmaligen Erinnerung: Von Dr. Walter Lange ist im vorigen Jahr im Lichtzeichen Verlag das Buch »Der steinige Weg - Die Geschichte einer Tempelgemeinde mennonitischer Herkunft in Russland« (Beschreibung der Tempelsiedlungen Tempelhof, Orbeljanowka, Olgino und Romanowka) erschienen (mit Aufzählung vieler beteiligter Familien).
Am 15. Oktober wird bei unserem Freitagabendtreff Dr. Reinhard Erös berichten: über die von ihm aufgebaute »Kinderhilfe Afghanistan«, ein in vieler Hinsicht einzigartiges Hilfswerk, gleichzeitig aber auch über seine vielfältigen, oft beglückenden, manchmal auch erschreckenden Erfahrungen mit den Menschen Afghanistans, mit den Verhältnissen und Traditionen dort. In diesem Zusammenhang möchte ich auf seine beiden Bücher hinweisen: »Tee mit dem Teufel« und »Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen«. Sie beschreiben Erös' Erfahrungen und Aktionen von 1996 (Zeit der sowjetischen Besatzung) bis ca. 2004 (»Herrschaft« des heutigen Präsidenten Karsai), z.T. auch noch darüber hinaus; ich denke der Vortrag wird zeigen, was sich seither verändert oder oft nicht verändert hat. Sie sind nicht streng chronologisch aufgebaut (was manchmal die Einordnung etwas erschwert), sondern nach Themen; und sie enthalten viel mehr an Anschauung und Information als man in einem Abendvortrag unterbringen kann. Seit ich diese Bücher gelesen habe, glaube ich viel besser zu verstehen, was in Afghanistan, aber auch in anderen Entwicklungsländern, geschieht oder nicht geschieht.
Erös doziert nicht, er beschreibt und erzählt, selbst erlebte Episoden, Originalberichte seiner afghanischen Mitarbeiter u.a. - aber immer so, dass in dem Einzelfall sich die allgemeine Situation spiegelt. Das liest sich spannend wie ein Krimi und ist gleichzeitig erschütternd, manchmal erheiternd, und ungeheuer informativ.
Ich nenne nur ein paar Stichworte, mehr geht in diesem Rahmen nicht:
Mit einem Beispiel dazu möchte ich schließen: »Khazan, der Physiker und Mathematiker, ist theologisch erstaunlich bewandert, auch in der christlichen Religion. So erklärt er mir, dem Katholiken, seine Deutung des Geheimnisses und des Sinns der Jungfrauengeburt: »Sie ist ein Bild für Gottes faszinierende und unbegreifliche Größe, die unsere Rationalität immer übersteigen wird. Je mehr wir mit Hilfe aller Wissenschaften erkennen und erforschen, desto wunderbarer offenbart sich uns Gottes Schöpfung. Aber Gott wird immer größer sein und bleiben als all unser Wissen; jede von uns Menschen gewonnenen Erkenntnis wird sofort neue und größere Fragen aufwerfen. Das islamische Allahu akbar heißt deswegen folgerichtig in seiner genauen Übersetzung: "Gott ist größer!"« (Reinhard Erös, Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen, Hoffmann und Campe 2009, S. 87)
Allen, die sich für Afghanistan oder überhaupt für Entwicklungshilfe interessieren, kann ich diese beiden Bücher nur empfehlen - und ebenso den Vortrag.
PS: Vielleicht noch eine Information, die zeigt, wie außergewöhnlich das Ganze ist: Erös arbeitet in Afghanistan fast ausschließlich mit afghanischen Mitarbeitern und Materialien; ausschließlich mit privaten Spenden - staatliche, die ihm angeboten wurden, lehnt er ab, um unabhängig zu bleiben. Das Spendeneintreiben in Deutschland betreibt seine 7-köpfige Familie umsonst.
Damit hat er seit 2004 ca. 40 Dorfschulen gebaut und betrieben, viele mit Computerunterricht und Photovoltaik-Dächern. Bei einer der ersten steht über dem Eingang ein angeblicher Spruch Mohammeds: »Die Tinte der Schüler ist heiliger als das Blut der Märtyrer«. Das in der Provinz Nangahar an der pakistanischen Grenze, wo mehr oder weniger die Taliban das Sagen haben!
Karin Klingbeil »Gruppenreise der TGD durch Israel 2009«
Ein farbenprächtiges Bilder-Album der letztjährigen Gruppenreise mit erklärenden Texten und Schilderungen von Reiseteilnehmern. Ein wertvolles Erinnerungsbuch und ein guter Hinweis auf die inzwischen erfolgten Restaurierungen in ehemaligen Templer-Siedlungen. Auch gut geeignet als Vorbereitungs-Lektüre für private Israel-Reisen. Dazu gehört auch ein "Logbuch", das den Reiseteilnehmern als Verständnis-Hilfe in den besuchten Orten diente.