Die Warte des Tempels
Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 175/5 - Mai 2019

 

 

Was heißt denn: Ich glaube an Gott? - Andreas Benk

Aus Sternenstaub gebildet - Peter Lange

Fürchtet Gott, ehrt den König! - Jörg Klingbeil

Staat und Religion - Jörg Klingbeil

»Ich vermisse nichts« - Viola Rüdele

Neues aus Sarona - Karin Klingbeil

Was heißt denn: Ich glaube an Gott?

Die Grenzen zwischen Atheisten und Theisten, zwischen Religiösen und Religionslosen ver­schwimmen. Was folgt daraus?

Glauben Sie an Gott?« Wer hier schlicht mit Ja oder Nein antwortet, nimmt Missverständnisse in Kauf. Denn das Gottesbekenntnis allein drückt nicht aus, was einem Menschen wesentlich ist, es erklärt nicht, für was er eintritt und worauf er sein Leben setzt.

Gottesglaube kann dazu dienen, sich der eigenen Verantwortung zu entziehen. Wer sich seinem Gott verpflichtet fühlt und sich jeder weiteren Begründung für sein Tun enthoben sieht, kann zu jeder Unmenschlichkeit fähig sein. »Gotteskrieger« aller Zeiten lehren uns das Fürch­ten. Angesichts der verzerrten und verunstalteten Gottesbilder, die uns in allen Religionen be­gegnen, schließt ein Gottesbekenntnis kein Bekenntnis zur Menschlichkeit ein. Die Gretchen­frage ist nicht, ob jemand an Gott glaubt oder nicht, sondern an welchen Gott jemand glaubt oder eben nicht glaubt...

Andreas Benk

 

Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kri­tisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 3/2019, Seite 30.

Aus Sternenstaub gebildet

Das Wort Gott neu denken

In seinem Buch »Kurskorrektur - Wie sich das Christentum ändern muss, damit es bleibt«, das wir im Januar-Heft der »Warte« vorgestellt haben, spricht der Verfasser Hubertus Halbfas davon, dass Gott keine Kategorie des Erkennens sei, sondern »nur« ein Wort, eine Chiffre, mit deren Hilfe der Mensch sein eigenes Dasein als in sich berechtigt zu deuten versucht. Das Wort Gott diene nicht dem Erfassen der Wirklichkeit, sondern der Interpretation der menschlichen Existenz im Angesicht der Wirklichkeit. Die alles entscheidende Frage sei, welche Wahrheit und welche Wirklichkeit in dem Symbol Gott enthalten sein könne. Religion ist keine Lehre von Gott, keine Welterklärung aus göttlicher Perspektive, sondern im Grunde der Versuch, sich als Mensch zu verstehen und sich vor dem Absoluten selbst zu bestimmen.

»Der Weg zur Gotteserfahrung«, heißt es weiter, »setzt nicht neben oder hinter den menschlichen Erfahrungen ein, sondern in diesen selbst. Die Geschichte des Weltalls ist implizit in uns verborgen. In der ausgefeilten Konstruktion unseres Gleichgewichtsorgans spiegelt sich die Wirkung der Schwerkraft wider, im Bau unseres optischen Wahrnehmungsap­parats kommt die Natur der elektromagnetischen Strahlung zum Ausdruck, und die chemischen Elemente, aus denen wir bestehen, haben sich zum Teil vor Millionen von Jahren von weit entfernten Sternen gebildet. Wir sind, im wahrsten Sinne des Wortes, Sternenstaub.«

Aber wir Menschen verstehen uns nicht nur als Sternenstaub, sondern sind auch »geistbegabt«, weshalb es zu klären gilt, wie sich dieser Geist erklären lässt: »Wenn der Geist ein Produkt der biologischen Evolution ist, Organismen mit geistigem Leben also ein wesentlicher Bestandteil der Natur sind, dann kann auch die Biologie keine rein physikalische Wissenschaft sein, sondern muss erklären können, wie der Geist dem Universum inhärent ist.« Ich erinnere mich hier an den Titel eines vor Jahren erschienenen Buches des bekannten Schriftstellers und Fernsehmoderators Hoimar von Ditfurth mit dem Titel »Der Geist fiel nicht vom Himmel - die Evolution unseres Bewusstseins« (1976), wo dieser klarzumachen versucht, dass menschlicher Geist nicht ohne eine Quelle außerhalb unseres Selbst zu erklären sei, dass sich hinter unserer erkenn- und erlebbaren Welt eine jenseitige, »transzendentale Wirklichkeit« befinde, die sich der Wahrnehmung entziehe, aber auf die erkennbare Wirk­lichkeit einwirke: »So wie die Augen ein Beweis sind für die Existenz der Sonne, die Beine ein Beweis für das Vorhandensein festen Bodens und ein Flügel ein Beweis für die Existenz von Luft, so dürfen wir auch vermuten, dass unser Gehirn ein Beweis ist für die reale Existenz einer von der materiellen Ebene unabhängigen Dimension des Geistes.«

Ähnliche Zusammenhänge äußerte 1955 auch der belgische Biochemiker und Nobelpreis­träger Christian de Duve in »Aus Staub geboren - Leben als kosmische Zwangsläufigkeit«: »Für mich ist dieses Universum kein "kosmischer Gag", sondern ein bedeutungstragendes Gebilde, das so beschaffen ist, dass es Leben und Geist hervorbringt. Es muss zwangsläufig denkende Wesen entstehen lassen, die Wahrheit erkennen, Schönheit schätzen, Liebe empfinden, sich nach dem Guten sehnen, das Böse verachten und Geheimnisse erleben. Ich erwähne Gott nicht ausdrücklich, weil dieser Begriff schon mit vielfältigen Interpretationen zu sehr besetzt ist.«

Und Hubertus Halbfas fasst diesen Gedanken nochmals so zusammen: »Man kann den Gedanken, dass die kosmische Entwicklung mit dem heutigen Menschen noch nicht alle ihre Möglichkeiten realisiert hat, weiterführen, dass der Mensch noch höhere Grade des Geistigen erreichen kann, in welcher Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von seiner Physis auch immer. Dann mag aus dem Logos, der dem kosmischen Geschehen zugrunde liegt, eine höhere Ebene des Seins hervorgehen, die jedoch nicht von einem geschichtlich singulären "Heils­geschehen" bestimmt wird, sondern von dem, was der ontologischen Ordnung immanent ist.«

Halbfas erwähnt in seinem Buch noch die Gedankengänge des Mystikers, der keinen außerweltlichen Gott kennt, der quasi über der Welt und allem »schwebt«, und zitiert den Zen-Meister Willigis Jäger: »Der Mystiker erkennt den Kosmos als sinnvolle Manifestation Gottes, während sich so manche Menschen dem Kosmos gegenüber so verhalten wie Analphabeten gegenüber einem Gedicht: Sie zählen die einzelnen Zeichen und Worte, aber sie sind nicht imstande, den Sinn zu verstehen, der dem ganzen Gedicht seine Gestalt gibt. Alles ist Welle und Ozean zugleich. Alles ist Ausdrucksform dieser einen Wirklichkeit. Und da alles Aus­drucksform derselben Wirklichkeit ist, gibt es auch eine absolute Verbundenheit mit allem.«

Meditierende sprechen von dem EINEN, vom Namenlosen, Brahman, Tao, dem göttlichen Geist, so sehr auch mit jedem Begriff kulturelle Eigenheiten verbunden sind. Doch wie auch immer die Begriffe lauten und wechseln, in allem geht es um den Schoß der Wirklichkeit, um den »Hintergrund« der Welt.

Peter Lange

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Fürchtet Gott, ehrt den König!

(1. Petrus 2,17)

Dieser Abschnitt trägt die Überschrift »Die Christen als Staatsbürger« und beinhaltet Ratschlä­ge, wie sich die - offenbar bereits unter Verfolgung leidenden - Christen gegenüber weltlichen Autoritäten verhalten sollten. Im selben Kapitel steht auch das Wort, das Namensgeber für die Tempelgesellschaft war: »Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause ... «.

Die Christen werden ermahnt, ein rechtschaffenes Leben zu führen, damit »die, die euch verleumden als Übeltäter, eure guten Werke sehen ... «. Und ähnlich wie Paulus (Römer 13,1-7) hält der Verfasser des Petrusbriefes die Christen dazu an, aller menschlichen Ordnung, also dem König oder dessen Statthaltern, untertan zu sein, »um des Herrn willen«. Gedacht ist hier wie bei Paulus an das Römische Reich als sittliche Ordnungsmacht der damaligen Zeit, die aber - im Unterschied zum Römerbrief - nicht ausdrücklich »gottgewollt«, sondern Menschen­werk sei. In diese menschliche Ordnung sollen sich Christen also als gute Staatsbürger einfügen, den irdischen Herrschern Respekt entgegenbringen, aber innerlich frei und deshalb nur »Knechte Gottes« bleiben.

Wir kennen den weiteren Gang der Geschichte: Am Ende des vierten Jahrhunderts wurde das Christentum zur Staatsreligion; nun wurden Andersgläubige verfolgt. Ausgestattet mit kaiserlichen Privilegien mehrten kirchliche Würdenträger Einfluss und Vermögen. Die enge Machtverflechtung zwischen der christlichen Kirche und einer Staatsordnung, die Rechtgläu­bigkeit zum Gesetz machte und Ketzerei strafrechtlich verfolgte, bestand bis ins 16. Jahrhundert. Dem setzte Martin Luther die grundsätzliche Unterscheidung der geistlichen und der weltlichen Gewalt entgegen. Die evangelische Kirche hat diese Trennung aber nicht durchgehalten; sie übernahm zeitweise selbst öffentliche Aufgaben, aber ließ sich umgekehrt auch durch den Staat instrumentalisieren, nicht zuletzt im Dritten Reich. An den Widerstand gegen diese Vereinnahmung ist in diesem Monat zu erinnern, denn im Mai 1934 wurde die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet. Ihrer fünften These wurde unsere Bibelstelle vorangestellt. Dort heißt es weiter:

»Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.« Ein guter Maßstab zur Abgrenzung der weltlichen von geistlicher Macht und zur Verhinderung totalitärer Struktu­ren.

Jörg Klingbeil

Staat und Religion

In diesem Jahr begehen wir nicht nur den 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes, sondern auch den 100. Jahrestag der Weimarer Reichsverfassung. Grund genug, sich mit diesen ver­fassungsrechtlichen Grundlagen insbesondere aus dem Blickwinkel unserer unabhängigen Religionsgemeinschaft auseinanderzusetzen und dabei das Verhältnis des Staates zur Reli­gion in den Blick zu nehmen. Der traditionell weite Spielraum, den das Bundesverfassungs­gericht dabei dem Grundrecht auf Religionsfreiheit einräumt, schafft in unserer pluralistischen, zunehmend multi- oder gar areligiösen Gesellschaft immer wieder neue Spannungsfelder. Zum besseren Verständnis beginne ich mit einem historischen Rückblick.

Unser heutiges Verhältnis von Staat und Religion(en) in Deutschland ist das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung, die hier nur skizziert werden kann. Wir kennen frühe Formen einer »Vergöttlichung« oder göttlichen Stellvertreterfunktion von antiken Herrschern (z.B. ägyptische Pharaos, römische Kaiser). Auch die mittelalterliche Welt Mitteleuropas wurde durch die Hochkulturen der Antike, namentlich das Römische Reich, wesentlich geprägt. Hierzu trug entscheidend die Kirche bei, weil sich ihre wichtigsten rechtlichen Strukturen noch unter den Bedingungen des Römischen Reiches entwickelt hatten. Im Jahre 313 hatte Kaiser Konstantin den Christen freie Religionsausübung gewährt; damit war eine rechtliche Gleichstellung mit den etablierten heidnischen Kulten erreicht. In den Jahren danach verlieh er der Kirche etliche weitere Privilegien, die die Bedeutung des Klerus und das Vermögen der Kirche kräftig mehrten. Im Jahr 325 formulierte das vom Kaiser einberufene Konzil von Nicäa nicht nur ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, sondern übernahm eine an das römische Provinzialsystem angelehnte Kirchenverfassung mit Metropoliten an der Spitze der Provinzen, wobei die besondere Autorität der Bischofssitze von Alexandria, Antiochia und Rom, der sog. Patriarchen, unberührt blieb. Kaiser Konstantin auf dem Konzil von Nicäa - Quelle: Wikimedia CommonsWar die Kirche bis 313 noch eine Institution neben dem Staat gewesen, so kam es nun zu einer gegenseitigen Verschränkung. Der Kaiser wurde zum obersten Herrn der Kirche und erhielt den Titel »Pontifex Maximus« (»oberster Brückenbauer«), den früher die obersten Wächter des römischen Götterkultes und später der Bischof von Rom trugen.

Am Ende des 4. Jahrhunderts wurde das Christentum unter Kaiser Theodosius I. vollends zur Staatsreligion, wobei die Kaiser - um die Einheit des Reiches bemüht - auch in theologi­schen Fragen das letzte Wort hatten. Vor allem für den Klerus waren dieser »Rollenwechsel« des Kaisertums, das hundert Jahre zuvor die Christen noch blutig verfolgt hatte, und die eigene, nun »staatstragende« Rolle schwierig zu vermitteln. Außerdem war damit die Notwendigkeit verbunden, eine ein­heitliche (»katholische«) und damit »rechtgläubige« Leitlinie des Glaubens für das gesamte Römische Reich zu finden. Über die »Rechtgläubigkeit« entschieden der Kaiser, die führenden Bischöfe und die ökume­nischen Konzile. Da Rom unbestritten der Ort war, wo der Apostel Petrus zuletzt lebte und starb und Petrus nach der biblischen Überlieferung von Jesus mit dem Aufbau der Kirche beauftragt worden war, wuchs Rom im Abendland eine geistliche Führungsrolle ohne Konkur­renz zu, die mit ihrer hierarchischen Verfassung und der besonderen Stellung des römischen Bischofs ziemlich genau das Verwaltungssystem des untergegangenen Römischen Reiches widerspiegelte. Zu dieser antiken Prägung der Kirche gehörten auch die Schriftlichkeit wichtiger Vorgänge, die Bewahrung der lateinischen Sprache, damit verbunden der Zugang zur römischen Literatur, und nicht zuletzt das Instrument der Gesetzgebung, auch insoweit dem Vorbild des römischen Kaisers folgend.

Die Kirche vermittelte dabei aber nicht nur einen neuen Glauben, sondern auch Grundsätze der Lebensführung. Frühzeitig gehörten dazu Fragen der Klerikerdisziplin, der Erfüllung der Sonntagspflicht und der Begrenzung erlaubter Ehen. Da jedes Fehlverhalten nicht nur das Seelenheil des Sünders gefährdete, sondern Gottes Zorn nach sich zog, was sich in Kriegen und Unglücken jeder Art äußerte - von dieser Kausalität waren die Menschen bis zur Aufklä­rung überzeugt -, galt es, Buße zu tun und Sünden überhaupt zu vermeiden. Mit dem Ausbau der kirchlichen Institutionen ging daher eine umfassende Sündenkontrolle des Klerus und der Gemeindeangehörigen einher.

Auch die mittelalterliche Kaiserwürde gewann ihre Legitimation allein aus der römischen, am Ende zugleich christlichen Tradition. Seitdem der letzte (west-)römische Kaiser im Jahr 476 durch einen germanischen Heerführer in römischen Diensten abgesetzt worden war, wurde trotz der inzwischen entstandenen germanischen Königtümer immer wieder versucht, das Kaiserreich als ein völkerübergreifendes politisches System unter einem Reichsoberhaupt wieder­zubeleben. Mit der Kaiserkrönung Kaiser Karls des Großen am Weihnachtstag des Jahres 800 in Rom war dieses Ziel erreicht. Die Krönung nahm dabei der von Karl zuvor militä­risch unterstützte Papst Leo III. vor. Damit wurde die römische Herrschaft auf die Franken, später auf andere deutsche Kaiser übertragen. Ab dem 10. Jahrhundert verband sich mit dem römisch-deutschen Kaisertum auch die Aufgabe des Schutzes der Kirche Roms und damit des Papsttums. Im 13. Jahrhundert taucht dann erstmals der Begriff »Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation« auf, der für Jahrhunderte den Reichsbegriff prägen sollte. Die ursprüngliche Herrschaftseinheit von weltlicher und geistlicher Gewalt beruhte auf unterschiedlichen Motiven: Der Kirche ging es in erster Linie darum, ihre Unabhängigkeit und die Rechtgläubigkeit der Christen zu wahren sowie das Kirchenrecht zu sichern. Dem Königtum war dagegen daran gelegen, den hohen Klerus als eine überall präsente Herrschaftselite mit Verwaltungspotential in das weltliche Herrschaftsgefüge einzubinden.

Die von der Kirche beanspruchte freie Wahl der Bischöfe und bedeutenden Äbte akzeptier­ten schon die fränkischen Herrscher nicht ausnahmslos; König Otto der Große, ab 962 römisch-deutscher Kaiser, zog sie im 10. Jahrhundert vollends an sich. Im 11. Jahrhundert erfasste die kaiserliche Kirchenherrschaft schließlich auch den päpstlichen Stuhl. 1046 setzte Kaiser Heinrich III. drei rivalisierende Päpste ab und bestimmte den von ihm ausgewählten Bamberger Bischof und nach ihm zwei weitere deutsche Kleriker zu Päpsten. Der Macht­zuwachs des Reiches rief jedoch den zunehmenden Widerstand des Mönchtums hervor, von dem damals die stärksten geistlichen und kirchenpolitischen Impulse ausgingen. Ed. Schwoiser (1862): Heinrich IV. vor Canossa - Quelle: Wikimedia CommonsDie Reform­bewegung des burgundischen Benektinerklosters Cluny, die die Freiheit der Kirche vom Einfluss der Laien forderte, griff nun auf das ganze Reich über und gewann erheblich an Dynamik, als der Papst diesen Anspruch auf die Gesamtkirche bezog.

Als Kaiser Heinrich IV. im Jahr 1075 einem Kaplan seines Hofes das Erzbistum Mailand übertrug (»Investitur«), reagierte Papst Gregor VII. mit der Androhung und später der Verhängung des Kirchenbanns samt Exkommunikation, was Heinrich IV. letztlich nur durch den sprichwörtlich gewordenen Bußgang zu der oberitalieni­schen Burg Canossa im Januar 1077 abwenden konnte.

Der Investiturstreit konnte erst 1122 in einem zwischen Kaiser (Heinrich V.) und Papst (Calixt II.) ausgehandelten Kompromiss (»Wormser Konkordat«) beigelegt werden. Dieser Vertrag, der einen epochalen Einschnitt in der abendländischen Geschichte bedeutete, beruhte auf einer detaillierten Unterscheidung von geistlichen und weltlichen Angelegenheiten, die bis dahin gemeinsam dem von Kir­chenmännern unterstützten Reichsoberhaupt anvertraut waren. Die Verleihung des geistlichen Amtes mit Ring und Stab blieb fortan allein den Vertretern der Kirche vorbehalten, die Verleihung der weltlichen Herrschaftsrechte (»Regalien«) oblag dem König. Kaiser Heinrich V. versprach, freie Wahlen der Bischöfe und Äbte nach den Regeln des Kirchenrechts zu akzeptieren, was auch später die Einflussnahme weltlicher Herrscher nicht ausschloss. Eine kaiserliche Kirchenherrschaft, wie sie sich im spätantiken Byzanz entwickelt hatte, war damit in Westeuropa nicht mehr zu realisieren. Umgekehrt war der weltliche Einflussbereich des Papstes fortan auf den Kirchenstaat in Mittelitalien beschränkt. Die Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Macht sorgte aber nach wie vor für heftigen Streit. Aus der Bibel meinten die Anhänger des Papsttums ableiten zu können, dass Gott der Kirche zwei Schwerter (Gewalten) übertragen habe, das geistliche und das weltliche, und dass die Kirche das weltliche an den Kaiser weiterreiche. Dies wurde teilweise als eine Überordnung des Papstes über die jeweiligen Könige, deren Rechtgläubigkeit von ihm zu prüfen sei, verstanden. Die Kaisertreuen wiederum entnahmen dem rätselhaften Bild der zwei Schwerter (Lk 22, 36-38) die Deutung von der Eigenständigkeit der beiden Gewalten; der Kaiser habe sein Schwert demnach direkt von Gott erhalten. Die unterschiedlichen Auffassungen mündeten immer wieder in Kirchenbann und Exkommunikation einerseits und in militärisches Eingreifen und Einsetzung von Gegenpäpsten andererseits. Die deutschen Kurfürsten stärkten dem Kaiser 1322 durch den Rechtssatz den Rücken, der Erwerb der Königswürde beruhe allein auf dem Wahlakt, ohne dass es der Mitwirkung des Papstes bedürfe. Der Prozess der Säkularisierung des Kaisertums fand seinen Abschluss im Zeitalter der Reformation, als sich Ferdinand I. im Jahr 1558 zum Kaiser wählen ließ und das Krönungsangebot des Papstes nicht annahm.

Dieser Kaiser aus dem Hause Habsburg spielte zuvor schon eine wesentliche Rolle bei der Aushandlung des Augsburger Religionsfriedens von 1555, durch den - nach Jahren der Reli­gionskriege - die konfessionelle Zersplitterung zwischen der katholischen und der neuen protestantischen Konfession zwar nicht gelöst, aber wenigstens ein pragmatischer Ansatz gefunden wurde, um die weltanschauliche Spaltung unter Ausschluss militärischer Mittel beherrschbar zu machen.

Kennzeichnend war nun vor allem, dass die Glaubenswahl des Fürsten für die Untertanen seines Territoriums verbindlich sein sollte, was später mit der populären Faustformel »cuius regio, eius religio« (»wo ich leb, so ich bet«) zum Ausdruck gebracht wurde. Mit diesem »Ius reformandi« des Landesherrn ging allerdings auch ein »Ius emigrandi« der Untertanen einher, d.h. wer den neuen Glauben seines Landesherrn aus Gewissensgründen nicht übernehmen wollte, hatte das Land zu verlassen, also auszuwandern. Das mag auf den ersten Blick hart klingen, das Auswanderungsrecht ist aber in vielen Staaten bis heute keine Selbstverständ­lichkeit. Mit dem Augsburger Religionsfrieden wurden zwar spätere konfessionelle Konflikte nicht verhindert, wie sich im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) leidvoll zeigen sollte, aber seither war das Nebeneinander mehrerer Konfessionen im Reich dauerhaft gesichert.

(Fortsetzung folgt)

Jörg Klingbeil

»Ich vermisse nichts«

Beate Siegler wollte anfangs nur auf Plastik verzichten - jetzt verursacht die Rentnerin fast gar keinen Müll mehr.

Ursprünglich wollte ich nur Marmelade einkochen. Doch beim Einkaufen stellte ich fest, dass das Geliermittel Pektin neuerdings in Plastik eingepackt ist. Darüber habe ich mich beim Her­steller beschwert. Die Antwort war enttäuschend: Das solle Klümpchen vermeiden. Da ich auf Plastik verzichte, wo immer es geht, habe ich nach einer Alternative gesucht. Schnell fand ich ein Rezept, wie man Pektin aus Äpfeln und Zitronenschale herstellt. Auf die fertige Marmelade war ich dann ziemlich stolz.

Solche Situationen kenne ich gut. Vor drei Jahren habe ich entschieden, in der Fastenzeit auf Plastik zu verzichten. Ich bleibe dabei bis heute. Ein Jahr später habe ich beschlossen, gar keinen Müll mehr zu produzieren. Denn die Umwelt liegt mir am Herzen. Ich wuchs in einer Großfamilie auf. Über die Müllberge, die da anfielen, ärgerte ich mich immer schon, auch wenn das für heutige Verhältnisse gar nicht viel Müll war. Inzwischen macht es mir richtig Spaß, bockig zu sein. Ich vermisse nichts. Außerdem spare ich Geld, da ich nur noch das kaufe, was auf meiner Liste steht. Leider ist der Weg zum Unverpacktladen in Frankfurt weit, ich brauche einen ganzen Vormittag fürs Einkaufen. Oft werde ich gefragt, wie man das schaffen soll, wenn man nicht wie ich in Rente ist. Also kaufe ich haltbare Lebensmittel auf Vorrat...

Viola Rüdele

 

Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kri­tisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 4/2019, Seite 61.

Neues aus Sarona

Gemeindehausglocken von SaronaGanz aktuell erhielten wir von Shay Farkash eine Foto-Dokumentation über die Restaurierung der al­ten Gemeindehausglocken von Sarona.

Er berichtet: Nach sechs Jahren der Verhand­lun­gen der Stadtverwaltung Tel Aviv ist es gelungen, die drei Glocken des Gemeindehauses, die sich im Besitz des früheren Generals und Ministers Mosche Dajan (1915-1981) befunden hatten, zurück zu er­langen. Nachdem sie (in Shay Farkashs Werkstatt) restauriert worden waren, wurden sie zur Uhren­manufaktur Perrot nach Calw verschickt, die die Uhr 1877 hergestellt hatte. Dort werden die Glocken für das elektronische System der bereits restaurierten Uhr aufgerüstet.

Shay Farkash, der im März nach Calw eingeladen hatte, um hier die Glocken zu hören und zu sehen, hofft, dass die Glocken nach 78 Jahren des Schweigens im Mai 2019 in Sarona wieder erklingen werden.

Gemeindehausglocken von Sarona Gemeindehausglocken von Sarona

Gemeindehausglocken von Sarona Gemeindehausglocken von Sarona

Karin Klingbeil

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