Die Warte des Tempels
Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 175/1 - Januar 2019

 

 

Zum Neuen Jahr - Karin Klingbeil

Auf gleicher Linie mit dem Tempelglauben - Peter Lange

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ... - Brigitte Hoffmann

Ersticken wir im Müll? - Jörg Klingbeil

Nachklang der Templer-Tage in Haifa und Sarona - Peter Lange

Zukunftsforum der TSA - Karin Klingbeil

Zum Neuen Jahr

Zum neuen Jahr

Offenbarung

Mitgeteilte Offenbarung
Ist zunächst nur ein Bericht.
Erst die innere Erfahrung
Macht sie uns zum Himmelslicht.

Kurt Horalek

 

Gott ist für uns Menschen unfassbar. Was wir vom Göttlichen erkennen können, sind allenfalls seine Wirkungen, vergleichbar vielleicht dem Widerschein der Strahlen einer großen Sonne, die hinter dem Horizont verborgen unseren sichtbaren Himmel erhellen. So lässt sich auch die Vielfalt der Religionen und ihrer Gottesaussagen verstehen. Die göttlichen Strahlen empfinden wir als eine universale Offenbarung.

Gedanken nach Hans-Hinrich Jenssen, Bund für Freies Christentum

 

»... Noch ein anderes Bild: unsere Sonne ist nur ein winziger Bruchteil aus den unendlichen Glutmassen im Weltall; aber selbst diese unsere Sonne ist noch so urgewaltig, dass Erde und wir mit ihr in einem Augenblick vergehen würden, wenn sie nicht in allerweitester Distanz wäre.

Nur so kommt von dieser Sonne für uns das Leben und alles, was das Leben erbaut. Unend­liche Ferne und unendliche Nähe - das ist das Geheimnis Gottes.

Es vollzieht sich auch in unserem Bewusstsein jene wunderbare Umwandlung, dass das Un­persönliche der Gottheit, in der wir als ein Nichts versinken müssten, für uns und in uns per­sönlich wird. ...«

Friedrich Manz in »Gottesbegriff und Gotteserlebnis«, Freies Christentum Nr. 5, 1949

 

Über Gott, von dem wir glauben, dass er Urgrund und Ziel unseres Seins ist, können wir keinerlei Aussagen machen. Numinos, heilig, transzendent - unser endlicher Geist kann Gott, der immer größer ist als jede Vorstellung es sein kann, weder erfassen noch beschreiben - unsere begrenzte Sprache reicht oft nicht einmal aus, unsere eigenen tiefen Empfindungen auszudrücken. Und doch suchen wir immer wieder nach Möglichkeiten, uns über unser Verständnis von Gott auszutauschen, auch wenn das nur Stückwerk bleiben und allenfalls Aspekte abdecken kann. So haben Menschen von Anbeginn der Zeit in Bildern, durch Mythen und Legenden von Gott gesprochen.

Die Bibel als Sammlung von verschiedenen Gottesvorstellungen und Glaubensauffassun­gen präsentiert Gott, besonders im Alten Testament, als den, der eindeutig zu den Menschen (die ihn verstehen) spricht, der Anweisungen gibt, deutlich macht, was er will und wie er will, dass die Menschen leben. Hier wird er als der Gott seines auserwählten Volkes geglaubt, aber diese Vorstellung wird im Neuen Testament bei Jesus aufgebrochen und dann auf alle Men­schen ausgeweitet.

Mit dem Vordringen der Rationalität in die Theologie wurde das religiöse Wissen theoretisch und bis heute wird häufig die Überzeugung vertreten, dass ein gläubiger Christ jemand sei, der glaubend die Dogmen der christlichen Kirche/n anerkennt. Das führte zu zwei Phänomenen: dem Fundamentalismus und dem Atheismus.

Im 20. Jahrhundert gab es in fast jeder der großen Religionen eine fundamentalistische Strömung, die die Heiligen Schriften wortwörtlich verstand - beispielsweise fassen die amerika­nischen Kreationisten die Mythen der Bibel als exakte naturwissenschaftliche Berichte auf. Demgegenüber wandte sich der klassische Atheismus zunächst eher gegen eine engstirnige theologische Gotteswahrnehmung. Davon ist der jüngere Atheismus zu unterscheiden, der fälschlicherweise davon ausgeht, dass der Fundamentalismus das Wesen der Religion aus­mache.

Obwohl es scheint, als würden viele heute den Glauben ablehnen, erleben wir auch eine Wiederbelebung des Religiösen - allerdings nicht in der hergebrachten Art und Weise. Die "neue" Besinnung erkennt wieder an, dass es Grenzen des Wissens gibt und auch keine religiösen Gewissheiten. Aber wir Menschen verfügen über die besondere Fähigkeit, Erfahrun­gen zu machen, die über das mit dem Verstand Fassbare hinausgehen. Derlei können wir in der Natur, bei der Musik, in der Ausübung des Glaubens - bei der Meditation oder im Gebet beispielsweise - und in der liebevollen Beziehung zu anderen Menschen erleben. Solche Erfahrungen geben Halt und Geborgenheit, stiften Lebenssinn und Vertrauen, das uns zum Leben hilft.

Dieses Vertrauen wünschen wir unseren Mitgliedern und Lesern auch für das kommende Jahr!

Für den Ältestenkreis, Karin Klingbeil

BUCHEMPFEHLUNG

Auf gleicher Linie mit dem Tempelglauben

»In seinem neuen Buch Kurskorrektur geht der Religionspädagoge Hubertus Halbfas aufs Ganze«, heißt es in einer Anzeige der neuerschienenen »Streitschrift«, »um zu zeigen, wie sich das Christentum ändern muss, damit es bleibt«. Durch diesen Anspruch neugierig gemacht, entschloss ich mich, Aussagen des kritischen Buchautors näher kennen zu lernen und zu untersuchen.

Seine wichtigsten Meinungsäußerungen stehen erstaunlicherweise erst weit hinten im 10. Kapitel mit der Überschrift »Was vorbei ist. Was sich ändert. Was bleibt.« Ich möchte mich zunächst an die Lektüre des Unterkapitels »Was bleibt: Das Evangelium Jesu vom Reich Gottes« machen und stelle andere Themen für eine zukünftige Bearbeitung vorerst beiseite.

Der Verfasser gibt zu, dass es einigermaßen kühn von ihm sei zu behaupten, dass angesichts so vielen Abbruchs und Umbaus des christlichen Glaubens das Evangelium Jesu vom Reich Gottes Bestand haben werde, denn gerade dieser Botschaft Jesu werde von Theologen meist wenig Bedeutung beigemessen. Es sei jedoch zu bedenken, dass die Reich-Gottes-Praxis Jesu in der Linie der sozialen Programmatik der Propheten Israels gesehen werden muss. Und dieser Bezug zur sozialen Dimension sei in der Jesus-Lehre des Paulus, die das Leben und das Programm Jesu übergehe, nur noch am Rande sichtbar. Dennoch wirke das Reich-Gottes-Evangelium Jesu weiter, nicht etwa über die Institution, sondern über die vom Evangelium Jesu berührten Menschen. Doch solange die christliche Kirche durch ihre eigene Struktur und Lebensform keine Gemeinden hervorbringe, die dem einzelnen Christen Stimme und Verantwortung geben, fehlten die Bedingungen für eine neue Lebensform. »Salz der Erde«, »Stadt auf dem Berge«, »Licht der Welt« könne nicht der einzelne Mensch für sich allein sein, sondern nur eine Gemeinschaft, in der dieses Verständnis strukturelle Voraus­setzungen finde.

Der Autor will durchaus nicht das Vorhandensein vieler heutiger Initiativen zu humanisie­render und friedensfördernder Arbeit in Abrede stellen. In vielen Einrichtungen würden sich ursprünglich christliche Programme in zivilgesellschaftlicher Entwicklung fortsetzen, auch wenn man sich der Verbindung zur sozialen Programmatik der Propheten Israels und des historischen Jesus nicht immer bewusst sei.

In der Bedeutung des »historischen Jesus« sieht Professor Halbfas das eigentliche Dilemma unseres Glaubens: Die heutige Theologie insistiere, dass »nicht der historische Jesus, sondern das biblische Christusbild das Fundament des christlichen Glaubens« sei. Und er stellt die entscheidende Frage: Gibt es denn zweierlei Evangelium? Sicherlich verdanke das Christentum dem Apostel Paulus fast alles. Er sei der Gründer der Kirche. Er habe deren Grundlagen geschaffen, von denen man annimmt, dass sie bis heute tragen.

»Doch Jesus und Paulus haben unterschiedliche Botschaften verkündigt: Für Paulus sind Leben und Lehre Jesu nicht wichtig. Ihn beschäftigt nur der Tod und die Auferstehung Jesu, die er theologisch deutet und zum Mittelpunkt seines Denkens macht. Für seine Theologie gewannen die authentischen Kenntnisse der Jesusschüler nicht das geringste Gewicht. Wie sich diese Wertung in den folgenden Jahrhunderten auswirkte, zeigt das Apostolische Glau­bensbekenntnis: der historische Jesus kommt darin bis auf die Erwähnung seines Todes nicht vor.«

Welches Fazit ergibt sich daraus für Halbfas? »Paulus verändert das Evangelium grundle­gend. Jesu Leben und Worte spielen für ihn keine Rolle. Er konzentriert sich auf die Sühneleistung, die Jesus am Kreuz für die Sündhaftigkeit des Menschen erbracht haben soll. Hätte Jesus den Römerbrief lesen können, er würde seine eigene Botschaft darin nicht wiederfinden. Und wenn die Theologen - selbst solche vom Format eines Albert Schweitzer oder Rudolf Bultmann - alle Anstrengungen der Welt aufbieten, um die Lehre des Paulus doch in der Verkündigung und Lebensform des Jesus von Nazareth vorentworfen zu finden: Es überzeugt nicht. Das Evangelium Jesu und das Evangelium des Paulus haben nur eine geringe gemeinsame Schnittmenge.«

Sicherlich wird immer wieder von Theologen der Einwand kommen, dass über den »histo­rischen Jesus« nur wenig verbürgt sei, denn die sein Leben schildernden Evangelien seien lange Zeit nach seinem Tod entstanden und ihrerseits mythologisch gefärbt und mehrfach redaktionell geändert worden. Halbfas gibt zu, dass die vorliegenden Quellen noch weiterer genauer geschichtlicher Aufklärungsarbeit bedürften, doch gäbe es in den Bergpredigtworten und den Gleichnis-Geschichten immer noch »genügend belastbaren Rückhalt« für die Jesusgeschichte.

Dies immer wieder neu zu bedenken, ist seit Gründung unserer Glaubensgemeinschaft des Tempels unser Ziel und unsere Aufgabe. Nicht ohne Grund steht an den Wänden aller bisherigen Versammlungssäle der Tempelgemeinden das Leitwort des »Trachtens nach dem Gottesreich«, wobei wir immer wieder neu darüber nachdenken müssen, was wir als das »Evangelium Jesu« auffassen wollen. Die »Kurskorrektur« von Hubertus Halbfas kann uns dazu Anstoß und Hilfe sein.

Weitere Stichpunkte in dem vorgestellten Buch lauten: »Der problematische Todesbezug des Abendmahls« - »Das Ende der Priesterkirche« - »Eine Christologie ohne Reich-Gottes-Erinnerung« - »Trinitäre Kontroversen« - »Die Erbsünde - ein dogmatischer Supergau« - »Die Bibel als geschichtliches Dokument« - »Glaubensverlust«. Mir war es wichtig, hier aufzu­zeigen, wie viele Auffassungen unseres »jesuanischen« Glaubens im Tempel auch von Professor Halbfas geteilt werden.

Hubertus Halbfas, »Kurskorrektur - Wie das Christentum sich ändern muss, damit es bleibt«, Patmos, 2018, 208 Seiten

Peter Lange

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist !

(Matthäus 22,19-20)

Die Frage nach der Steuer (»Ist es recht, dass man dem Kaiser Steuern zahle?«), die Jesus von seinen "Feinden" gestellt wurde, war offenkundig eine Falle: jede konkrete Antwort hätte sein Leben in Gefahr bringen können. Hätte er die Frage konkret bejaht, wäre er für die religiösen Eiferer seines Volkes zum Verräter geworden. Hätte er sie verneint, so hätte er sich offen gegen die römische Besatzungsmacht gestellt. So kam es wohl zu einer - für Jesus eigentlich untypischen - eher allgemein gehaltenen Antwort, die er konkret mit einer weitver­breiteten Silbermünze von geringem Wert unterlegte, die Namen und Kopf des jeweils regierenden Kaisers zeigte. Noch heute bewundern wir die Klugheit und Geistesgegenwart Jesu gegenüber diesem unerwarteten Angriff. Seine, sicher gedungenen, Verleumder waren jedenfalls so verwirrt, dass sie sich still und leise davonmachten.

Zumindest für mich hat dieses Jesuswort noch eine tiefere Bedeutung, weit über den Anlass hinaus. Denn hier wird zum ersten Mal aus religiöser Sicht öffentlich gesagt, dass es einen Bereich gab, der, zu Recht, dem weltlichen Herrscher zustand oder zustehen konnte. Das war ein Tabu-Bruch, für den nur Jesus den Mut und die Erkenntnis aufbringen konnte. Deshalb halte ich diesen Ausspruch für authentisch.

In ihrem Riesenreich überließen die Römer das Klein-Klein der Verwaltung aus Vernunft oder Bequemlichkeit meist den bestehenden Eliten. Im Mini-Staat Juda war das die religiöse Elite der Schriftgelehrten und Pharisäer. Es gab - eigentlich modern - ein Regelwerk dafür: die fünf Bücher Mose, die Thora. Sie war religiöse Unterweisung, Geschichtswerk und Bürgerli­ches Gesetzbuch zugleich. Und sie war göttliche Anweisung und deshalb unabänderlich und ewig.

Das hat wohl auch Jesus so geglaubt. Er hat nie etwas gegen das Gesetz gesagt. Aber er hat Zeit seines Wirkens darum gekämpft, dass es auf den Geist und nicht auf den Buchstaben des Gesetzes ankomme - auch ein Versuch, die für uns erschreckende Kluft zwischen der Heiligkeit und Ewigkeit des Gesetzes einerseits und der sich stetig ändernden Realität andererseits aufzulockern. Durchsetzen konnte er sich damit nicht. Aber er hat einen Prozess in Gang gesetzt, der bis heute weiterwirkt und, neben Schlimmem, auch viel Positives bewirkt hat, kleine Schritte in Richtung auf das Grundthema Jesu, das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe und die enge Verknüpfung beider. »Wenn einer seinen Nachbarn nicht liebt, den er sieht, wie soll er Gott lieben, den er nicht sieht?« Und mir scheint, das Jesuswort in unserer Überschrift ist ein wichtiger Schritt dabei.

Brigitte Hoffmann

Ersticken wir im Müll?

In der »Warte« haben wir schon wiederholt (siehe Ausgaben vom Juli/August 2013, Juni 2014 und September 2017) über das wachsende Problem des in den Weltmeeren treibenden Plastikabfalls berichtet. Ungeachtet ausgeklügelter Recycling-Systeme (z.B. »grüner Punkt«) nimmt Deutschland bei der Müllerzeugung eine traurige Spitzenstellung in Europa ein. Allein im Jahre 2016 fielen rund 18,2 Mio. Tonnen Verpackungsmüll an, das sind rund 220 Kilo­gramm pro Kopf. Gegenüber dem Jahr 2000 (15,3 Mio. Tonnen) bedeutete dies eine Steige­rung um ein Fünftel. Die Zahlen für die einzelnen Verpackungsarten zeigen, dass Verpa­ckungen aus Weißblech und Aluminium weniger geworden sind; dagegen hat die Menge an Papier- und Kartonverpackungen um ein Drittel zugenommen - nicht zuletzt aufgrund des boomenden Online-Handels mit zahllosen Paketsendungen, grassierender Fastfood-Schachteln und To-go-Kaffeebechern. Noch stärker angewachsen ist seit 2000 allerdings der Abfall aus Plastikverpackungen (von 1,8 auf 3,1 Mio. Tonnen). Problematisch ist neben der großen Menge auch der unterschiedliche Grad der Wiederverwertung: Während der Recycling-Anteil bei Glas, Papier, Karton und Aluminium bei über 80 % liegt, wird nur knapp die Hälfte der Plastikverpackungen wiederverwertet. Die Appelle, diesen Anteil zu steigern, stoßen aber vielfach auf praktische Probleme: Joghurtbecher zum Beispiel bestehen häufig aus mehreren Komponenten, der Becher selbst aus Plastik, die Ummantelung oft aus Pappe, der Deckel aus Aluminiumfolie. Weil kaum ein Verbraucher das trennt, lassen sich solche Verpackungen nach Aussagen der Entsorgungsunternehmen nur schwer recyceln, wobei damit nicht nur die technische Umsetzung, sondern vor allem die Rentabilität gemeint ist. Denn es lohnt sich für sie einfach nicht, mehr als die derzeit vorgeschriebenen 36 % des Kunststoffmülls zu recyceln. Der Rest wird »energetisch verwertet«, auf Deutsch: verbrannt. Zum 1. Januar 2019 trat allerdings ein neues Verpackungsgesetz in Kraft, durch das neue Registrierungs- und erweiterte Rücknahme- bzw. Pfandpflichten eingeführt werden, durch die vor allem die Recycling-Vorgabe bei Kunststoffen schrittweise auf bis zu 63 % im Jahr 2022 steigt (derzeit 36 % für werkstoffliche, also weder rohstoffliche noch energetische Verwertung). Das setzt jedoch voraus, dass die Deutschen wieder mehr Begeisterung für das Mülltrennen entwickeln; zuletzt - so die Entsorgungsunternehmen - sei die Zahl der »Fehlwürfe« in die falsche Tonne wieder gestiegen. Ohnehin wäre es nach Ansicht des Umweltbundesamtes besser, wenn von vornherein weniger Verpackungsmüll entstünde; viele Kritiker sind der Ansicht, dass allein die umfassende Sammelei von Kunststoffen nicht weiterführt, weil dadurch auch die Menge an nicht recycelbarem Material zunimmt.

Foto: Wikimedia Commons Contributors 2018

Wenn das eigene Umdenken nicht ausreicht, dann ist häufig ein Anstoß von außen heilsam. So könnte es Europa und vor allem dem »Müll-Europameister« Deutschland ergehen. Denn China hat Ende 2017 angekündigt, in Zukunft keinen Plastikmüll mehr einzuführen und auch auf die Einfuhr von Schrott weitgehend zu verzichten (der Verkauf von Plastikmüll nach China galt in der Statistik bisher als »Wiederverwertung« und half Deutschland dabei, seine ambitionierte Recyclingquote zu erfüllen!). Altpapier werde nur noch akzeptiert, wenn es in besonders reinen Ballen ohne Verunreinigungen ankommt. Pekings Entscheidungen haben innerhalb kürzester Zeit etablierte Produktionsketten und Handelsbeziehungen erschüttert. Der Export von Plastikmüll aus Deutschland nach China, dem wichtigsten Abnehmerland für die deutsche Entsorgungswirtschaft, ist praktisch zusammengebrochen. Im ersten Quartal 2018 sind nur noch 4.500 Tonnen ausgeführt worden, verglichen mit 160.000 Tonnen - also fast der vierzigfachen Menge - im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Teilweise haben zwar andere europäische Staaten ihre Mülleinfuhren aus Deutschland gesteigert; das reicht aber nicht aus, um den Ausfall der Chinesen zu kompensieren. Der Müll-Export ist um über ein Viertel gesunken; zusätzlicher Plastikmüll ist in Deutschland verblieben. Der »Müllstau« reicht mittlerweile bis Amerika, denn auch dort war China bisher als bequeme und kostengünstige Entsorgungsstation in Anspruch genommen worden. Der Branchenverband der deutschen Entsorgungsunternehmen rechnet damit, dass andere asiatische Staaten wie Vietnam und Malaysia auch demnächst »die Schotten dichtmachen« werden, weil auch dort zu viel minderwertiges Material ankomme. Es wird also noch mehr Müll in Deutschland verarbeitet werden müssen. Die Zukunftsaussichten sind dabei weltweit eher düster: So warnte etwa die Weltbank in ihrem Bericht »What a Waste 2.0« kürzlich davor, dass die globalen Müllberge bis 2050 um 70 % steigen würden, wenn nicht alsbald einschneidende Maßnahmen ergriffen werden. Das aktuelle Gesamtaufkommen in Höhe von 2 Mrd. Tonnen könnte durch Bevölkerungswachstum und Urbanisierung auf 3,4 Mrd. Tonnen anwachsen. Mehr als ein Drittel des Mülls komme aus den hochentwickelten Ländern, obwohl dort nur 16 % der Weltbevölkerung lebten. In Afrika werde sich die Müllproduktion in den nächsten Jahren verdreifachen, in Asien verdoppeln. Besonders misslich wirke sich dabei die geringe Recyclingquote von gerade mal 4 % in den Entwicklungsländern aus (Hochlohnländer > 30%).

Mittel- und langfristig könnte eine veränderte Produktentwicklung Abhilfe schaffen. So ist etwa die aktuelle Ökodesign-Richtlinie der EU auf das Thema Energie beschränkt; würde auch die Rohstoffeffizienz in das Regelwerk miteinbezogen, so würden die Hersteller mehr wiederverwertbare Materialien verwenden. Immerhin widmet sich die EU-Kommission seit 2015 verstärkt der Kreislaufwirtschaft und hat Anfang 2018 eine umfassende Plastikstrategie vorgelegt, wonach bis 2030 alle Kunststoffe wiederverwertbar sein sollen. Im Oktober 2018 hat sich auch das EU-Parlament damit befasst. Wattestäbchen und Einweggeschirr aus Plastik sollen verboten werden. Viele Umweltschützer halten das für eine Alibiaktion. Einige Handelsketten haben schon reagiert und wollen diese Produkte aus ihrem Sortiment nehmen. Auch den besonders ärgerlichen Plastikverpackungen für einzelne (Bio!)Gurken soll es an den Kragen gehen. Ob es zu der von EU-Kommissar Oettinger angedrohten »Plastiksteuer« kommt, bleibt abzuwarten.

Manchmal sind es die kleinen, versteckten Nachrichten, die Mut machen. So wurde auf der Wirtschaftsseite einer Tageszeitung neulich über ein Start-up-Unternehmen aus Hamburg berichtet. Der aus Kolumbien stammende Unternehmensgründer hat sich zum Ziel gesetzt, Plastik als Verpackungsmaterial für Lebensmittel überflüssig zu machen. Seine Idee: Verpackungsbehälter aus Agrarabfällen herstellen. »Oft besteht ein landwirtschaftliches Gut zu 10 % aus der Frucht und zu 90 % aus Abfällen, die dann verbrannt werden müssen«, erklärt der studierte Industriedesigner Eduardo Gordillo, der die Firma gründete. Allerdings wären Käufer nur bereit, auf Plastik zu verzichten, wenn die Alternative nicht teurer wäre. Außerdem stellte es sich als technisch schwierig und aufwändig heraus, Abfälle in die gewünschte Form zu bringen. Bei weiteren Recherchen stieß er auf ein Unternehmen, das sich auf Defibrillierung spezialisiert hat: dabei werden die Pflanzen geschreddert, gewaschen und getrocknet; anschließend wird das Gemisch - vereinfacht gesagt - unter großer Hitze in die gewünschte Form gepresst. Dann kann zum Beispiel eine Tomatenschale aus den Abfällen von Tomatenpflanzen hergestellt werden. Gordillo hebt die ökologische und soziale Wirkung hervor: »Bauern in Asien bekommen auf diese Weise Agrarabfälle anständig bezahlt. Außerdem benötigt die Herstellung eines Kilogramms Papier 150 Liter Wasser; für ein Kilo unserer Verpackung sind nur vier Liter erforderlich.« In Indien ist schon die erste Produktions­stätte für den dortigen Markt entstanden, in der bis zu 2.000 Tonnen Verpackungsmaterial produziert werden können. Der Bau wurde vor allem dadurch beschleunigt, dass der indische Bundesstaat Karnataka ein allgemeines Plastikverbot aussprach. In seiner Fabrik produziert Gordillo nun Einweggeschirr für Garküchen, Nierenschalen für indische Krankenhäuser, Verpackungen für die indische Eisenbahn, für Fluglinien und für einen beliebten Coffeeshop. Im nächsten Jahr will er die Produktion in Deutschland aufnehmen. Seither würden ihn laufend potenzielle Kunden anrufen, berichtet er. Er ist zuversichtlich, ähnliche Preise wie bei Kunststoff und Pappe anbieten zu können. Auch die Kosten für den »grünen Punkt« würden die Kunden sparen, denn sein Material sei hundertprozentig kompostierbar. Anders als bei Plastiktüten könnten schließlich auch die heiligen Kühe in Indien sein Produkt essen, ohne dass etwas passiert.

Jörg Klingbeil

Nachklang der Templer-Tage in Haifa und Sarona

Die Veranstaltungen zum Gedenken an die Ankunft der ersten Templer in Haifa vor 150 Jahren sind vorüber. Unsere »Warte«-Leser sind im Dezember-Heft ausführlich darüber informiert worden. Es waren dies zwei ereignisreiche Tage, und ich fühlte ein inneres Bedürfnis, mich in den Tagen nach unserer Israel-Reise neben Jörg und Karin Klingbeil auch noch persönlich bei dem Initiator und Koordinator der Veranstaltungen in Haifa und Sarona, Prof. Dr. Yossi Ben-Artzi, für die aufwändigen Vorbereitungen der Konferenz und den freundschaftlichen Empfang sehr herzlich zu bedanken.

Auf meinen Dankesbrief erhielt ich von Prof. Ben-Artzi die folgende Erwiderung: »Lieber Peter, dein Brief hat mich tief bewegt. Er festigt in mir die herzliche Verbindung, die uns seit 1986 zusammenführt, als ich mit deinem Vater Hans bekannt wurde. Durch ihn erfuhr ich viel über die Geschichte der Templer und über die menschliche Seite hinter den historischen Begebenheiten. Er führte mich zu so vielen Quellen und Personen der Geschichte der Templer in Palästina. Unsere Familie wurde von ihm und eurer Mutter bei jedem Besuch so warm und herzlich aufgenommen, dass wir uns in Degerloch wie zuhause fühlten.

Die Vorbereitungen der Konferenz nahmen viel Zeit in Anspruch, und es mussten viele Einzelheiten bedacht und ausgeführt werden. Der Höhepunkt war jedoch eure Anwesenheit und die der großen Delegation von Tempel-Mitgliedern aus Deutschland und Australien. Ihr habt beim Auditorium und bei den israelischen Medienvertretern für große Aufmerksamkeit gesorgt. Dein Auftreten, zusammen mit Ingrid und Dieter, beobachteten Zehntausende auf Israels Erstem Fernseh-Kanal.

Die Geschichtsforscher von Israel verfolgen mit großem Interesse das Erbe eurer Vorfahren in unserer israelischen Landschaft, und wir fühlen uns verpflichtet, Reichtum und Bedeutung dieses Erbes weiterhin zu dokumentieren. Ich bin sicher, dass die warmherzigen Beziehungen zwischen uns auch weitere 150 Jahre erhalten bleiben können.«

Peter Lange

Zukunftsforum der TSA

Unsere Schwestergemeinde in Australien macht sich Gedanken über ihre Zukunft. In der Oktoberausgabe des "Templer Talk" hat Renate Beilharz darüber berichtet: Fünf Monate lang wurde in intensiven Gesprächen in Foren und mit Einzelpersonen über Vision, Zweck und strategische Ziele der Gemeinschaft gesprochen. Ältestenkreis und Gebietsleitung haben daraus eine aktuelle Formulierung erarbeitet, mit der man sich ihres Erachtens identifizieren könne und das die Prinzipien und Werte sowie das historische und religiöse Vermächtnis festschreibe. Als Nächstes sollen auf dieser Grundlage Aktions- und Zeitpläne erstellt werden.

Die Rückmeldungen haben gezeigt, dass sich viele um die Zukunft der TSA Gedanken machen und dass die TSA im Leben der Menschen wichtig ist, wenn auch in unterschied­lichem Grad, aber auch, dass es unter Mitgliedern und Freunden Meinungen gibt, die einander diametral entgegenstehen. Gemeinsame Grundlage bleiben dennoch Werte, Gemeinschafts­sinn und das historische Erbe. Der Diskussionsprozess dauert noch an. Hier nun der Inhalt des Papiers:

Vision: eine gerechte, mitfühlende Welt in Eintracht mit unserer Umwelt, die durch Beziehun­gen in der Gemeinschaft erreicht wird.

Ziel: eine Gemeinschaft auf einer glaubensbezogenen Grundlage, verbunden mit von allen ge­teilten Werten von Vertrauen und Respekt, die wir durch unser Tun ausdrücken.

Unsere gemeinschaftlichen Initiativen streben danach,

geistige und soziale Verbindung zu unterstützen,

gemeinschaftliche Eintracht und Inklusion zu fördern,

den Gemeinschaftsgeist zu befördern,

auf die menschlichen Bedürfnisse einzugehen,

auf unseren Traditionen und unserem Erbe aufzubauen.

Beschreibung unserer Werte: andere so zu behandeln, wie wir behandelt werden wollen.

Identität: die Temple Society Australia ist eine freiheitlich denkende Glaubensgemeinschaft auf christlicher Grundlage. Jesu Kernbotschaft der Liebe untermauert unsere Ziele und die spiritu­elle Entwicklung des Einzelnen, der durch sein Gewissen geleitet ist. Der Gemeinschaftssinn der TSA beruht auf unserer Vision von Mitgefühl, Einigkeit und Verbindung. Vertrauen, Annah­me und Respekt sind die Ecksteine unserer Gemeinschaft.

Motto, traditionell: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere zufallen (Matthäus 6,33).

Motto, heutig: Wir streben nach dem Besten in uns und wollen aus der Welt einen besseren Ort machen.

Wir werden über den weiteren Fortgang dieses Prozesses berichten.

Karin Klingbeil

Aktuell
Veranstaltungen im Dezember
Uraufführung des Films "Ich tanze, aber mein Herz weint"
Templer-Lesestoff