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Ostern - Fest der Auferstehung? - Brigitte Hoffmann
Gedanken zum Sabbatgebot - Wolfgang Blaich
Gnade Gottes - oder was bedeutet Gnade für uns? - Christa Lingham
Welcher ist der richtige Osterhase? - Karin Klingbeil
Restlos glücklich - Jörg Klingbeil
Heilige, das Land und das Heilige Land - Karin Klingbeil
Neues aus dem Archiv - Jörg Klingbeil
Berichtigung zum »Bild-Fund von 1925« - Peter Lange
Ostern ist das älteste und war lange Zeit das einzige große Fest der Christenheit. Denn es ist gewachsen aus dem Glauben an das übernatürliche Wunder der Auferstehung Jesu von den Toten. Glauben wir noch an dieses Wunder? Hat dieses Fest uns noch etwas zu sagen?
Dass das christliche Fest mit dem jüdischen Pessach zusammenhängt, wird schon in den Evangelien deutlich. Zu diesem großen Opferfest kamen jedes Jahr viele jüdische Pilger nach Jerusalem, um im Tempel zu opfern. Jesus hat sicher diesen Termin für sein »Hinaufziehen« nach Jerusalem bewusst gewählt, um dort möglichst viele Menschen anzusprechen und vor ihnen allen die Tempelhierarchie herauszufordern. Der Zusammenhang spiegelt sich noch heute im Namen des Festes in den meisten europäischen Sprachen (lat. Passa, ital. Pasqua, frz. Paques usw.) und im Datum. Ostern und Pessach liegen bis heute ganz nahe beisammen. Dass sie nicht ganz zusammenfallen, liegt zum einen an späteren Kalenderreformen, zum anderen daran, dass die Christen für ihr Fest nicht den jüdischen Sabbat wählten, sondern den Tag danach: den Tag der Auferstehung, den Sonntag, den »Tag des Herrn«, für sie den Beginn der neuen Woche - den Beginn einer neuen Zeit. Und so fällt Ostern auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Tag- und Nachtgleiche, dem Frühlingsbeginn.
Schon diese umständliche Terminbestimmung zeigt: Pessach war ursprünglich ein Frühlingsfest, das noch auf die heidnische, nomadische Zeit zurückging. Man brachte gemeinsam Opfer, um die Götter gnädig zu stimmen, sie anzuflehen um Segen und Schutz vor dem Aufbruch zu der mühsamen und z.T. gefährlichen Wanderung von den Winter- zu den Sommerweiden. Als dann die jüdische Religion entstand, wurde das heidnische Fest übernommen, aber es bekam nun einen ganz neuen Sinn: die Erinnerung an den Exodus, den Aufbruch aus der Knechtschaft in Ägypten, an die wunderbare göttliche Errettung vor dem Heer des Pharao und vor den Gefahren der Wüste. Als die frühen Christengemeinden sich vom Judentum lösten, geschah wieder dasselbe: das Fest bekam wieder einen neuen Sinn: die Erinnerung an die Auferstehung Jesu. Und wahrscheinlich geschah bei der sehr viel späteren Christianisierung der Germanen (6.-10. Jhdt.) dasselbe noch einmal: aus dem Fest der germanischen Frühlingsgöttin Ostara wurde das christliche Auferstehungsfest - daher der Name Ostern, Easter usw. in Mittel- und Nordeuropa.
Eine solche Umwidmung hat es in der Geschichte häufig gegeben. Kirchen wurden oft dort gebaut, wo vorher ein Tempel oder eine heidnische Opferstätte gewesen war. Das symbolisierte den Sieg der neuen Religion, und es kam dem Beharrungsvermögen vieler Menschen entgegen. Sie waren es gewohnt, an einem bestimmten Ort zu beten oder zu einer bestimmten Zeit (Jahreszeit) zu feiern. So nahmen sie das Neue leichter an, wenn es - zum Teil - mit neuen Bräuchen verbunden war. Aber im Fall des Osterfestes und seiner früheren Formen kommt noch etwas Anderes, Tieferes hinzu: Es geht auch um den Aufbruch zu etwas Neuem, ein Aufstehen - um Auferstehung. Darum können wir auch so selbstverständlich das Wiedererwachen der Natur im Frühling in eins setzen mit dem Auferstehungsfest. Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir Auferstehung feiern? Was ist damals, vor fast 2000 Jahren, in Jerusalem geschehen? Wirklich wissen können wir kaum etwas. Nur für die Kreuzigung gibt es ein außerchristliches Zeugnis, eine kurze Notiz bei dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus, dass ein Anführer einer jüdischen Sekte gekreuzigt wurde, den seine Anhänger Christus nannten. Für das, was danach geschah, haben wir nur die Evangelien als Quellen und die Briefe des Paulus. Die Evangelien sind mehr als 50 Jahre nach Jesu Tod geschrieben worden und sie sind keine historischen Berichte, sondern Glaubenszeugnisse aus einer Zeit, als die tiefe Verehrung seiner Anhänger Jesus schon in die Sphäre der Gottähnlichkeit entrückt hatte. Der zuverlässigste Zeuge ist Paulus. Er war zwar nicht dabei, hat aber mit einigen oder vielen gesprochen, die dabei waren. Im 1. Korintherbrief - also Anfang der 50er Jahre - setzt er sich ausführlich mit dem Thema auseinander, denn für ihn - wie damals für alle Christen - war das der Kern seines Glaubens: »Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unser Glaube vergeblich« (1. Kor 15,14). Deshalb zählt er auf, von wem Jesus nach seinem Tod gesehen wurde (zum Beispiel von »mehr als 500 Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben«, d.h.: sie können befragt werden), zuletzt von ihm selbst. Damit stellt er sein Bekehrungserlebnis in eine Reihe mit den Erfahrungen der Jünger. Es sind Visionen, ein geistiges Sehen, nicht ein leibliches. Eine leibliche Auferstehung lehnt er ausdrücklich ab. »Du Narr! Was gesät wird, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt«, antwortet er auf eine entsprechende Frage (1. Kor 15,36), und von einem leeren Grab weiß er nichts.
Diese Legende hat sich erst später gebildet, wohl aus dem Bestreben, das Unbegreifliche konkret und anschaulich zu machen. Schon die Auferstehungsberichte der Evangelien haben deutliche Züge von Visionen: die Gestalt tauchte plötzlich auf, wurde zunächst nicht erkannt, ging durch verschlossene Türen, verschwand vor den Augen der Jünger. Und dazwischen stehen Details, die die Leiblichkeit betonen: Thomas, der den Finger in Jesu Wunden legt, Jesus, der ganz normal mit den Jüngern isst. Die diese Details hinzufügten, hatten wohl nicht das Gefühl, etwas zu verfälschen. Sie berichteten von einem übernatürlichen, gottgewirkten Wunder. Wir glauben nicht an solche Wunder. Und doch muss den Jüngern etwas ganz Außerordentliches geschehen sein. Meine Deutung: sie lebten seit Jesu Verhaftung und erst recht seit seinem Tod in einem Zustand existenzieller Verzweiflung. Sie hatten alles aufgegeben, Familie, Besitz, Geborgenheit, und hatten mit Jesus ein Leben der Armut und der totalen Unsicherheit geführt, getragen nur von der Liebe zu ihm und dem Glauben an seine Botschaft. Sie waren mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen, wahrscheinlich in der begeisterten Hoffnung, dass dort, im Zentrum ihres Glaubens, nun die Gottesherrschaft anbrechen würde. Und nun war das alles zusammengebrochen.
Vielleicht galt das sogar für Jesus selbst. Der Kern seiner Botschaft war das (baldige) Kommen des Gottesreichs. Vielleicht suchte er mit dem Zug nach Jerusalem eine Entscheidung. Dass er damit sein Leben riskierte, wird er gewusst haben. Schon vorher, aber sicher seit der Vertreibung der Händler aus dem Tempel hatte er sich die Todfeindschaft der Priesterhierarchie zugezogen. Er hatte nicht nur ihren Glauben, sondern ihre Lebens- und Herrschaftsgrundlage angegriffen. Er ging trotzdem, vielleicht auch im Vertrauen, dass ihm Gott beistehen werde, seinen Auftrag zu erfüllen. Bei Matthäus und Markus lautet das letzte Wort Jesu am Kreuz: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Und ich glaube, dass dieses Wort authentisch ist. Kein Späterer hätte es gewagt, Jesus so etwas Erschreckendes in den Mund zu legen. Denn es macht den Kreuzestod auch zu einer seelischen Qual des Scheiterns. Lukas bringt dieses Wort nicht, obwohl er das Markus-Evangelium als Quelle benutzte. Bei ihm heißt das letzte Wort Jesu am Kreuz: »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.« Ich stelle mir am liebsten vor, dass beide Worte echt sind. Das würde bedeuten, dass Jesus auch im Scheitern sein Vertrauen zu Gott bewahrt hat, dass er akzeptiert hat, dass Gottes Wege anders sein können, als er selbst geglaubt und gehofft hat.
Die Jünger hatten dieses tiefe Vertrauen nicht. Schon nach Jesu Verhaftung ließen sie ihn im Stich. Keiner ging den schweren Weg nach Golgatha mit, keiner war bei der Kreuzigung dabei. Der Grund dafür war wohl nicht die Todesangst - unter anderen Umständen wären sie sicher bereit gewesen, für ihren vergötterten Meister zu sterben - , sondern dass ihr Glaube an ihn zerbrochen war. Offenbar war er nicht der Messias, der Gesandte Gottes, für den sie ihn gehalten hatten. Und damit hatten sie die Orientierung für ihr Leben verloren, sie waren verzweifelt, bis in die Tiefen der Seele erschüttert. In dieser Verfassung waren sie empfindsam, offen für etwas, das uns normalerweise verschlossen ist: die Wahrnehmung der geistigen Kräfte, die uns umgeben, die um uns und in uns wirken, die Wahrnehmung einer geistigen Welt, in der auch die Toten lebendig sind. Und so konnten sie Jesus sehen. Dass es solche Momente der gesteigerten geistigen Wahrnehmung gibt - vielleicht in unterschiedlicher Intensität - , wissen wir auch aus anderen Berichten. Manche erfahren sie, wie die Jünger, in tiefer Trauer oder Verzweiflung, manche durch intensives Meditieren in Momenten, in denen sie sich eins fühlen mit dem All und mit Gott, manche in unmittelbarer Todesnähe, wie Nahtodberichte zeigen, manche, wie Paulus, unverhofft und ohne äußeren Anlass. Man kann solche Momente nicht herbeiführen und nicht verdienen; sie sind biblisch gesprochen: Gnade. Beweise für eine geistige Welt und für ein geistiges Weiterleben nach dem Tod sind sie nicht. Aber im Falle der Jünger gibt es eine ganz reale Folge: ihre eigene Verwandlung. Aus dem verschreckten, demoralisierten Grüppchen wurden quasi über Nacht Männer, die keine Furcht mehr kannten - obwohl die reale Gefahr geblieben war. Sie entwickelten eine Kraft, die sie befähigte, auch andere zu überzeugen von dem eigentlich Unglaublichen: Jesus, der Gestorbene, lebt! An ein geistiges Weiterleben glaubten damals die meisten Juden, wohl auch Jesus und seine Jünger. Aber das war quasi ein theoretischer, unsicherer Glaube oder, frei nach Paulus, ein Glaube aus Hoffnung - so wie der unsrige. Auch das kann Trost sein und Kraft geben. Aber es ist viel weniger relevant als das, was die Jünger erfuhren: sie hatten ihn als einen Lebendigen gesehen und gehört! Und diese beseligende Erkenntnis bewirkte ihre eigene Auferstehung im Hier und Jetzt. Diese Auferstehung geht uns ganz direkt an. Sie macht anschaulich, dass man wieder aufstehen kann aus tiefer Verzweiflung, auch aus Schuld, vielleicht nicht so strahlend wie die Jünger, vielleicht nur etwas und allmählich, aber doch so, dass man wieder in ein sinnvolles Leben hineinfinden kann. Und schließlich bleibt die Hoffnung, dass das Erlebnis der Jünger zugleich auch ein Zeichen ist für ein neues Sein nach dem Tod und dafür, dass sich dann erfüllt, was wir hier nicht erreichen konnten.
Selbst Jesus konnte Gottes Wirken nicht deuten, zumindest nicht immer. Der Kern seiner Botschaft war das baldige Kommen des Gottesreichs, mit der Betonung auf bald. Er war sich seiner Sache so sicher, dass er dafür eine knappe Frist setzte: »Einige von denen, die hier stehen, werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes sehen« (Mk 9,1). Damit verlieh er der Reich-Gottes-Idee eine ungeheure Intensität, denn damit ging sie jeden direkt an. Wir wissen, dass er sich in dieser Naherwartung geirrt hatte. Das tut der Bedeutung seines Vorbilds und seiner Botschaft keinen Abbruch.
Bei der Abfassung der synoptischen Evangelien wurde die Auferstehung schon anders gedeutet: Für die »Christen« - jetzt nannten sie sich so - war Jesus nun der Messias, der Beauftragte Gottes, der wiederkehren und das Gottesreich im Hier und Jetzt aufrichten würde. Diese »frohe Botschaft« wurde gerne geglaubt, denn so versprach die Auferstehung Jesu auch die unsrige. Für einen großen Teil der Christen dürfte das auch heute noch die Botschaft von Ostern sein. Ich denke, nachvollziehbarer für die meisten von uns ist hingegen die Botschaft von der Auferstehung der Jünger, die besagt: wir können und dürfen wieder aufstehen aus Verzweiflung, auch aus Schuld, auch in den kleinen Dingen des Alltags. Und auch für die, die sich damit schwer tun, gibt es immer wieder eine Möglichkeit und immer die Hoffnung auf solch eine kleine Auferstehung. Und wer einmal oder immer wieder einmal erlebt hat, wie viel Freude das machen kann, kann daraus Erfüllung finden auch für ein schweres Leben. In diesem Sinne wollen wir Ostern feiern - auch mit Eiern und Schoko-Osterhasen. Und mit dem Glauben (im Sinne von Vertrauen), dass wir damit nahe bei dem sind, was Jesus erstrebt hat.
»Und den anderen stellte er die Frage: Was ist richtig - am Sabbat Gutes zu tun oder Böses? Einem Menschen das Leben zu retten oder ihn zu töten?« Markus 3,4
Der Ruhetag in seiner ursprünglichen Fassung besteht darin, dass man zur Ehre Gottes gar nichts macht - dass man seine Arbeit unterbricht und das Vertrauen hat, trotzdem genug zu haben.
Wir können aber beobachten, dass der Sonntag bei uns immer stärker weniger als Tag der Ruhe eingehalten wird - immer mehr Geschäfte sind am Sonntag geöffnet, immer häufiger gibt es verkaufsoffene Sonntage, der LKW-Verkehr auf den Autobahnen reißt auch am Sonntag immer weniger ab. Und das, obwohl wir die Woche über immer flexiblere Arbeitszeiten und flexiblere Einkaufszeiten haben, welche den Menschen Gelegenheit genug geben, ihren notwendigen Erledigungen nachzukommen.
Das Sabbatgebot aber kann man als Geschenk ansehen, welches zum Wohle des Menschen gedacht ist. So heißt es in den zehn Geboten: »Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. ... Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbat und heiligte ihn.«
So ist der Sabbat (der Sonntag) eine Erinnerung daran, dass Gott selbst am Ende der Schöpfung die Ruhe schuf. Ruhe dazu, um zurücktreten zu können, um das betrachten zu können, was man getan hat, betrachten und sich freuen. Das gehört zum Menschsein dazu. Ein Tag der Ruhe, der Besinnung und der Kreativität. Was man geschaffen hat, analysieren, um daraus neue Wege und Ansätze zu finden.
Aus dieser Perspektive ist der Sonntag ein Geschenk, das ich gerne bewahren möchte, und aus Respekt gegenüber anderen Menschen auch achten möchte. (Muss ich am Sonntag Punkt 12 Uhr den Motorrasenmäher anmachen? )
Jesus hat natürlich den Sabbat gefeiert wie alle anderen, aber er hat sich gewehrt, ihn auf das Befolgen von Regeln zu reduzieren. Konsequenterweise hat er folglich auch am Sabbat geheilt. Das war damals als ärztliche Tätigkeit verboten. Jesus stellt dagegen den eigentlichen Sinn des Sabbat als eines Tages für Gott heraus. Was aus der Frage oben im Markustext deutlich wird. Das heißt, Jesus beschreibt den Sabbat als einen Tag für Gott, und dazu gehören natürlich auch Heilung und Befreiung. So erklärt sich das Wort in Markus 2,27: »Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.«
In der März-Ausgabe der »Templer Talks« setzt sich Christa Lingham anhand eines Psalmtextes mit dem Thema "Gnade" auseinander. Wir drucken einen Auszug daraus ab:
Der Text (Psalm 71,17-21) ist überschrieben mit »Bitte um Gottes Hilfe im Alter«: »Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder. Auch im Alter, Gott, verlass mich nicht, und wenn ich grau werde. Lass mich deine Macht verkündigen Kindeskindern und deine Kraft allen, die noch kommen sollen. Gott, deine Gerechtigkeit reicht bis zum Himmel; der du große Dinge tust, Gott, wer ist dir gleich? Du lässest mich erfahren viele und große Angst, aber du holst mich wieder herauf aus den Tiefen und machst mich wieder lebendig. Du machst mich sehr groß und tröstest mich wieder.«
Diese Worte sprechen von Gnade in jeder Ausprägung. Der alte Mann spricht davon, wie er Gott immer gelobt und wie er allen von ihm erzählt hat, wie er sein Leben nach Gottes Willen ausgerichtet hat und dass Gottes Güte in der ganzen Welt bekannt ist. Aber das Leben des Psalmisten war nicht nur glücklich, es beinhaltete auch Sorge und Leiden; aber die Kraft, die er aus seinem Glauben schöpfte, ließ ihn über seinen Kummer hinwegkommen. Und das, denke ich, bedeutet Gnade - das Gute und das Schlechte anzunehmen und für sein Leben das Beste daraus zu machen. Gnade bedeutet nicht das Beurteilen von richtig oder falsch, sondern es geht eher darum, das Beste aus dem zu machen, was wir haben, und uns dennoch am Leben zu erfreuen. Es heißt, dass Gnade am besten inmitten von Verbrechen, Gebrochenheit und Leiden erkannt wird. Ich denke, Gnade liegt in dem, was wir aus diesen Widrigkeiten in unserem Leben machen. Wenn irgendetwas geschieht, gibt es immer zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren - das Geschehen anzunehmen oder sich davon überwältigen zu lassen. Wenn wir uns von Ereignissen überwältigen lassen, kann es sein, dass wir lange in einer solchen Situation stecken bleiben, und das kann eine lähmende Auswirkung auf unser Leben haben. Damit will ich nicht sagen, dass wir bei sehr traurigen Ereignissen oder wenn wir Opfer eines Verbrechens werden, nicht trauern, ängstlich oder verärgert reagieren sollten - in dem Augenblick empfinden wir so. Es geht darum, was wir nach einem solchen Ereignis tun - wenn wir die Sache annehmen, können wir damit umgehen. Wenn wir unsere Angst annehmen, dann können wir ihr begegnen und uns damit auseinandersetzen, wie wir damit umgehen wollen. Wenn wir unter etwas leiden, haben wir mehr Möglichkeiten, damit umzugehen, wenn wir dieses Leiden annehmen. Es lässt das Leid nicht verschwinden, aber wir können viel klarer über eine Lösung nachdenken oder darüber, wie wir die Auswirkung dieses Ereignisses klein halten können. Es kann sein, dass wir Zeit brauchen, um eine Widrigkeit annehmen zu können, aber es ist notwendig, dass wir darauf hinarbeiten, diese anzunehmen. Die Frage "Warum ich?" sollten wir durch folgende ersetzen: "Was nun?" Das erinnert an den Spruch, dass, was uns nicht zerbricht, uns stark macht. Gnade kommt aus unserem Inneren und wird uns nicht geschenkt - es ist ein Tun oder ein Handeln, das wir uns selber zuliebe tun, um weiterleben zu können. Für diejenigen unter uns, die einen Glauben haben, könnte es bedeuten, dass wir um Stärke beten können, und, wenn es sein muss, darum, dass wir uns selbst vergeben oder barmherzig mit uns umgehen. Allerdings müssen wir ebenso anderen gegenüber barmherzig sein. Wir dürfen nicht darüber urteilen, wie andere sich im Leben verhalten. Wir sollten ihnen gegenüber barmherzig sein und ihnen auch vergeben. Viele von uns kennen das Lied "Amazing Grace" ("Erstaunliche Gnade") und ich möchte mit einigen Zitaten daraus schließen: »... Einst war ich verloren, doch nun bin ich wiedergefunden, war blind, doch nun sehe ich. … Es war Gnade, die mein Herz zu fürchten lehrte, und Gnade, die mich von meiner Furcht erlöste. … Viele Gefahren, Plagen und Fallstricke sind mir bereits begegnet, doch die Gnade ließ mich sicher bis hierher kommen und Gnade wird mich heimführen.« (John Newton, 1725-1807)
Christa Lingham, Übersetzung Karin Klingbeil
Zu keiner Jahreszeit wird so viel Schokolade konsumiert wie rund um Ostern. Der deutsche Jahreskonsum von 11,5 kg Schokolade wird nur von den Schweizern mit gut 12 kg übertroffen. Aber: machen wir uns klar, wie diese beliebteste aller Süßigkeiten überhaupt zu uns Verbrauchern kommt?
Grundbestandteil ist die Kakaobohne, die in Afrika, Südamerika und Asien angebaut wird. Dabei kommt der größte Teil (rund die Hälfte aller Kakaobohnen) von der Elfenbeinküste, der zweitgrößte Produzent ist Ghana, außerdem kommt Kakao aus Asien und Südamerika. Wegen der steigenden Nachfrage - jedes Jahr im Schnitt um 3 Prozent - wird in allen Anbaugebieten zunehmend Regenwald gerodet, meist illegal in Naturschutzgebieten. Nur drei Konzerne (Olam, Cargill und Barry Callebaut) beherrschen etwa die Hälfte des weltweiten Kakaohandels. Ihre Kunden sind Weltmarken, die in Europa und den USA fast jeder kennt: Mars, Ferrero, Lindt, Mondelez, Nestlé oder Cadbury. Sie bestimmen Nachfrage und Preis - illegal angebauter Kakao ist günstiger als Ware von kontrollierten Plantagen.
Die amerikanische Umweltschutzorganisation Mighty Earth legt in ihrem Bericht »Chocolate’s Dark Secret« (2017) das Ausmaß der Zerstörung in Elfenbeinküste und Ghana offen - in einigen Naturschutzgebieten an die 90 Prozent. Das hat einen einschneidenden Einfluss auf Flora und Fauna in diesem Gebiet, das ehemals zu den artenreichsten Weltregionen zählte. Außerdem zeigt die Untersuchung den Unwillen der Profiteure, an dieser Situation etwas zu ändern. Die Organisation konfrontierte 70 Firmen, die mit Kakao handeln oder ihn zu Schokolade verarbeiten, mit diesem Sachverhalt - und allen Transporteuren, Händlern und Konzernen (nur Mars reagierte nicht) ist völlig klar, dass der Kakao seit Jahren vermehrt aus dem illegalen Anbau in Naturschutzgebieten kommt und sehen das ebenfalls "als Problem".
Aber der Weltmarkt für Schokolade ist ein 100-Milliarden-Dollar-Geschäft (bereits 2015), bei dem allerdings die Bauern, die am Beginn dieser Wertschöpfungskette stehen, kaum von der hohen Nachfrage nach Kakao profitieren. Sie verdienen in der Elfenbeinküste etwa 50 Cent am Tag, in Ghana 84. Aber ihr Verdienst nimmt stetig ab; in den Achtzigerjahren bekamen sie noch etwa 16 Prozent des Preises einer Tafel Schokolade - heute sind es nur noch 6,6 Prozent. Ein menschenwürdiges Leben ist so nicht möglich, die Bauern leiden zunehmend unter Armut und Hunger - sie können sich Schokolade nicht leisten, kaum einer hat je auch nur mal davon probiert. Profiteure sind vor allem die Schokoladen-Firmen mit 35 Prozent und die Supermärkte sogar mit 44 Prozent. Wer weiß, dass der Kakaopreis allein seit 2016 um 30 Prozent nachgegeben hat, kann sich vorstellen, wer am meisten darunter leidet.
Die Verarmung der Kakaobauern führt nicht nur zum illegalen Abholzen der Regenwälder, sondern auch dazu, dass sie ihre Kinder als vollwertige Arbeitskräfte in ihren Kakaoanlagen einsetzen, anstatt sie zur Schule gehen zu lassen. Aber der Kakaoanbau ist arbeitsintensiv, und um den Lebensunterhalt der Familien zu sichern, müssen die Kinder mitarbeiten. Zur Ernte werden scharfe Macheten eingesetzt, an denen sich Kinder häufig schwer verletzen; zudem tragen sie die schweren Säcke zu den Sammelstellen - alles Tätigkeiten, die nach Meinung der ILO (Internationale Arbeitsorganisation in Genf) unter Kinderarbeit fallen. So arbeiten schätzungsweise 1,3 Millionen Kinder auf ivorischen Kakaoplantagen.
Darüber hinaus haben Nachforschungen des dänischen Journalisten Miki Mistrati ergeben, dass aus dem benachbarten Mali und Burkina Faso Kinder für wenige Dollars von Schleppern entführt und als billige Arbeiter in Kakaoanpflanzungen verbracht wurden. Dabei sollten nach einem staatlichen Abkommen offiziell längst keine Minderjährigen mehr auf den ivorischen Kakaoplantagen arbeiten; die ICI (International Cocoa Initiative, 2002 durch die globale Schokoladen- und Kakao-Industrie gemeinsam mit Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen gegründet) hatte außerdem Standards festgelegt, mit denen die ausbeuterische Kinderarbeit beseitigt werden sollte. Die Konzerne verpflichteten sich, Schulen zu bauen und die Bauern zu schulen, um dadurch die Erträge zu verbessern. Zwar warben die Konzerne mit diesen von ihnen unterstützten Maßnahmen, aber, wie Journalisten und Aktivisten in den letzten Jahren mehrfach belegt haben, wurden diese zwar begonnen, aber nicht weitergeführt - und von den Konzernen auch nicht kontrolliert. Das verursachte einen Imageschaden, so dass sie seither mit Organisationen zusammenarbeiten, die Siegel vergeben.
Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Siegeln. Testsieger bei der Stiftung Warentest (5/2016) waren "Naturland Fair" und "Fairtrade", auch "Hand in Hand Rapunzel Naturkost" erhielt gute Noten. "Utz" und "Rainforest Alliance" wurde wegen weniger anspruchsvoller Kriterien eher mäßige Aussagekraft attestiert. Aber grundsätzlich gilt, dass auch das schwächste Siegel besser ist als gar keines.
Die Marke GEPA gehört zu den Pionieren des fairen Handels; GEPA-Produkte sind alle als fair zertifiziert. Zu den besten Bio-Fairtrade-Schokoladen gehören nach "Utopia" außerdem die von Zotter, "Die gute Bio-Schokolade" (Alnatura), Schönenberger, die Bio-Schokolade von REWE, Original Beans, Fairafric, Ethiquable, Bonvita, Naturata, Green&Blacks, basic und Fairtrade-Schokolade (Aldi Nord) - alle mit dem Fairtrade-Siegel ausgestattet oder aus direktem Handel mit den Kakao-Bauern. Wer Schokolade mag, muss Kakaobauern stärken!
Die heftigen Reaktionen, die der Beschluss der »Essener Tafel« vom 28. Februar 2018 über Zulassungsbeschränkungen für nichtdeutsche Bedürftige ausgelöst hat, haben auch in Erinnerung gerufen, welch große Bedeutung die gemeinnützigen Tafelläden im Kampf gegen Armut und Lebensmittelverschwendung seit 25 Jahren erlangt haben. 1993 wurde von Aktivisten in Berlin der erste eröffnet, nur zwei Jahre später waren es bundesweit schon 35 mit einem eigenen Bundesverband. Zehn Jahre später, 2005, hatte sich die Anzahl mit 480 mehr als verzehnfacht, 2009 waren es schon 861, weitere vier Jahre danach 916, heute sind es 937 Tafeln - davon 145 in Baden-Württemberg - mit insgesamt ca. 2.100 Ausgabestellen und rund 60.000 ehrenamtlichen Helfern. 2.000 Fahrzeuge sind täglich unterwegs, um die Spenden einzusammeln oder - auch das machen mittlerweile zahlreiche Tafeln - Bedürftigen Lebensmittel nach Hause zu bringen. Etwa 60 Prozent der Tafeln sind in der Trägerschaft verschiedener gemeinnütziger Organisationen (z.B. Diakonie, Caritas, AWO, DRK usw.); ca. 40 Prozent werden von eingetragenen Vereinen betrieben. Bundesweit unterstützen tausende Unternehmen die Tafeln mit Sach- und Geldspenden, aber auch mit Dienstleistungen wie Fahrzeugleasing, Mobilfunkverträgen oder Reparaturservice. In die Tafelläden kamen im vergangenen Jahr 1,5 Mio. Menschen - die Tafeln nennen sie »Kunden« oder »Gäste«, auch um, trotz der eher symbolischen Preise für die angebotenen Waren, den Eindruck von Normalität zu vermitteln. Immerhin rund ein Viertel davon waren Kinder und Jugendliche, ein knappes Viertel Rentner und gut die Hälfte Erwachsene im erwerbsfähigen Alter. Alleinerziehende und Migranten machen traditionell einen Großteil der Kundschaft aus. Die Zahl der Senioren, die auf die Unterstützung von Tafelläden angewiesen seien, habe sich binnen kurzer Zeit verdoppelt, berichtet der Bundesverband der Tafelläden; auch die Zahl von hilfesuchenden Kindern und Jugendlichen habe deutlich zugenommen. Nach wie vor besteht die Haupttätigkeit der Tafelläden darin, Lebensmittel einzusammeln, die nicht mehr verkauft werden können (z.B. Brote am Ende des Tages, Milchprodukte mit demnächst ablaufendem Haltbarkeitsdatum, Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern usw.), und diese an Bedürftige weiterzuleiten. Hierdurch werden Lebensmittel, die sonst weggeschmissen worden wären, einer sinnvollen Verwendung zugeführt. Nach einer Studie der Umweltorganisation WWF von 2015 landen übrigens jedes Jahr rund 18 Mio. Tonnen Lebensmittel auf dem Müll, rund ein Drittel des gesamten Lebensmittelverbrauchs. Inzwischen sind bei den Tafelläden weitere Aktivitäten hinzugekommen: Viele unterhalten Bücherbörsen, Möbellager und Kleiderkammern, bieten Bringdienste, Kinderbetreuung, einen preiswerten Mittagstisch oder Beratung in Sozialfragen an. Sie verstehen sich mittlerweile als Orte für Begegnungen, auch um von Armut und Einsamkeit bedrohten Menschen eine Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen.
Die Verschwendung von Lebensmitteln ist mittlerweile auch in der Gastronomie ein Thema geworden. Genaue Daten gibt es nicht, aber nach Schätzungen wandern in Restaurants jährlich etwa 500.000 Tonnen nicht verkaufte Speisen in den Mülleimer. Manche Gastronomen verlangen daher schon eine Art Gebühr auf Essensreste. Einer der Vorreiter dieser neuen Bewegung war nach eigenen Angaben Guoyu Luan, der 2014 in Stuttgart-Zuffenhausen das japanische Sushi-Restaurant »Yuoki« eröffnete. Vorher hatte er ein typisches »All-you-can-eat«-Buffet-Restaurant mit asiatischer Küche geleitet, wo üblicherweise besonders viele Reste anfallen, weil sich nicht wenige Gäste die Teller so vollschaufeln, als ob eine Hungersnot droht. Auch im »Yuoki« blieben jeden Abend 6-7 Prozent der Speisen übrig. Deshalb führte Luan eine »Strafgebühr« von einem Euro für übrig gebliebenes Essen ein; daraufhin fielen »nur« noch etwa eineinhalb Kilo Reste an - bei täglich ca. 140 Gästen. Durchschnittlich 60-100 Euro kamen so an »Strafgebühren« pro Monat zusammen. Vielen Gästen gefällt inzwischen diese Form des Kampfes gegen Essensverschwendung. Am Anfang sei das noch anders gewesen, berichtet Luan; erst als er ihnen erklärt habe, dass er das Geld für wohltätige Zwecke spende, hätten sie die ungewöhnlichen Regeln akzeptiert. Inzwischen hat die Idee Nachahmer gefunden, insbesondere bei Asia-Restaurants. Der Hotel- und Gaststättenverband erinnert allerdings daran, dass »Strafgebühren« für Speisereste natürlich nur dann vermittelbar seien, wenn die Gäste vorher auf diese Besonderheit hingewiesen wurden. Zudem sei zu beachten, dass der Gast bei Kartengerichten die Menge vorher gar nicht abschätzen oder beeinflussen könne. Erfreulich sei immerhin, dass immer mehr Gastronomen unterschiedlich große Portionen anbieten würden.
Ein besonderes Konzept gegen die Lebensmittelverschwendung hat sich ein junges Berliner Sozialunternehmen mit dem bezeichnenden Namen Eat-up GmbH ausgedacht: Es entwickelte 2016 die »Meal-Server«-App, um Anbieter und Kunden zusammenzubringen. So konnten zum Beispiel Bäckereien und Cafés etwa eine Stunde vor Ladenschluss Essen zu einem erheblich reduzierten Preis (oft mehr als 50 Prozent) in das Programm einstellen. Rund 320 Restaurantpartner in ganz Deutschland kooperierten mit den (mittlerweile von einem finnischen Konkurrenzunternehmen übernommenen) Meal-Savern; schon 40.000 Nutzer luden die App herunter. Auf dem Markt gibt es schon etliche ähnliche Angebote, die allerdings allesamt noch auf eine größere und überregionale Verbreitung warten.
Berlin scheint ohnehin die Hauptstadt des Kampfes gegen Essensverschwendung zu sein. Ein gemeinnütziger Berliner Verein mit dem hübschen Namen »Restlos Glücklich« eröffnete 2016 ein gleichnamiges Restaurant, in dem fast ausschließlich vor dem Müll gerettete Lebensmittel von überwiegend ehrenamtlichen Mitarbeitern verarbeitet wurden. Das Restaurant lief zunächst gut; die Auslastung lag wochentags bei 60 Prozent, am Wochenende bei über 90 Prozent. Die Lebensmittel kamen von Supermärkten, dem Großhandel und kleineren Produzenten, zumeist aus der Biobranche. Da der Koch vorher nicht wusste, was angeliefert wurde, war Flexibilität bei der Essenszubereitung gefordert. Was im Lokal übrig blieb, wurde zu Marmelade, Chutney oder Brotaufstrich verarbeitet oder an soziale Einrichtungen weitergegeben. Im vergangenen Jahr gab es allerdings einige Rückschläge (so wurde etwa der Mietvertrag gekündigt), aber ab März 2018 werden wieder »Dinnerabende« mit geretteten Lebensmitteln veranstaltet. Wichtig ist für den Verein auch die Aufklärung der Kunden; dafür wurde er mit dem Fairwandler-Preis 2017/18 einer Stiftung ausgezeichnet. Information für junge Konsumenten bietet das neue kostenfreie Projekt "School Lunch", das im April 2018 startet und sich an Berliner Grundschulen richtet. Dabei sollen sich Kinder spielerisch und interaktiv in einem 4-stündigen Workshop mit dem Wert unserer Nahrung befassen und mit geretteten Lebensmitteln kochen. Dies ist nach Meinung der Geschäftsführerin auch dringend notwendig, denn: »Wir haben das, was unsere Großeltern noch so gut konnten, nämlich aus Resten und überschüssigen Lebensmitteln schmackhafte Gerichte zu machen, so gut wie verlernt.«
Unter diesem Titel hielt Prof. Dr. Haim Goren am 4. März im Pädagogisch-Kulturellen Centrum in Freudental einen Vortrag über die Geschichte der Kartographie des Heiligen Landes. Wenn wir heute Karten betrachten, so können wir ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass eingezeichnete Orte, Flüsse, Seen, Erhebungen und Grenzen nicht nur ungefähr der Lage in der Realität und dem Verhältnis zueinander entsprechen. Doch das war nicht immer so. Gerade das "Heilige Land", schon früh Ziel vieler Pilger, wurde zwar häufig und schon früh in Form von Karten wiedergegeben, allerdings waren diese für lange Zeit Wiedergaben aus der Vorstellung und nach Beschreibungen, auch unter Hinzunahme biblischer Berichte. Daher zeigten diese Karten das Heilige Land jeweils in dessen Grenzen von Dan, der Jordan-Quelle im Norden, bis Beer Sheva im Süden und vom Mittelmeer im Westen bis zum Jordan im Osten.
In dem Vortrag wurden uns viele Persönlichkeiten vorgestellt, die das Heilige Land kartographierten, wie Bernhard von Breidenbach, Autor viel gelesener illustrierter Reisebeschreibungen aus dem 15. Jahrhundert, Ottheinrich von der Pfalz im 16. Jahrhundert und Bourgignon d’Anville im 17. Jahrhundert. Jedoch erst 1799, auf dem Palästinafeldzug Napoleons, nahm das französische Militär unter Pierre Jacotin Vermessungen vor und veröffentlichte erstmals aufgrund dessen eine genaue Karte des Heiligen Landes. Von da an wurden die Karten im 19. Jahrhundert von etlichen weiteren Forschern und Palästinareisenden immer weiter verbessert, zu nennen wären hier Franz Wilhelm Siebert, Titus Tobler, Edward Robinson, Hermann Berghaus, Heinrich Kiepert, C.W.M. van de Velde und für den Palestine Exploration Fund (von britischen Bibel-Archäologen zur Erforschung von Archäologie, Geschichte, Kultur, Topographie und Geologie 1865 gegründet) C.R. Conder und H.H. Kitchener. Besonders wies Haim Goren auch auf Conrad Schick und Gottlieb Schumacher hin.
In diesem Zusammenhang ist auf das aktuelle Buch zu diesem Thema »Mapping the Holy Land. The Foundation of a Scientific Cartography of Palestine.« (Goren, Haim / Faehndrich, Jutta / Schelhaas, Bruno, Verlag I.B. Tauris, 2017) hinzuweisen. Es ist das Ergebnis eines israelisch-deutschen Forschungsprojektes, das die Geschichte der Kartographie Palästinas in der maßgeblichen Periode zwischen 1830 und 1880 untersuchte. Die drei Autoren beleuchteten die wissenschaftlichen, religiösen und geopolitischen Motive herausragender Kartographen, den technischen Entstehungsprozess von der Vermessung bis zur fertigen Karte und stellten ihre Forschungsergebnisse über die Entwicklung der Kartographie in einen größeren geschichtlichen Kontext.
Ein Mitglied der Haifa History Society, Eli Liran, hat vor kurzem das Ergebnis seiner Nachforschungen über die sogenannte Kaiser-Terrasse in Haifa veröffentlicht, die zusammen mit dem bekannten Obelisken zur Erinnerung an den Besuch des deutschen Kaisers im Jahre 1898 einige Jahre später nach den Plänen von Gottlieb Schumacher angelegt worden war. Dort feierten die Templer auch jährlich den Jahrestag des Besuchs (25. Oktober).
Was mir persönlich nicht bekannt war: Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem der Obelisk durch Schrapnell-Beschuss beschädigt wurde, wechselte der Standort des Parks und des Obelisken mehrfach. In den 1950er Jahren wurde der Obelisk in der Nähe des heutigen Dan Carmel Hotels an der Panorama-Straße im Gebüsch wiederentdeckt, bevor er in den 1980er Jahren dank der Initiative von Alex Carmel aus seinem Dornröschenschlaf erlöst und nach Restaurierung an seinem heutigen Standort in dem hübschen kleinen Park oberhalb der Baha’i-Gärten wieder feierlich eingeweiht wurde. Die Archive der TSA und der TGD haben die Forschungsarbeit gerne unterstützt.
Im Rahmen eines von der EU geförderten Projekts wurden über 3.000 historische Filme aus der Zeit des Ersten Weltkriegs aus über 20 europäischen Filmarchiven digitalisiert und kostenfrei über das Internet-Portal European Film Gateway zugänglich gemacht. Auf einem Film aus den Beständen des Bundesarchivs ist u.a. ab Minute 26:40 die Templerkolonie Haifa zu sehen.
Es ist immer wieder erfreulich, wenn sich junge Historiker im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten mit der Geschichte der Tempelgesellschaft befassen und unser Archiv dabei behilflich sein kann. In erster Linie wird dabei auf die »Warte«, die hier seit der ersten Ausgabe 1845 vorliegt, als Primärquelle zurückgegriffen.
Aktuell wurden uns zwei Dissertationsprojekte bekannt: Eine junge Doktorandin aus Stuttgart geht der Frage nach, welche Templer (und andere Deutsche) aus Palästina vor dem Ersten Weltkrieg am früheren Polytechnikum Stuttgart (der heutigen Universität) studiert haben und welche Folgen das für die Kolonien gehabt hat (z.B. in Städteplanung und Achitektur). Da das Archiv der Universität im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde, ist die junge Forscherin nun weitgehend auf Material aus anderen Quellen, darunter eben auch aus der »Warte«, angewiesen. Dort wurden z.B. hin und wieder Stipendiaten erwähnt, denen mit Mitteln der »Hoffmann-Stiftung« ein Studium in Deutschland ermöglicht wurde.
Ein Doktorand aus Darmstadt, der uns auch auf den o.g. Film hingewiesen hat, untersucht den Einfluss der Templer auf die Infrastruktur des Heiligen Landes (z.B. Verkehrswege und -mittel) und ihre dabei maßgeblichen Motive. Wir wünschen den jungen Wissenschaftlern viel Erfolg bei ihrer Arbeit und freuen uns schon auf ihre Forschungsergebnisse.
Im März-Heft der »Warte« hatte ich ein zufällig aufgefundenes Bild veröffentlicht, das den damaligen Gebietsleiter Dietrich Lange mit einer Gruppe junger Männer zeigt. Auf der Rückseite des Originals hatte Dietrich Lange den Vermerk angebracht: »Meine Bemühungen, junge Templer zusammenzubringen«. Die Namen der Abgebildeten hatte ich im März-Heft aufgelistet. Ich hatte die Vermutung angestellt, dass die Aufnahme wohl aus dem Jahr 1925 stammen würde. Dies trifft jedoch nicht zu, wie ein Telefon-Anruf unseres Mitglieds Erika Krügler ergab. Sie wies darauf hin, dass ihr späterer Ehemann Otto Krügler, der auf dem Bild zu sehen ist, erst im Jahr 1928 aus Palästina nach Deutschland gekommen sei und dass die Aufnahme deshalb nicht vor 1928 entstanden sein konnte. Auf dem Bild muss er also 20 Jahre alt gewesen sein.
Ich bin Erika Krügler für diese Aufklärung sehr dankbar. Vielleicht finden sich ja noch weitere Hinweise zur Entstehungszeit der Fotografie.
Verschiedene Einzelheiten auf dem Bild weisen darauf hin, dass es wohl in der Wohnung des Gebietsleiters im Altbau in der Felix-Dahn-Straße 39 aufgenommen wurde.