Die Warte des Tempels
Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 174/2 - Februar 2018

 

 

Luthers Reformation - Jörg-Dieter Reuß

Um welche Versuchung geht es denn? - Peter Lange

Versuchungs-Bitte schon einmal in »Warte« diskutiert - Brigitte Kneher

Das Vaterunser (Mt 6,9-13) - Brigitte Hoffmann

Abschied vom Christentum - Jörg Klingbeil

Deutsch in Israel - eine wechselvolle Entwicklung - Jörg Klingbeil

Luthers Reformation

Anfang vom Ende der Kirche?

Auch nach dem Reformationsjubiläum ist es lohnend, sich mit den Leistungen Martin Luthers zu befassen. Der Frage, wie sich Luthers Überzeugungen bis heute auswirken, ist Jörg-Dieter Reuß nachgegangen.

Es ist kein Geheimnis: Die Kirchen in Mitteleuropa sind auf dem absteigenden Ast. Die Mitglie­derzahlen schrumpfen, Pfarrstellen müssen eingespart werden, auch der Gottesdienst-Besuch ist in den letzten 50 Jahren drastisch zurückgegangen, bei den Katholiken von 55 auf knapp 14 Prozent, in der evangelischen Kirche von 15 auf 3 Prozent. Bis 2025 wird nur noch die Hälfte der Bevölkerung in unserem Land einer christlichen Konfession angehören. (Quelle: Helmut Fischer, Sind die Kirchen noch zu retten?) ...

Wie ist es dazu gekommen? Ich nenne hier nur die drei wichtigsten Ursachen:

- die europäische Aufklärung im 18. Jahrhundert mit der Ermutigung zum selbständigen Den­ken (Kant, Voltaire ...) und die einsetzende Säkularisierung,

- die Religionskritik der Philosophen und Psychologen (Gott als Produkt menschlicher Wün­sche und Ängste),

- der Siegeszug der Naturwissenschaften einschließlich Biologie (Evolution, Hirnforschung) und Medizin, verbunden mit zahllosen technischen Erfindungen, Industrialisierung und Digitalisierung, infolgedessen (ganz) andere Lebensbedingungen.

Einige andere Ursachen des kirchlichen Niedergangs lassen sich aber bis auf Luther zurückverfolgen. Luther vertrat nämlich drei Überzeugungen, die damals geradezu revolutionär waren:

1. Die Kirche ist kritisierbar

Die katholische Kirche - es gab damals keine andere - hatte sich im Verlauf von rund tausend Jahren zu einem ungeheuren Machtapparat entwickelt. Mächtiger als alle Staaten mit ihren Fürsten, mächtiger auch als der Kaiser. Die Macht der Kirche beruhte vor allem auf dem, was sie die Leute glauben machte: dass man nämlich die Kirche und ihre Lehre nicht kritisieren darf. Wer’s trotzdem tut, landet als Ketzer auf dem Scheiterhaufen und anschließend in der Hölle. Denn wer die Kirche kritisiert, versündigt sich gegen Gott und seinen Heiligen Geist. Und das ist unverzeihlich (Mat.12,31f; Mark.3,28f; Luk.12,10). Was ein Konzil einmal beschlossen hat, gilt für immer, weil die Bischöfe kraft Amtes ja alle den Heiligen Geist haben. Den Geist Gottes und der kann nicht irren. Hier hat Luther heftig widersprochen: Konzilien können irren und haben sich oft geirrt. Das merkt man, wenn man ihre Beschlüsse mit dem Neuen Testament vergleicht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das katholische Verständnis der Eucharistie (Abendmahl - im 4. Laterankonzil 1215 wird die Transsubstantiation Dogma) lässt sich nicht aufrechterhalten, wenn man das Neue Testament ernst nimmt.

2. Die Bibel ist kritisierbar

Soweit ich sehe, war Luther der erste Theologe, der es wagte, die Bibel ausdrücklich zu kritisieren. Das wird in der evangelischen Kirche meist verschwiegen. Tatsächlich gibt es hier sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Äußerungen von Luther. Einerseits betont Luther nämlich, die Bibel sei das Wort Gottes und als solches allein maßgeblich für das, was in der Kirche zu gelten hat (sola scriptura).

Andererseits hat Luther sich aber auch sehr kritisch geäußert und auf Widersprüche in der Bibel aufmerksam gemacht. Sodann hat Luther darauf hingewiesen, dass vieles im Alten Testament zeit- und situationsbedingt ist und uns Christen heute nichts mehr angeht. Über Isaaks Beinah-Opferung schreibt er: »Hat Gott dem Abraham befohlen, dass er seinen Sohn opferte, so bin ich darum nicht Abraham, dass ich meinen Sohn opferte. Es reicht nicht, zu sagen: Gott hat’s geredet. Man muss auch darauf sehen, zu wem er’s geredet hat.« Und er fügt hinzu: »Man muss mit der Schrift (Bibel) säuberlich handeln und verfahren.« D.h. man muss genau hinschauen, was eigentlich dasteht, und nicht die eigenen Lieblingsgedanken hineinlesen, wie es etwa im Pietismus oft der Fall ist (aber keineswegs nur da). ...

Auch das Neue Testament hat Luther da und dort mit kritischen Augen gelesen. Das letzte Buch der Bibel, die sogenannte Offenbarung des Johannes, hat er in einer Tischrede charakterisiert als »aller Rottenmeister Gaukelsack«, d.h. als Trickkiste aller Sekten-Gurus, die daraus alles Mögliche und Unmögliche hervorzaubern können. Und im Vorwort von 1522 schreibt er: »Mich stört an diesem Buch nicht nur, dass ich’s weder für apostolisch noch für prophetisch halte… Vor allem kann ich nicht spüren, dass es vom Heiligen Geist gestellt (d.h. verfasst) sein soll.«

Am Ende der sogenannten Offenbarung heißt es: »Wenn jemand etwas (zu dem Buch) hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen zufügen, die in diesem Buch beschrieben sind. Und wenn jemand etwas wegnimmt von den Worten des Buches …, so wird Gott ihm seinen Anteil am Baum des Lebens wegnehmen …«. Diese Drohung hält Luther für maßlos übertrieben, zumal auf weite Strecken völlig schleierhaft ist, was mit der überbordenden Bildersprache in diesem Buch gemeint sein soll. Andere biblische Schriften, an denen nach Luther viel mehr gelegen ist, kommen nicht so wichtigtuerisch daher.

Noch mehr geärgert hat Luther sich über den Jakobusbrief. »Den Jäckel sollte man in den Ofen stecken«, hat er in einer Tischrede gesagt. Also diesen Brief am besten aus dem Neuen Testament herausreißen und verbrennen. In seinem Vorwort zum Jakobusbrief drückt Luther sich etwas vorsichtiger aus. Aber auch da sagt er klar genug seine Meinung. Jakobus behauptet nämlich, der Mensch komme vor Gott in Ordnung durch seine Werke, seine guten Taten. Und das widerspricht nun der befreienden Einsicht, die Luther bei Paulus gefunden hat: dass man sich nämlich die Freundschaft Gottes, sein großes Ja, überhaupt nicht verdienen kann. Die gibt es nur als Geschenk. Dieses Geschenk »im Glauben«, d.h. vertrauensvoll anzunehmen, darauf kommt es an. Aber davon liest man nichts bei Jakobus.

Ganz unmöglich findet Luther sodann, dass der Jakobus Christenleute belehren will, aber von Christus nichts zu sagen weiß. Tatsächlich ist der ganze Jakobusbrief bloß eine lange Moralpredigt. Das ist aber, sagt Luther, der rechte Prüfstein für den Wert aller neutestament­lichen Schriften, wenn man darauf schaut, »ob sie Christum treiben oder nicht«. Ob sie sich also mit dem Thema »Jesus Christus« beschäftigen. Und das tut der Jakobusbrief nun ganz und gar nicht. ...

Drastisch zeigt das die folgende Passage aus Luthers Vorrede: »Was nichts von Christus lehrt, das ist nicht apostolisch (soll heißen: für Christen nicht maßgeblich), und wenn’s gleich Petrus oder Paulus lehrte. Und umgekehrt gilt: Was uns nahebringt, wer Christus war und ist, das ist apostolisch, und wenn’s gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte (also die vier Erzschurken, die Jesus ans Kreuz gebracht haben).«

Maßgeblich ist für Luther also keineswegs die ganze Bibel von der ersten bis zur letzten Seite. ... Maßgeblich ist Jesus Christus. - Aber wer war er, dieser Mann aus Nazareth? Was hat er gesagt, getan, gewollt? Das lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Denn die neutestamentlichen Schriften zeichnen sehr unterschiedliche, ja z.T. gegensätzliche Bilder von ihm. Hier hilft die historisch-kritische Methode der Auslegung weiter. In Ansätzen hat schon Luther damit gearbeitet (Vergleich mit anderen Quellen innerhalb und außerhalb der Bibel). Auf breiter Linie durchgesetzt hat die Methode sich aber erst seit der Aufklärung, etwa seit 1750. Um diese Zeit wurde die erste Evangelien-Synopse herausgebracht, ein Buch, das die Evangelikalen scheuen wie die Eulen das Tageslicht. Denn wenn man anfängt, mit diesem Buch zu arbeiten, merkt man früher oder später, dass das fundamentalistische Bibelverständ­nis (»Alles ist wortwörtlich wahr«) auf einer fortgesetzten Selbsttäuschung beruht.

Die kritische Bibelforschung ist also nicht bei Luther stehengeblieben. Sie hat bei allen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gelehrten doch einiges zu Tage gefördert, worüber heute weithin Einigkeit besteht:

- Die Evangelien sind keine Tatsachenberichte von Augenzeugen, sondern theologische Kon­struktionen aus der Zeit zwischen 70 und 100 nach Christus.

- Vieles von dem, was Jesus angeblich gesagt haben soll, ist erst nach Ostern entstanden und geht nicht auf Jesus selbst zurück, sondern auf das Urchristentum und seine Propheten.

- Manche Geschichten in den Evangelien sind Legenden, d.h. fromme Erfindungen. So z.B. die Weihnachtsgeschichte und die Ostererzählungen, aber auch der größte Teil der Passions­geschichten.

- Und schließlich, besonders schwerwiegend, weil es die traditionelle Kirchenlehre ins Mark trifft:

Jesus hatte nie die Absicht, für unsere Sünden zu sterben. Solches passt weder zu seinem Gottesbild noch zu seiner Botschaft (Gleichnisse!). Die Deutung oder vielmehr Missdeutung des Kreuzes als Sühnetod geht eindeutig auf das Urchristentum zurück (1.Kor. 15,3). Die Hinrichtung Jesu haben seine Jünger zunächst als Katastrophe erlebt, als grausame Wider­legung seiner Botschaft vom glücklich angebrochenen Gottesreich.

Schon früh, etwa 10 - 15 Jahre nach Jesu Tod, hat man dann versucht, mit Hilfe alttesta­mentlicher Denkmuster diesem schmählichen Tod einen Sinn abzugewinnen und das erlebte Unheil in ein Heilsereignis umzudeuten. …

Kurz: Sehr vieles, was in der Bibel steht, kommt nach dem heutigen Stand der Erkenntnis nicht von Gott, sondern stammt aus menschlichen (und manchmal allzu menschlichen) Inter­essen. Für die Kirchen ergibt sich daraus ein handfestes Problem. Denn ihre Glaubenslehren beruhen ja darauf, dass das wahr ist, was in der Bibel steht. Als Beispiel nenne ich das Glaubensbekenntnis, das im Gottesdienst immer wieder aufgesagt wird. Nach allem, was man heute weiß (oder wissen könnte), ist dieses altehrwürdige Glaubensbekenntnis aus dem 4. Jahrhundert auf weite Strecken unglaubwürdig geworden. Luther hat das nicht gewollt. Aber er hat die Entwicklung dazu angestoßen. Weil er gescheit war und weil er ehrlich war.

3. Der Mensch braucht keine Kirche

(genauer: keine Priester- oder Amtskirche), um zu Gott zu kommen.

Die katholische Kirche verstand und versteht sich als Heilsanstalt, als eine Vermittlungsinstanz zwischen Gott und den Menschen. Nur sie weiß, wie man die Bibel richtig auslegt. Nur die geweihten Priester dürfen das Abendmahl zelebrieren und austeilen. Wer nicht zur katho­lischen Kirche gehört und ihren Vorschriften folgt, hat bei Gott keine Chance und kommt in die Hölle. Dem hat Luther seine Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen entgegen­gesetzt (vgl.1. Petr. 2,9). Sie besagt: Jeder Christ hat, wenn er nur will, einen direkten Draht zu Gott. Keiner braucht eine Priesterkirche, die sich als Vermittlerin dazwischenschaltet. Das heißt aber: Eine Kirche, die sich in der Vermittlerrolle sieht, ist schlicht überflüssig.

Luther wollte damit die Kirche nicht überhaupt abschaffen. Er hat sie bloß anders definiert: als Zusammenschluss gleichberechtigter Christen, die mit dem Evangelium und den Sakra­menten richtig umzugehen wissen. Aber wieder muss ich sagen: Er hat damit eine Entwicklung angestoßen, in deren Konsequenz die Kirche möglicherweise entbehrlich wird.

Wenn man sich heute umschaut, beispielsweise auf dem Büchermarkt, dann entdeckt man viele Zeitgenossen, die an Spiritualität interessiert sind, die anscheinend mit Gott einen guten Kontakt haben und sehr genau darauf achten, was sie tun und wie sie leben. Und sie brauchen dafür keine Kirche. Im Gegenteil. Gar nicht so selten hört man: »Die Kirche hat mich daran gehindert, eigene religiöse Erfahrungen zu machen.« Auch nach Nahtod-Erfahrungen treten Menschen weit eher aus der Kirche aus als in die Kirche ein.

Wie wird es in Europa weitergehen, wenn die Kirchen weiter so schrumpfen und zu unbe­deutenden Randgruppen werden? Das ist eine spannende Frage und wohl auch eine Schick­salsfrage für Europa.

Jörg-Dieter Reuß war von 1976-2012 Pfarrer für Religionsunterricht am Evangelischen Semi­nar Blaubeuren. In seinem Buch »Glauben mit Herz und Verstand«, BoD-Verlag 2015) zeigt er in verständlicher Sprache ein neues Verständnis traditioneller Glaubensinhalte auf. Der vorlie­gende Beitrag wurde geringfügig gekürzt.

NOCHMAL: STOLPERSTEIN IM VATERUNSER

Um welche Versuchung geht es denn?

Die von uns im Januar-Heft berichtete Textänderung im Vaterunser-Gebet durch die katho­lischen Bischöfe der französischsprachigen Schweiz hat in der kirchlichen Landschaft ein reiches Echo gefunden, das sowohl positiv wie auch negativ ausfiel.

Als Schlussbemerkung hatten wir in der »Warte« mitgeteilt, dass auch Papst Franziskus die Änderung begrüßt hat. Die deutsche Übersetzung »Führe uns nicht in Versuchung« sei missverständlich, wenn nicht gar falsch. Es sei nicht Gott, sondern der Satan, der in Versuchung führe. Franz Alt, Katholik und Autor des Bestsellers »Was Jesus wirklich gesagt hat«, sprach von einer »geistigen Revolution«. Anders der Herausgeber der neuesten Luther-Bibel-Revision, Christoph Kähler, der sagte, die deutsche Übersetzung sei sprachlich richtig.

Der österreichische Theologe Ulrich Körtner warf Franziskus vor, »theologisch nicht ganz sattelfest« zu sein, seine Theologie versuche, alle verstörenden biblischen Aussagen über Gott zu glätten. Die Bibelwissenschaftlerin Marlis Giesen ergänzte: »Gott prüft Menschen auf ihren Glauben und Gehorsam«, daher sei die deutsche Übersetzung, die ähnlich wie die englische oder italienische Übersetzung den Gedanken nahelegt, dass Gott selbst den Menschen in Versuchung führt, sachgerecht.

Der katholische Theologe Norbert Mette verwendete in »Publik-Forum« (2017, Nr. 23) zwei Seiten an Erklärungen, warum er gegen eine Änderung der Vaterunser-Bitte sei. Er fragt, wie denn die Reich-Gottes-Botschaft zur Versuchung werden könne. Dass Gott (oder dem Göttlichen) ein versucherisches Moment innewohnt, gehöre für ihn zum Menschheitswissen. »Sein wollen wie Gott« sei die erste Versuchung, die in der Bibel vorkomme. Sie sei so stark, dass Adam und Eva ihr nicht widerstehen konnten. Solange das »Wie« relational verstanden sei, könne dieses Streben erfinderische und schöpferische Kräfte freisetzen. Sobald aber der Mensch Gott selbst sein wolle, kämen dämonische und zerstörerische Kräfte zum Zuge. Für ihn werde die Frage, ob wir Menschen alles machen dürften, was wir könnten, immer drän­gender. Das Auseinanderklaffen von technologischem Know-how und ethischem Bewusstsein zeitige immer fatalere Folgen.

Noch in einem anderen Sinne berge die Vaterunser-Bitte für ihn eine besonders drastische Versuchung, nämlich: der Zusage des anbrechenden Gottesreiches nicht zu trauen und sich stattdessen von dem »Anti-Reich« in Beschlag nehmen zu lassen. Denn wer nicht auf die eigene Überlegenheit, sondern auf die Liebe, nicht auf das eigene Kalkül, sondern auf das Teilen, nicht auf das eigene Recht, sondern auf das Verzeihen, nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität, nicht auf den Schein, sondern auf das Sein setzt und dabei die Erfahrung macht, stets den Kürzeren zu ziehen, allein zu stehen und schonungslos ausgenutzt zu wer­den, könne am Reich-Gottes-Projekt irre werden. Die Bitte »Führe uns nicht in Versuchung« könnte also heißen, sich der Realität von Versuchungen und ihren verhängnisvollen Auswir­kungen zu stellen, in der tief empfundenen Hoffnung, dass angesichts des tatkräftig erbetenen Reiches Gottes nicht Gewalt, Zerstörung und Vernichtung das letzte Wort behalten.

Peter Lange

Versuchungs-Bitte schon einmal in »Warte« diskutiert

Unser Mitglied Brigitte Kneher schreibt uns, dass die Vaterunser-Bitte »und führe uns nicht in Versuchung« schon einmal in der »Warte« kommentiert worden war. Damals (Ausgabe Februar 1998) hatte der jüdische Theologe Pinchas Lapide darauf hingewiesen, dass der Sinn der Fürbitte aus der Rückübersetzung ins Hebräische erschlossen werden könne. In der Leser-Zuschrift von Brigitte Kneher von April 1998 hieß es dann wie folgt:

»Führt Gott uns in Versuchung? Für mich möchte ich antworten: NEIN. Ich will es kurz begründen. Vor einiger Zeit nahm ich an einem Volkshochschulkurs teil, der das Erlernen der aramäischen Sprache versprach. Ich meldete mich, weil ich der Sprache, die Jesus einst gesprochen hat, näherkommen wollte. Leider hielt sich der Kurs nicht lange, zu viele Teilnehmer sprangen ab. Durch meine Kenntnisse der hebräischen Schrift war der Einstieg für mich einfacher gewesen. Bald, nachdem die ersten Hürden genommen waren, legte uns unser Lehrer das Vaterunser in Aramäisch vor. Gemeinsam lasen wir "we la ta elinna le nisijon" und gemeinsam besprachen wir die möglichen Übersetzungsvarianten, denn im Verbstamm fanden wir nicht nur das Wort "führen", sondern auch "hineingeraten, etwas geschehen lassen, hineingehen". Um wie viel deutlicher wurde uns jetzt die Aussage "Führe uns nicht in Versuchung". Und seither spreche ich diese Bitte im Vaterunser für mich so: "und lasse uns nicht in Versuchung geraten, sondern erlöse uns von dem Bösen".«

Brigitte Kneher

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Das Vaterunser (Mt 6,9-13)

Der »Stolperstein«-Artikel von Peter Lange in der Januar-Warte hat mich veranlasst, ein bisschen mehr über das Vaterunser nachzudenken, vielleicht auch weil ich mich damit nie näher befasst hatte. Es schien alles so selbstverständlich. Auch in der Tempelgemeinde ist das Vaterunser schon vor längerer Zeit zur Tradition geworden. Denn es ist klar und verständ­lich und wunderschön. Es gab unseren Ansprachen einen gewissen Rahmen, mehr Feier­lichkeit und nicht zuletzt ein Gefühl der Gemeinsamkeit, unter uns und mit anderen Christen.

»Vater unser im Himmel« - diese Anrede war für mich stets ein unmittelbar einleuchtender Ausdruck für das Gottesbild, das uns Jesus vermittelt hat. Und die ersten Verse sind weniger Bitten, sondern Ausdruck tiefster Verehrung gegenüber diesem allumfassenden Gott. Dann, ganz zurückgenommen, das fast Selbstverständliche: »Unser tägliches Brot gib uns heute«. Die folgende Bitte ist für mich der Höhepunkt, inhaltlich und formal: »Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern«. In dieser knappen Bitte ist alles Wesentliche gesagt: Die Hoffnung auf Vergebung trotz unserer Unzulänglichkeit; das Wissen oder Ahnen, dass diese Hoffnung nur so weit reicht wie unsere eigene Bereitschaft, unseren Schuldigern zu vergeben, und zwar so zu vergeben, wie Gott vergibt: uneingeschränkt - aber unauflöslich verschränkt mit der Vergebungsbereitschaft im eigenen Leben. Das klingt wie ein Widerspruch. Er löst sich auf, wenn man sich klar macht: die Bitte um Vergebung ist zugleich auch eine Bitte um Hilfe zum eigenen Vergeben. Das ist für mich die Quintessenz des Vaterunser-Gebets. Es ist auch die Quintessenz dessen, was Jesus uns vorgelebt und gelehrt hat.

Für mein religiöses Empfinden war das Vaterunser damit zu Ende. Die Sache mit der Ver­suchung interessierte mich nicht. Unter einer Versuchung konnte ich mir nichts vorstellen, und einen Gott, der mich möglicherweise dahinein verwickeln wollte, auch nicht. Dass es auch anderen ähnlich geht, zeigen die zahlreichen Versuche, den Text anders zu interpretieren oder gar umzuformulieren. Allerdings weichen sie von Luthers Übersetzung aus dem lateinischen Urtext ab. Aber schon die ältere griechische Fassung lässt mehrere - für mich positiv besetzte - deutsche Übersetzungen zu: Versuchen, Probieren, Untersuchen, Auf-die-Probe-Stellen. Das ist doch das, was wir praktizieren und unseren Kindern nahebringen wollen: Neues kennenlernen, es genau prüfen, etwas daraus lernen, uns daran freuen - oder aber es ablehnen. Und von dem allen sollte Gott uns abschotten? Das erscheint uns absurd. Und im übrigen hat schon Paulus den frühesten Christengemeinden geraten: »Prüfet alles und das Gute behaltet!« (1.Thess 5,21).

Brigitte Hoffmann

Abschied vom Christentum

»Ersatzreligion« Ökologie?

Ungeachtet der auch im vergangenen Jahr in der Vorweihnachtszeit allerorten anzutreffenden christlichen Symbole in Form von Engeln, Krippen, Weihnachtsliedern und Weihnachtsbäumen darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Christentum nach und nach aus der Gesellschaft verabschiedet. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der FAZ vom Dezember 2017 ist die »Entchristlichung« der Gesellschaft in vollem Gange. Das liege weniger an der Einwanderung von Menschen aus anderen Kulturkreisen oder mit anderen Religionen, insbesondere aus der islamischen Welt (der Anteil der Muslime in Deutschland liegt bei etwa sechs Prozent). Es seien - so die Meinungsforscher - vielmehr die Christen selbst, die sich zunehmend von ihrem eigenen Glauben abwendeten. Gehörten nach dem Zweiten Weltkrieg noch mehr als 90 Prozent der Deutschen einer der beiden großen christlichen Konfessionen an, so waren es nach der Wiedervereinigung noch 72 Prozent und heute sind es nur noch 55 Prozent. Auch die Zahl derjenigen, die nach eigenen Angaben zumindest »ab und zu« in die Kirche gehen, ging seit den sechziger Jahren von rund 60 auf ca. 30 Prozent zurück. Aber nicht nur die äußere Präsenz nahm ab, auch die Bindung an die etablierten Kernbotschaften der Kirchen: So sagten 1986, als die Frage in der alten Bundesrepublik erstmals gestellt wurde, noch 56 Prozent der Befragten, sie würden daran glauben, dass Jesus Christus der Sohn Gottes sei; heute sind es nur noch 41 Prozent der Westdeutschen. Bei der Aussage, dass »Gott die Welt geschaffen hat«, ist ein Rückgang von 47 auf 33 Prozent zu verzeichnen; der Glaube an die Auferstehung und das Reich Gottes ist auch nicht mehr so verankert wie vor 31 Jahren und ging von 38 auf 28 Prozent zurück. Auch an die Dreifaltigkeit glauben nur noch 25 statt früher 39 Prozent; selbst bei Katholiken sind es nur noch 34 Prozent. Ebenfalls geschwunden im Alltag sind früher übliche christliche Sitten wie etwa das Tischgebet, das heute nur noch neun Prozent praktizieren - aber schon vor 52 Jahren lag dieser Anteil auch nur bei 29 Prozent.

Der Schwund traditioneller Glaubensüberzeugungen und Sitten geht aber nicht - wie man denken könnte - mit einem abnehmenden Bedürfnis nach Spiritualität einher: 48 Prozent der Westdeutschen glauben weiterhin daran, dass es »irgendeine überirdische Macht« gebe, praktisch gleich viel wie 1986. Der Glaube an Engel ist sogar von 22 auf 30 Prozent gestiegen, und der an Wunder noch mehr, von 33 auf 51 Prozent. Das mag damit zusammenhängen, dass sich immer noch fast die Hälfte aller Befragten in Westdeutschland - also unter Einschluss der Nicht-Kirchenmitglieder - als »religiös« bezeichnet (46 Prozent), bei den evan­gelischen Kirchenmitgliedern stieg der Anteil seit 1986 sogar von 51 auf 54 Prozent an, bei den Katholiken sank er nur leicht von 69 auf 65 Prozent. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass sich die Kirchen nach einem jahrzehntelangen Mitgliederschwund allmählich auf einen »harten Kern« der Gläubigen konzentriert haben.

Wenn einerseits die »formale« christliche Bindung durch Glaubenspraxis und -bekenntnis schwindet, andererseits aber das Bedürfnis nach Spiritualität unverändert hoch zu sein scheint, so stellt sich die Frage, was auf dem »Markt der Sinnstifter« denn an die Stelle des von den Kirchen unterbreiteten Angebots getreten ist. Auch damit haben sich die Meinungs­forscher im Rahmen ihrer Umfrage beschäftigt und sind zu dem Schluss gekommen, dass hier die Ökologiebewegung die wichtigste Rolle spielt bzw. die von ihr gestützte Annahme von einer im Prinzip guten, aber durch menschliche Fehler gefährdeten Natur. Zwar handele es sich bei diesem Thema weniger um Religion als um die Bewertung naturwissenschaftlicher Tatsachen, jedoch hätten zum einen die Vorstellungen der Bevölkerung von Natur und Umwelt wenig mit dem zu tun, was Naturwissenschaftler an Fakten anzubieten hätten. Zum andern sei es gerade das Kennzeichen einer starken Religion, dass sie nicht als »Glaube« wahrgenom­men werde, den man wählen könne oder nicht, sondern eher als unumstößliche Tatsache, so wie etwa die Menschen des Mittelalters gar nicht auf die Idee gekommen seien, die Existenz Gottes in Frage zu stellen. In der Ökologiebewegung ließen sich nach Ansicht der Meinungs­forscher viele Elemente wiederfinden, die aus religiösen Zusammenhängen bekannt seien, so zum Beispiel Essvorschriften (»Veggie Day«), Endzeiterwartungen (»Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch!«), himmlische Strafen (»Die Natur schlägt zurück!«) und sogar Elemente des Ablasshandels (»CO2-Abgabe für Klimaneutralität von Flugreisen«). Wie sehr christliche Überzeugungen gegenüber ökologischen Wertvorstellungen ins Hintertreffen geraten sind, zeigte sich bei der Umfrage auch bei direkt darauf zielenden Fragen: So meinten etwa 50 Prozent der Befragten, dass christliche Werte für sie wichtig oder sehr wichtig seien (Protestanten 62, Katholiken 69 Prozent). Die Frage nach der persönlichen Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit ergab indessen erheblich höhere Werte: 74 Prozent der Befragten hielten es für wichtig oder sehr wichtig. Selbst bei den Kirchenmitgliedern lagen die Zahlen noch höher als bei der Frage nach den christlichen Werten: Protestanten 74, Katholiken 76 Prozent. Man mag einwenden, dass christliche Werte und Kategorien wie Nachhaltigkeit keine Gegensätze sind, aber die Umfrageergebnisse könnten schon darauf hindeuten, dass ökolo­gische Wertvorstellungen aktuell eine stärkere Bindungskraft haben.

So interessant die Ergebnisse derartiger Meinungsumfragen auch sein mögen, sie machen m. E. ein Grundproblem deutlich: Wenn sich die Fragen in einem bestimmten Kontext bewe­gen, dann darf man sich nicht wundern, wenn es Antworten gibt, die nicht in diesen Rahmen passen. Wenn man beispielsweise uns Templern Fragen nach bestimmten, insbesondere christologischen Glaubensinhalten wie etwa »Auferstehung«, »Gottessohnschaft« oder gar »Dreifaltigkeit« stellen würde, dann würden unsere Antworten ebenso aus dem dogmatischen Raster fallen wie bei der Mehrheit der Befragten, ohne dass diese als Zeichen einer »Ent­christlichung« genommen werden könnten. Vielmehr sprechen die Antworten der meisten für ein großes Unbehagen im Umgang mit tradierten »Glaubenswahrheiten«, die zunehmend im Widerspruch zu ihrem (modernen) Weltbild und zu ihrer Vernunft stehen. Insofern könnte man in den Umfrageergebnissen vielleicht eher die Anzeichen einer »Entkirchlichung« sehen. Dies sollte eigentlich Anlass für die Kirchen sein, die Kernbotschaften Jesu in den Mittelpunkt zu stellen und zunehmend unglaubwürdige theologische »Spitzfindigkeiten« zu überwinden. Denn das Bedürfnis nach Spiritualität spricht weiterhin für den Hunger vieler Menschen nach Orientierung und Halt, nach Leitplanken auf ihrem Lebensweg, die aber nicht einengen, son­dern die befreien und Vertrauen vermitteln.

Jörg Klingbeil

Deutsch in Israel - eine wechselvolle Entwicklung

Noch vor drei Jahrzehnten galt Deutsch in Israel in Anbetracht der Shoa als die »Sprache der Täter«; damals war es nach Ansicht des Rundfunkjournalisten Thomas Klatt (Deutschlandfunk Kultur) kaum denkbar, dass Israelis freiwillig diese schwierige Sprache lernen. Heute dagegen würden immer mehr junge Israelis unbefangen Deutsch lernen. In ganz Israel gebe es sieben bis acht Schulen, die Deutschunterricht anbieten, und das israelische Kultusministerium plane Deutsch als ordentliches Lehrfach anzubieten. Auch immer mehr Erwachsene lernen Deutsch; die Kurse an den Goethe-Instituten in Jerusalem und Tel Aviv sind seit Jahren ausgebucht. Deutsch sei als Sprache nicht mehr stigmatisiert, meint deren Leiter. Die Leute würden sie aus verschiedenen Gründen lernen, für den Beruf oder für ein Studium in Deutschland. Manche würden auch Deutsch lernen, um »die eigene Geschichte wieder zurück zu gewinnen« und die »Familiengeschichte den Händen der Nazis zu entwinden«. Aktuell beobachtet das Goethe-Institut allerdings einen leichten Rückgang des Interesses an Deutschkursen, was mit der in Israel kritisch diskutierten Aufnahme zahlreicher Flüchtlinge (aus der arabischen Welt) in Deutschland zusammenhänge. Grundsätzlich herrsche aber in Israel großes Interesse an Deutschland vor.

Dass der Gebrauch der deutschen Sprache im heutigen Israel dank der Templer bereits vor rund 150 Jahren Verbreitung fand, daran hat der Literaturwissenschaftler Joachim Warmbold (Universität Tel Aviv) bei einer Tagung am 8. September 2017 in Frankfurt am Main erinnert. In seinem Vortrag benannte er etliche Beispiele, wie sehr das Leben in den Kolonien trotz der fremden Umgebung »durch und durch deutsch« geblieben sei. Ungeachtet wirtschaftlicher Beziehungen mit Arabern und Juden seien die deutschen Siedler ausschließlich unter sich geblieben und hätten selbstredend patriotische Gefühle gepflegt, die durch den Kaiserbesuch im Jahr 1898 besonders befördert wurden und in vaterländischen Gedichten ihren Nieder­schlag fanden, allesamt Zeugnisse eines »Klein-Deutschland«, lange ehe dort in den 1930er Jahren viele deutschsprachige jüdische Flüchtlinge Zuflucht fanden. Diese Einwanderer (»Jekkes«), von denen sich viele mit dem Erwerb der (neu)hebräischen Sprache schwertaten, sorgten auch dafür, dass es in den dreißiger Jahren in Städten wie Tel Aviv, Haifa und Jeru­salem ganze Stadtteile gab, in denen Deutsch als Geschäfts- und Umgangssprache Verwen­dung fand. Die deutsche Sprache sei dort für viele zum Ersatz für den verlorenen Heimatraum und zu einem vertrauten Orientierungspunkt geworden. Zu keinem Zeitpunkt habe es im heutigen Israel mehr Deutsch-Muttersprachler gegeben als kurz vor der Staatsgründung; nie sei so selbstverständlich und umfangreich die deutsche Sprache an die nachfolgende Genera­tion im Elternhaus weitergegeben worden. Schalom Ben-Chorin (Fritz Rosenthal; 1913-1999) - Foto: Harald Bischoff,
 1975,
 CC BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org)Der Rückzug der deutschen Sprache habe im öffentlichen Leben allerdings spä­testens mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begonnen, verstärkt durch die zionistische Bewegung und deren Forderung »Rak Ivrit« (nur Hebräisch), aber nicht zuletzt auch aufgrund ei­ner »tragischen Verwechslung von Staat und Sprache« (Scha­lom Ben-Chorin).

Deutsch sei nun nicht mehr die Sprache gewesen, in der auch Theodor Herzl seinen "Judenstaat" verfasst habe und in der auf den ersten Zionistenkongressen gesprochen worden sei, sondern jetzt auch die Sprache von Hitler und Goebbels. An deren Sprachgebrauch seien viele deutschsprachige Emi­granten, die gerade mit knapper Not dem Nazi-Terror in Europa entfliehen konnten, auch durch die Umtriebe von NSDAP-An­hängern unter den Templern in Palästina erinnert worden. Daraus habe sich - so Ben-Chorin - ein »oft zügelloser Hass« auf die deutsche Sprache entwickelt. Trotzdem seien der Hass und die »Rak Ivrit«-Kampagne an Grenzen gestoßen - und dies nicht nur bei den Jekkes selbst. Ausgerechnet die zionistische Frauenorganisation WIZO ließ ihr 1946 erstmals publi­ziertes und in Israel weit verbreitetes Kochbuch »kach nevashel« ins Deutsche übersetzen (als einzige Fremdsprache), um - so die Herausgeber in der Ausgabe von 1954 - »den Frauen, die noch nicht die hebräische Sprache beherrschen, zu ermöglichen, unser Kochbuch zu benut­zen«. Selbst zahlreiche Produktwerbungen im Kochbuch wurden in deutscher Sprache ver­fasst, sogar in Reimform: »Jede kluge Hausfrau weiß: Kessem macht die Wäsche weiß!«

Für eine begrenzte Wirkung des Deutsch-Boykotts stehen auch die zahlreichen deutsch­sprachigen Publikationen in Israel wie etwa die 1935 erstmals erschienene Tageszeitung »Neueste Nachrichten«, später »Israel-Nachrichten«, die Anfang der 1950er Jahre mit 25000 Exemplaren die auflagenstärkste israelische Tageszeitung überhaupt war. Oder die von dem aus Deutschland geflohenen Arzt Dr. Walter Hirsch vermachte private Bibliothek mit anfänglich mehr als viertausend deutschsprachigen Bänden, die von 1958 an mit finanzieller Unter­stützung aus Deutschland erweitert und als öffentliche Bibliothek geführt und 1979 schließlich vom Goethe-Institut Tel Aviv übernommen wurde. Wann und wie die Vorbehalte gegenüber der deutschen Sprache schwanden, lässt sich nicht exakt sagen, meint Warmbold, allerdings seien auch andere Sprachen wie Französisch oder Spanisch sehr populär geworden. Die Universität Tel Aviv habe deswegen eine Fremdsprachenabteilung gegründet, in der zehn Jahre nach der Gründung bereits mehr als 120 Lehrkräfte fachbegleitenden Sprachunterricht erteilten, neben der Hauptsprache Englisch natürlich auch Deutsch. Als Warmbold dort 1983 anfing, hätten nahezu ideale Unterrichtsbedingungen geherrscht: Die Klassen waren klein, bei mehr als 20 Teilnehmern wurde ein neuer Kurs eröffnet. Viele der Studierenden rekrutierten sich aus Jekkes-Familien, die Deutsch nicht nur zu Studienzwecken lernen wollten, sondern auch, um die eigenen Großeltern besser zu verstehen. Heute sähen die Verhältnisse schlechter aus; aufgrund drastischer Kürzungen sei die Fremdsprachenabteilung auf ein Drittel ihrer früheren Größe geschrumpft, u.a. weil vielfach keine Fremdsprachenkenntnisse für Abschlüsse in anderen Fakultäten mehr verlangt würden. Dennoch sei Deutsch an der Universität Tel Aviv nach Englisch und weit vor Spanisch und Französisch die am meisten gelernte Sprache. Zahlreiche Studierende würden sich ganz bewusst für Deutsch als Fremdsprache entscheiden, weil sie die Relevanz für ihr berufliches Fortkommen erkannt hätten, und das, obwohl nur noch eine Minderheit aus Jekkes-Familien stammten. Für die Zukunft wünscht sich Joachim Warm­bold, den wir bei unserer Israel-Reise im November auch persönlich kennenlernen durften, eine Aufstockung und fachliche Differenzierung des deutschen Sprachunterrichts an der Uni­versität Tel Aviv und mehr Stipendien für Sprachkurse an deutschen Universitäten, damit die deutsche Sprache auch weiterhin ein verbindendes Element und ein Anlass für Begegnungen zwischen Deutschen und Israelis bleibt.

Jörg Klingbeil

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