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Reformationsjubiläum: Johannes Brenz - Mathias Bury
Die Tempelgesellschaft und die Taufe - Brigitte Hoffmann
Jesus und die Ehebrecherin - Peter Lange
Karin Ruff: »Immer aufrecht weiter... « - Peter Lange
Plastikmüll im Paradies - Jörg Klingbeil
Der Stuttgarter Reformator Johannes Brenz ist nicht nur der Architekt der evangelischen Landeskirche in Württemberg. Zu seiner Zeit war er auch eine wichtige Stimme der Toleranz.
Die Schwäbisch Haller Hauptkirche St. Michael ist ein Schmuckstück spätmittelalterlicher Bildniskunst. Der namensgebende Erzengel, der die Besucher am Eingang als anmutige Steinskulptur empfängt, taucht noch 13-mal in dem Gotteshaus auf. So auch als geschnitzte Holzfigur im Michaelsaltar in goldener Rüstung mit erhobenem Schwert über dem Drachen. Das große Kruzifix im Chor hoch über dem Beinhaus stellt dem Betrachter das Leiden Jesu in ungewöhnlich drastischer Weise vor Augen.
Dass diese spätgotische Kirchenkunst in dieser Fülle erhalten blieb, ist nicht zuletzt Johannes Brenz zu danken. Und dieser Umstand sagt viel aus über den Charakter des Reformators von Württemberg.
Brenz kam 1499 in Weil der Stadt zur Welt. Sehr begabt muss er gewesen sein. Bereits 1514 studierte er in Heidelberg Theologie. In der kurpfälzischen Universitätsstadt kam es 1518 zu der Begegnung, die sein Leben veränderte: Bei der Heidelberger Disputation, dem ersten Auftreten Luthers außerhalb Wittenbergs nach seinen 95 Thesen, erlebt der 18 Jahre alte Theologiestudent Martin Luther - und war sofort von dessen Lehre eingenommen. Der Reformator wiederum ist ebenfalls angetan von Brenz. Es ist der Beginn einer lebenslangen Verbindung. Schon bald gilt Brenz als »Luthers Mann in Süddeutschland«.
In Heidelberg macht er keinen Hehl aus seiner Haltung, was ihm seit dem Wormser Edikt von 1521, als Kaiser Karl V. über Luther die Reichsacht verhängt, gefährlich werden kann. In dieser Lage nimmt er gerne eine Predigerstelle an St. Michael in Schwäbisch Hall an. »Die Haller wussten, dass Brenz eine Affinität zu Luther hatte«, sagt der Stuttgarter Hochschulpfarrer und Reformationsexperte Tilman Schröder. »Es gab bereits Lutheranhänger im Stadtrat. Aber das Tempo der Reformation wurde bewusst langsam gehalten.«
Da war Johannes Brenz, den Martin Luther einen »sanftmütigen Menschen« genannt hat, genau der richtige Mann. »Mit Gwallt will sich nymer kein glaub zwingen lassen«, schrieb er einmal. Mit Umsicht und Augenmaß macht sich Brenz an die Reform des Haller Kirchenwesens. Einen Bildersturm wie andernorts gibt es hier nicht. Neben dem Gottesdienst und dem Eherecht liegen ihm auch die Armenfürsorge und das Schulwesen am Herzen. Geradezu revolutionär für diese Zeit: Brenz führt den Unterricht für Mädchen ein. Er legt einen Katechismus zur Erziehung der Jugend vor, der bis heute in Württemberg gelesen und der zum Exportschlager weit darüber hinaus wird. Mehr als 500 Ausgaben sind davon seither erschienen.
In diesen Jahren wächst des Reformators »Ruf als ausgleichender Berater und kompetenter Gutachter« (Schröder). Viele Fürsten und Reichsstädte suchen seinen Rat, bei praktisch allen bedeutenden politisch-religiösen Ereignissen der Zeit, ob öffentlichen Streitgesprächen oder Reichstagen, ist Brenz beteiligt. 1530 unterstützt er Philipp Melanchthon beim Abfassen des Augsburger Bekenntnisses, der zentralen Bekenntnisschrift des Protestantismus. Trotz alledem bleibt er stets bescheiden.
In wichtigen Konflikten dieser Jahre wird Johannes Brenz zu einer Stimme der Toleranz. Im Bauernkrieg stellt er sich trotz Sympathien für den gemeinen Mann auf die Seite der Obrigkeit, ruft die Fürsten aber zur Mäßigung auf. Er schreibt gegen die Hinrichtung von radikalreformatorischen Täufern. Ähnlich bei der Hexenverfolgung: Brenz lehnt Folter ab, plädiert für milde Strafen.
Bald nachdem Herzog Ulrich 1534 Württemberg zurückerobert und die Reformation eingeführt hatte, holte er sich Rat bei Johannes Brenz. Revanchieren konnte sich der Herzog einige Jahre später, als der Reformator nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg per Haftbefehl vom katholischen Kaiser gesucht wurde und aus Schwäbisch Hall fliehen musste. Herzog Ulrich versteckte den Verfolgten an verschiedenen Orten, was für ihn selbst riskant war. In der zu Württemberg gehörenden burgundischen Grafschaft Mömpelgard lernte Brenz Ulrichs Nachfolger, den späteren Herzog Christoph, persönlich kennen.
Dem hatte der misstrauische Vater das Versprechen abverlangt, dass er am evangelischen Glauben festhalten werde. Christoph, der nach der Vertreibung des Vaters aus Württemberg lange Jahre am Habsburger Hof in Innsbruck gelebt hatte, besaß deutlich größeres diplomatisches Geschick als Ulrich. Als sein Vater 1550 starb, konnte Christoph das Herzogtum bald aus der Umklammerung der Habsburger lösen. Sogleich machte er Johannes Brenz zu seinem Berater und nahm eine Neuordnung der Staats- und Kirchenverwaltung in Angriff. 1553 machte er den theologischen Kopf dieses Wandels zum Stiftsprobst, zum höchsten Geistlichen im Land.
Herzog Christoph und Johannes Brenz bildeten in der Folge ein kongeniales, in enger Freundschaft verbundenes Gespann. Als 1559 die »Große Kirchenordnung« Württembergs fertig war, lag mit dem großformatigen, 568 Seiten starken Prachtband eine im 16. Jahrhundert einzigartige Gesetzessammlung vor, die neben den kirchlichen Angelegenheiten auch das Eherecht, die Armenpflege und das Schulwesen regelte. Diese neue Kirchenordnung, die Vorbild wurde für viele andere wie etwa die schwedische, hat freilich Vor- und Nachteile. Der Kirchenaufbau war hierarchisch und stärkt die Obrigkeit. Den Gemeinden ließ sie wenig Spielraum. Aber die in Schulen umgewandelten Klöster, sagt Tilman Schröder, gehörten bald »zu den effizientesten Bildungseinrichtungen Europas«.
Mit Johannes Brenz fand Württemberg, wo die Reformation relativ spät einsetzte, gewissermaßen den Anschluss an das reformatorische Weltgeschehen und konnte dort eigene Akzente setzen. Als der Architekt der Württembergischen Landeskirche 1570 starb, wurde er auf eigenen Wunsch unter der Kanzel der Stiftskirche beigesetzt. Von dort aus wollte er jedem, der eine ihm widersprechende Lehre verkündete, ein »Du lügst!« entgegenschleudern.
Mathias Bury in der Stuttgarter Zeitung vom 06. April 2017
In der Warte vom Juni 2017 stand ein Artikel von Peter Lange mit dem Titel »Die Taufe - ein Geschenk?«. Das Wichtigste an dieser Überschrift war eigentlich das Fragezeichen - es ging um die Klarstellung unserer Einstellung zur Taufe. Quasi als Antwort darauf erhielt er von einem australischen Templer einen Brief, in dem dieser seine Einstellung zu diesem Thema darlegte bzw. Fragen dazu stellte - also eigentlich eine Leserzuschrift zu diesem Artikel. In Absprache mit dem Verfasser wird hier der wesentliche Inhalt der Zuschrift wiedergegeben; anschließend werde ich darauf eingehen:
»Als ich diesen Artikel »Die Taufe als Geschenk« las, war ich (...) irritiert. Dass wir die Taufe von Kleinkindern ablehnen, ist klar, aber wie steht es mit der Taufe von Erwachsenen? Ist sie nicht deutlich herausgearbeitet und belegt bei Matthäus, Lukas, Johannes und Markus etc. etc. ...? Die Segnung von Kindern ist gut und klar bezeugt bei allen drei Synoptikern, ist aber etwas ganz anderes. Warum aber nicht eine Taufe zur Vergebung der Sünden für Erwachsene? (...) Jedenfalls ist die Notwendigkeit der Taufe vielmals in der Bibel bezeugt. Selbst Jesus (...) als ein vollkommener Mensch ließ sich taufen, um deutlich zu machen, dass es notwendig für uns alle ist, seinem Beispiel zu folgen. Warum also nicht eine Taufe zur Vergebung der Sünden für Erwachsene, wo sie doch so deutlich im Neuen Testament bezeugt ist?«
Auch wir, die Ältesten der TGD, waren nach der Lektüre des Schreibens verwundert. Denn was die Tempelgesellschaft von Sakramenten im Allgemeinen und von der Taufe im Besonderen hält, ist ja nicht neu, sondern von Peter Lange in seinem Wartebeitrag unter Bezugnahme auf die Äußerungen von Christoph Hoffmann zu diesem Thema ausführlich erläutert worden. Aber offenbar fällt es diesem Mitglied schwer, sich von gewissen kirchendogmatischen Vorstellungen zu lösen, zum Beispiel der, dass es äußerer Handlungen bedarf, um eine Sündenvergebung zu bewirken.
Die Leserzuschrift bietet jedenfalls Anlass, noch einmal auf die Beweggründe einzugehen, warum den Tempelgründer Christoph Hoffmann das Thema Taufe nicht interessierte. Ihn begeisterte die Botschaft Jesu vom Kommen des Gottesreichs, und zwar im Hier und Jetzt. Alles andere, also u.a. auch die Taufe, war irrelevant, ja kontraproduktiv, weil es vom Wesentlichen ablenkte. Wesentlich für Hoffmann war die »Weissagung« der jüdischen Propheten des Exils und der Zeit danach vom Gottesreich und der »Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem« als einem Teil davon. Das führte bekanntlich zur Auswanderung der Templer ins Heilige Land. Diese zu planen, zu organisieren und die ersten Siedlungen aufzubauen, bedeutete ein ungeheures Risiko, große Anstrengungen und zahlreiche Todesopfer, schmälerte aber die Begeisterung nicht, weil man nun etwas Konkretes für das große Ziel tun konnte. Aber als es dann wieder einen kümmerlichen Alltag gab, kamen die konkreten anderen Abgrenzungsfragen wieder hoch, z.B. zum Thema Taufe. Es gibt einen Bericht aus dieser frühen Zeit (wohl um 1870/71): als die ersten Kinder geboren wurden, kamen immer wieder Gemeindeglieder zu den Ältesten mit der Bitte, ihr Kind zu taufen, und diese wandten sich an Hoffmann. Seine Antwort: die Ältesten sollten nicht selbst taufen, aber den Eltern erlauben, das Kind in einer der kirchlichen Einrichtungen taufen zu lassen. Das heißt wohl: er hielt das Taufen für etwas Verkehrtes, hatte aber Verständnis dafür, dass Menschen, die ein Leben lang gelernt hatten, die Taufe sei heilsnotwendig, diese Einstellung nicht plötzlich ablegen konnten. Mit der Zeit würden sie beim Leben in der Gemeinde schon das Richtige erkennen. Auf lange Sicht hat er - in der TG - damit Recht behalten. In der damaligen Realität war es einer der Gründe - neben etlichen anderen - für den erbitterten Streit zwischen Hardegg und Hoffmann und ihren jeweiligen Anhängern, bis hin zum Austritt Hardeggs und der Seinen aus der TG und dem Wiedereintritt in die evangelische Kirche. Hoffmann hat Sakramente (als heilsnotwendig bezeichnete religiöse Zeremonien) grundsätzlich abgelehnt, weil eine solche Zeremonie nichts am Verhältnis des Menschen zu Gott ändern kann; und speziell zur Taufe: weil nichts davon auf Jesus selbst zurückgeht.
Nun plädiert der Verfasser der Leserzuschrift aber für die Wiedereinführung der Erwachsenentaufe zur Vergebung der Sünden, weil sie vielmals im Neuen Testament bezeugt sei. Im Unterschied zu Glaubensüberzeugungen lassen sich die Fakten dieser Aussage nachprüfen. Wer hat nun recht?
Natürlich berichten alle vier Evangelien von der Taufe Jesu im Jordan. Aber dabei ist Johannes der Handelnde. Jesus kam wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, dass er ein Johannes-Jünger werden wollte. Er wollte sein Leben Gott widmen, und die Forderung des Johannes nach Askese und Verzicht auf alles Irdische schien dazu den besten Weg zu bieten. Ziemlich sicher hatte er bei der Taufe ein tiefes religiöses Erlebnis. Genaueres wissen wir nicht. Die Schilderung der Taube und der Stimme vom Himmel kommt wortgleich bei allen drei Synoptikern vor - wahrscheinlich haben Matthäus und Lukas sie von Markus übernommen. Ziemlich sicher ist, dass das Ergebnis ein anderes war als das ursprünglich beabsichtigte: Jesus wurde kein Johannes-Jünger, sondern begann kurz darauf seine eigene Predigt, die zwar auch zur Umkehr aufrief, aber sich von der des Johannes deutlich unterschied: Johannes sprach vor allem von Strafe und Gericht, Jesus verkündete eine frohe Botschaft (= Evangelium): Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
In einem späteren Kurzbericht über das weitere Leben des Johannes ist zwar noch öfter von Taufe die Rede, aber dann heißt es immer »die Taufe des Johannes«. Die einzige Verbindung von Jesus und Taufe ist der Missionsbefehl am Ende des Matthäus-Evangeliums: »Gehet hin zu allen Völkern (...) und taufet sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (.)«. Und den halten fast alle Bibelforscher inzwischen für eine sehr viel spätere Hinzufügung. Jesus hat nicht getauft und auch nicht dazu aufgerufen, seine Jünger auch nicht, und auch in der Urgemeinde wurde nicht getauft. Das wäre undenkbar, wenn es den Taufbefehl damals schon gegeben hätte.
Sehr oft dagegen ist die Rede von »Taufe« und »taufen« in den Paulusbriefen. Und für diesen Unterschied gibt es einen guten Grund. Zu Jesu Lebzeiten gab es für eine Taufe, einen öffentlichen Neuanfang, keinen Grund. Jesus ist als Jude geboren und aufgewachsen und er starb als gläubiger Jude. Er wollte nie eine neue Religion gründen, sondern der alten, dem Gehorsam gegenüber der Thora, eine neue Lebendigkeit geben, indem er deutlich machte, was daran wesentlich ist und was nicht: nicht die über 600 Einzelgebote, sondern der Geist, das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe und die Unzertrennlichkeit beider. Eine Taufe brauchte es dazu nicht.
Paulus dagegen sah seit seiner Vision seinen Auftrag darin, die Heiden zum Glauben an Christus als den Erlöser von Schuld und Sünde und zur Teilhabe am kommenden Gottesreich zu bringen. Für sie bedeutete das in vielen Fällen den Bruch mit vielen alten Bindungen, Denkweisen, Gewohnheiten. Und gleichzeitig musste er die Judenchristen dazu bringen, die Ungläubigen als ihre Brüder zu akzeptieren. Für all das war eine Taufe ein gutes, vielleicht notwendiges Symbol.
Über die Tauf-Frage brauchen wir wohl heute nicht mehr zu streiten. Ich nehme an, dass sie auch für unseren australischen Templerfreund mehr eine provozierende Denkfigur war als ein ernstgemeinter Vorschlag. Falls er ihn doch machen will, würde er unter den Templern wohl Unverständnis auslösen - vielleicht nur, weil man es sich drei bis vier Generationen lang anders vorgestellt hat.
Was ich an dem Beispiel - gerade auch dem aus der Tempelgründungszeit - zeigen wollte, ist, wie schwierig und vielschichtig eine Umstellung auf ein neues Denken ist. Selbst wenn sie freiwillig geschieht, bleiben Reste des alten Denkens unterschwellig virulent und können wieder aufbrechen, wenn nicht offen darüber gesprochen wird. Daher halte ich es für sinnvoll, bei passender Gelegenheit, insbesondere bei Saalgottesdiensten und im Konfirmationsunterricht, auch über das kirchliche Dogmengebäude zu reden. Wir halten es zwar selbst für irrelevant, aber unsere Umgebung ist - soweit sie überhaupt noch christlich ist - weitgehend davon geprägt. Unsere Mitglieder sollten wissen, was wir warum ablehnen. Aber vielleicht ist auch die heutige Tendenz besser, lieber die christlichen Gemeinsamkeiten als die dogmatischen Unterschiede zu betonen, wie es Peter Lange von der ACK-Konferenz berichtet hat; immerhin wird dadurch eher der Friede gefördert. Ich würde es begrüßen, wenn dem Ältestenkreis weitere Leserzuschriften zu der Thematik zugingen.
Für den Monat September ist in unserem Bibeltext-Kalender die bekannte Begebenheit verzeichnet, als eine des Ehebruchs überführte Frau nach geltendem Recht gesteinigt werden sollte. Jesus sollte damit durch die Pharisäer und Schriftgelehrten auf die Probe gestellt werden, ob er das Urteil akzeptieren würde oder nicht. Er geht auf diese Fangfrage ein und sagt zu den umstehenden Schaulustigen:
»Wer von euch hier ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.« Die Szene endet damit, dass die Umstehenden nach und nach den Schauplatz verlassen und Jesus zu der Verurteilten sagt: »Es ist niemand mehr da, der dich verdammt, deshalb verdamme auch ich dich nicht. Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.« Zunächst ist es bemerkenswert, dass diese Begebenheit nur vom Evangelisten Johannes berichtet wird (Joh 8,2-11).
Ein solches Verhalten des Meisters müsste wegen seiner Bedeutung doch eigentlich auch von den anderen Evangelium-Verfassern in ihren Schriften wiedergegeben worden sein. In der »Stuttgarter Erklärungsbibel« werden wir darauf hingewiesen, dass die Stelle in den frühen Zeugnissen des Johannes-Evangeliums ebenfalls fehle. Sie sei offensichtlich erst später dort eingefügt worden, sie gehöre auf jeden Fall zur alten Überlieferung von Jesus.
Wie sehen wir heute die Reaktion von Jesus auf die ihm gestellte Fangfrage? Er war ja bekannt dafür, dass er in seiner Barmherzigkeit und Liebe zu den Sündern wahrscheinlich für eine Aussetzung der verhängten Strafe stimmen würde. Hat er im Fall der Ehebrecherin also gegen die Schranken des Gesetzes gehandelt? Nein, er achtete das Gesetz. Und trotzdem hat er dieses Recht hinterfragt, indem er nämlich den Pharisäern und Schriftgelehrten die Gegenfrage stellte, ob auch sie sich einer solchen Justiz unterwerfen würden. Bei Johannes heißt es: »Dann bückte er sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.« Ist das als eine Geste verlegenen Abwartens zu werten? Oder eher als ein Zeichen einer inneren Stimme, die ihm sagte, dass kein Mensch sich als Richter über einen anderen erheben darf? Die Problematik einer solchen Justiz ist bis heute nicht gelöst. Ohne Strafgesetze wäre sicher keine Ordnung unter Menschen zu erreichen.
Gesetzesübertreter werden zwar heute nicht mehr gesteinigt, aber in vielen Fällen haben sie durch lange Gefängnisstrafen ihr weiteres Leben »verwirkt«. Im Sinne von Jesus wäre vielleicht eher eine Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft geboten. Jedoch verbunden mit all den Gefahren, die der Gesellschaft damit entstünden?
Deutsch 2017 (Englisch 2012), Bestellungen an die TGD-Verwaltung, Verkaufspreis: 25 Euro (einschl. Versand), 318 Seiten
Mit der deutschsprachigen Ausgabe ihres vor 5 Jahren erschienenen biografischen Werkes hat die Verfasserin, Tochter des früheren Tempelvorstehers Dieter Ruff, eine hervorragende geschichtliche Darstellung veröffentlicht. Es lohnt sich, dieses Buch hier etwas ausführlicher zu beschreiben. Karin Ruff hatte ihre Großtante Frieda Grossmann geb. Ruff (1884-1972) zwar nie persönlich kennenlernen können, da sie in Australien aufwuchs und es die Tante durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs aus Palästina nach Deutschland verschlagen hatte und sie Australien nie besucht hat. Aber Karin beschreibt sie in ihrem Buch so lebendig, als hätte sie sie gut gekannt.
Die Motivation, dieses Buch zu schreiben, erhielt Karin Ruff aus der Zuneigung, die alle in der Familie für Frieda empfunden hatten, was nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck kam, dass alle, nicht nur ihre Kinder, sie »Mutterle« nannten. Karin beschreibt sie in ihrem »Prolog« als einen starken Baum, der den Menschen kühlenden Schatten und Schutz vor Sturm und Regen spendet. Alle um sie herum schätzten sie. Ihre Schwägerin Anna sprach von ihr als »der Treuesten von allen«.
Die Biografie Frieda Grossmanns ist von Karin Ruff durch Erinnerungen der Tochter Dora Vorster geb. Grossmann, durch die Autobiografie von Gottlieb Wilhelm Ruff, durch Briefe, durch Sebastian Hopes Buch »Hotel Tiberias« sowie durch Friedas Tagebuch erforscht und zu einem informativen und lebendigen Lebensbild aufbereitet worden. Von dem im Titel der Neuerscheinung enthaltenen »Tagebuch« ist nur ein Teil erhalten geblieben, und zwar die Einträge von März 1939 bis Dezember 1942, die restlichen Seiten sind verloren gegangen (Sebastian Hope hat Näheres über den Fund der geretteten Seiten in seinem Buch beschrieben). Trotzdem können wir Frieda Grossmanns Leben über weite Strecken sehr gut verfolgen.
Wir erfahren zunächst, warum Friedas Eltern in Nazareth wohnhaft wurden. Der Vater, Paul Gottlieb Ruff, war 1873 aus der Gegend um Weinsberg nach Haifa gekommen und hatte dort mit seinen Brüdern eine Schreinerwerkstatt betrieben. Die Mutter, Christine Magdalene Heselschwerdt aus Zwerenberg im Schwarzwald, war um diese Zeit auch nach Haifa gekommen, wo ihr Bruder Friedrich ebenfalls als Schreiner arbeitete und wo sie in der Folgezeit Paul Ruff kennenlernte und ihn heiratete. Als der Bruder sich in Nazareth selbständig machte und eine Herberge mit Gastbetrieb eröffnete (das spätere »Hotel Galilee«), folgte sie ihm, um dort auszuhelfen. Ihr Mann Paul bot seine handwerklichen Dienste an.
Die Ruff-Kinder Frieda und Alfred (Karin Ruffs Großvater) wuchsen so in Nazareth auf, einer kleinen Stadt in Galiläa, wo nur wenige andere Deutsche wohnten und sich deshalb auch keine Tempelgemeinde bilden konnte. Leider starb der Vater schon 1896, als Frieda erst 12 Jahre alt war. Die Mutter musste zum Lebensunterhalt eine Wäscherei betreiben und Frieda als Helferin anstellen. Die Einnahmen aus der Wäscherei reichten aber bald schon nicht mehr für die Witwe mit den Kindern aus, und Frieda nahm deshalb eine Anstellung im Gastbetrieb von Richard Grossmann in Tiberias an. Aus dem Arbeitsverhältnis wurde wenig später ein Liebesverhältnis und eine Heirat Friedas mit dem Hotelier.
Wenn der Verfasserin beim Schreiben ihres Buches ein starker Baum vor Augen stand, dann auch das Bild, dass ein solcher Baum oft auch trockene Äste aufweist. Solche kahlen Äste sind für Karin Ruff ein Sinnbild für erlittene Verluste von nahestehenden Menschen: hier den frühen Tod von Friedas Vater, das Schicksal ihrer Mutter, die in einer Nervenheilanstalt endete, den Freitod ihres Ehemannes mit 43 und des Sohnes Fritz mit 30 Jahren, und die beiden leidvollen Weltkriege. Durch den schreckensvollen Zweiten Weltkrieg hatte Frieda den herben Verlust ihres Heimes, ihres gesamten Eigentums und ihrer beruflichen Tätigkeit in Tiberias zu verkraften.
Der Wert des neu erschienenen Buches liegt nicht nur darin begründet, dass Originalzitate aus Frieda Grossmanns Tagebuch eingestreut sind, sondern dass die Autorin die überleitenden Beschreibungen des Familienlebens, der Zeitereignisse und der landschaftlichen Eigenheiten Palästinas so einfühlsam schildert, als ob sie sie selbst erlebt hätte. So fühlt sich der Leser in seiner Vorstellung nach Haifa, nach Nazareth oder nach Tiberias versetzt und lernt Ereignisse früherer Zeiten vielleicht besser verstehen. Auch wenn man die Geschichte der Einwanderung der Templer nach Palästina in groben Zügen kennt, fügt das Buch neue, vielleicht noch unbekannte Einzelheiten hinzu (wie etwa die Beschreibung der Privatschule der Templerfamilie Wagner in Nazareth, in der auch Friedas Kinder unterrichtet wurden). Und vor allem wird es diejenigen Leser, die die erwähnten Orte schon durch Reisen kennengelernt haben, um einiges Wissen darüber bereichern. Dem Buch von Karin Ruff möchte ich deshalb eine möglichst weite Verbreitung wünschen.
Henderson Island im Südpazifik gehört zur Gruppe der Pitcairn-Inseln (die Meuterer der Bounty waren dorthin geflohen) und wegen seines nahezu unberührten Ökosystems zum Weltkulturerbe der Vereinten Nationen. Die etwa neun mal fünf Kilometer messende Insel ist unbewohnt. Und doch ist der Einfluss des Menschen nicht zu übersehen. Australische Forscher haben dort kürzlich »die höchste Dichte an Müll auf der Welt« festgestellt: 672 Stücke Abfall, vorwiegend aus Plastik, häuften sich pro Quadratmeter an den Stränden. Wenn man etwas grub, wurden es sogar noch mehr: Rund 4.500 oft winzige Stücke pro Quadratmeter fanden sich bis zu zehn Zentimeter unter der Sandoberfläche. Jeden Tag wurden bis zu 268 weitere Teile auf je zehn Meter Strandabschnitt angeschwemmt, auf der ganzen Insel dürften es täglich 13.000 neue Plastikteile sein. Die Forscher schätzen, dass es auf der eigentlich unberührten Insel 38 Millionen Teile Abfall mit einem Gewicht von rund 17,6 Tonnen gibt. 99,8 Prozent entfallen auf Plastikmüll, also die Reste von Sandalen, Eimer, Taschen, Tüten, Seile, Netze oder Flaschen. Und das, obwohl es im Umkreis von 5.000 Kilometern um Henderson Island praktisch keine menschliche Zivilisation gibt. Die Studie der Universität von Tasmanien nennt die Gründe: »Seit dem Beginn der Massenproduktion hat die jährliche Fertigung von Plastik von 1,7 Millionen Tonnen im Jahr 1954 auf 311 Millionen Tonnen im Jahr 2014 zugenommen. Da Plastik sehr dauerhaft ist und das meiste nicht wiederaufbereitet wird, landen viele Plastikteile letztlich in Flüssen und im Meer. Das Plastik bleibt Jahrzehnte erhalten und zerbricht in immer kleinere Teilchen als Folge des physikalischen Abriebs durch Wellen und die Sonneneinstrahlung.« Experten gehen davon aus, dass etwa 20 Prozent des Kunststoffes im Meer von Schiffen stammen, aber 80 Prozent vom Land. Inzwischen bereiten insbesondere die »Mikroplastics« Sorge: Die winzigen Kunststoffpartikel sollen bereits 30 Prozent des Plastikmülls im Meer ausmachen.
Die Meeresschutzorganisation Oceana schätzt, dass weltweit jede Stunde rund 675 Tonnen Müll direkt ins Meer geworfen werden, die Häfte davon aus Plastik. Bis zu 18.000 Plastikteile treiben nach einer Studie der Vereinten Nationen in jedem Quadratkilometer der Weltozeane. Jährlich verenden etwa 100.000 Meeressäuger qualvoll durch den Müll, jedes Jahr sterben über eine Million Seevögel, die die Plastikteile mit Nahrung verwechseln und damit ihre Jungen füttern. Rund 270 Tierarten - darunter Schildkröten, Robben, Fische und Krebse - sind vom Müll im Meer bedroht. Östlich von Hawaii hat sich in einer Meeresströmung des Pazifik ein gigantischer Müllwirbel gebildet, der seit 60 Jahren ständig wächst und mittlerweile doppelt so groß wie der US-Bundesstaat Texas sein soll. Wissenschaftler haben zudem festgestellt, dass kleine Plastikteilchen gefährliche Umweltgifte wie DDT oder PCB wie ein Schwamm aufsaugen; an der Oberfläche dieser »Plastikpellets« wurden Giftkonzentrationen gefunden, die bis zu eine Million mal höher waren als im umgebenden Wasser. Über die Nahrungskette reichern sich diese Gifte auch in Fischen an, die letztlich auf unseren Tellern landen können. Informativ hierzu auch das Faltblatt »Mikroplastik - die unsichtbare Gefahr« des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND).
Die Forscher auf Henderson Island waren vor allem wegen der Menge an angeschwemmtem Dreck auf der abgelegenen Insel entsetzt. Sie fanden u.a. deutsche Plastikflaschen, Behälter aus Kanada und Netze aus China oder Chile. Das belegt einerseits die »Reisewege« des Abfalls, aber auch die weltweite Verantwortung für das Problem. Man kann jedenfalls nicht den Anrainerstaaten des Südpazifiks allein die Schuld in die Schuhe schieben, wenngleich diese unstreitig besondere Anstrengungen unternehmen müssen. Während in Europa bereits ein Umdenken stattgefunden hat und dank technologischer Fortschritte kaum noch Müll ins Meer gelangt, hinken vor allem Asien, Afrika und Lateinamerika, wo es vielfach keine funktionierende Müllabfuhr gibt, noch hinterher. So ist Indonesien einer der größten Verschmutzer der Weltmeere, hat sich aber immerhin auf dem Welt-Ozean-Gipfel auf Bali neulich verpflichtet, jährlich eine Milliarde Dollar in die Verringerung des Plastikmülls zu stecken und den Müll im Meer innerhalb von acht Jahren um 70 Prozent zu verringern. Bei der Veranstaltung kündigten die Vereinten Nationen ein weltumspannendes Projekt zum Vermeiden, Sammeln und Wiederverwerten von Kunststoff an. Dabei darf man sich davon - wie das Beispiel Deutschland zeigt - keine Wunder erwarten: So hat sich etwa bei uns der Mehrweganteil bei Mineralwasserflaschen in den letzten Jahren kontinuierlich verringert. Mehr als die Hälfte des Abfalls wird einer energetischen Verwertung zugeführt, also verbrannt. Andere Staaten wie Australien und Indien, aber auch in Europa wie Frankreich und Italien haben sich bereits zu einem Verbot von Plastikeinkaufstüten durchgerungen, während Deutschland zunächst auf eine mit dem Handel vereinbarte, also freiwillige Reduzierung um die Hälfte in den nächsten zehn Jahren setzt. Immerhin bekennen sich immer mehr Handelsketten zu den Zielen Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit: Rewe hat vor kurzem den Verkauf von Plastiktüten eingestellt, Aldi will demnächst folgen. Weitere Fortschritte sind aber dringend notwendig. Zwar haben sich auf dem Weltwirtschaftsforum 2017 in Davos vierzig Weltkonzerne verpflichtet, weniger Plastik zu verwenden. Ob das mehr ist als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, muss bezweifelt werden, denn wer will das kontrollieren? Wichtiger als Selbstverpflichtungen wäre ein internationales Kontroll- und Schutzsystem für die Ozeane, möglichst unter dem Dach der UNO.
Können biologisch abbaubare Kunststoffe - auch »Bioplastik« genannt - ein Ausweg sein, insbesondere dann, wenn sie nicht auf Mineralölbasis beruhen, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Maisstärke hergestellt werden? Viele Fachleute halten das für einen Trugschluss, weil zum einen biologisch abbaubare Verpackungen zu lange für die Verrottung im Kompostwerk brauchen; dort muss der Biomüll in acht Wochen zu fertigem Kompost werden. Zum andern werden auch für »Bioplastik« Böden beansprucht sowie Dünger, Energie und häufig Pestizide verwendet. Zudem kann ihre Produktion in Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelherstellung treten. Kurzum: Es führt wohl kein Weg daran vorbei, aus der »Wegwerfkultur« auszusteigen und Rohstoffe nicht sinnlos zu verschwenden.