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Ist Gotteserkenntnis möglich? - Karl Griesinger
Die kurze Spanne Hoffnung - Otto Betz
Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes... - Brigitte Hoffmann
Palästinensische Araber in Israel - Oren Yiftachel
Neues aus dem Archiv - Jörg Klingbeil / Peter Lange
In Anlehnung an das diesjährige Wochenend-Seminar der TGD mit dem Thema »Was bedeutet mir Religion?« geben wir in diesem Heft eine Betrachtung wieder, die schon vor 47 Jahren als Leitartikel in der »Warte des Tempels« erschienen war und die für uns auch heute noch bedenkenswert ist.
Ist Gotteserkenntnis möglich? Davon sind Menschen jahrhunderte-, ja jahrtausendelang fest überzeugt gewesen. Sie glaubten, Gott zu erkennen als den großen Baumeister der Schöpfung, den souveränen Herrn der Geschichte, als den Geheimnisvollen, der in der Burg menschlichen Herzens sich verbirgt und im Angesicht Jesu von Nazareth sich offenbart. Diese feste Überzeugung von einer gesicherten Gotteserkenntnis ist heutigen Menschen weithin erschüttert.
Gott, der Schöpfer, ist dem Psalmisten eindrücklich unter dem weiten gestirnten Himmel: »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre«. Klingt solcher Ruhm im 20. nachchristlichen Jahrhundert nicht noch weit herrlicher als im 5. vorchristlichen? Da sind die 50 Milliarden Sonnen unserer Milchstraße, die unzähligen »weißen«, »gelben« und »roten« Sterne; da sind die ungezählten Sonnen der 18 Millionen Milchstraßen außerhalb unseres Systems, der sogenannten »Spiralnebel«, von denen das Licht zu uns 500 Millionen Jahre unterwegs ist, das Licht, das doch in einer Sekunde 300.000 Kilometer zurücklegt. Und alle diese Gestirne haben ihre Geschichte.
Ist Gott, seit sich in den Linsen unserer Fernrohre das riesige All spiegelt, nicht unendlich viel »größer« geworden als zu des Psalmisten Zeiten? Und in unseren Linsen spiegelt sich, was dem Psalmisten völlig verborgen war, die kleine und kleinste Welt. Den riesenhaften Milchstraßen am Himmel entsprechen winzig kleine Sternensysteme in dem, was wir Kohle oder Eisen, Kupfer oder Gold nennen. Ein einziger Kubikzentimeter eines solchen Stoffes baut sich aus etwa 25 Trillionen Einzelteilen auf, den Molekülen, und ein jedes Molekül ist eine Milchstraße von Atomen, ein jedes Atom eine winzige Sonne mit den sie umkreisenden »Planeten«, den Elektronen.
Gott, den viele Theologen für »tot« erklären, ist doch »gewaltig, vielgestaltig in Werken ohne Zahl«. Das gilt nicht nur für die Welt, die Astronomie, Physik und Chemie zu begreifen suchen - das gilt nicht weniger für die Welt des Lebendigen auf unserer so kleinen Erde, auf der man 465.000 Tier- und 220.000 Pflanzenarten gezählt hat, wo etwa 4 Milliarden Spalt- und eine Milliarde Schimmelpilze in einem einzigen Gramm Ackerboden leben, dazu eine Million einzelliger Tiere. Und dieses vielgestaltige Leben ist aus ein und demselben Baustoff, dem lebenden Eiweiß, errichtet, ein jedes dieser Einzelwesen ein in sich geschlossenes »Sonnensystem« mit Billionen von Zellen, Stütz-, Leit-, Speicher-, Atem-, Knochen-, Muskel-, Nerven- und Sinneszellen jeglicher Art; ein Wunderwerk ist Blumenkelch und Falterflügel, ein Wunderwerk die menschliche Hand wie das menschliche Gehirn.
Gott ist uns größer geworden als den Alten; aber ist er uns nicht auch ferner gerückt? Vermögen wir noch so schlicht wie der Psalmist zu sagen: »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre«, so selbstverständlich wie der mittelalterliche Dichter: »Die Welten all sind seiner Gnade Zeugnis«? Gewiss gibt es Stunden, in denen der Mensch so empfindet. In einer Maiennacht schreibt Jean Paul: »Ich schaue auf zum Sternenhimmel, und eine ewige Reihe zieht sich hinauf und hinüber und hinunter, und alles ist Leben und Glut und Licht, und alles ist göttlich, alles ist Gott«. Der Blick in die große wie in die kleine Welt vermag zu erheben, aber er kann auch erdrücken. An einem Tag schreibt Jakob Böhme: »Du findest kein Buch, wo du der göttlichen Weisheit mehr inne würdest, als wenn du auf eine grünende, blühende Wiese gehst; da wirst du die wunderbare Kraft Gottes sehen, riechen, schmecken, fühlen«, und an einem andern Tag heißt es: »Es hat mir manchen harten Stoß gegeben, als ich die ungeheure Tiefe der Welt mit ihren Sonnen und Sternen, ihren Wolken und Stürmen, ihrem Regen und Schnee, im Geiste die ganze Schöpfung der Welt betrachtet habe. Denn da fand ich in allen Dingen Böses und Gutes, in den unvernünftigen Tieren wie im Menschen, in den Pflanzen wie in den Steinen.«
Für uns Heutige ist die Schöpfung nicht mehr so eindeutig, wie für jenen Hanauer Prediger des 19. Jahrhunderts. »Wir spüren in allem die große Zweckmäßigkeit«, ruft er aus, »jeder Blick auf die Außenwelt, ihre Wunder und Schönheiten, verkündet dem gefühlvollen Menschen das Walten der Gottheit, die Liebe des Allgütigen.« Ist wirklich, fragen wir nüchtern, alles in der Natur so zweckmäßig und so liebevoll eingerichtet wie jener Alte gemeint hat? Hier zehren Schlupfwespenlarven Schmetterlingsraupen bei lebendigem Leib auf, Larven, in deren Leib vielleicht andere Insekten mit ihren Eiern auch schon wieder den Keim des Verderbens gesenkt haben, dort erstickt wucherndes Krebsgeschwür das Leben von Zehntausenden.
Ist Gott der weise waltende Herr der Geschichte? Diese Frage erhebt sich im Blick auf die Geschichte des Lebens der Erde mit all ihren Katastrophen, Um- und Abwegen; sie erhebt sich im Blick auf die Völkergeschichte. Bedeutete das Fortschreiten der Geschichte von der Ordnung des römischen Kaiserreichs zum Chaos der Völkerwanderung, bedeutete das Fortschreiten vom Reich der mittelalterlichen Kaiser zum Mosaik deutscher Klein- und Kleinststaaten und europäischer Zersplitterung einen Fortschritt?
Können wir ohne weiteres Gott in Jesus erkennen? Für Luther bedeutete das »Gott war in Christus« offenkundig etwas ganz anderes als für den Menschen unseres Jahrhunderts. Das »Gott war in Christus« bedeutet für Luther das Niedersteigen der zweiten Person der Gottheit in den jungfräulichen Leib Mariens, den zornigen Vater mit des Sohnes Blut zu versöhnen und so die Menschheit zu erlösen. Der Mensch des 19. Jahrhunderts aber kann nicht einfach dieses alte Bild übernehmen, das »alexandrinische Judenweisheit und dann die griechische Kirche auf uns vererbt hat, dass ein Gott vom Himmel herniederstieg, um ein Säugling, ein Mensch, ein Gekreuzigter und dann zum zweiten Mal ein Mensch zu werden. Er muss auf diese griechische Mythologie entschieden verzichten, ist doch seine Geschichtskunde eine andere, sein Denken ein nüchterneres geworden.« Und nun gar das 20. Jahrhundert, dem das Evangelium als geschichtliche Urkunde so vieldeutig ist wie alle geschichtliche Überlieferung. Hat Jesus überhaupt gelebt? Und wenn, kann er als Mensch einer ganz anderen Zeit, eines völlig anderen Kulturkreises uns vorbildlich sein? Wie viele der von ihm überlieferten Worte sind echt, wie viele übermalt, verzerrt, entstellt?
Ist Gotteserkenntnis je aus etwas anderem gekommen als aus Gotteserfahrung? Sie macht der Dichter des 139. Psalms, der erfahren hat, dass »Gott ihn von allen Seiten umgibt und seine Hand über ihn hält«. Ihm ist »solche Erkenntnis zu wunderbar und zu hoch, er kann sie nicht begreifen«. Aber aus gemachter Erfahrung schließt er, dass »auch am äußersten Meer mich doch deine Hand führte und deine Rechte mich hielte.« Gemachte Erfahrung veranlasst den andern Psalmisten auch in schlimmster Lage zum »Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich an deiner Hand.« Mit solchen und ähnlichen Worten rät er immer neu zum großen Experiment des Glaubens, des Hoffens, gewiss, dass »Gott keinen zuschanden werden lässt, der auf ihn hofft«.
Karl Griesinger, aus einer Veröffentlichung in der »Warte des Tempels«, Juli 1970 (gekürzt)
Papst Hadrian VI. erkannte die berechtigten Anliegen der Reformation. Doch er hatte nicht die Zeit, den Vatikan zu ändern.
Wir wissen wohl, dass auch bei diesem Heiligen Stuhl schon seit manchem Jahr viel Verabscheuungswürdiges vorgekommen, Missbräuche in geistlichen Sachen, Übertretungen der Gebote, ja, dass alles sich zum Argen verkehrt hat. So ist es nicht zu verwundern, dass die Krankheit sich vom Haupt auf die Glieder, von den Päpsten auf die Prälaten verpflanzt hat.«
Dieses Schuldbekenntnis ließ Papst Hadrian VI. kurz nach seinem Amtsantritt durch seinen Legaten vor dem Reichstag in Nürnberg im Januar 1523 verlesen. In aller Öffentlichkeit sollte die Schuldverstrickung der Kirche bekannt werden. »Wir alle, Prälaten und Geistliche, sind vom Wege des Rechtes abgewichen, und es gab schon lange keinen Einzigen, der Gutes tat […]. Deshalb sollst Du in unserem Namen versprechen, dass wir allen Fleiß anwenden wollen, damit zuerst der Römische Hof, von welchem vielleicht alle die Übel ihren Anfang genommen haben, gebessert werde; dann wird, wie von hier die Krankheit ausgegangen ist, auch von hier die Gesundheit beginnen.«
Wer war dieser Mann, der eine Reform der katholischen Kirche von oben versuchte? Geboren war Adrian Boeiens am 2. März 1459 als Sohn eines Schiffszimmermanns in Utrecht. Da sein Vater starb, als Adrian erst zehn Jahre alt war, wurde er zu den »Brüdern vom gemeinsamen Leben« in Zwolle gegeben und in seiner Frömmigkeit stark von der sogenannten »Devotio moderna«, einer religiösen Erneuerungsbewegung, geprägt. An der Universität Löwen studierte er Philosophie, Theologie und Kirchenrecht und lehrte dort ab 1493. Zu seinen Schülern gehörte Erasmus von Rotterdam, mit dem er später befreundet war. Kaiser Maximilian berief Adrian 1507 zum Erzieher seines Enkels, des späteren Kaisers Karls V., damals sieben Jahre alt. Er folgte Karl V. nach Spanien, als dieser dort sein Königtum antrat. 1516 wurde Adrian Bischof von Tortosa, 1517 Kardinal...
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Die Begriffe Gottesreich und Gottesherrschaft sind uns geläufig und stehen für eine neue Welt nach dem Untergang der alten. Wir akzeptieren, dass wir nicht wissen, wie sie sein wird. Bezieht man "seiner" auf Gott, dann wird daraus die Gerechtigkeit Gottes. Die kennen wir genauso wenig, aber das Wort Gerechtigkeit suggeriert ein - falsches! - Verstehen. Darin liegt die Gefahr.
Ist damit unser Losungswort obsolet, weil wir die Gottesherrschaft gar nicht heraufführen können? Weil das nur Gott zusteht? Ich denke: nein. Die Forderung zielt ja nicht auf die Aufrichtung des Gottesreiches, sondern auf das Trachten danach. Das gilt im Übrigen auch für alle Gleichnisse und Beispielerzählungen Jesu zum Gottesreich: sie handeln alle davon, wie wir daran teilhaben können. Zu der Frage, wie es kommen würde, sind seine wenigen Antworten - für uns - widersprüchlich, auf diejenige, wie es sein würde, gibt es nur eine: eine große Freude für alle, die guten Willens sind.
Das entfachte eine ungeheure Begeisterung, trotz oder vielleicht sogar wegen der Tatsache, dass Jesus sich geirrt hatte, als er den Zeitpunkt für das Kommen der Gottesherrschaft in der nächsten Zukunft ansetzte: noch zu Lebzeiten eines Teils seiner Zuhörer. Denn damit wurde dieses Kommen, das schon die Propheten des 6. Jahrhunderts verkündet hatten, zu etwas ganz Realem, das jeden direkt anging.
Und diese Begeisterung, diese große Sehnsucht nach der Herrschaft Gottes, der Gerechtigkeit Gottes, hielt an, noch weit über den genannten Zeitpunkt hinaus. Später verblasste sie, aber sie blieb unterschwellig präsent, und in Krisenzeiten brach sie immer wieder auf, in Aufständen, Bürgerkriegen, Kreuzzügen, Ketzer- und Hexenverbrennungen usw.
Der sichere Glaube, Gottes Willen zu kennen und auszuführen, kann uns Kräfte geben, die wir uns nie zugetraut hätten. Es waren und sind oft Kräfte zum Guten, die die Welt ein Stück weit verändern können. Sich darum zu bemühen - das bedeutet der Aufruf »Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes«. Aber ich habe oben bekannte Negativ-Beispiele genannt, um deutlich zu machen, dass es auch Kräfte zum Bösen sein können. Dass wir nicht wissen, warum das so ist, und dass deshalb dieser sichere Glaube auch gefährlich ist.
Denn der historische Rückblick zeigt, dass auch dieser "sichere Glaube" falsch sein kann. Wir können etwas, das unendlich viel größer ist als wir, nicht verstehen. Wir glauben, dass Gott der Inbegriff der Liebe ist, weil Jesus uns das gelehrt und vorgelebt hat, und weil wir ihm vertrauen. Aus diesem Vertrauen können wir leben und vielleicht dazu beitragen, die Welt ein ganz klein bisschen Reich-Gottes-ähnlicher zu machen.
Dieser Aufsatz beschreibt in Kürze den Status der palästinensisch-arabischen Bürger in Israel. Demokratisches Bürgerrecht wird als volle und gleichberechtigte Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen definiert, was eine Kombination von rechtlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Rechten und Möglichkeiten beinhaltet. Nach jüngsten Definitionen bedeuten volle Bürgerrechte auch die Ausweitung kollektiver Rechte auf nationale, ethnische und religiöse Minderheiten. In diesem Aufsatz bezeichnet »Araber in Israel« die palästinensischen Bürger Israels unter Einschluss der Gemeinschaften der Drusen und Beduinen, im Unterschied zu ihren Brüdern in den besetzten Gebieten und in der Diaspora.
Arabische Bürgerrechte wurden in Israel strukturell durch das staatliche ethnokratische Regime und durch das damit verbundene hegemonistische Judaisierungsprojekt behindert. Seit den 1990iger Jahren haben gewisse liberale Tendenzen den formalen Status und die Rechte der Minderheit positiv beeinflusst. Aber gleichzeitig haben materielle, militärische und wirtschaftliche Entwicklungen die Möglichkeiten der Araber, ihre Rechte auszuüben weiter beeinträchtigt. Daher sitzen die Araber in Israel in einer Falle. Diese manifestiert sich durch die Widersprüche des israelischen Regimes: einerseits definiert sich der Staat selbst als »Demokratie«, andererseits setzt dieser Staat seine repressiven und ausgrenzenden Praktiken gegenüber den Palästinensern sowohl in den besetzten Gebieten als auch in Israel selbst fort. Der zivile Status der Araber in Israel kann begrifflich als der eines ghettoisierten Bürgerrechtes gefasst werden, welches in ein System »schleichender Apartheid« eingebettet ist. Dieses nicht erklärte System erstreckt sich über das Staatsgebiet Israels und die besetzten Gebiete. Es umfasst Gruppen wie die Palästinenser in Ost-Jerusalem, im Westjordanland und im Gazastreifen, die Palästinenser, Drusen und Beduinen diesseits der Grünen Linie, orthodoxe und ultra-orthodoxe Juden, jüdische Siedler, neue jüdische Immigranten und Wanderarbeiter: alle diese Gruppen sind de jure und de facto mit unterschiedlichen Rechten und Privilegien ausgestattet. Der zivile Status dieser Gruppen ist bestimmt durch ihre Volkszugehörigkeit, ihre Religion und ihren Wohnort. Die Gestaltung des arabischen Bürgerrechtes diesseits der Grünen Linie kann nur als Teil dieses Systems verstanden werden.
Die fortdauernde gewaltsame Besetzung der palästinensischen Gebiete und die Ansiedlung von mehr als 400.000 Juden jenseits der Grünen Linie haben der arabischen Minderheit in Israel einen hohen Tribut abverlangt. Denn die natürliche Solidarität mit ihren palästinensischen Brüdern, besonders in Zeiten gewaltsamer Konflikte, hat den jüdischen anti-arabischen Rassismus anwachsen lassen. Zudem hat der fortdauernde zionistisch-palästinensische Konflikt den Arabern die Möglichkeit verstellt, ihre Beschwerden im öffentlichen israelischen Diskurs zu äußern mit der Folge, dass sie weiterhin wertvoller materieller Ressourcen beraubt sind, die sie für ihre Entwicklung und die Konsolidierung ihrer politischen und gesellschaftlichen Lage brauchen.
Israel wurde nach 1948 nach der Nakba gegründet, durch die zwei Drittel der Palästinenser vertrieben und zu Dauer-Flüchtlingen wurden. Jene 160 000 Palästinenser, welche im unabhängigen Israel blieben (13 Prozent der Bevölkerung des Staates) bildeten eine schwache, fragmentierte und »mit dem Feind verbundene« Gemeinschaft. Israel gab ihnen formale Bürgerrechte, aber stellte sie achtzehn Jahre lang unter Militärherrschaft. Seitdem ist diese Minderheit um das Achtfache gewachsen, im Jahre 2005 zählte sie 1,15 Millionen Menschen, oder 17 Prozent der Bevölkerung. Von Anfang an hat die Politik des Staates versucht, die Minderheiten zu schwächen - durch Segmentierung (etwa durch Abtrennung der drusischen und der beduinischen Gemeinschaften), durch Aberkennung der meisten kollektiven kulturellen oder politischen Rechte und durch tief greifende materielle Benachteiligung.
Dagegen haben die Araber eine kollektive politische Agenda entwickelt, deren Fundament ihr Status als eine nationale Minderheit in ihrer Heimat ist. Sie sind entschlossen, ihren Besitz und ihr Erbe zu schützen sowie Gleichheit und Anerkennung zu erreichen. Doch haben bislang weder die ihnen zugestandenen formellen Bürgerrechte noch ihr wachsendes demographisches Gewicht zu signifikanter sozialer Integration und zu politischer Stärkung geführt. Trotz einer langen und gewaltlosen Kampagne für Gleichheit und Anerkennung haben Araber in Israel kaum Erfolge vorzuweisen. (...)
Eine Vielzahl von Beispielen können die Marginalisierung der Araber illustrieren:
An keiner der bisher 31 Regierungen war eine arabische Partei als Koalitionspartner beteiligt. Nur zweimal wurde ein Araber zum Minister ernannt (unter 648 Minister-Ernennungen insgesamt) und nur ein Araber brachte es zum Richter am Obersten Gerichtshof (bei 55 Ernennungen innerhalb von 58 Jahren). Araber sind schlechterdings aus der wissenschaftlichen und unternehmerischen Elite ausgeschlossen, sie stellen weniger als ein Prozent der Universitätsprofessoren oder Unternehmensvorstände.
Araber haben mehr als die Hälfte ihres Landes durch Konfiskationen des Staates verloren, sie bleiben in ihren kleinen geographischen Enklaven eingeschlossen, in denen sie lediglich 2,5 Prozent des Staatslandes kontrollieren. Seit 1948 wurde - außer für die erzwungene Urbanisierung von Beduinen - keine einzige neue arabische Siedlung genehmigt. Ungefähr die Hälfte der Beduinen der Negev/Naqab-Region leben in nicht anerkannten Dörfern auf dem Land ihrer Vorfahren; ihnen werden grundlegende Dienstleistungen und Einrichtungen verweigert. (...)
Das Scheitern der Araber, ihr formales Bürgerrecht zu einer substantiellen und gleichberechtigten Partizipation auszugestalten, hat ihre Ursache vor allen Dingen in der ethnokratischen Struktur des Staates. Die Judaisierung - und die mit ihr verbundene De-Arabisierung - sind das Resultat des hegemonistischen zionistischen Projektes, das die Ziele, den Ressourcen-Einsatz und die Politik der staatlichen Institutionen wie überhaupt die weit verbreiteten rassistischen Einstellungen gegenüber der arabischen Minderheit bestimmt. Judaisierung ist die Hauptideologie des Staates. Diese überlagert sein formales Bekenntnis zur Demokratie… (...)
Im Folgenden sei kurz dargestellt, wie das ethnokratische Regime Israels palästinensisch-arabische Bürger auf entscheidenden sozialen Feldern marginalisiert.
Israel erlaubt nur jüdische Immigration. Dreh- und Angelpunkt des Systems sind das Rückkehrgesetz (Law of Return) und, parallel dazu, die Weigerung, palästinensische Flüchtlinge zurückkehren zu lassen. Bis heute hat Israel 2,8 Millionen jüdische Migranten aufgenommen, und auf globaler Ebene ermutigt Israel weiter aktiv jüdische Immigration. Gleichzeitig verhindert Israel die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge und engt durch strikte Auflagen die Einreise jedes Palästinensers ein. (...)
Seit 1948 verfolgt Israel das Ziel, die Kontrolle über Land soweit irgend möglich in jüdische Hände zu legen: dazu gehören die Ansiedlung von Juden in allen Teilen von Israel/Palästina, die Segregation und Ghettoisierung von Arabern, verbunden mit strenger Begrenzung palästinensisch-arabischer Siedlungen in ihrer Ausdehnung und Entwicklung. Derzeit kontrollieren palästinensische Araber, die siebzehn Prozent der Bevölkerung des Staates stellen, nur 2,7 Prozent des städtischen Raumes und besitzen nur 3,5 Prozent der ländlichen Gebiete. Im Großen und Ganzen wird Staatsland ausschließlich für jüdische Zwecke benutzt. Seit 1948 hat der Staat mehr als 700 neue jüdische Siedlungen gegründet, aber keine einzige arabische. (...)
Staatssymbole wie Flagge, Nationalhymne, Zeremonien und Logos betonen allesamt den jüdischen Charakter des Staates, dasselbe gilt für nationale Feiertage und Wochenenden, die alle nach dem jüdischen Kalender ausgerichtet sind. (...)
Trotz der israelischen Selbstdefinition als jüdisch und demokratisch ist es, wie wir gesehen haben, im Ergebnis ein judaisierender Staat, in dem demokratische Grundsätze den (oft rassistischen) Erfordernissen der Judaisierung in allen zentralen gesellschaftlichen Bereichen untergeordnet sind - rechtlich, institutionell, materiell und exekutiv. Das Judaisierungs-Projekt hat den Charakter des israelischen Bürgerrechtes geprägt und darauf hingearbeitet, die arabischen Bürger des Staates zu marginalisieren. (...) Das Ergebnis ist eine diskriminatorische und zutiefst fehlerhafte israelische Bürgerrechtsstruktur, welche »Pakete« abgestufter Rechte und Möglichkeiten zuteilt, die auf ethnischer Herkunft beruhen. Sie liegt weit entfernt von der Vorstellung einer gleichberechtigten Teilhabe und demokratischer Bürgerrechte. (...)
Daher kann man sagen, dass das palästinensisch-arabische Bürgerrecht in Israel ein Ghetto-Dasein führt. Dieses Ghetto hat viele Facetten - politisch, kulturell, ökonomisch und administrativ und, als Resultat, auch räumlich. Die palästinensischen Araber in Israel sind offiziell ein Teil der Gesellschaft, strukturell jedoch durch Vorherrschaft, Ausgrenzung und Entmachtung marginalisiert.
Oren Yiftachel, Institut für Geographie, Ben-Gurion-Universität, Beer-Sheva, Israel
Dies ist die stark gekürzte Version eines Artikels, der zuerst erschien in: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten (inamo) Heft 64 - Berichte und Analysen, Winter 2010. Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch inamo.
Der israelische Restaurator Shay Farkash hat nach mehrjähriger Suche vor kurzem ein Gästebuch des Jerusalem-Hotels (Jaffa) im Imperial War Museum in London entdeckt und einige Seiten digital abfotografieren lassen. Unser englischer Templerfreund Martin Higgins hatte das Buch vor Ort unter die Lupe genommen und näher beschrieben: Es handelt sich um einen voluminösen und kunstvoll verzierten Lederband im Format 38 x 21 cm mit Metallverstärkungen an den Ecken.
Die erste Innenseite zeigt eine handkolorierte Abbildung des Hotels mit der amerikanischen Fahne auf dem Dach (der Hotelbesitzer Ernst Hardegg war seit 1871 US-Konsul in Jaffa). Auf den nächsten drei Seiten finden sich verschiedene Bibelzitate in Englisch, Deutsch und Französisch; in Deutsch werden aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kap. 62, die Verse 1-7 wiedergegeben, die wie folgt beginnen:
»Um Zions willen will ich nicht schweigen, und um Jerusalems willen will ich nicht innehalten, bis seine Gerechtigkeit aufgehe wie ein Glanz und sein Heil brenne wie eine Fackel, dass die Völker sehen deine Gerechtigkeit und alle Könige deine Herrlichkeit.«
Ab Seite 6 beginnen dann unter der Jahreszahl 1907 die Eintragungen der Gäste am 8. Mai. Unter den ersten Eintragungen finden sich auch bekannte Namen aus den Reihen der Templer wie etwa »A. Fast« und »Baurat Dr. Schumacher« am 13. Mai; im übrigen fallen die zahlreichen Hotelgäste aus den Vereinigten Staaten auf.
Shay Farkash zog hinsichtlich der Gestaltung Parallelen zu einer hübschen Ansichtskarte des Hotels aus dem Jahre 1917, auf der (in Englisch und Deutsch) dessen »biblische Einfachheit« und »evangelische Reinlichkeit« werbend hervorgehoben wird.
Die Eintragungen enden im Herbst 1917; Martin Higgins vermutet, dass das Gästebuch von den siegreichen Truppen der Alliierten gegen Kriegsende kurzerhand als »Siegestrophäe« mitgenommen wurde. Nebenbei sei darauf hingewiesen, dass in der »Süddeutschen Warte« der Jahrgänge 1870-1873 mehrfach die »Fremdenliste« des Hotels abgedruckt wurde, »um den Jerusalemsfreunden zu zeigen, wie sehr dieser Industriezweig unserer Colonie in Jaffa geeignet ist, die Tempelmission in allen Theilen der Welt bekannt zu machen.«
Wie uns der israelische Architektur-Fachmann Dr. Danny Goldman (»The Architecture of the Templers in their colonies in Eretz Israel 1868-1948«) vor Kurzem mitteilte, ist das frühere Haus der Familie Häring am Rande Saronas nun auch saniert und unter Denkmalschutz gestellt worden. Dr. Goldman war selbst überrascht darüber, dass die unmittelbar dahinter beginnenden Hochbauten der Tel-Aviver City das vergleichsweise kleine Gebäude nicht »geschluckt« hätten. Für die Verkehrsteilnehmer dieser Gegend wird es auf jeden Fall ein »Hingucker« werden, der vielleicht Fragen anstößt, was es mit diesem Haus für eine Bewandtnis hat.
Ayelet Drach, eine junge Bewohnerin von Alonei-Abba (frühere Evangelische Gemeinde Waldheim), der wir vor einiger Zeit Aufklärung über das ehemalige Aussehen ihres Bauernhofes geben konnten, teilte uns mit, dass die örtliche Landwirtschafts-Kooperative eine neue Nutzung für den alten Kirchenbau vorgesehen habe. Es soll darin ein kulturelles Zentrum für den Bezirk entstehen. Sie selbst ist im Sanierungs-Team mitbeteiligt. Im ersten Abschnitt der Sanierung gehe es vor allem um Erhaltungs-Maßnahmen. Am 19. April sei in Anwesenheit des deutschen Botschafters in Israel eine entsprechende Förderungs-Vereinbarung mit der Bundesregierung unterzeichnet worden.
Mit Angehörigen der Bahá’í-Weltgemeinschaft haben wir von unserem TGD-Archiv aus immer wieder Kontakte und Austausch historischer Begebenheiten.
Nun ist von dem Bahá’í-Mitglied Michael V. Day der erste Band der Geschichte des den Templern wohlbekannten Tempels oder Schreins mit der goldenen Kuppel am Hang des Carmel-Berges veröffentlicht worden: »Journey to a Mountain - The Story of the Shrine of the Báb 1850-1921«. In diesem Band wird vor allem das Schicksal des Báb, des Verkünders der Bahá’í-Religion, sowie die Wirksamkeit der Bahá’í-Führer Bahá’u’lláh (1817-1892) und Abdu’l-Bahá (1844-1921) geschildert. Wir sind dem Verfasser für den Erhalt dieser Dokumentation sehr dankbar. Das Buch kann vom TGD-Archiv ausgeliehen werden.
Vor Kurzem erreichte das Archiv eine Zeitschrift der deutschen Mennonitengemeinden in der Sowjetunion aus dem Jahr 1928. Die christliche Monatsschrift »Unser Blatt« enthielt aber nicht nur einen Nachruf mit Lebensdaten für unsere genealogische Datenbank, sondern Leserbriefe von geradezu zeitloser Bedeutung zum Thema Kirchenschlaf, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Hier eine Kostprobe:
»… Der Schlaf während des Gottesdienstes ist schon deswegen zu verdammen, weil es nicht die rechte Zeit zum Schlafen ist. Paulus schreibt an die Thessal. 5,7: "Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts! Also die Nacht ist die Zeit, wo man schläft, und nicht der Tag." Weil aber viele nicht genügend des Nachts schlafen, so schlafen sie tags. Weiter ist auch das Gotteshaus nicht der Ort zum Schlafen. An diesen Ort kommen wir, um Gottes Wort zu hören und seine Wunder zu sehen. Wer aber schläft, der hört noch sieht etwas; er ist abwesend. An diesen Orten kommen aber auch noch andere, die da nicht schlafen. Durch den Schlaf zur Unzeit und am unrechten Ort wird die Aufmerksamkeit der Aufmerksamen von der Predigt abgelenkt, weshalb auch der Aufmerksame des erwünschten Segens verlustig gehen kann. … Dabei hat der Wachende kein Recht, sich über die Schlafenden lustig zu machen. Er wird ihm dadurch nicht helfen, sondern nur schaden. Willst Du Deinem lieben Mitbruder helfen, dann bete für ihn zu Gott. Sitzt Du bei ihm, so wecke ihn auf, sobald er einschläft. Und Du, lieber Prediger, sei Dir selbst nicht zu schade und hilf Deinem Zuhörer, sei so freundlich und wecke den Schläfer am unrechten Ort und zur unrechten Zeit. … Diese Arznei wirkt heilsam, denn das habe ich erfahren: Auf meiner letzten Missionsreise auf die Krim wohnte ich einer Bibelbetrachtung bei. Nach einer halben Stunde wurde eine Schwester vom Schlaf überfallen. Der Leiter bat mich, in meiner Rede etwas inne zu halten; dann wandte er sich an die Schläferin und sagte: "Bitte Schwester … , sage Sie doch, was der Bruder soeben gelesen hat!" Die Schwester erschrak ungemein und konnte natürlich nicht antworten, weil sie geschlafen und daher nichts gehört hatte. Ihr Haupt senkte sich bis fast auf den Schoß und ihr Angesicht bedeckte sich mit Scham. Es war eine tüchtige Bloßstellung, aber eine verdiente. Dies erkennend, lauschte sie der Bibelbetrachtung nun noch anderthalb Stunden, ohne auch nur ein Auge zu schließen. Dieser Dienst geschah aus Liebe und wurde auch in Liebe angenommen. ...«