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Ankunft und Aufbruch - Brigitte Hoffmann
Luther bei die Fische - Isabel Klaus
Wie Luther die deutsche Sprache prägte - Peter Lange
Das Messerle-Haus in Jerusalem - Jörg Klingbeil
Am 3. Dezember ist in diesem Jahr der erste Advent, und damit beginnt nicht nur das Kirchenjahr, sondern auch die Vorweihnachtszeit, die wohl die meisten von uns in einer gemeinsamen Freude erleben - fromme und unfromme Christen, Atheisten und Agnostiker und zum Teil sogar Muslime (ich kenne Beispiele). Es ist die einzige Festzeit, die noch gemeinsam öffentlich erlebt wird. Aber was feiern wir eigentlich? Advent heißt bekanntlich Ankunft. Aber was für eine Ankunft war ursprünglich gemeint? In vielen Kirchenliedern der Adventszeit und im Predigttext dieses Tages geht es um den Einzug Jesu in Jerusalem (Mt 21, 1-9); wenig später folgen Passion und Kreuzigung. Was gibt es denn für einen Grund, diese Ankunft am Beginn der Vorweihnachtszeit zu feiern?
Alles, was wir vom historischen Jesus zu wissen glauben, stammt aus den synoptischen Evangelien; diese sind aber erst zwei Generationen nach Jesu Tod geschrieben worden - die, die ihn noch gekannt hatten, waren da schon alle oder fast alle tot. Schriftliche Unterlagen gab es so gut wie nicht - Jesu früheste Anhänger waren vermutlich Analphabeten. Dass er selbst die Thora intensiv studiert hat, geht aus vielen seiner Aussprüche hervor, aber er hat wohl selbst nichts aufgeschrieben. Und eine Weitergabe und Verbreitung einer Botschaft nur durch Erzählen ist zwangsläufig bruchstückhaft, widersprüchlich, subjektiv - jeder erzählt, was er gehört oder erlebt oder empfunden hat. So mögen auch die legendenhaften Geschichten über Jesu Geburt entstanden sein.
Trotzdem blieb Jesu Botschaft lebendig, über diese 60 Jahre hinweg. Von den vielen weltlichen und religiösen Gründen, die es dafür geben kann, hat einer mit dem Thema Ankunft zu tun: das Kommen des Gottesreichs. Alle drei Synoptiker lassen ihren Bericht über Jesu öffentliches Wirken mit seinem Aufruf beginnen: »Ändert euren Sinn! Denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!« Das war die Kernbotschaft Jesu, die in den synoptischen Evangelien allgegenwärtig ist, in immer neuen Bildern und Gleichnissen. Nur: das war eigentlich gar nicht neu. Die Verheißung einer kommenden Gottesherrschaft stammt von den Propheten der Exils- und frühen Nachexilszeit etwa 500 Jahre früher (bei Christoph Hoffmann: »die Weissagung«). Sie richtete sich an das Volk und bedeutete die Wiederherstellung des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. Die Hoffnung darauf hielt sich noch sehr lange, aber als sie sich auch nach zwei bis drei Jahrhunderten nicht erfüllte, verschwand sie allmählich aus dem öffentlichen Bewusstsein. Aber unterschwellig blieb sie vorhanden und flammte in Krisenzeiten immer wieder auf. Auch die Zeit Jesu war eine Krisenzeit, aus politischen, sozialen und religiösen Gründen. Und nun kam Jesus und fachte die alte große Hoffnung auf das Kommen des Gottesreichs wieder an. Dass ihm dies trotz der jahrhundertealten Enttäuschung, wenn auch einstweilen nur bei einer kleinen Minderheit, gelang, lag auch daran, dass Jesu Verkündigung dieses Kommen in eine nahe Zukunft rückte (»nahe herbeigekommen«). Hinzu kamen weitere Umstände, die mir erschreckend bekannt vorkommen: bei einigen - damals noch wenigen - Fanatikern war es der Hass gegen die Römer und ihren (nichtjüdischen) Vasallenkönig Herodes, bei vielen Frommen das tiefe Widerstreben gegenüber der Tatsache, dass allmählich und wie von selbst hellenistisches Lebensgefühl auch im frommen Juda um sich griff, mit Sportwettkämpfen und lockerem Sex, mit Theater und Bildern und Statuen, mit Luxus und Prunk.
Und an einer Stelle wird Jesus sogar noch konkreter. Vor einer Gruppe von Jüngern und Volk sagt er: »Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes kommen sehen mit Kraft.« Damit ist erstens ein sehr enger zeitlicher Rahmen gesetzt und zweitens das Reich Gottes nicht mit dem Volk verknüpft, sondern mit dem Einzelnen - es kann für ihn das ewige Leben bedeuten, denn im Gottesreich wird es keinen Tod mehr geben. Das trug wohl bei zu einer neuen Begeisterung. Und Jesus deutete zumindest an, dass für ihn das Reich Gottes etwas anderes war als eine flächendeckende Herrschaft nach Art weltlicher Staaten. Aber das konnten oder wollten die Begeisterten wohl nicht sehen.
Der übliche Jubelruf in dem Bericht über den als Triumphzug geschilderten Einzug Jesu in Jerusalem lautet: Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Markus fügt hinzu: Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt. Jesus wollte kein neues Davidsreich. Wie er sich das Gottesreich, für das er leidenschaftlich kämpfte, vorstellte, sagte er nirgends. Was wir darüber wissen, stammt aus einer Zusammenschau der Evangelienberichte, aus vielen Gesprächen, Bildern, Gleichniserzählungen, und vor allem aus dem, was er vorgelebt hat - aus unsicheren, oft widersprüchlichen Quellen, die erst viel später eine Breitenwirkung entfalteten. Aber dann blieben sie lebendig, bis heute, obwohl, oder vielleicht gerade weil sie nicht einfach und eindeutig sind. Das einzige, was eindeutig ist, ist der immer wiederkehrende Aufruf: »Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.«
Der Jubel bei Jesu Einzug in Jerusalem, soweit es ihn gab, hörte mit seiner Gefangennahme schlagartig auf. Da verkrochen sich alle und trauten sich nicht mehr aus ihren Verstecken, auch die Jünger. Jesu Verheißung hatte sich nicht erfüllt, das Gottesreich war nicht gekommen, keiner hatte das ewige Leben gewonnen. Und mit Jesu Tod wurde dies alles unwiderruflich und endgültig und das stürzte die Jünger in eine existenzielle Verzweiflung. Es gab keine Hoffnung mehr, keinen Lebenssinn. Jesus war mit seiner Mission gescheitert. Wie steht es unter diesen Umständen mit der hochgepriesenen Ankunft in Jerusalem? Ankunft ist bei uns ein positiv besetztes Wort: Man kommt heim in etwas Vertrautes, das man vielleicht vermisst hat; oder man kommt an an einem erstrebten Ziel. Nichts davon trifft auf Jesus zu. Vielleicht wollte er einfach, wie die meisten Juden, zum Passahfest nach Jerusalem pilgern. Aber das war höchstens ein Nebenziel. Wichtig war: er wollte seine Religion, das Judentum, reformieren (nicht etwa eine neue einführen) und aus einer extrem starren Gesetzesreligion (kultische Reinheit) in eine gelebte Alltagsfrömmigkeit führen. Und die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass er dafür einen erbitterten Kampf gegen die religiös-staatliche Herrschaftsschicht würde führen müssen. Für Jesus war diese Ankunft daher kein Triumph und keine Freude, sondern ein hochgefährliches Risiko, vor dem er Angst hatte. Angst passte eigentlich nicht zu Jesus; sein Gottvertrauen schützte ihn davor. Im weiteren Bericht wird sie nur an einer Stelle sichtbar, im Garten Gethsemane, als er wohl die nahende Gefahr spürt. Er bittet die drei Jünger um (geistliche?) Hilfe, er bricht in Angstschweiß aus, er betet lange und intensiv und bittet Gott, er möge diesen Kelch an ihm vorübergehen lassen. Und genau deshalb halte ich diese Szene für authentisch. Einen solchen Jesus hätte kein Evangelist und keiner seiner eventuellen Zeugen zu erfinden gewagt, nicht vor den Anhängern und nicht vor Gott. Vielleicht war dieser Anfall von Verzagtheit Ausdruck dessen, dass er das Scheitern durch den Tod vorausfühlte. Eine »Bestätigung« - so weit es so etwas in diesem Bereich überhaupt geben kann - gibt das Jesuswort am Kreuz »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?«, das ich ebenso wie das in der Gethsemane-Szene für authentisch halte.
Und dann hatten diejenigen, die Jesus am nächsten gestanden hatten - die Jünger und später auch andere - , Visionen: sie sahen den Verstorbenen, sprachen mit ihm, empfingen Anweisungen von ihm. Solche Visionen gibt es, auch heute noch, aber sie sind natürlich nur subjektiv wahrnehmbar; sie ereignen sich ohne unseren Willen, am ehesten während einer tiefen seelischen Erschütterung, was für die Jünger damals zweifellos zutraf. Die Visionen der Jünger haben Weltgeschichte geschrieben und waren der Wendepunkt, von dem an aus einem winzigen Häuflein verzweifelter Juden eine Bewegung wurde, die bis heute einen großen Teil der Welt erreicht und verändert hat. Für die Jesus-Anhänger gab es für dessen Erscheinung nur eine Erklärung: die Visionen waren direkte Eingebungen Gottes. Und damit war Jesus glänzend gerechtfertigt; er war tatsächlich der Beauftragte Gottes, der die verheißene Gottesherrschaft gebracht hatte oder unmittelbar bringen würde: die Verwandlung aller bestehenden Verhältnisse, die Überwindung des Todes. Diese Gewissheit brachte ihnen eine ungeahnte Kraft und damit Überzeugungskraft, so dass dahinter alle Widersprüche und Unklarheiten zurücktraten.
Nach 2000 Jahren Christentum wissen wir, dass die Gottesherrschaft so nicht kam, bis heute nicht gekommen ist und so auch nicht kommen wird: eine Überwindung des physischen Todes ist nicht möglich - nach unserer Erkenntnis. Trotzdem war das Auftreten der Jünger damals ein großartiger Aufbruch, der auf lange Sicht viel Neues möglich gemacht hat. Denn jede Ankunft in einer scheinbar gesicherten Theorie, in einem scheinbar sicheren neuen Glauben trägt in sich schon den Keim zu einem neuen Aufbruch. Die Welt besteht aus Gegensätzen, gegensätzlichen Interessen und Bedürfnissen, gegensätzlichen Ansichten und Religionen. Das hält sie lebendig. Aber es macht es zugleich sehr schwer, gültige, nachhaltige Grundsätze zu fixieren. Jesus selbst hat keine solchen Grundsätze formuliert, außer dem einen, den er immer wieder gelehrt und vor allem vorgelebt hat: »Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst.« Ich denke, das ist ein Maßstab, der gültig bleibt, in allen Gegensätzen.
Ich komme noch einmal auf das Wort Jesu am Kreuz zurück: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Für ihn ist es das Eingeständnis seines Scheiterns vor Gott und der Ausdruck einer tiefen Demut, in banales Deutsch übersetzt: ich verstehe dein Handeln nicht, aber ich nehme es an. Und kurz danach: »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist« - das tiefe Vertrauen in diesen unverstandenen Gott. Ich denke, zusammen sind diese Worte ein Rahmen, in dem wir leben können, gut für uns und für die anderen, und auch gut für die Welt. Wir können ihre Gegensätze nicht aufheben. Aber wir können versuchen, sie an manchen Orten und für eine begrenzte Zeit zu mildern und freundlicher zu gestalten, damit dort immer wieder ein kleines Stück des Gottesreichs sichtbar werden kann. Das hat uns Jesus vorgelebt, und wenn er so bei uns Einzug halten kann, dann ist er bei uns angekommen und kann uns die Kraft geben für jeden neuen Aufbruch.
Nachfolgend drucken wir die Predigt von Pastorin Isabel Klaus, Bremen, vom 24. September 2017 ab, die sie im Rahmen der Jahrestagung des Bundes für Freies Christentum in der St. Remberti-Gemeinde hielt.
Luther ging es an diesem Morgen nicht gut. Eine grauenvolle Nacht steckte in seinem Leib. Krämpfe hatten ihn gequält, und er fand keine Erklärung, warum der Teufel ihm so sehr zusetzte. Schon auf der Wartburg hatte er ihm aufgelauert. Immer wieder fuhr er ihm in den Bauch und quälte ihn. Dieser Teufelsbraten! Luther stand auf, segnete sich, schlug das Kreuz und begann seinen Morgensegen: »Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen.« Dann kniete er nieder und betete: »Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich diese Nacht vor allem Schaden und vor aller Gefahr behütet hast.«
Als er fertig war, erhob er sich und sah in den trüben Morgenhimmel von Wittenberg. Die Sonne war im Dunst verfangen und stieg nur langsam auf. Luther nahm seine Feder in die Hand; das Schriftstück musste fertig werden, und er brachte die Notizen ins Reine: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.«
Es knallte hinter ihm. Luther fuhr zusammen. Die Nackenhaare stellten sich ihm auf. Das musste der Leibhaftige sein. Ob er direkt hinter ihm stand oder in einer Ecke saß, vermochte er nicht zu sagen. Seine Feder blieb reglos in der Luft stehen, die Tinte trocknete. »Allmächtiger Gott, barmherziger Vater!«
Er flüchtete sich ins Sündenbekenntnis »Ich armer, elender, sündiger Mensch bekenne dir alle meine Sünde und Missetat, die ich begangen mit Gedanken, Worten und Werken, womit ich dich erzürnt und deine Strafe zeitlich und ewiglich verdient habe...«
»Aber, aber«, sagte der ungebetene Gast, »wer wird sich denn so erschrecken! Mein lieber Bruder!«
Luther stockte. Er wagte es nicht, sich zu rühren. So deutlich sprach der Teufel sonst nie mit ihm. Was hatte er angerichtet? Welche Sünde war so groß, dass sich die Hölle auftat?
»Allmächtiger, barmherziger Vater!« Er versuchte mit Inbrunst das Böse abzuwenden.
»Nun mal Luther bei die Fische! Mein Lieber. Ich wollte dich nicht erschrecken. Wenn ich mich kurz vorstellen darf...«
Luther sank auf die Knie und konnte nicht anders. Das musste das Ende sein.
»Bruder!«, rief ihn der ungebetene Gast an und berührte seine Schulter. »Ich bin nicht der Teufel. Ich bin’s nur: Friedrich Schleiermacher.«
Voller Entsetzen drehte sich Luther um. Er sah in ein spitzes Gesicht, blass, umrahmt von ein paar weißen Haaren. Friedrich Schleiermacher? Der Name sagte ihm rein gar nichts.
»Ich weiß«, sagte Schleiermacher »es ist nicht üblich, einfach so die Zeiten zu durchqueren, aber ich dachte mir, ich komme eben kurz vorbei. Ich bin Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Ahnherr der liberalen Theologie. Ich komme aus dem Jahr 1817, als mein König anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Reformation eine Union zwischen Lutheranern und Reformierten einführen will. Ein schwieriges Thema. Wer ist Herr über die Liturgie? Die Theologen oder der König? Was meinst du, Martin?«
Luther sah ungläubig zu dem Fremden auf. Er hatte den Teufel mit Tinte beworfen, aber das hier überstieg alles, was er sich vorstellen konnte. Schleiermacher? Keine Ahnung. 300 Jahre wonach? Nach der Reformation?
Schleiermacher setzte sich mit Luther auf die Fensterbank und erklärte ihm, dass es keinen Grund zur Aufregung gebe. Das entgeisterte Gesicht Luthers folgte langsam Schleiermachers Worten:
»Um es kurz zu machen, Martin, mit deinem Thesenanschlag spaltete sich die Kirche. Die neue Bewegung wird man in ein paar Jahren Evangelische Kirche nennen. Warum ich aber eigentlich hier bin: Als Ahnherr der liberalen Theologie bat mich die Pastorin der Rembertigemeinde zu Bremen, dich aufzusuchen. Sie wiederum lebt im Jahr 2017, und dort feiert man 500 Jahre Reformation. Die haben da ganz andere Probleme als du und ich. Dein Problem war - um es kurz zu machen - die Katholische Kirche. Mein Problem waren die Pietisten und der König. Und die heutige Pastorin hat das Problem, dass ihr die Schäfchen davonlaufen. Sie lebt in einer säkularisierten Welt, obwohl ihre Kanzlerin der christlichen Union angehört.«
Luther sah ihn noch entgeisterter als zuvor an. »Ihr habt eine sonderbare Sprache. Säkularisierte Welt? Kanzlerin? Pastorin? Was soll das bedeuten?«
»Oh«, lachte Schleiermacher auf, »ach das! Eine säkularisierte Welt ist eine - ja, das mag jetzt hart klingen - eine entkirchlichte Welt Die Kirche hat an Einfluss verloren. Kirche und Staat sind getrennt; und im Jahr 2017 steht an der Spitze der Demokratie eine Kanzlerin. Und stell dir vor: Jetzt wählt das ganze Land die Regierung. Jetzt entscheidet das ganze Volk über die Zukunft. Jeder und jede darf zwei Kreuze machen. Egal ob Mann oder Frau oder beides.«
»Grundgütiger!«, fuhr Luther dazwischen, »Sodom und Gomorra!«
»Und als Pastorin«, erklärte ihm Schleiermacher, »bezeichnet man 500 Jahre nach der Reformation die Frauen, die als Pastoren arbeiten, die Endung ‚-in’ kennzeichnet die weibliche Form. Das gibt’s bei dir noch nicht.«
Luthers Augen weiteten sich.
»Frauen im Amt? Auf der Kanzel? Die predigen? Aber ...«, brachte Luther heraus, »das habe ich schon bei meinen Tischreden gesagt, dass Weiber schweigen, wenn Männer reden. Denn den Weibern mangelt es an Stärke und Kräften des Leibes und des Verstandes.«
»Mein lieber Freund, 500 Jahre nach der Reformation stehen auch Frauen in der Öffentlichkeit von Kirche, Gesellschaft und Staat - die haben die Hosen an!«
Luther schüttelte fassungslos den Kopf. Der Teufel wäre ihm lieber gewesen. Ja, wenn er genau darüber nachdachte, wurde ihm der Teufel immer sympathischer. Das bisschen Ohrensausen, die paar Bauchkrämpfe, lieber das als Frauen auf der Kanzel oder dieser Mann, der in Rätseln sprach.
»Wo war ich stehengeblieben?«, Schleiermacher sortierte seine Gedanken. »Stimmt. In der Rembertigemeinde tagt soeben der Bund für Freies Christentum, die halten die liberale Theologie hoch. Sie diskutieren zum Beispiel darüber, was eine Predigt sei, religiöse Rede oder Verkündigung des Worte Gottes.«
»Die Predigt«, ereiferte sich Luther, »muss an die Schrift gebunden sein, um das Wort Gottes zu entfalten. Wie sonst sollte Christus in den Hörern wirken können, wenn nicht durch das Wort Gottes?«
»Ja, da wäre die Predigt aber ganz schön gefesselt, und genau da liegt gewissermaßen das Problem. Deswegen entstand auch die theologische Richtung des liberalen Christentums, dessen werter Ahnherr ich bin. Das Problem ist das "Wort Gottes".«
»Das Wort Gottes ein Problem? Ihr seid ein stinkender Madensack! Seid ihr von allen Sinnen verlassen?«
»Oh«, freute sich Schleiermacher, »das ist ein schönes Stichwort "von allen Sinnen verlassen". Um den religiösen Sinn, genau darum geht es mir, mein lieber Freund. In meiner Predigt will ich das religiöse Bewusstsein der Anwesenden beleben; ihnen Sinn und Geschmack fürs Unendliche öffnen. Sie müssen erfahren, was Religion ist, nicht lernen, nicht einüben. Erfahren!«
Luther schlug ein Kreuz und murmelte aus alter Gewohnheit ein Ave Maria. »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
»Mein Lieber, du wirst doch keinen Rückfall erleiden? Es sind nicht allein die biblischen und kirchlichen Sätze des christlichen Glaubens, die ins Zentrum der Predigt zu rücken sind. Die zentralen Fragen, auf die die Predigt unbedingt auch antworten muss, stecken im Menschen. Wozu bin ich auf dieser Welt? Was verschafft mir das Gefühl, nicht vergeblich zu leben?«
»Sola gratial«, fiel ihm Luther ins Wort. »Allein durch die Gnade Gottes leben wir nicht vergeblich! Die Gnade Gottes wird uns durch den Tod Jesu am Kreuz zuteil. Solus Christus. Nur Christus kann uns mit Gott versöhnen, wie er allein in der Schrift bezeugt ist. Sola scriptura. Nur das Wort Gottes kann uns zum Glauben erwecken. Allein durch Glauben finden wir den gnädigen Gott. Sola fide.«
Schleiermacher saß wie angenagelt auf der Fensterbank, weil Luther seinen Sola-Vierer so vehement auf die Fensterbank hämmerte, als gelte es, die Thesen erneut anzuschlagen.
»Immer mit der Ruhe, mein Lieber«, sagte Schleiermacher, »es will dir ja keiner dein Sola Sola So - la - la austreiben. Ich plädiere lediglich für eine Religion ohne deine dogmatische Enge. Die Religion gehört zu unserem Leben, sie macht es tiefer und schöner. Sie ist das Lebensgeheimnis, das ich das Unendliche nenne. Wir müssen denkend glauben, um zu verstehen, was alte religiöse Bilder heute bedeuten. Dennoch lehne ich einen platten theologischen Rationalismus ab. Nüchtern kalte Begriffe sperren Gott ein, man muss Gott auch fühlen. Denn: Glaube ist Anschauung und Gefühl für das Unendliche im Endlichen!«
Luther wünschte sich den Teufel herbei. Ohrensausen. Jetzt ein Ohrensausen! Das wäre allemal besser als dieses Gefasel von Sinn und Unendlichkeit. Was für ein aufgeblasener kleiner Wicht!
»Das Wort«, spuckte Luther Schleiermacher ins Gesicht, »Das Wort sie sollen lassen stahn! Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, aber wir zittern vor all zu liberalen Dingen.«
»Gut gedichtet! Also das muss ich dir unter uns Pastoren doch voller Bewunderung sagen, mit der Sprache hast du’s. Deine Übersetzungen sind auch nach 300 oder 500 Jahren unübertroffen.« Schleiermacher war ganz gerührt, als er das sagte, und er genoss den Moment, als ihm bewusst wurde, dass er tatsächlich vor Martin Luther saß. Doch dann fiel ihm die Pastorin aus Remberti wieder ein. Was die mit Luthers Psalmen machte, nein, das würde ihm nicht gefallen. Schleiermacher betrachtete den alten Dogmatiker. Voller Stolz erklärte er ihm, was die liberale Theologie will: »Schau, mein lieber Bruder, in der liberalen Theologie nehmen wir den Menschen mit seinen religiösen Fragen ernst und versuchen Dinge, die dem heutigen Menschen in deiner traditionellen Sprache nicht mehr verständlich sind, zu übersetzen. Und nicht nur das! Wir legen Wert auf ein aufgeklärtes Nachdenken über die biblischen Geschichten, wir lesen sie als Glaubenszeugnisse, die Menschen uns hinterlassen haben, nicht als Wort Gottes. Das Wort Gottes ist eine alte unverständliche Worthülse, die missverständlich ist und von der ich mich entschieden distanziere. Die liberale Theologie versucht die Inhalte des christlichen Glaubens zu retten und bringt sie zu einer erneuerten Darstellung gemäß der reformatorischen Urformel: ecclesia semper reformanda.« [Die Kirche bedarf immer der Reform - Anm. der Redaktion]
Luthers Gesicht fror förmlich ein. Eine solche Irrlehre war ihm selten begegnet. Das war Gotteslästerung von einer nie dagewesenen höllischen Dimension.
»Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal«, stammelte Luther, »fürchte ich kein Unglück!«
»Psalm 23«, schwärmte Schleiermacher. »An den hat sich die Pastorin in Remberti noch nicht getraut. Du würdest staunen, was die aus deinen Psalmen rausholt!«
Mit einem Satz sprang Luther auf. »Oh! Verschone mich! Und vergiss nicht, was für ein Ahnherr auch immer du sein willst, liberaler als meine Theologie kann nichts sein, denn ich führte den Glauben aus der Babylonischen Gefangenschaft; und ohne das Wort Gottes wäre das nie möglich gewesen.«
»Natürlich!«, sagte Schleiermacher beruhigend und spürte, dass sich sein Zeitfenster langsam schloss. »Wie wollen wir enden? Wollen wir den schönen paulinischen Satz aus dem Hohelied der Liebe um das Wort Gottes erweitern? Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung und das Wort Gottes - und das Wort Gottes aber ist das Größte unter ihnen?«
Luther riss die Augen auf. War das Wort Gottes größer als die Liebe? Sein dogmatisches Herz trommelte laut. Das Wort Gottes größer als die Liebe? Dieser kleine schleiermacherische Schlawiner hatte ihn mit diesem miesen Trick am Schlafittchen gepackt. Schleiermacher spürte, dass er Luther schachmatt gesetzt hatte, und holte zum Finale aus. Und so endete er mit den Worten:
»Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse, alle Erkenntnis und hätte allen Glauben und das Wort Gottes, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Glaube ist Anschauung und Gefühl für das Unendliche im Endlichen!«
Isabel Klaus ist seit 2011 Pastorin der St. Remberti-Gemeinde in Bremen. Für die Gottesdienste ihrer Gemeinde passt sie Psalmtexte einem heutigen Deutsch und einem modernen Bibelverständnis an.
Zum Ende des Reformations-Jubiläumsjahres 2017 möchte ich darstellen, wie Martin Luther mit seiner Bibel-Übersetzung die deutsche Sprache bis zum heutigen Tag geprägt hat. Dazu muss man vor allem bedenken, dass zur Zeit Luthers die religiöse Sprache der Menschen das Lateinische war. Es war die lingua franca des Römischen Reiches und seiner Nachfolge-Zeiten. Die Originalsprachen des Alten Testaments Hebräisch (später Griechisch) und des Neuen Testaments Griechisch waren zum Ende des 3. Jahrhunderts von Kirchenvater Hieronymus ins Lateinische übersetzt worden. Sein Text, der sich gegen andere lateinische Übersetzungen durchgesetzt hatte, war über lange Zeit die heilige Sprache der christlichen Kirche (bekannt geworden unter der Bezeichnung »Vulgata«).
Luthers Muttersprache war der ostmitteldeutsche Dialekt. Es gab damals noch keine deutsche Standardsprache, sondern spezielle »Kanzlei-Sprachen«, die in der Kanzlei eines Kurfürsten oder des Kaisers benutzt wurden. Das Deutsch, das Luther beim Übersetzen verwendete, hielt er für eine »gewisse« deutsche Sprache. Er machte keinen wesentlichen Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache.
Welche Sprachen beherrschte Martin Luther damals? Als Neunjähriger lernte er in der Schule in Mansfeld das Lateinische. Auf der Schule war es bei Strafe verboten gewesen, deutsch zu reden. Geschrieben wurde ohnehin nur auf Lateinisch (seine erste Schrift auf Deutsch verfasste er erst mit 32 Jahren). Er ergänzte sein sprachliches Wissen im Studium dann durch das Griechische. Und zuletzt kam noch das Hebräische hinzu, das er allerdings nie ganz beherrschte (seine Übersetzung des Alten Testaments entstand in großen Teilen durch ein Kolloquium von Übersetzern).
Luther hatte sich Mitte Dezember 1521 in seinem Exil auf der Wartburg an die Übersetzung der Bibel gemacht, andere deutsche Übersetzungen gab es zu diesem Zeitpunkt schon einige. Bereits nach elf Wochen war bei ihm das Neue Testament fertiggestellt, das Alte Testament dauerte etwas länger. 1534 konnte dann die vollständige Bibel in der neuen Übersetzung erscheinen. Luther gab 1545 eine letzte Fassung heraus. Danach veränderte sich der Text vier Jahrhunderte lang kaum. 1912, 1975 und 1984 erfolgten sprachliche und inhaltliche Revisionen, die letzte zum Reformations-Jubiläum 2017.
Weshalb ist nun die »Sprache Luthers« nach 500 Jahren immer noch in unserem heutigen Deutsch zu spüren? Vor allem, weil durch die große Verbreitung seiner Übersetzung jeder im Volk die Inhalte der Bibel besser kennen lernen und im Gedächtnis behalten konnte als zuvor das Lateinische. Und der Buchdruck tat das Seine hinzu. Luther hatte dessen Bedeutung sehr früh erkannt und für sich nutzbar gemacht. Das flächendeckende Auswendiglernen der christlichen Botschaft in der eigenen Sprache wurde durch die rasche Verfügbarkeit abertausender Exemplare seiner Bibel deutlich gefördert.
Wir müssen es uns einmal real vorstellen: einen Bibel-Text konnte man bis dahin, da er lateinisch war, überwiegend nur mühsam entziffern. Luthers deutsche Übersetzung blieb aber nicht im gedruckten Wort stecken, nein, sie wurde gesprochen, man kannte die wichtigen Stellen aus- und inwendig. In einem Brief beschreibt es Luther selbst: »Wenn doch … dies Buch in aller Zunge, Hand, Augen, Ohren und Herzen wäre.« Die Bibel wurde auf diese Weise nunmehr das »Unterrichtsbuch der Nation«. An ihr lernte man buchstabieren, lesen und schreiben.
Wie kam es aber zu der weiten Akzeptanz dieser Übersetzung? Andere Übersetzungen hatte es doch bereits gegeben. Das Entscheidende war wohl, dass Luthers Heilige Schrift zu den Zuhörern in ihrer Sprache redete. Deshalb war er so darauf versessen, »dem Volk aufs Maul zu schauen«. Er wollte nicht unbedingt so reden wie das Volk, sondern so reden, dass das Volk ihn verstand. Deshalb ist seine Übersetzung nicht einfach nur »frei«, sondern sie ist der Rede- und Verständnisweise seiner Zuhörer angepasst.
In seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« lässt Luther uns etwas an seinen Übersetzungs-Prinzipien teilhaben, hier bei einer Erklärung der Stelle »Ex abundantia cordis os loquitur« (Lk 6,45): »Wenn ich den Eseln (= seinen Gegnern) soll folgen, die werden mir die Buchstaben vorlegen, und so dolmetschen: Aus dem Überfluss des Herzens redet der Mund. Sage mir, ist das deutsch geredet? Welcher Deutscher verstehet solches? Was ist Überfluss des Herzens für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, er wollte denn sagen, dass einer ein allzu großes Herz habe oder zu viel Herz, wiewohl das auch noch nicht recht ist: denn Überfluss des Herzens ist kein Deutsch, so wenig, wie das deutsch ist: Überfluss des Hauses, Überfluss des Kachelofens, Überfluss der Bank, sondern so redet die Mutter im Haus und der gemeine Mann: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über, das heißt gut deutsch geredet, des ich mich beflissen und leider nicht allwege erreicht noch getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern über die Maßen, sehr gut deutsch zu reden.«
Hier griff Luther offenbar auf ein in seiner Zeit schon bekanntes Sprichwort zurück, das es analog auch in anderen Sprachen gibt. Für viele sind heute die Genitivformen wes und des fremd, weswegen man auch häufig den Dativ hört. Aber auch wes und des ist richtig und jeder wird es verstehen.
Ein Wort, das seit Luther im Sprachgebrauch eine Wandlung erfahren hat, ist »Feuereifer«. In seinem Hebräerbrief verwendet er dieses Wort für die zerstörende Kraft des Feuers. Luther hat sich in seinen späteren Jahren mit solchem Feuereifer gegen alle gewandt, die seiner Lehre widersprachen. Inzwischen gebrauchen wir den Begriff jedoch für den engagierten Einsatz für und nicht gegen etwas.
Gastfrei zu sein, gilt in den Paulusbriefen als wesentliche christliche Eigenschaft. Luther übersetzte damit das lateinische Wort »hospitalis«. Im griechischen Urtext steht dafür immer »philoxenos«, wobei »xenos« beides, den Fremden und den Gast, bezeichnet. Der Christ möge also gast- und fremdenfreundlich sein. Eine für unsere Gegenwart sehr wesentliche Wortbedeutung.
»Jemandem geht ein Licht auf.« In Psalm 97,11 übersetzte Luther: »Dem Gerechten muss das Licht (der Gnade Gottes) immer wieder aufgehen und Freude den aufrichtigen Herzen.« Heute verwenden wir die Redewendung gänzlich unabhängig vom religiösen Kontext.
»Sein Licht nicht unter einen Scheffel stellen« zeigt die Zeitbezogenheit dieses Ausspruchs. Zu Luthers Zeit war der Scheffel ein Hohlmaß und als solches in jedem Haushalt vorhanden. Wenn man einen Scheffel umkehrte und über eine Kerze stellte, sah man logischerweise ihr Licht nicht mehr. Es geht bei diesem Vergleich darum, das vorzuzeigen, was man ist und was man kann. Natürlich nicht in prahlender, sondern in beispielhafter Weise. Obwohl zwischendurch die Bibel-Revision 1975 den »Scheffel« durch »Eimer« ersetzt hatte, ist man danach wieder auf den früheren und inzwischen bekannten Begriff Scheffel zurückgegangen. Das Substantiv hat sogar ein Verb hervorgebracht: scheffeln = anhäufen.
»Lückenbüßer« - Das Wort Lücke bedeutete schon immer eine offene Stelle, z.B. Zaun-, Zahn- oder Text-Lücke. Später weitete sich der Gebrauch aus, sodass eine Lücke etwas wurde, was nicht ausreichend vorhanden ist, z.B. eine Wissenslücke. Büßen bedeutete ursprünglich »ausbessern, flicken«. Ein Lückenbüßer ist also einer, der eine Lücke ausbessert. Der Begriff des Lückenbüßers hat sich im Lauf der Zeit einer Wandlung unterzogen und bedeutet heute nicht den, der eigentlich auf diesen Platz gehört, sondern eher eine Notlösung.
So gibt es zahlreiche weitere Wörter und Wendungen, die Martin Luther beim Übersetzen verwendet oder selbst gebildet hat. Etwa das »Machtwort«, in der Verbindung mit der Erschaffung der Welt, die »Mördergrube«, die er der wörtlichen »Räuberhöhle« vorzog, das »Morgenland« als Herkunftsort der drei Weisen, »Mit seinen Pfunden wuchern«, wobei er die Geldeinheit talentum entweder mit Zentner oder mit Pfund übersetzte, oder »Seine Zunge im Zaum halten«, eine Ableitung aus dem Bereich der Reit- und Zugtiere. Immer ging es ihm darum, wie er die Sätze so bilden konnte, dass seine Landsleute die biblischen Aussagen verstanden. Allerdings sind manche Wörter, wie z.B. »Sündenbock«, später ungerechtfertigterweise mit Luther in Verbindung gebracht worden.
Viele lange Wochen hat dieser Geistesarbeiter an seiner Übersetzung gearbeitet. Wobei er seine Arbeit vielleicht gar nicht im Sitzen am Tisch verrichtet hat. Wir können es uns nur im Geist vorstellen, wie er etwa im Zimmer hin und her lief, in Büchern las, nach Worten suchte, die man predigen konnte, sie dann laut vor sich her sprach, sich wieder an das Schreibpult setzte und sie niederschrieb, immer nach der Devise: das Wort muss nicht nur gelesen, sondern gehört werden. Auf das Hören und dann vor allem auf das Verstehen kam es ihm letzten Endes an. Und so verstehen wir ihn, zumindest in seiner prägenden Wortwahl, vielfach auch heute noch.
(unter Bezugnahme auf Hartmut Günthers Duden-Publikation »Mit Feuereifer und Herzenslust - Wie Luther unsere Sprache prägte«, 2017 Berlin)
Im Archiv ging eine Anfrage des heutigen Besitzers eines Templerhauses in Jerusalem ein. Aus dem Buch von David Kroyanker über die deutsche Kolonie hatte Alon Eran erfahren, dass sein Haus von dem Schuhmacher Christian Jacob Messerle (1851-1941) erbaut worden war, über dessen Familie er nun mehr wissen wollte. Seine eigene lebt seit drei Generationen in dem Gebäude, das er nach umfassender Sanierung nun in ein hübsches Bed & Breakfast namens »The Templer Inn« umgewandelt hat. Die einzelnen Apartments des Hauses hat er übrigens nach Templerfamilien (Bäuerle, Sandel, Imberger und natürlich Messerle) benannt! Dank der Unterstützung von Birgit Arnold (s.a. ihren Beitrag in der »Warte« 11/2016) und des TSA-Archivs konnten die Wissenslücken nun geschlossen werden.
Eine Frage blieb bisher offen: 1932 wurde in einer Anzeige für ein "Deutsches Restaurant und Café" der "Gebrüder Messerle" in der Jaffastraße 240 geworben. Wer waren diese Messerles? Der namensgleiche Sohn Christian Jacob Messerle (1887-1960) betrieb zwar eine beliebte Metzgerei mit Restaurant in Jaffa. Ob er auch eine Filiale in Jerusalem aufgemacht hatte, ist unbekannt. Schon 1937 wird ein anderer Inhaber des "Deutschen Restaurants" ausgewiesen. Immerhin hat durch den »Templer Inn« der Name Messerle wieder in Jerusalem Einzug gehalten.